Titel
Hochschuloffiziere und Wiederaufbau des Hochschulwesens in Deutschland 1945-1949. Die Sowjetische Besatzungszone


Herausgeber
Heinemann, Manfred
Reihe
edition bildung und wissenschaft 4
Erschienen
Berlin 2000: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
Preis
€ 64,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ilko-Sascha Kowalczuk

Was wollten die sowjetischen Kommunisten nach 1945 in Deutschland? Was wollten sie mit ihrem Teil Deutschlands machen? Diese Fragen mögen sich banal anhören, sind aber in der Forschung und der öffentlichen Meinung bis zum heutigen Tage alles andere als ansatzweise erschöpft beantwortet worden. Die Geschichte des ostdeutschen Hochschulwesens, so meinen jedenfalls dessen Kenner, eigne sich besonders gut, um die wahren Absichten der Sowjets zu ergründen. Der Historiker Manfred Heinemann aus Hannover hat in den vergangenen Jahren eine Vielzahl von Büchern zur Geschichte des deutschen Hochschulwesens nach 1945 herausgegeben. Direkt nach dem Fall der Mauer 1989 begann er, sich auch für das ostdeutsche Hochschulwesen nach der Zerschlagung der Hitler-Diktatur zu interessieren und initiierte eine ganze Reihe von einschlägigen Veranstaltungen. Sein besonderes Augenmerk lag dabei darauf, russische Akten zu eruieren und sowjetische Zeitzeugen ausfindig zu machen und zu befragen. Ihm zur Seite standen dabei eine Reihe engagierter Nachwuchshistoriker und einige ältere Historiker aus der DDR, die ihm vor allem bei der Kontaktaufnahme zu den ehemaligen sowjetischen Funktionären behilflich waren.

Der vorliegende Band, erschienen im Jahr 2000, geht auf eine Konferenz zurück, die 1992 in und bei Berlin stattfand. Heinemann versammelte die wichtigsten noch lebenden sowjetischen Funktionäre aus der Sowjetischen Militäradministration (SMAD), die für Hochschulen und Wissenschaft zuständig waren, und veranstaltete an mehreren Tagen ausgiebige narrative Interviews, die er, seine Mitarbeiter und einige geladene Gäste verfolgen und aktiv gestalten konnten. Das Produkt dieser Tagung liegt nunmehr in Form des Bandes vor. Auf etwa 300 Seiten kommen sowjetische und deutsche Funktionäre, deutsche Opfer sowie einige Wissenschaftler zu Wort. Daneben sind einige Beiträge abgedruckt worden, die die Umgestaltung des ostdeutschen Hochschulwesens ebenfalls aus der Sicht damaliger sow-jetischer SMAD-Funktionäre schildern. Schliesslich hat Heinemann Pjotr Nikitin, den wohl wichtigsten SMAD-Funktionär für das Hochschulwesen, umfänglich zu dessen Biographie befragt. Dieses Interview stellt eine sinnvolle und sehr nützliche Ergänzung zu Nikitins Erin-nerungen dar, die in der von Heinemann herausgegebenen Reihe „edition Bildung und wis-senschaft“ 1997 erschienen sind.

Der Band verdeutlicht den radikalen Paradigmenwechsel, dem die ostdeutschen Hochschulen nach 1945 unterlagen, anschaulich. Die sowjetische Besatzungspolitik wird plastisch anhand der Bildungspolitik nachgezeichnet. Bedrückend sind vor allem die Schilderungen der Opfer dieser Politik. Sie erzählen unaufgeregt, wie es dazu kam, dass sie von sowjetischen Stellen verhaftet, einiger ihrer Kameraden hingerichtet und sie selbst zu hohen Haftstrafen verurteilt worden sind.

Das eigentümliche an diesem Band ist allerdings die Grundthese, dass die Politik der SMAD und des NKWD mehr oder weniger gegeneinander standen. Während die SMAD „demokrati-sieren“ wollte, betrieb der NKWD das schmutzige Geschäft der ungerechtfertigten brutalen Verfolgungen ganz allein. Allerdings wird nicht die Frage aufgeworfen, mit welchem Modell im Kopf die SMAD eigentlich auf welches Ziel hin „demokratisieren“ wollte. Die sowjeti-schen Funktionäre kannten nach 1945 nur ein Modell, und dass war das von Stalin in ihrer Heimat praktizierte. Der NKWD zählte zu diesem Modell ebenso hinzu wie die Volkskom-missariate. Die Aufgabenteilung von Geheimdienst und SMAD in der SBZ war nicht anders geregelt als in der Sowjetunion selbst. Natürlich hat die SMAD nicht die Verhaftungen vor-genommen, aber ebenso natürlich hat sie und ihr verlängerter Arm, die SED und die Zentral-verwaltungen, diese mit Kampagnen und Hinweisen vorbereitet.

Damit ist nur ein Schwachpunkt des Bandes benannt. Dieser ist jedoch verständlich, da die sowjetischen Gäste über ihr eigenes Tun berichten und ihre deutschen Gastgeber ihnen um den Preis der Aufrechterhaltung der Kommunikation nur beschränkt kritisch gegenübertreten können. Zugleich muss aber auch herausgestellt werden, dass der Band viele interessante und zum Teil unbekannte Details aus dem Innenleben der SMAD und der Hochschulen in der SBZ liefert. Dabei werden Strukturveränderungen, Zulassungsfragen, Studentenräte, Alltagsprobleme oder die Vorstudienabteilungen ebenso wenig ausgespart wie eben Verhaftungen und das Fluchtproblem. Dass dabei eben viele Klischees und auch mittlerweile von der Forschung ins Reich der Legenden verabschiedete Behauptungen wiedergegeben werden, ist dem Herausgeber nicht anzulasten. Dies hängt eben mit der Zusammensetzung der Zeitzeugenschaft zusammen, für die nicht er, sondern die damalige politische Situation nach 1945 verantwortlich ist.

Der Band stellt für die Forschung eine wichtige Fundgrube dar, die sowohl wichtige histori-sche Details liefert als auch über das postkommunistische Denken eines Teils der ehemaligen sowjetischen Nomenklatura Aufschlüsse vermittelt. So lange der Zugang zu den russischen Archive restriktiv gehandhabt wird, werden wir dankbar auf solche Editionen wie die von Manfred Heinemann zurückgreifen müssen. Die grossen Fragen zur sowjetischen Deutsch-landpolitik mag auch dieser Band nicht zu beantworten, aber jeder kann sich, je nach Belie-ben, wie in einem Gemischtwarenladen bedienen. Umfangreiche Personen- und Sachregister erleichtern dankenswerterweise die Selbstbedienung beträchtlich.

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