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Titel
Das russische Deutschland. Eine Bearbeitung der sowjetischen Besetzung Ostdeutschlands


Autor(en)
Berger, Christoph
Erschienen
Anzahl Seiten
530 S.
Preis
DM 78,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Laufer, Jochen

Christoph Berger geht der Frage nach, warum die Deutschen so wurden, wie die Ostdeutschen heute sind. Für ihn ist das allerdings keine offene Frage, denn die Antwort kennt er schon: Die Russen sind Schuld. Bergers Arbeit gliedert sich in drei Teile. Eine essayistische Einleitung (88 Seiten) bildet den Anfang. Sie versucht, das Thema, die Einstellung der Deutschen zu den Russen, der Westdeutschen zu den Ostdeutschen und der Russen zu den Deutschen „mental“ zu verorten. Auf exakte, nachprüfbare Erkenntnisse kommt es Berger dabei nicht an. Hinter konkreten Überschriften verbergen sich unfaßliche, immer interpretierbare Beschreibungen.

Wiederholtes Lesen ist notwendig, um sich über Satzgebilde wie diese zu ärgern: „Daß die Deutschen sich schließlich die Russen –deren quasi anthropologische Minderwertigkeit und daher strukturelle Unterlegenheit plausibel zu finden sie nicht dem als Wissenschaft verkleideten Rasenwahn der Nazis folgen, nur in den in ihrem kollektiven Gedächtnis beweglichen Vorstellung über die Russen befangen sein mußten – nicht unterwerfen konnten, sondern durch sie unterworfen wurden, mußte 1945 nicht einmal den Glauben an ihre nicht erst von Hitler vorgesehene Bestimmung erschüttern, sondern nur die Gewißheit, dieser Bestimmung, das Land vor dem (asiatischen) Osten einzudämmen, Herr zu werden; nun fielen sie eben (und gefielen sich bald) als Opfer unter ihre(r) Bestimmung, da sie sich der groben Gewalt russischer Horden ausgeliefert sahen, der mit der vermeintlich eigenen subtileren Intelligenz nicht beizukommen schien; im Abwehrkampf gegen den massiv überlegenen Feind schien zuletzt nur noch der Appell an die Instinkte zu fruchten, die jenem zuzuschreiben waren.“ (S. 17-18)

Was könnte uns Berger damit sagen wollen? Erstens. Im kollektiven Gedächtnis »der Deutschen« war schon vor 1933, erst recht aber 1945, die anthropologische Minderwertigkeit und strukturelle Unterlegenheit der Russen verankert. Zweitens. »Die Deutschen« waren sich schon vor 1933 ihrer Bestimmung gewiß, das Land (Europa? J.L.) gegen den asiatischen Osten einzudämmen. Drittens. »Die Deutschen« sahen sich 1945 der groben Gewalt russischer Horden ausgeliefert. Sie wurden dadurch zu Opfern der Russen. Derartige Annahmen wären eine Untersuchung wert. Eine solche hält Berger allerdings nicht für notwendig. Bei ihm bleiben diese Annahmen Vorurteile, die seine Forschung entwerten.

Der zweite Teil (207 Seiten) ist vom eigentlichen Untersuchungsgegenstand Bergers getragen: die Ursprünge und Anfänge der Aktivisten(„Hennecke“-)bewegung in der Sowjetischen Besatzungszone. Obwohl Berger in diesem Teil erstmals auf unveröffentlichte Quellen zurückgreift und die gesamte relevante Literatur benutzt, läßt er sich nicht von vorgefaßten Meinungen abbringen. Auf ein und derselben Seite lesen wir: „Sich nach 1945 die Lage Deutschlands als eines auf Dauer geteilten Landes zu vergegenwärtigen, hieß sich die Ostgebiete für die Zukunft als deutschen Erinnerungs-Raum bewahren zu wollen, die man in Wirklichkeit längst und für immer vom russischen Reich erobert wußte.

1947 waren noch die Länder, in denen Deutsche wieder zu Verwaltungs- und Regierungsaufgaben herangezogen wurden, als eine Einheit wahrzunehmen .... Es war ein Volk, das unter den Folgen des Krieges, Zerstörung, Hunger und Krankheit, zu leiden hatte, gleich ob es in den Westzonen oder in dem Osten , den man wie die verlorenen Gebiete bald an Rußland verloren geben mochte.“ (S. 105) Wer ist „man“? Was hat das Wissen von der dauerhaften Eroberung der Ostgebiete mit dem „Aufbau-Befehl“ der Sowjetischen Militäradministration zu tun? War das Leiden unter amerikanischer oder sowjetischer Besatzung wirklich gleich?

Berger behauptet unzutreffend, daß dem „Aufbaubefehl“ nicht zufällig die Nummer 234 gegeben worden sei (S. 111). Es sei damit eine „Formel für die Zukunftserwartung“ gewählt worden. Ein Blick in das von Jan Foitzik edierte Inventar der offenen Befehle 1 hätte ihn leicht zu der Einsicht verhelfen können, daß alle Befehle der Sowjetischen Militäradministration streng in numerischer Reihenfolge vergeben wurden. Dafür, daß mit dem Erlaß dieses Befehls solange gewartet wurde, bis diese Ziffer erreicht war, gibt es keinerlei Anhaltspunkte. Nach den spezifischen Ursachen für den Erlaß des Befehls, der explizit auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität „als Schlüssel zur Lösung aller anderen wirtschaftlichen Probleme“ zielte, fragt Berger nicht. Es wird weder auf die Entwertung des Geldes, den Schwarzmarkt und die Tauschgeschäfte, die fehlenden Leistungsanreize für die Arbeiter, die Desorganisation der Industrie durch die massenhaften Enteignungen von Unternehmen, die Energie- und Rohstoffprobleme der Industrie noch auf die Bemühungen der SED eingegangen, zur Planwirtschaft überzugehen.

So bleibt die Antwort auf die Frage, von wem die Initiative zu diesen Befehl ausging, nebulös. Der Behauptung des FDGB, der den Befehl auf seine Intervention zurückführte (S. 113), stellt Berger seine Behauptung entgegen, der Befehl habe die „unbeschränkte Willkür der sowjetischen Besatzungsmacht“ enthüllt (S. 114). Auch mit den Einzelheiten der Verwaltungsentwicklung in der Sowjetischen Besatzungszone ist Berger nicht vertraut. Er führt die veränderte Bezeichnung der Dienststellung von Gustav Sobottka, der zunächst als „Präsident der Deutschen Zentralverwaltung für Brennstoffindustrie“ fungierte und seit Februar 1946 die „Hauptveraltung Kohle“ der Deutschen Wirtschaftskommission leitete, falsch auf dessen Degradierung zurück (S. 115). Tatsächlich blieb die Stellung unverändert, denn lediglich Sobottkas „Zentralverwaltung“ war als „Hauptverwaltung“ in die Deutsche Wirtschaftskommission eingegliedert worden.

Der biographische Hintergrund Adolf Henneckes wird ebensowenig ausgeleuchtet, wie die Frage, warum gerade Hennecke von den SED-Verantwortlichen als Initiator der Aktivistenbewegung ausgewählt wurde. Für Berger gibt es da nichts zu untersuchen: Die Propagierung der Arbeitsleistung des Hauers Adolf Hennecke und die Inszenierung der Aktivistenbewegung war die Übernahmen des sowjetischen Modells. Nur um die Spannung zu erhöhen, zögert Berger diese Antwort hinaus: „Es hat mich einige Mühe gekostet, Stachanow bisher nicht zu erwähnen“ (S. 211). Das ganze Jahr 1947 habe sich die Presse im Westen Deutschlands gefragt, ob die sowjetische Administration „Stachanow in Deutschland“ einführen würde (S. 211). Um diesen Zusammenhang zwischen der Stachanov- und der Henneckebewegung aufzudecken, hätte es dieser Dissertation nicht bedurft.

Ungeklärt bleibt hingegen, ob die Aktivistenbewegung in der UdSSR, wie in der DDR und in allen anderen staatssozialistischen Ländern, die notwendige Folge der neuen Produktionsweise, der „Schaffung des Volkseigentums“ und des damit verbundenen Absinkens der individuellen Arbeitsleistung war. Die Betonung der sowjetischen Urheberschaft der Henneckebewegung verdeckt die grundlegende Tatsache, daß politische Kräfte in Deutschland vorhanden waren, die nicht erst nach 1945 die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln anstrebten. Auch wenn sich die sowjetische Besatzungsmacht nicht derart massiv in die Fragen der Arbeitsorganisation in den Betrieben der Sowjetischen Besatzungszone eingemischt hätte und nicht über die Erfahrungen der Stachanovkampagne verfügt hätte, wäre zu vermuten, daß die deutschen Einheitssozialisten, in dem Maße, wie sie die Verantwortung für die Wirtschaft der Zone übernahmen, die Aktivistenbewegung selbständig entwickelt hätten.

Den dritten Teil bildet ein essayistischer Schluß (187 Seiten), in dem Berger den Einfluß der Aktivistenbewegung und alles Sowjetischen auf die Politik, den Alltag und die Kultur Ostdeutschlands nachzuweisen versucht. Nach zahlreichen durchaus zutreffenden Beobachtungen kommt Berger zur „Bewältigung des 17. Juni“. Wieder beginnt er mit einer seiner Meinung nach fundamentalen Feststellung: “Wenn einem durchschnittlichen DDR-Bürger ein sowjetischer Panzer auf der Straße entgegen kam, fuhr ihm seine Identität als in der DDR von den Russen unterworfener Deutscher ins Bewußtsein.“ (S. 381) Für Christoph Berger ist dies so selbstverständlich, daß er sich in keiner Weise veranlaßt sieht, diese Annahme zu belegen.

Vielmehr reizen ihn, sprachliche Spiele: „Ohne die Anwesenheit der sowjetischen Besatzungsmacht sind die Herrschaftsverhältnisse, (in) welche(n sich) die SED eingerichtet hatte, nicht zu denken gewesen.“ (S. 382) Berger liebt es, sich in Paradoxien auszudrücken und scheut dabei auch vor Trivialem nicht zurück: „Der Aufmarsch sowjetischer Truppen und das Auffahren ihrer Panzer waren unwiderlegbare Beweise für die Eigenständigkeit der DDR, nämlich ihre Eigenart als die Mehrheit des deutschen Volkes bedrückende Tyrannis – das Volk, das sich schon einmal vom Faschismus bändigen ließ, im Zaume haltende Diktatur: ein System also, das mit der Demokratie westlichen Zuschnitts, die ihr Volk für die freie Wahl fähig hielt, nicht vereinbar war.“ (S. 383)

Anmerkungen benützt Berger nicht. Er bedient sich einer anderen Methode. Ihm genügen Klammern für die Angabe der Belegstellen. Daraus erwachsen für den Leser keine Nachteile. Unverständlich ist allerdings, warum er sich anstelle eines ordentlichen Personenregisters mit einem „Register der Hauptfiguren“ begnügt. Doch von diesem eher redaktionellen Detail leitet sich der schlechte Eindruck, den diese Arbeit hinterläßt, nicht her. Es ist eher der Umstand, daß dem Autoren sein Untersuchungsgegenstand fremd bleibt. Die Verliebtheit in die eigene Ausdrucksweise verleiht seiner Darstellung Unernsthaftigkeit. Vielleicht drückt sich darin der Widerwille aus, mit dem Berger seinem Thema begegnet? Statt neugierig auf die Sowjetunion und den Teil Deutschlands zu sein, der tatsächlich nach dem Zweiten Weltkrieg sowjetisiert wurde, begnügt er sich mit vorgefaßten Meinungen.

1 Vgl. Jan Foitzik: Inventar der Befehle des Obersten Chefs der Sowjetischen Militäradministration in Deutschland (SMAD) 1945-1949, München 1995.

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