Cover
Titel
Schwerin, Demmlerplatz. Die Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit in Schwerin


Autor(en)
Beleites, Johannes
Erschienen
Anzahl Seiten
239 S.
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Peter Erler

Mit seiner im Mai 2001 erschienenen Arbeit legte Johannes Beleites eine erste umfassende Studie über die Methoden und Praxis der Untersuchungshaft bei der DDR-Staatssicherheit vor.

Am Beispiel des Gefängnisses der Bezirksverwaltung Schwerin analysiert der ehemalige Bürgerrechtler, der sich bereits seit längerer Zeit intensiv mit dem Thema beschäftigt, exemplarisch die historische Entwicklung und Funktion eines von insgesamt 16 Untersuchungsgefängnissen des MfS bei der Strafverfolgung hauptsächlich politisch Andersdenkender in der DDR.

Beleites stützt sich in seiner Untersuchung fast ausschließlich auf überliefertes Schriftgut aus der Berliner Zentrale und der Bezirksverwaltung Schwerin des MfS, welches sich vorwiegend auf die siebziger und achtziger Jahre bezieht. Eine Ausnahme bilden die Gefangenen- und Haftakten, deren Auswertung im Rahmen der vorliegenden Publikation nicht möglich war (S. 17). Berichte ehemaliger Häftlinge dienten dem Autor lediglich als Hilfsmittel zur Einordnung und Ergänzung des MfS-internen Aktenmaterials.

Ein Schwerpunkt der gesamten Abhandlung liegt bei der funktionellen und historischen Betrachtung des für das Verständnis der MfS-Untersuchungshaft wichtigen Wechselverhältnisses zwischen der (Haupt)Abteilung XIV (Untersuchungshaftvollzug) und der (Haupt)Abteilung IX (Untersuchung), wobei erstere „praktisch [als] eine Dienstleistungseinheit“ (S. 15) der letzteren agierte.

Ausgehend von dem Umstand, dass die Existenz diverser Vorschriften keineswegs ihre Einhaltung in der Praxis garantierte, befasst sich Beleites in einem einleitenden, übergreifenden Beitrag zunächst mit den rechtliche Grundlagen der DDR für die MfS-Untersuchungshaft. Nach eingehender Quellenrecherche kommt er zu dem für Kenner der MfS-Problematik nicht überraschenden Ergebnis, dass die Volkskammer für die Haftanstalten des Staatssicherheitsdienstes und der dort durchgeführten U-Haft nie eine gesetzlichen Regelungen beschlossen hat. Eine erste sekretariatsinterne Dienstvorschrift wurde erst im Jahre 1955 ausgearbeitet. Es dauerte allerdings noch 31 Jahre bis 1986 „ein umfassendes, nahezu alle Bereiche des Untersuchungshaftvollzuges im MfS einschließendes System von Befehlen und Dienstanweisungen“ vorlag. (S. 16)

Der Hauptteil des Buches widmet sich der strukturgeschichtlichen Darstellung des von 1954 bis 1989 existierenden MfS-Gefängnisses am Schweriner Demmlerplatz.
In dem „Der Apparat“ betitelten Abschnitt beschreibt der Autor das Wachpersonal, die Funktionsabläufe und Strukturveränderungen der Haftanstalt. Hier findet der Leser u. a. Angaben über den Werdegang der Gefängnisleiter und ihrer Stellvertreter, die fachliche Schulung und parteipolitische Erziehung der Dienstangestellten, die Rolle der weiblichen Wärter und über den Bauzustand der Verwahreinrichtung sowie einem Exkurs über die Alkoholprobleme der Wächter.

Während in den fünfziger und sechziger Jahren nur ein geringes Ausbildungsniveau vorhanden war, konstatiert Beleites in der Folgezeit analog zu der zentralen Normierung des Umgangs mit den Häftlingen eine fortschreitende Spezialisierung und Professionalisierung der Gefängnismitarbeiter.

Der wichtigste Buchteil analysiert die Untersuchungs- und Terrorpraxis des Schweriner Geheimdienstgefängnisses gegenüber den aus politischen Motiven verhafteten DDR-Bürgern und Ausländern. Weiterhin geht der Autor hier auch auf die Situation der verurteilten Häftlinge in den Strafgefangenenarbeitskommandos ein.

Ausgehend von der dominierenden Rolle der eingangs erwähnten Abteilungen IX schildert er die U-Haft in ihrer Bedeutung für das Untersuchungsverfahren. Nach Beleites sollte sie eine Situation der Desorientierung (durch Art und Weise der Festnahme, Einlieferung- und Aufnahmepraxis, Unterbringung und Tagesablauf), der vollständigen Isolierung (durch Reglementierung von Briefverkehr, Besuchen und Freigang), permanenten Überwachung (durch Zellenüberwachung und –durchsuchung, Kontrolle durch Spitzel und „Wanzen“) und vollkommenen Ohnmacht gegenüber dem Vernehmer (durch Verweigerung der medizinischen Betreuung, Verhängung von Disziplinar- und Sicherungsmaßnahmen) erzeugen, um so den Widerstand bei den Verhören zu brechen.

Als dann ab etwa Mitte der fünfziger Jahre eine entsprechende ausgeklügelte Verfahrenspraxis in den Untersuchungshaftanstalten zu funktionieren begann, war aus der Sicht des MfS „offene Gewalt [...] nur noch in Ausnahmefällen angebracht.“ (S. 155).

In einem abschließenden Resümee bezeichnet Beleites die „Staatssicherheitsgefängnisse“ als „eine tragende Säule der Herrschaftssicherung der SED“ (S. 155) Bei all ihrer unbestreitbaren Bedeutung für den realsozialistischen Repressionsapparat hält der Rezensent diese Wertung allein schon wegen ihrer im Vergleich mit den Strafvollzugsanstalten des Innenministeriums („Gelbes Elend“, „Roter Ochse“, etc.) minimalen Wahrnehmung in der DDR-Gesamtbevölkerung für überzogen.

Die Ausarbeitung ergänzt und illustriert ein fast fünfzigseitiger Dokumentenanhang mit Materialen der Abteilung XIV über das Untersuchungsgefängnis am Schweriner Demmlerplatz in den siebziger und achtziger Jahren.

Neben ihrem beispielhaften systematischen Ansatz zeichnet sich die Publikation insbesondere durch ihre ausführlichen Quellenhinweise aus, die zukünftige Forschungen zum Thema „Untersuchungshaft des MfS“ bedeutend erleichtern werden.

Redaktion
Veröffentlicht am
Autor(en)
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Epoche(n)
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension