P. Landau: Rechtsphilosophie unter der Diktatur

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Titel
Rechtsphilosophie unter der Diktatur. Drei Beispiele deutschen Rechtsdenkens während des Zweiten Weltkriegs


Autor(en)
Landau, Peter
Reihe
Würzburger Vorträge zur Rechtsphilosophie, Rechtstheorie und Rechssoziologie 29
Erschienen
Baden-Baden 2002: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
32 S.
Preis
€ 12,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Wilfried Nippel, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Die zahlreichen Arbeiten der letzten drei Jahrzehnte zur Rechtsgeschichte im Nationalsozialismus haben besonderes Gewicht auf die Anfangsjahre des Regimes gelegt, als die meisten Rechtsprofessoren sich um eine Neuordnung des Rechtssystems bemühten, sei es, um ein genuin nationalsozialistisches Recht zu entwickeln, sei es, um bestimmte Traditionen von Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Diese Anstrengungen blieben schon deshalb weitgehend wirkungslos, weil das Regime überhaupt kein Interesse an der Überwindung der diffusen Verhältnisse zeigte. Nach dem Urteil von Stolleis zeigt sich in den Publikationen zum öffentlichen Recht während der Kriegszeit, daß „wenige [...] sich bis zum Ende als unbedingte Anhänger des Regimes [gebärdeten]. Aber ebenso wenige gaben auch erkennbare Signale der Kritik. [...] Die Beiträge wurden von 1939 an sachbezogener und nüchterner, politisch vorsichtiger, zuweilen auch schon kleinlaut. Öfter als früher wurden nicht nur Mißstände beim Namen genannt, sondern man findet Rückwendungen zu europäischen Traditionen, [...] sei es aus Furcht vor dem ‚Bolschewismus‘, sei es um die Verleugnung der naturrechtlich-humanitären und aufklärerischen Grundlagen aufzuhalten oder gar ungeschehen zu machen“. 1
In seinem Würzburger Vortrag von 2001 nimmt der Münchener Rechtshistoriker Peter Landau an, daß sich eine innere Distanz vom Regime am ehesten, wenn auch „in verschlüsselter Sprache“, in Publikationen auf dem „esoterischen Gebiet der Rechtsphilosophie“ niedergeschlagen haben könnte (6).

Als führende Autorität auf diesem Gebiet galt Carl August Emge (1866-1970), der zum Wintersemester 1934/35 von Jena nach Berlin berufen worden war. 2 Emge, seit 1931 NSDAP-Mitglied, war auch Leiter des Nietzsche-Archivs in Weimar; 3 nach dem Krieg konnte er seine Karriere (unter anderem als Mitbegründer der Mainzer Akademie) fortsetzen. Leider geht Landau auf diese „schillernde Gestalt“ (7) nicht näher ein, da sich Emges Werk im Rahmen eines Vortrags nicht angemessen würdigen lasse.
Landau zieht drei Schriften von Rechtsgelehrten heran, die nicht im „Hauptberuf“ Rechtsphilosophen waren, aber doch Publikationen mit rechtsphilosophischem Anspruch vorlegten, in denen die Rolle des Juristen in der Gegenwart reflektiert wurde.

Der Romanist Franz Wieacker (1908-1994) 4 hat 1942 eine Schrift über Rudolph von Jhering aus Anlaß von dessen 50. Todestag publiziert. Wieacker erörtert am Beispiel Jherings das Problem, ob eine an sozialen Zwecken ausgerichtete Rechtssetzung der Bindung an eine transzendente Gerechtigkeit entbehren kann. In Wieackers „Raunen von einer neuen ‚Rechtsoffenbarung‘“ kann man nach Landau einerseits eine „Apologie des Führerstaats“ sehen, seine Ablehnung einer Reduktion des Rechts auf reine Zweckmäßigkeitskriterien jedoch auch als „rechtsphilosophische Kritik am Unrechtssystem lesen, die allerdings mit einer geradezu schwärmerischen Gemeinschaftsideologie vermischt und von ihr überlagert wird“ (12f.).

Der Staatsrechtler Carl Schmitt (1888-1985) hatte sich nach der Entfernung aus seinen rechtspolitischen Funktionen Ende 1936 überwiegend völkerrechtlichen Themen zugewendet. Seine „Großraumtheorie“ hat er auch in den Vorträgen behandelt, die er auf verschiedenen, von den jeweiligen „Deutschen Wissenschaftlichen Instituten“ organisierten Auslandsreisen in den Jahren 1941-1944 gehalten hat. 5 Daneben hat er aber auch 1943 und 1944 in Bukarest, Budapest, Madrid und Coimbra über die „Lage der europäischen Rechtswissenschaft“ referiert; der Text ist 1950 von ihm veröffentlicht worden. 6 Schmitt hat hier Eingriffe gegenüber den ursprünglichen Fassungen vorgenommen, um seine Distanzierung vom NS-Regime nachträglich zu vergrößern, doch finden sich die Grundgedanken schon in den Vorträgen der Kriegszeit. Schmitt würdigt hier nicht nur die Bedeutung des römischen Rechts und seiner Rezeption (im Gegensatz zur parteiamtlichen Verdammung, die er früher selbst unterschrieben hatte), sondern stellt auch die Juristen unter Berufung auf Savignys Programm von 1814 („Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft“) als Bewahrer einer spezifischen Rationalität und die Rechtswissenschaft als „letztes Asyl des Rechtsbewußtseins“ dar. 7 „Das Prinzip eines rationalen Rechts steht natürlich im Gegensatz zur Willkür des Diktators“, so Landau (20); die Hoffnung auf die Juristen erscheint jedoch „nach der geistigen Kapitulation des deutschen Juristenstandes 1933, an der er [Schmitt] selbst führend mitgewirkt hatte“ (19), als höchst fragwürdig.

Der Strafrechtler Erik Wolf (1902-1977) hat im Mai 1941 auf dem Umweg der Kommentierung einer „Kalendergeschichte“ Johann Peter Hebels über den „Scharfrichter von Landau“ (1811) seine rechtsphilosophischen Überlegungen präsentiert. Der Henker, der sich in Hebels Geschichte aus Sorge um Frau und Kinder zur Durchführung einer Exekution nötigen läßt, obwohl dazu kein Befehl einer Rechtsinstanz vorliegt, erscheint in Wolfs Deutung als „ein leidender Teilnehmer an dem Geschehen, den die geringste Verantwortung treffe“ (26). Für Wolf gibt es in der Gegenwart nur ein „ahnendes Nichtwissen des Unrechts“, wahres Recht nur in der Zukunft (27).
Landau wertet die drei vorgestellten Texte als „Dokumente eines Abstands, einer Distanzierung vom Terrorregime auf unterschiedlichen Wegen“ (27), verneint aber eindeutig, daß man sie als „Zeugnisse der Kritik, vielleicht eines Aufstands des Rechtsgewissens“ werten könne (28); dagegen spreche auch die tendenziös verkürzende, die liberalen, christlichen und naturrechtlichen Implikationen ausblendende Weise, in der die drei Autoren mit ihren Gewährsmännern Jhering, Savigny und Hebel umgegangen seien.

Die eingangs erwogene Möglichkeit, auch in der Rechtsphilosophie könnten – ähnlich wie hinsichtlich der marktwirtschaftlichen Konzepte (gemeint sind unter anderem Alfred Müller-Armack und Ludwig Erhard) – in den Kriegsjahren Ideen entwickelt worden sein, die dann nach 1945 eine fruchtbare Wirkung entfalten konnten (6), hat sich damit erledigt. Rechtsphilosophisches Denken konnte nach 1945 allein an die „seit 1933 verschütteten Traditionen der deutschen Geistesgeschichte anknüpfen“, an Autoren wie Georg Jellinek und Gustav Radbruch (29).

Nach dieser abgewogenen Darstellung ist Landaus Fazit höchst irritierend: „Es gibt historische Situationen, in denen der juristische oder rechtsphilosophische Schriftsteller die Integrität seiner Profession nur durch Schweigen wahren kann, wenn er nicht wie Aemilius Papinianus zum Martyrium für das Recht bereit ist“ (29f.). 211 oder 212 n. Chr. hat der römische Kaiser Caracalla seinen Bruder und Mitregenten Geta umbringen lassen. Caracalla forderte den (als Praetorianerpraefekt amtierenden) Juristen Papinian auf, diese Tat zu legitimieren, und ließ Papinian nach dessen Weigerung hinrichten. Papinian gilt in der europäischen Geistesgeschichte als Märtyrer des Rechts (so in einem Trauerspiel von Andreas Gryphius, 1659), auch wenn die Quelle nicht sehr vertrauenswürdig ist. 8 Es spricht nichts dafür, daß (Rechts-)Professoren im NS-Regime, selbst wenn sie sich wissenschaftlich ganz anders geäußert hätten, einer vergleichbaren Gefährdung ausgesetzt gewesen wären.

Anmerkungen:
1 Michael Stolleis, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland, III: 1914-1945, München 1999, 408. Stolleis zitiert an dieser Stelle die Abhandlung von Carl Schmitt über die europäische Rechtswissenschaft.
2 Vgl. Anna-Maria von Lösch, Der nackte Geist. Die Juristische Fakultät der Berliner Universität im Umbruch von 1933, Tübingen 1999, 198ff.
3 Eine von Landau (7. 30) nach Erinnerungen von Stephan Kuttner wiedergegebene Episode sollte auch hier erwähnt werden. Emge wurde 1933 von Mussolini empfangen, bezeichnete bei dieser Gelegenheit Giovanni Gentile (der hohe Funktionen unter Mussolini bekleidet hatte und dies später auch wieder in der „Republik von Salò“ tun sollte) als der Welt größten lebenden Philosophen und erhielt zur Antwort, er (Mussolini) habe immer gedacht, dies sei Benedetto Croce (an dessen regimekritischer Haltung – nach anfänglicher Sympathie für den Faschismus – kein Zweifel mehr bestand). Zum Verhältnis Gentile, Croce, Mussolini vgl. Arnaldo Momigliano, Reconsidering B. Croce (1866-1952), in: ders., Essays in Ancient and Modern Historiography, Oxford 1977, 345-363.
4 In den diversen, ausführlichen Nachrufen auf Wieacker finden sich die Publikationen aus den Anfangsjahren seiner Karriere – 1938 wurde er Ordinarius in Leipzig - am deutlichsten charakterisiert bei Dieter Simon, Rechtshistorisches Journal 13, 1994, 1-31.
5 Die Berichte Schmitts über seine Reisen sind dokumentiert bei Christian Tilitzki, Die Vortragsreisen Carl Schmitts während des Zweiten Weltkriegs, in: Piet Tommissen (Hg.), Schmittiana, Bd. 6, Berlin 1998, 191-251; ebd., 260-270, ist der (französische) Text des Vortrags in Coimbra abgedruckt. - Zur Rolle der Auslandsinstitute siehe jetzt Frank-Rutger Hausmann, „Auch im Krieg schweigen die Musen nicht“. Die Deutschen Wissenschaftlichen Institute im Zweiten Weltkrieg, Göttingen 2001.
6 Als selbständige Schrift Tübingen 1950; wieder in: Carl Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze aus den Jahren 1924-1954, Berlin 1958, 386-429. Ebd., 427, sagt Schmitt, der Text habe ursprünglich in der Festschrift zum 60. Geburtstag des Preußischen Finanzministers Johannes Popitz (2. 12. 1944) erscheinen sollen. Popitz ist nach dem 20. Juli 1944 verhaftet, im Oktober zum Tode verurteilt und im Februar 1945 hingerichtet worden.
7 Schmitt, Verfassungsrechtliche Aufsätze, 420ff.
8 Historia Augusta, Caracalla 8.

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