U. Kohl: Die Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus

Titel
Die Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus. Max Planck, Carl Bosch und Albert Vögler zwischen Wissenschaft und Macht


Autor(en)
Kohl, Ulrike
Erschienen
Stuttgart 2002: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Michael Hau, Australien School of Historical Studies, Monash University Melbourne

Ulrike Kohl versucht in dieser Arbeit die Stellung der drei Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Wissenschaftsbetrieb des Dritten Reiches auszuloten. Die Tätigkeit des Physikers und Nobelpreisträgers Max Planck (Präsident der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von 1930 bis 1937), des Vorstandvorsitzenden der I. G. Farben A. G. Carl Bosch (Präsident von 1937 bis 1940) und die des stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der Vereinigten Stahlwerke Albert Vögler (Präsident von 1941 bis 1945) wird dabei vor allem im Hinblick auf die Motive untersucht, die zu einem Engagement dieser unterschiedlichen Charaktere für die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft führten. Alle drei Präsidenten, so Kohls Fazit, "lehnten das nationalsozialistische System (in unterschiedlichem Mass) ab, zogen sich aber nicht aus ihren Stellungen zurück, weil sie meinten, nur so Schlimmeres verhindern zu können". (S. 246) Dabei war eines der Grundmotive aller drei Präsidenten, die Unabhängigkeit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von staatlicher Bevormundung und Indienstnahme zu bewahren. Um diese These zu untermauern, untersucht Kohl das Zusammenwirken der drei Präsidenten mit der Generalverwaltung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft unter Friedrich Glum (Generalsekretär und Direktor der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von 1920/22 bis 1937) und Ernst Telschow (Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft seit 1937) und den wissenschaftsfördernden Institutionen des Dritten Reiches, insbesondere des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (REM) unter Bernhard Rust, des Reichsluftfahrtministeriums unter Hermann Göring und des Reichsministeriums für Rüstung und Kriegsproduktion unter Albert Speer.

Kohl bemüht sich darum, die innere Einstellung der Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zum Nationalsozialismus herauszuarbeiten. Laut Kohl versuchte Max Planck die Folgen der nationalsozialistischen Rassenpolitik zu minimieren. Er verteidigte sowohl jüdische Spitzenwissenschaftler als auch weniger prominente Mitarbeiter von Kaiser-Wilhelm-Instituten, die aufgrund des "Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" entlassen wurden. Planck wandte sich zum Beispiel an Reichsinnenminister Wilhelm Frick, um die Entlassung von Mathilde Herz, Assistentin am Kaiser-Wilhelm-Institut für Biologie, zu verhindern, da diese die Einzige in Deutschland sei, die sich mit Forschungen zur Tierpsychologie beschäftige. Planck habe, so Kohl, "deutlich auf seine Art und Weise gegen die Judenverfolgungen Stellung bezogen". (S. 90) Deshalb seien Vorwürfe gegen Planck und den Generalsekretär Glum, sie hätten versagt, weil sie kaum Versuche unternommen hätten, das Gesetz zu unterlaufen, nicht gerechtfertigt. Plancks Nachfolger Bosch wird in Kohls Darstellung zu einer tragischen Gestalt. Bosch habe es zwar geschafft, dass nach der Satzungsänderung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1937 "jüdische Mischlinge" weiterhin Mitglied der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft bleiben konnten, ansonsten zerbrach er aber an dem Konflikt zwischen seinen liberalen Idealen und der Realität des Nazi-Regimes. Die wachsende Kriegsgefahr und zunehmende Spannungen mit hohen Vertretern der Nazi-Partei (insbesondere mit Rudolf Heß) trugen zudem das Ihrige dazu bei, dass Bosch sich immer mehr aus der Arbeit in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zurückzog und in Depressionen verfiel, die er im Alkohol zu ertränken versuchte.

Die persönlichen Konflikte, in die Planck und Bosch durch die Nazipolitik gestürzt wurden, sind natürlich nicht völlig uninteressant. Relevanter als die Gewissenskonflikte desillusionierter Industrie- und Wissenschaftsmanager ist ihr Beitrag, den sie zur Herausbildung des wissenschaftlichen, industriellen und militärischen Komplexes des Dritten Reiches geleistet haben. Inwieweit hatten Leute wie Carl Bosch und Albert Vögler einen Anteil an der Schaffung der strukturellen Grundlagen für den Angriffs- und Vernichtungskrieg? Diese Frage wird zwar von Kohl angerissen, aber nicht systematisch beantwortet. Hier und da enthält ihr Buch auch wichtige Informationen, die das symbiotische Verhältnis von wissenschaftlicher Forschung, Wissenschaftspolitik und Rüstungswirtschaft aufzeigen. Basierend auf Vorschlägen von Bosch und Vögler wurde 1936 das "Amt für deutsche Roh- und Werkstoffe beim Beauftragten für den Vierjahresplan" gebildet, dessen Forschungs- und Entwicklungsabteilung von Boschs engem Vertrauten Carl Krauch geleitet wurde. Krauch forderte seinerseits den Generalsekretär der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Ernst Telschow zur Mitarbeit auf. Dieser sondierte daraufhin, welche Kaiser-Wilhelm-Institute Forschungen zur Verbesserung der Rohstofflage durchführen könnten. Im Folgenden kam es zu einer immer enger werdenden Verzahnung von Kaiser-Wilhelm-Instituten, des Reichsluftfahrtministeriums und des Rüstungsministeriums, wie es erst vor kurzem von Helmut Maier für das Kaiser-Wilhelm-Institut für Metallforschung aufgezeigt wurde. Das Stuttgarter Institut entwickelte Aluminiumlegierungen für die Rüstungsindustrie, die den Kupferverbrauch verminderten – angesichts des chronischen Kupferengpasses ein Projekt mit hoher rüstungswirtschaftlicher Relevanz.1

Bosch und Vögler gehörten zu den treibenden Kräften der Rüstungsforschung. Bereits 1933 beteiligte sich Vögler an den Diskussionen zur Neuordnung der Wissenschaft. Vögler, der bereits seit dem Ersten Weltkrieg in Aufsichtsgremien der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft aktiv war, war laut Kohl überzeugt davon, dass die Institute der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft für die beginnende Wiederaufrüstung genutzt werden müssten. Im Jahrbuch der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft von 1942 beschwor er die Ausrichtung sämtlicher Forschung auf die Erfordernisse der Kriegsführung. Im März 1943 gehörte er zu dem Expertenstab aus Industriellen und Spezialisten der Rüstungswirtschaft, die im Auftrag Speers die rückwärtigen Dienste der Wehrmacht und der Waffen-SS rationalisieren sollten. Ende 1944 bat er die Institutsdirektoren der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft um Vorschläge zur besseren Ausnutzung der Forschungskapazitäten und ermahnte sie, "schärfstens gegen defätistische Anschauungen vorzugehen und auch in besonders krassen Fällen vor einer Anzeige nicht zurückzuschrecken". (S.214) Dies lässt sich nur schwer mit Kohls Schlussfolgerung vereinbaren, dass alle drei Präsidenten der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft nur widerwillig und um Schlimmeres zu verhüten die Instrumentalisierung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft durch das Nazi-Regime zuließen.

Überhaupt ist das Buch nicht frei von Widersprüchen. Auf der einen Seite urteilt Kohl, dass die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft Vögler viel zu verdanken habe. Obwohl ihm sicherlich bewusst war, dass nicht alle Institute kriegswichtige Forschungen betrieben, habe er Initiativen zur Uk-Stellung von Mitarbeitern von Kaiser-Wilhelm-Instituten ergriffen und so die Schließung einzelner Institute verhindert. (S. 223) Auf der anderen Seite meint sie, dass Vögler sich nur deshalb für die Mitarbeiter der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft einsetzte, weil er ihre Forschungen für wirklich kriegswichtig hielt. (S. 224)

Etwas seltsam mutet auch Kohls Urteil an, was Vöglers Einstellung zum Nationalsozialismus angeht. Vögler war einer der Industriellen, die sich im November 1932 für eine Beteiligung der Nationalsozialisten an der Regierung einsetzten, und er war auch unter den Wirtschaftsführern, die im Februar 1933 beschlossen, 3 Millionen Reichsmark für den bevorstehenden Reichstagswahlkampf zur Verfügung zu stellen. Nach den Reichstagswahlen vom 5. März 1933 war er parteiloses Mitglied der NSDAP-Fraktion im Reichstag. Dennoch urteilt Kohl, dass Vögler nur aufgrund seines hohen Verantwortungsgefühls für seinen Konzern während des gesamten Dritten Reiches zur Zusammenarbeit mit den Nationalsozialisten bereit gewesen sei. Einer der mächtigsten Wissenschafts- und Industriebosse des Dritten Reiches mutiert so langsam zum tragischen Opfer der eigenen ungewollten "Verstrickung", das sich trotz seiner Schuldgefühle mit den Nationalsozialisten arrangiert und deswegen kurz vor seiner Verhaftung durch die Amerikaner Selbstmord begeht.

Dieses Buch ist keine bahnbrechende Studie, und das sicher nicht nur wegen seiner apologetischen Tendenzen. Die Symbiose zwischen Kriegswirtschaft und Wissenschaftsbetrieb, die durch die Präsidenten Carl Bosch und Albert Vögler personifiziert wurde, ist nicht systematisch untersucht. Dennoch ist es eine Bereicherung, da Ulrike Kohl mit dieser Arbeit zahlreiche Quellen erschlossen hat, die eine wichtige Grundlage für weitergehende Forschungen darstellen.

Anmerkungen:
1 Helmut Maier: "Wehrhaftmachung" und "Kriegswichtigkeit". Zur rüstungstechnologischen Relevanz des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Metallforschung in Stuttgart vor und nach 1945, Ergebnisse Nr. 5 hg. v. der
Präsidentenkommission "Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft" im Nationalsozialismus, Berlin 2002.

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