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Titel
Die Apokalypse in der Weimarer Republik.


Autor(en)
Brokoff, Jürgen
Erschienen
München 2001: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
188 S.
Preis
€ 30,60
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Rüdiger Graf, Humboldt-Universitaet zu Berlin

Liest man die Namen Carl Schmitt, Walter Benjamin, Ernst Jünger und Adolf Hitler nacheinander, kommt man sich zunächst vor wie bei einem Intelligenztest und erwartet die Frage, welcher Name nicht in diese Reihe gehört. In Abhängigkeit davon, welches Kriterium man anlegt, paßt mal dieser und mal jener nicht. Mit seiner in Bonn bei Jürgen Fohrmann entstandenen literaturwissenschaftlichen Dissertation verfolgt Jürgen Brokoff jedoch das Ziel, die Gemeinsamkeit der vier Autoren in der "apokalyptischen Redeform" ihrer Schriften aufzuweisen. Den Titel "Die Apokalypse in der Weimarer Republik" trägt seine Studie somit zu Unrecht, da sie sich nur auf die Publikationen der genannten Autoren (und hier wiederum nur auf einige) stützt, anstatt die breite Flut apokalyptischer Texte und Visionen nach dem Ersten Weltkrieg in den Blick zu nehmen (Vgl. zu diesen einführend: Vondung, Klaus: Die Apokalypse in Deutschland, München 1988, 189-257). Darüber hinaus wird die Frage, warum die untersuchten Texte gerade in der Weimarer Republik geschrieben wurden, d.h. wie sie zu ihren politischen, kulturellen und sozialen Merkmalen in Beziehung stehen, überhaupt nicht thematisiert.

Dies resultiert aus Brokoffs literaturwissenschaftlicher Herangehensweise, die er einerseits von der historischen Methode abgrenzt, die die Kontexte und Entstehungsbedingungen der apokalyptischen Texte berücksichtige. Andererseits unterscheidet er sein Vorgehen von der theologischen Beschäftigung mit der Apokalypse, die das Heilsgeschehen jenseits der Sprache mit einbeziehe (8f.). Statt dessen will Brokoff durch "genaue Lektüren" und die "Analyse textinterner Strukturen" die "Funktionsweise der Apokalypse als Text" bzw. die apokalyptische "Redeform" untersuchen, "ohne dabei schwierige Fragen nach der Wahrheit eines außerhalb von Sprache - außerhalb von Texten - stattfindenden Geschehens beantworten zu müssen" (8f.).

Inspiriert durch Jacques Derridas Apokalypsendeutung (Derrida, Jacques: Von einem neuerdings erhobenen apokalyptischen Ton in der Philosophie, in: Apokalypse, Graz/Wien/Böhlau 1985, 9-90.) entwickelt Brokoff die Grundform der apokalyptischen Rede in Auseinandersetzung mit der Offenbarung des Johannes. Das wesentliche Strukturmerkmal der Apokalypse bzw. des sprachlichen Vorgangs des Offenbarens, Enthüllens und Aufdeckens sei, so Brokoff, die Unterscheidung und Trennung von Immanenz und Transzendenz, einem menschlichen und einem göttlichen Handlungsraum (15). Diese Differenz werde durch die semantischen Oppositionen von "Unreinheit und Reinheit", "Gut und Böse" sowie "Wahrheit und Lüge" strukturiert. Für zentral hält Brokoff weiterhin die Ambivalenz der apokalyptischen Rede, einerseits "die Wahrheit eines außerhalb des Textes stattfindenden Geschehens" und andererseits die "Wahrheit der Vision dieses Geschehens" zu beanspruchen (18). Wie man diese Differenz zwischen "der Wahrheit des Offenbarens und der geoffenbarten Wahrheit" zu verstehen hat, bleibt leider unklar. Diese Unklarheit resultiert letztlich aus dem unverständlichen Begriff einer "Sachwahrheit", den Brokoff in seiner Analyse unreflektiert übernimmt. Schließlich arbeitet Brokoff die aktionistische Struktur apokalyptischer Texte heraus, die darin bestehe, das Ende der Welt, "die Vernichtung der Differenz von Transzendenz und Immanenz zugunsten der Herrschaft Gottes" (21) und damit auch anderer apokalyptischer Texte nicht nur darstellen, sondern auch herbeiführen zu wollen.

Die zentrale These seiner Studie lautet, daß in der Weimarer Republik die Transzendenz Gottes durch eine neue Transzendenz, die in die Welt der Immanenz eingreift und eine neue Welt an ihre Stelle setzt, substituiert wurde. Dies versucht Brokoff in fünf Kapiteln jeweils durch Werkanalysen der behandelten Autoren zu begründen.

In seiner Behandlung von Schmitts Rechtsphilosophie und insbesondere von dessen Theorie des Politischen, die auf die Kerngedanken der Unterscheidung von Freund und Feind und der Definition des Souveräns als desjenigen, der über den Ausnahmezustand entscheidet, basiert, arbeitet Brokoff eine apokalyptische Textstruktur heraus. Die Transzendenz sei im Unterschied zur Johannesoffenbarung nicht mehr die göttliche Gewalt, sondern der außerhalb der Rechtsordnung stehende Souverän, und seine Entscheidungsgewalt entspreche strukturell dem Weltgericht. Denn mit seinem Eingreifen, so Brokoff, vernichte der Souverän die Immanenz (46).

Bei Walter Benjamin beschäftigt sich Brokoff insbesondere mit dessen Konzeption des Verhältnisses von Recht und Gewalt ("Zur Kritik der Gewalt"), auf deren Nähe zu Carl Schmitt vielfach hingewiesen wurde (Vgl. z.B.: Heil, Susanne: Gefährliche Beziehungen. Walter Benjamin und Carl Schmitt, Stuttgart 1996, 101-161.). Brokoff erklärt, daß der Nachweis der Untrennbarkeit bzw. unlöslichen Vermischung von Recht und Gewalt und die daraus folgende Unentscheidbarkeit aller Rechtsfragen Benjamin zu einer apokalyptischen Theorie führe (60f.). Benjamin konzipiere den Eingriff Gottes als Gewalt und als Gerechtigkeit, die die bestehende Welt vernichte und eine neue, dem Neuen Jerusalem analoge errichte. Im proletarischen Generalstreik sehe Benjamin die Manifestation der göttlichen Gewalt durch den Menschen in der Geschichte.

In den zwei Kapiteln, die Ernst Jünger gewidmet sind, erklärt Brokoff zunächst, daß bei Jünger die Stelle der Transzendenz Gottes von der Gestalt des Arbeiters eingenommen werde. Das Hereinbrechen dieser Gestalt beende die Immanenz, führe zum Untergang der bürgerlichen Welt und zur Errichtung einer neuen Ordnung (82, 85). In der anschließenden Analyse von Jüngers Kriegsbüchern arbeitet Brokoff die große Bedeutung heraus, die Jünger der existentiellen Entscheidung im Kampf für die Entstehung des neuen Menschen zumißt. Diese "existentielle Vertiefung" bezeichnet Brokoff im Anschluß an Paul Hofmann als "Introszendenz" des Kämpfers bzw. des Arbeiters, die dann die Funktion der Transzendenz in der apokalyptischen Rede übernehme (115).

Bei Hitler werde nun, so führt Brokoff weiter aus, in "Mein Kampf" die Introszendenz des deutschen Ariers der "Extramanenz" des Juden - dem "Verbleiben seines Daseins im Äußerlichen und rein Diesseitigen" - entgegengesetzt (141). Weil die Introszendenz auf die Vernichtung der Extramanenz ziele, entbrenne zwischen ihnen ein apokalyptischer Endkampf.

Neben ihrer grundsätzlich apokalyptischen Struktur ist ihr aktivistischer Charakter die interessanteste Gemeinsamkeit, die Brokoff zwischen den Schriften Schmitts, Benjamins, Jüngers und Hitlers herausarbeitet: Sie beanspruchen, nicht nur Darstellung oder Voraussage der Apokalypse zu sein, sondern diese selbst herbeizuführen bzw. ihre erste Manifestation zu sein. Schmitts Diskurs, so Brokoff, betreibe nicht nur eine Theorie, sondern auch eine Politik der Apokalypse (51). Bei Benjamin werde die Vernichtung des Rechts bereits in seinem eigenen Text vollzogen, so daß dieser als revolutionärer Text eine Manifestation der göttlichen Gewalt darstelle (66). Für Jünger sei der revolutionäre Akt, die Gestalt des Arbeiters zu sehen, bereits die erste Ausprägung dieser Gestalt (85). Hitler schließlich erhebe den Anspruch, den apokalyptischen Endkampf auf weltanschaulicher Ebene ausgetragen und gewonnen zu haben (153f).

So plausibel der einheitlich aktivistische Charakter der Texte von Brokoff belegt wird, so wenig ist er jedoch ein Spezifikum der behandelten Autoren oder auch nur des apokalyptischen Diskurses in der Weimarer Republik. Vielmehr ist es in diesem Zeitraum ein allgemeines Charakteristikum politischer Intellektueller, daß sie einerseits beschreiben und prognostizieren und andererseits aktiv gestalten wollen. Daher kennzeichnet ihre Texte über die politischen Lager hinweg ein eigentümliches Verhältnis von Aktivität und Passivität, was man sich zum Beispiel bei Hans Freyer, Ernst Bloch und Karl Mannheim vor Augen führen kann.

Mit diesem Einwand ist das Kernproblem von Brokoffs Dissertation benannt: die zu enge, rein literaturwissenschaftliche Behandlung weniger Autoren und ihre Herauslösung aus den zeitgenössischen Diskurskontexten. Wenngleich Brokoff eine überzeugende Definition dessen liefert, was ein apokalyptischer Text ist, so daß er ein Kriterium hätte zu entscheiden, welche Texte zum Diskurs gehören und welche nicht, bleibt doch die Beschränkung auf vier Autoren und ihre Auswahl willkürlich und beliebig. Sie ist um so bedauernswerter, als Schmitt, Jünger, Benjamin und Hitler nicht zu den vernachlässigten Autoren der 20er Jahre gehören.

Die Beschränkung auf wenige Autoren und ihre rein textimmanente Behandlung ist selbstverständlich unter pragmatischen Gesichtspunkten für eine Dissertation zu rechtfertigen, aber sie sollte zur Enthaltsamkeit in bezug auf weitreichende Thesen führen, die durch sie nicht begründet werden können. So wird weder der strukturelle Bezug der Texte zur Johannesoffenbarung ausreichend belegt (172), noch kann man Brokoffs Arbeit als eine Studie über den allgemeinen apokalyptischen Diskurs der Weimarer Republik betrachten, über den er doch immer wieder Aussagen macht. Darüber hinaus können Brokoffs Ausführungen dort nicht überzeugen, wo sie über die rein literaturwissenschaftliche Betrachtung hinausgehen; so zum Beispiel seine Überlegungen zur Relevanz von Hitlers Intentionen bzw. seiner "Weltanschauung" (128-132) oder zum Zusammenhang von Benjamins Texten und der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik (73f.).

Neben diesen Einwänden ist an Brokoffs Arbeit zu bemängeln, daß sie sich in langen kleinschrittigen Textinterpretationen ergeht, deren Bezug zum Thema der Apokalypse streckenweise verlorengeht. Eine breitere Analyse des apokalyptischen Diskurses in der Weimarer Republik wäre sicher möglich gewesen, wenn diese narrativen Darstellungen gekürzt und die häufigen Redundanzen herausgestrichen worden wären. Vor allem hätte die Menge von Zitaten, die bei besonderer Prägnanz auch innerhalb weniger Seiten wiederholt werden (146 und 153), beschränkt werden müssen. Die Begeisterung und Ausführlichkeit, mit der Brokoff zitiert, ist nicht zuletzt deshalb unverständlich, weil er selbst der Auffassung ist, daß "die Analyse von Hitlers Texten keine angenehme intellektuelle Tätigkeit" sei und "eine gewisse Anstrengung unter emotionalen Gesichtspunkten" erfordere (13) - eine Ansicht, die man auch in bezug auf Jünger und Schmitt teilen kann.

Schließlich kann Brokoffs Studie leider noch nicht einmal als Einführung in die Werke Schmitts, Benjamins, Jüngers und Hitlers unter dem Aspekt der Apokalypse empfohlen werden, weil sie aufgrund ihrer esoterischen Sprache und der an Derrida geschulten Theoriebildung nur schwer zugänglich ist.

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