Titel
Die Reichsbank in der Weimarer Republik. Eine Analyse der formalen und faktischen Unabhängigkeit


Autor(en)
Reinhardt, Simone
Erschienen
Frankfurt am Main 2000: Peter Lang/Frankfurt am Main
Anzahl Seiten
383 S., 13 Abb. u. Tabellen
Preis
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Dr. sc. Reinhold Zilch

Der Titel der hier vorzustellenden Monographie, die auf einer Dissertationsschrift der Universität Hannover aus dem Jahre 1999 beruht, erweckt beim Leser hohe Erwartungen, die jedoch nur zum Teil erfüllt werden. Das liegt vor allem an der thematischen Beschränkung der Darstellung auf das Problem der „Unabhängigkeit der Reichsbank während der Weimarer Republik“ und dem Bemühen, den „historischen Ansatz“ dazu zu nutzen, „mögliche Schlüsse für die Unabhängigkeit einer Zentralbank in der Gegenwart zu ziehen“ (S. 17). Das wäre an sich schon mehr als genug für eine Dissertation! Doch die Darstellung selbst fordert Kritik heraus:

Die Autorin gliedert ihre Arbeit in 10 Kapitel, wovon die ersten vier eine Basis für die Beschreibung der Reichsbankpolitik mit Ausführungen zum Forschungsstand und zur Quellenlage (Kap. 1, S. 17–22), zum Begriff der „Unabhängigkeit einer Zentralbank“ (Kap. 2, S. 23-29), im Kapitel 3 zu herrschenden zeitgenössischen nationalökonomischen Auffassungen, der Theorie und Praxis des Goldstandards, zu den internationalen Wirtschafts- und Finanzkonferenzen nach dem Ersten Weltkrieg und den hier gefundenen Formulierungen zu den Zentralbankprinzipien und zur Rolle des Völkerbundes S. 31–55) sowie im Kapitel 4 zur politischen und wirtschaftlichen Situation in Deutschland nach dem Krieg (S. 57–68) geben. Der formal-rechtliche Status der Reichsbank vom Bankgesetz 1875 bis zur Novelle von 1930 wird detailliert in dem langen Kapitel 5 (S. 69–132) analysiert. Dem schließen sich drei Kapitel mit Ausführungen zur konkreten Lage unter den Präsidenten Havenstein (Kap. 6, S. 133–166), Schacht (Kap. 7, S. 167–232) und Luther (Kap. 8, S. 233–267) an. Kapitel 9 skizziert noch „die formale Wiederanbindung der Reichsbank an die Staatsorgane“ bis zur Entlassung Schachts (S. 269–272). Auf den Seiten 273 bis 276 schließlich faßt die Autorin ihre Ausführungen zusammen. Beigegeben sind einige hilfreiche Zusammenstellungen und Statistiken sowie ein extensiv strukturiertes Quellen- und Literaturverzeichnis von fast 90 (!) Seiten (S. 295–383). Neben der Auflistung der Sekundärliteratur (S. 295–306) werden hier bei Quelleneditionen die Einzeldokumente mit jeweils vollständiger Literaturangabe verzeichnet - z.B. für die bekannten Bände der „Akten der Reichskanzlei“ immerhin von S. 321–358, was das Auffinden einzelner Stücke anhand der Zitation in den Anmerkungen oft mühsam macht. Bei den fast ebenso detailliert verzeichneten Archivalien handelt es sich um Dokumente aus dem Politischen Archiv des Auswärtigen Amtes sowie dem Bundesarchiv mit seinen Beständen Volkswirtschaftliche und Statistische Abteilung der Reichsbank, Reichskanzlei, Reichswirtschaftsministerium, Reichsfinanzministerium und den Nachlässen Luther sowie Schacht.

Und doch ist diese beachtliche Quellenbasis für die Arbeit zu schmal. Die Autorin dokumentiert breit, daß entscheidende Anstöße für die Umformung der Rechtsstruktur der Reichsbank zur Autonomie gegenüber der Regierung von den Notenbankchefs Großbritanniens, der Niederlande und der USA ausgingen unter Berücksichtigung französischer und belgischer Interessen. Hierzu stützt sich Reinhardt z.B. hinsichtlich der Kontakte zwischen Havenstein und dem Chef der Bank of England Norman allein auf Akten der Reichsbank, deutsche Editionen sowie auf die „Documents on British Foreign Policy 1919–1939“, abgesehen von einem Memorandum von J. M. Keynes aus der Werkausgabe sowie einer ebenfalls schon publizierten Denkschrift der Bank von England. Damit bleiben aber die Beweggründe der britischen Seite blaß. Das der Forschung zur Verfügung stehende reiche Archiv der Bank von England sowie vor allem das Public Record Office hätten ergänzend herangezogen werden müssen. Gänzlich Fehlanzeige - sogar bei den bekannten Editionen - besteht hinsichtlich französischer, belgischer, amerikanischer und niederländischer Dokumente, sieht man von den meist zeitgenössisch gedruckten, offiziellen Dokumentationen zu den internationalen Konferenzen wie Brüssel 1920 und Genua 1922 bzw. Dawes-Plan 1924 und Young-Plan 1930 ab, die notwendigerweise keinen Einblick in die internen Meinungsbildungsprozesse der Verhandlungspartner geben.

Als ebenso problematisch erweist sich, daß es die Autorin an ausreichender Quellenkritik fehlen läßt. Der präzisen Analyse der Gesetzestexte, bei der jedoch der mehrfach verwendete, verfassungsrechtlich nicht gegebene Begriff der „Reichsregierung“ für die Zeit vor 1918 (z.B. S. 71–73) verwundert, steht eine weitgehend unkritische Übernahme von Aussagen und Zitaten aus gedruckten und ungedruckten Dokumenten gegenüber. Das zeigt sich generell z.B. darin, daß zwar auf die besondere Herkunft der ausgewerteten Reichsbankakten als der Überlieferung der „Volkswirtschaftlichen und Statistischen Abteilung“, dem Brain-Trust des Direktoriums hingewiesen wird (S.21 f.), in den Ausführungen von Reinhardt jedoch nicht reflektiert wird, ob es sich z.B. bei zitierten, nicht näher charakterisierten Denkschriften, Ausarbeitungen oder Materialsammlungen um interne Papiere einzelner Mitarbeiter („Handakten“), um auf eigene Initiative angefertigte Analysen oder um vom Direktorium für den bank-internen oder bank-externen Gebrauch bestimmte Auftragsarbeiten bzw. Manuskripte späterer Veröffentlichungen handelt - alles Dokumententypen, die in den Aktenkonvoluten der Reichsbank zumeist kommentarlos hintereinander geheftet zu finden sind. Kein Wort auch zu dem Problem, daß die eigentlichen Geschäftsakten der Zentralnotenbank und ihrer Leitung nicht im Bundesarchiv überliefert sind.

Es entspricht diesem Verhältnis zu den Quellen, daß z.B. die Tabelle A 2 (S. 281) die „Meßziffer des Dollars in Berlin von 1919-1923 (1913= 1)“ mit der Quellenangabe „Berechnungen der Reichsbank von 1924, Material für ein Studium von Deutschlands Wirtschaft, Währung und Finanzen, in: Akten der Reichsbank, BArch, R 2501/6689, Bl. 39“ zitiert wird. Hierbei handelt es sich aber um die Tabelle VIII, 1 in der bekannten Broschüre „Deutschlands Wirtschaft, Währung und Finanzen“, Berlin 1924, S. 23, die den aufschlußreichen Untertitel „Im Auftrage der Reichsregierung den von der Reparationskommission eingesetzten Sachverständigenausschüssen übergeben“ trägt, also Material, mit dem ein ganz bestimmter (wirtschafts-)politischer Zweck verfolgt wurde - was natürlich per se noch nichts über Wert oder Unwert der Daten aussagt, für ihre Interpretation aber wesentlich ist. Das gilt ebenso von den Verwaltungsberichten der Reichsbank, die die Autorin aus den Akten des Reichswirtschaftsministeriums (R 3101, Nr. 15682-18683) zitiert, obwohl sie als Drucke in sehr zahlreichen Bibliotheken problemlos greifbar sind, eben weil sie gerade für die Öffentlichkeit bestimmt waren. Diese Praxis der Autorin verwundert um so mehr, da sie an einer Stelle (S. 136) selbst betont, daß die Reichsbankleitung daneben noch regelmäßig einen streng vertraulichen Begleitbericht an die Reichsregierung mit Interna verfaßte.

Was nun die Darstellung der konkreten Entwicklung zwischen 1919 und 1932/33 betrifft, so fällt auf, daß die wirtschaftshistorischen Prozesse nicht genügend Berücksichtigung finden. Das gilt insbesondere in den Abschnitten zur Weltwirtschaftskrise sowie der Bankenkrise 1931. Und die Ausführungen von wenig mehr als drei Seiten für die Zeit ab 1933 bis zur Entlassung Schachts schließlich hätten zu einem Schlußabsatz zusammengestrichen werden sollen.

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