A. Labisch u. R. Spree: Krankenhaus-Report

Titel
Krankenhaus-Report 19. Jahrhundert. Krankenhausträger, Krankenhausfinanzierung, Krankenhauspatienten


Herausgeber
Labisch, Alfons; Spree, Reinhard
Erschienen
Frankfurt u.a. 2001: Campus Verlag
Anzahl Seiten
470 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Prof. Dr. Michael Simon, Evangelische Fachhochschule Hannover

Mit ihrem Sammelband legen Alfons Labisch und Reinhard Spree eine Zusammenschau des derzeitigen krankenhausgeschichtlichen Forschungsstandes in Deutschland vor, die jedoch nicht den Anspruch erhebt, neue, bislang unbekannte Einsichten und Erkenntnisse zu enthalten (S. 31). Die Herausgeber weisen in ihrem Vorwort darauf hin, dass “die Geschichte der Krankenhausfinanzierung und Krankenhausplanung in Deutschland ‚tabula rasa‘ ist” (S. 7). Bislang habe es lediglich “eine Art Zwischenbilanz” gegeben, die von denselben Herausgebern 1996 unter dem Titel “Einem jeden Kranken in einem Hospitale sein eigenes Bett. Zur Sozialgeschichte des Allgemeinen Krankenhauses in Deutschland im 19. Jahrhundert” veröffentlicht wurde. Der vorliegende Sammelband biete “nun endlich einige Ergebnisse der Arbeiten zur Geschichte des Krankenhauses aus der Perspektive von Finanzierung, Planung und Patienten im entscheidenden Zeitraum der Entwicklung vom Hospital des Pauperismus zum modernen Krankenhaus” (S. 9).

Mit dem Sammelband wenden sich die Herausgeber in erster Linie an Historiker, insbesondere natürlich Medizinhistoriker, aber auch an Krankenhausärzte und Pflegekräfte sowie das Krankenhausmanagement und auch an die für die Krankenhausplanung zuständigen Behörden (S. 26). In Anbetracht der Aufbereitungsform der Fallstudien und Einzelanalysen kann dieser Band Historikern sicherlich sehr hilfreiches Material bieten. Dass er auch Krankenhausmitarbeiter ansprechen kann, möchte ich allerdings bezweifeln. Dazu hätten die Ergebnisse der verschiedenen Einzelanalysen besser aufeinander abgestimmt werden müssen und der Forschungsstand insgesamt besser zu einem in sich stimmigen und überzeugenden Konzept zusammengeführt werden müssen. In der veröffentlichten Form ist der Sammelband tatsächlich ein “Sammel”-Band von nebeneinander stehenden Einzelanalysen. Sie zu einer theoretisch geleiteten Gesamtanalyse dieser Entwicklungsphase der sozialen Institution Krankenhaus aufzubereiten, steht noch aus.

Zum Inhalt

Der Sammelband besteht aus einem einführenden Beitrag der Herausgeber und 13 Einzelbeiträgen verschiedenen Autoren. Der Untersuchungszeitraum bezieht sich überwiegend auf das 19. Jahrhundert, reicht teilweise aber auch bis in das 20. Jahrhundert hinein. Bei den Einzelbeiträgen handelt es sich neben einem allgemeinen Beitrag zur Entwicklung der Krankenhausfinanzierung in Preußen überwiegend um Fallstudien zur Entwicklung einzelner Kliniken bzw. zum Aufbau der stationären Krankenversorgung in ausgewählten Städten (Augsburg, Bielefeld, Bremen, Düsseldorf, Mannheim, München, Stuttgart). Der Band schließt mit einem international vergleichenden Beitrag zur Versorgung von Patienten in Lungenheilanstalten in Deutschland und England.

Die Besonderheit dieses Sammelbandes kann darin gesehen werden, dass sich die Beiträge nicht mit den proklamierten Zielen und Absichtserklärungen spätabsolutistischer Herrscher, staatlicher Institutionen oder kirchlicher Träger begnügen. Die Autoren versuchen vielmehr anhand von Dokumentenanalysen, insbesondere auch aus den Archiven der jeweiligen Krankenhäuser, die soziale Wirklichkeit der Krankenanstalten dieser Epoche zu rekonstruieren. Wenngleich sich einige der Beiträge auf die reine Deskription statistischer Daten beschränken, so enthält der Band doch auch sehr interessante Beiträge, die quantitative Daten mit qualitativen zusammenführen und so einen Eindruck von den lebensweltlichen Strukturen und sozio-kulturellen Rahmenbedingungen der Hospitäler vermitteln können.

Gelungen ist dies vor allem im Beitrag von Dross und Weyer-von Schoultz über den Zusammenhang von Armenwesen und Krankenhausentwicklung in Düsseldorf (S. 295-337) sowie in der soziologisch orientierten Analyse von Goldmann, Stollberg und Tamm über die Entwicklung des Münchner Allgemeinen Krankenhauses Links der Isar (S. 367-403). Auch wenn der im letztgenannten Beitrag versprochene Ansatz einer systemtheoretisch orientierten Analyse im weiteren Text nicht durchgehalten wird, so scheint hier doch eine sehr interessante Perspektive für die Weiterentwicklung einer theoriegeleiteten krankenhausgeschichtlichen Forschung auf: Die Entwicklung des modernen Krankenhauses als Prozess einer Ausdifferenzierung in selbstreferenzielle Subsysteme (Medizin, Pflege, Ökonomie) mit jeweils eigenen Codes.

Wenig überzeugen können dagegen Beiträge, die sich weitgehend auf die Erläuterung ökonomischer Daten beschränken, die zudem auch als Tabelle abgedruckt sind. Zu nennen sind hier insbesondere die Beiträge von Wagner und Spree zur finanziellen Entwicklung des Allgemeinen Krankenhauses in München (S. 95-140), von Schaal und Spree über die Entwicklung der Patientenstruktur des Katharinenhospitals in Stuttgart (S. 339-365) sowie von Langefeld zu den Betriebsergebnissen des Allgemeinen Krankenhauses der Stadt Augsburg (S. 141-177).

Die Stärke des Sammelbandes dürfte vor allem in der Fülle an aufbereitetem empirischen Material liegen. Deutliche Schwächen weist er allerdings bei der theoretischen Fundierung auf. Wenn ein solcher Band fast ausschließlich mit Einzelfallstudien konzipiert wird, müssten diese durch ein theoretisches Konzept zusammengeführt werden. Dass ein solches fehlt, zeigt sich in der Struktur des Bandes insgesamt wie in den einzelnen Aufsätzen. Die Fülle der verschiedenen Beiträge lediglich nach den Kriterien “Finanzwirtschaft” und “Patienten” in zwei große Abschnitte zu gliedern, wird weder den teilweise doch deutlich komplexeren Inhalten einer Reihe von Beiträgen gerecht, noch bietet es eine befriedigende Orientierung für den Leser. Wie bereits angesprochen, erscheint lediglich in einem Beitrag (Goldmann/Stollberg/Tamm) – noch dazu erst im letzten Teil des Bandes – ein solches mögliches theoretisches Konzept auf, das durchaus als leitendes Konzept für den gesamten Band hätte dienen können.

In den Einzelbeiträgen führt die fehlende theoretische Konzeption des Bandes zu zahlreichen Redundanzen, die vermutlich bei einer theoretisch abgeleiteten eingegrenzten Aufgabenstellung für jeden Beitrag vermeidbar gewesen wären. So aber werden nicht nur die sozialpolitischen Rahmenbedingungen für Krankenhäuser im 19. Jahrhundert mehrfach erläutert, sondern auch Basisinformationen zu einzelnen Krankenhäusern doppelt geliefert (so zum Allgemeinen Krankenhaus in München und dem Katharinenhospital in Stuttgart sowie zu Düsseldorfer Krankenanstalten). Hier haben die Herausgeber ihre ‚Hausaufgaben‘ als inhaltliche Koordinatoren der Einzelbeiträge m.E. nicht befriedigend gemacht, mit der Folge, dass dem Leser mehrfach Wiederholungen zugemutet werden.

Die Lesbarkeit und der Nutzen des Sammelbandes wird zudem durch einen m.E. anachronistischen Zitierstandard geschmälert. Es erschwert den Lesefluss nun einmal unnötig, wenn statt Fußnoten auf der jeweiligen Seite Endnoten am Ende des Textes verwendet werden und die Quellenangaben nicht in einem gesonderten Literaturverzeichnis, sondern zusammen mit den inhaltlichen Anmerkungen in den Endnoten ‚versteckt‘ werden.

Fazit

Der vorliegende Sammelband von Labisch und Spree beeindruckt durch eine Reihe sehr interessanter Einzelfallanalysen zur Geschichte der stationären Krankenversorgung in Deutschland und bietet damit sehr hilfreiches empirisches Material für die Weiterentwicklung der Medizin- und insbesondere Krankenhausgeschichte in Deutschland. Die Schwäche des Bandes liegt jedoch im Mangel an einer übergreifenden und die Einzelfallstudien zusammenführenden theoretische Konzeption sowie einer unzureichenden inhaltlichen Koordination der Beiträge, mit der Folge, dass unnötige Redundanzen zu verzeichnen sind.

Wünschenswert für die Zukunft wäre, dass die in diesem Band veröffentlichten sowie weitere Forschungsergebnisse zu einer theoretisch fundierten und konsistenten Gesamtanalyse dieser Entwicklungsepoche der sozialen Institution Krankenhaus fortentwickelt werden. Damit würde nicht nur der Medizingeschichte ein wichtiger Dienst erwiesen, sondern auch und vor allem den von ihren Forschungsergebnissen abhängigen anderen Wissenschaftsdisziplinen, insbesondere der Soziologie, der Politikwissenschaft und der Ökonomie.

Redaktion
Veröffentlicht am
Beiträger
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Region(en)
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension