E.-M. Kaffanke: Der deutsche Heiland

Titel
Der deutsche Heiland. Christusdarstellungen um 1900 im Kontext der völkischen Bewegung


Autor(en)
Kaffanke, Eva M.
Erschienen
Anzahl Seiten
497 S.
Preis
€ 65,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Hufenreuter, Fachbereich Geschichte Freie Universität Berlin

Vorweg sei bemerkt, dass sich die vorliegende Arbeit vor allem in kunstgeschichtlicher Hinsicht mit Christusdarstellungen um 1900 beschäftigt. Dass die Autorin dies explizit vor dem Hintergrund nationaler und völkischer Kunstkriterien zu erörtern sucht, sei Grund genug, dem Buch Aufmerksamkeit zu schenken, finden sich doch bisher nur leider sehr wenige fächerübergreifende Ansätze, die die völkische und nationale Kulturbewegung aus kunsthistorischer Sicht analysieren. Eva-Maria Kaffanke widmet sich Gemälden und druckgraphischen Arbeiten zwischen 1870 und 1918, die allesamt säkularisierte Christusgestalten darstellen. Hinter diesen Darstellungen vermutet die Autorin weltanschauliche Programmatiken und Inhalte, die sie als eigenes kunsttheoretisches Konzept erkennt. Wichtigstes Hilfsmittel der Beweisführung ist für sie die Rezeption der Werke, speziell durch völkische und nationale Kunstkritiker, wobei sie die Rezeptionskriterien einer genaueren Analyse unterzieht.

Die Maler, die behandelt werden sind Arnold Böcklin, Max Klinger, Hans Thoma, Eduard von Gebhardt, Wilhelm Steinhausen, Fritz von Uhde und Hugo Höppner genannt Fidus. Auffällig ist, dass Ludwig Fahrenkrog fehlt, was bedauerlich ist, da er mit zu den wichtigsten völkische Künstlern und Ideologen gehörte. Man mag aber der Autorin zustimmen, wenn sie erklärt, dass eine Analyse der Christusthematik Fahrenkrogs den Rahmen der Arbeit gesprengt hätte und es bleibt zu hoffen, dass sich jemand diesem Thema in kommender Zeit annimmt. Gleich zu Beginn beschäftigt sich Kaffanke mit der Beschreibung der völkischen Bewegung, wobei sie erfreulicher Weise auf die aktuelle Literatur zugreift und konstatiert die Verknüpfung völkischer Religions- und Kunstkonzepte, vor deren Hintergrund Ästhetik, Politik und Religion visualisierende Christusdarstellungen entstanden seien.

Nachdem sich die Autorin mit dem bisherigen Forschungsstand zu den einzelnen Malern auseinandergesetzt hat und dem Leser ausführlich über das Christusbild in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Kenntnis setzt, erarbeitet sie die wichtigsten Aspekt der völkischen Kulturbewegung, wobei dem Rassismus, Antisemitismus und dem Germanenbild besondere Beachtung geschenkt wurde. Ausgesprochen zielsicher wird dabei die völkische Kunstkritik, die Kunsterzieherbewegung, das Ideal nationaler Kunst und damit verbunden das völkische Künstlerbild beleuchtet, ohne dabei das Thema aus den Augen zu verlieren. Ebenso essentiell sind Kaffankes Bemerkungen zu den Beziehungen zwischen völkischer Religion und den beiden großen Konfessionen, wobei sie besonderes Augenmerk auf die Nationalisierung des Christusbildes und die dabei entscheidend Einfluss nehmende Lutherrezeption legt.

Der Autorin gelingt es, in dieser ersten Hälfte des Buches nachzuweisen, dass die Säkularisierung der Christusfigur auch die Säkularisierung von Weltanschauungen ermöglichte, die über eine Aktualisierung, Historisierung, Profanierung und Relativierung des bildlichen Heilands angelegt war. So konnte die Jesusfigur als arische blond-blauäugige Idealgestalt in deutscher Landschaft erscheinen und neutestamentarischer Erzählungen als Teil nationaler Geschichte darstellen. Polarisierungen des Fremden und Eigenen schlugen sich in den Stereotypen der Judendarstellungen und dem Wunschbild bäuerlicher Idylle und Heimat nieder. Dabei vermag die Autorin eindrucksvoll nachzuweisen, dass die spezifisch völkische Kunstkritik keineswegs als eine Randerscheinung abzutun ist, sondern maßgeblich an nationalisierten Bildfindungen und der Nationalisierung von Künstlern und Werken beteiligt war.

Auch einen Teil der Künstler reißt Kaffanke aus dem Schutz bisheriger Vereinnahmungsthesen heraus und präsentiert sie, durch die akribische Zusammentragung ihrer Äußerungen, als treibende Kräfte bei der Findung eines deutschen Christus. In der zweiten Hälfte des Buches werden nun anhand von Klinger, Thoma (Thoma-Kapelle in Karlsruhe), Fidus und Böcklin die konstatierten Ergebnisse an Bildern erarbeitet. Hierbei wird vor allem den Christusgemälden von Klinger sehr viel Platz eingeräumt und es ist nicht immer nachvollziehbar, warum nach dem ersten, sehr geschliffenen und auf das Wesentliche konzentrierten Teil des Buches, ein derartige Breite in der Wiedergabe der Fakten und Deutungen herrschen muss, zumal deren Notwendigkeit sich mit Blick auf das Thema der Arbeit nicht immer erschließt. Wesentlich konzentrierter und auch von Umfang geringer präsentieren sich da die Interpretation der Thoma-Kapelle, die Deutung der Fidusschen Christusfigur und die Christusdarstellungen Böcklins. Die am Ende befindliche Wirkungsgeschichte des deutschen Heilands im Nationalsozialismus bricht hingegen aus der Fragestellung aus und wirkt etwas fehlplatziert, wenn nicht sogar überflüssig, auch wenn sich im Kapitel der Künstlerrezeption interessante Details finden.

Kaffankes Arbeit besticht insgesamt durch eine profunde Literatur- und Quellenkenntnis. So hat die Autorin sowohl scheinbar die komplette bisherige kunsthistorische Forschungsliteratur einbezogen und dabei einer angenehm renitenten Kritik unterzogen, als auch eine bemerkenswert umfangreiche Quellenarbeit geleistet, die nicht nur Monographien, sondern auch diverse Zeitschriften einschloss. Die daraus resultierenden Details, die verblüffenden Anmerkungen und Anekdoten zur Rezeptions- und Wirkungsgeschichte von Malern und Bildern sind beachtlich und eine mehr als erfreuliche Bereicherung für die Leser. So ist allein die Auswertung der handschriftlichen Bemerkungen von Fidus auf den Postkarten seiner Bilder ein Blick in das Buch wert.

Ebenso wohltuend ist die versierte und sichere Beschreibung der für die Arbeit wichtigen diversen Teilaspekte der völkischen Bewegung im historischen Teil der Arbeit. Problematisch ist dabei jedoch das Fehlen jedweder Differenzierung zwischen den Attributen völkisch und national, da hierbei erheblich Differenzen bestanden. Auch eine zeitlich Rahmung der immer hin als Kontext fungierenden völkischen Bewegung fehlt leider völlig, bewegen sich doch Kaffankes Ausführungen von Johann Gottlieb Fichte bis hin in die Zeit des Nationalsozialismus. So mögen zwar einige der behandelten Maler, wie Böcklin und Fidus auf Seiten der Völkischen gestanden haben, einige andere taten es vermutlich nicht, denn Hinweise darauf fehlen bei den sonst so umfangreich angeführten Quellenverweisen. In diesem Punkt bleibt die Autorin unklar, was ihre Bemühungen um eine Demontage der Theorie der Vereinnahmung von Künstlern durch völkische und streng nationalistische Kunstkritiker zuweilen torpediert.

Trotz dieser Verortungsschwierigkeiten hat Eva-Maria Kaffanke ihr Ziel erreicht. Sie präsentiert dem Leser in einer zumeist sehr gut lesbaren Arbeit, die erstaunlich facettenreiche Erscheinungsformen eines deutschen Heilands um die vorletzte Jahrhundertwende und erarbeitet so in wegweisender Ausführlichkeit ein bislang vernachlässigtes Stück Kunstgeschichte und Geschichte. Im Anhang des Buches finden sich 95 schwarz-weiß Abbildungen der wichtigsten Bilder, die durchaus dazu anregen, nach Katalogen Ausschau zu halten, um die Bilder einmal in Farbe und einer entsprechenden Größe zu betrachten.

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