Titel
Die rheinischen Sparkassen. Entwicklung und Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft von den Anfängen bis 1990


Autor(en)
Pohl, Hans
Erschienen
Stuttgart 2001: Franz Steiner Verlag
Anzahl Seiten
319 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Harald Wixforth, TU Dresden

Die Sparkassengeschichtsschreibung in Deutschland hat in den letzten Jahren fraglos große Fortschritte verbuchen können. Lange dominierten gerade hier Festschriften "alten Typs", in denen die Verdienste herausragender Persönlichkeiten der Sparkassenorganisation vergleichsweise kritiklos gewürdigt wurden, ohne näher auf den Hintergrund für ihr Wirken und die Rahmenbedingungen für die Entwicklung ihrer Institute einzugehen. Zudem suchte man hier eine Einbettung der Sparkassengeschichte in überörtliche und überregionale sozio-ökonomische Entwicklungsprozesse vielfach vergebens. Daher verwundert es nicht, daß gerade die Sparkassengeschichte oft genug nicht die Anforderungen einer seriösen Unternehmensgeschichtsschreibung erfüllen konnte und von anderen Sparten der Wirtschaftsgeschichte - auch von der Bankengeschichte - durchaus belächelt wurde.

Inzwischen hat sich das Blatt gewendet. Die Sparkassengeschichtsschreibung in Deutschland hat an die Standards der modernen Unternehmensgeschichte Anschluß gefunden - allen immer noch existierenden Problemen einer oft unzureichenden Quellengrundlage zum Trotz. In den letzten Jahren sind eine Reihe von Studien über einzelne Institute oder über die Sparkassenorganisation erschienen, die nicht nur unser Bild von diesem wichtigen Segment der deutschen Kreditwirtschaft immens vervollständigen halfen, sondern auch moderne Konzepte der Unternehmensgeschichtsschreibung berücksichtigen und auf ihren Untersuchungsgegenstand anwenden. Das Buch von Hans Pohl über die rheinischen Sparkassen und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung des Rheinlandes zählt sicherlich dazu. Die Gliederung des Buches und sein konzeptioneller Aufbau leuchtet ein und ist begrüßenswert: Für die jeweils wichtigen Abschnitte der Wirtschaftsentwicklung in Deutschland - Industrialisierung und Restauration nach 1848; Kaiserreich; Weimarer Republik; NS-Regime; Wirtschaftswunderjahre; Bundesrepublik nach Wirtschaftswunder - werden zunächst die Rahmenbedingungen für die Tätigkeit der Sparkassen sowohl in Preußen resp. Deutschland, als auch speziell im Rheinland ausgelotet. Der Leser erhält dadurch wichtige Informationen, um die Geschäftstätigkeit der Sparkassen und ihre Bedeutung für die wirtschaftliche Entwicklung in der ehemals preußischen Rheinprovinz, bzw. nach 1945 im jeweils rheinischen Teil von NRW und Rheinland-Pfalz verstehen zu können. Dabei wird deutlich, daß auch im Rheinland sowohl die Initiativen zur Gründung von Sparkassen, als auch deren Geschäftsentwicklung erheblich von den gesamtwirtschaftlichen Rahmenbedingungen bestimmt wurden.

Auch hier zeigte sich am Vorabend der Industrialisierung die Verelendung großer Bevölkerungsteile. Lokale Initiativen und Vereine, weniger der preußische Staat und seine Verwaltungsorgane versuchten daher, diesem Phänomen durch die Errichtung von Sparanstalten Herr zu werden. Hilfe für die ärmere Bevölkerung, aber auch deren soziale Disziplinierung bildeten auch im Rheinland die entscheidenden Motive für die Gründung von Sparkassen durch die Kommunen oder Kreise, aber auch durch spezielle Hilfsvereine, wie das Beispiel Aachen zeigt. Auch nach Beginn der Industrialisierung blieb der Auftrag der Sparkassen im wesentlichen der gleiche, auch wenn sich ihre Klientel hin zu den ott am Rande des Existenzminimums lebenden Industriearbeitern verschob. Aber nicht nur sie, sondern auch andere Teile der Bevölkerung wie Beamte, Angestellte oder Dienstpersonal bildeten den Stamm der Sparkassenkunden. Am Erfolg der Sparkassen als wichtige Finanzinstitution in einem sich ausdifferenzierenden Kreditsektor konnte bald auch im Rheinland kein Zweifel herrschen, allen konjunkturellen Krisen und allen staatlichen Regulierungsversuchen - vor allem durch das preußische Sparkassenreglement von 1838 - zum Trotz.

So sehr die Einbindung der Sparkassenentwicklung in die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen zu loben ist - vielfach werden diese nur oberflächlich und sehr kusorisch nachgezeichnet. Zudem gewinnt man an einigen Stellen den Eindruck, als würden dazu aus Überblicksdarstellungen lange Passagen entweder im direkten Zitat oder paraphrasierend verwandt. Der Versuch, das Umfeld für die Sparkassentätigkeit genauer auszuloten, glück daher an einigen Stellen nur in Ansätzen. Die Ausführungen zur eigentlichen Sparkassenentwicklung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts sind dagegen informativ und präzise. Auf zunehmende Ausdifferenzierung im Aktiv- und Passivgeschäft wird ebenso ausführlich eingegangen wie auf die Entwicklungen im Personalbereich und in den Aufsichtsorganen der Institute. Dabei wird deutlich, daß die Sparkassen im Rheinland - wie überall in Deutschland - nicht nur ein beträchtliches Wachstum der Einlagen und Bilanzsumme verzeichnen konnten, sondern sich zunehmend zu Finanzinstitutionen mit einer wachsenden Palette von "Produkten" für breite Bevölkerungsschichten entwickelten.

Verständlich, daß die Situation der Sparkassen im Ersten Weltkrieg nur knapp abgehandelt wird, da für diese Zeit - ebenso wie für die Inflationsjahre - nur wenig verläßliches statistisches Material zur Verfügung steht. Sehr informativ ist dagegen die Darstellung für die Weimarer Republik nach der Inflation, werden hier doch die Neuerungen und Risiken der Geschäftstätigkeit genau untersucht. Auf die wachsende Bedeutung des Kommunalkredits und die daraus entstehenden Risiken für die Sparkassen wird ebenso hingewiesen wie auf die Gefahren, die den Instituten aus zunehmenden Engagements im Realkredit erwuchsen. Auf der anderen Seite werden die positiven Effekte des immer wichtiger werdenden Giroverkehrs zurecht herausgestellt. Zu loben ist auch, daß die Situation der rheinischen Sparkassen in ihrer engen Anbindung an die Landesbank der Rheinprovinz thematisiert wird. Durch die Zahlungsschwierigkeiten dieses Instituts während der deutschen Banken- und Finanzkrise im Sommer 1931 wurde die gesamte Sparkassenorganisation im Rheinland und darüber hinaus erheblich in Mitleidenschaft gezogen.

Mit Blick auf die Darstellung der Sparkassenentwicklung während der NS-Zeit bleibt das bereits oben erwähnte Dilemma zu konstatieren, daß das Umfeld, sprich die sich veränderten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowie die ideologische Verortung der Sparkassen im NS-Wirtschaftssystem ausgesprochen knapp, dafür die eigentliche Geschäftsentwicklung der Institute wieder ausführlich behandelt werden. Wünschenswert wäre es gewesen, wenn etwas genauer auf die Konfliktlinien in der deutsche Kreditwirtschaft zwischen privatem Bankgewerbe einerseits und öffentlich-rechtlichen Instituten andererseits eingegangen worden wäre. Daher erfährt man vergleichsweise wenig über die ideologische Präferierung der "deutschen" Sparkassen gegenüber anderen Finanzinstitutionen. Ebenso werden Konflikte innerhalb der Sparkassenorganisation, die durch die Gleichschaltung des Sparkassenverbandes und seine enge Einbindung in das NS-Wirtschaftssystem hervorgerufen wurde, kaum behandelt.. Wünschenswert wäre es vielleicht auch gewesen, wenn die spezifische Situation der Sparkassen während des Zweiten Weltkriegs etwas genauer untersucht worden wäre.

Die Rahmenbedingungen für den Wiederaufbau nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, die Gründe für das Wirtschaftswunder, aber auch die Ursachen für die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft nach dem "Ölpreisschock" werden dagegen relativ ausführlich behandelt. Auch die Entwicklung der Sparkassenorganisation nach Kriegsende im allgemeinen und die der rheinischen Sparkassen im besonderen wird präzise dargestellt. Plausibel und lobenswert ist es, daß die wichtigen Innovationen im Kredit- und Spargeschäft der Sparkassen in dieser Zeit ebenso detailliert dargestellt werden wie die Neuerungen in der Sparkassenorganisation. Auch die rheinischen Sparkassen entwickelten sich in dieser Zeit zu modernen Finanzdienstleistern und Universalkreditinstituten, die sich dadurch bedingt mit einem neuen Wettbewerbsumfeld konfrontiert sahen, auf das ebenfalls genauer eingegangen wird. Insgesamt gesehen kann man die beiden Kapitel über die Sparkassenentwicklung im Rheinland während der Bundesrepublik bis 1990 als die gelungensten des Buches bezeichnen.

Hans Pohls Studie über die rheinischen Sparkassen bietet einen guten Überblick über dieses Segment der Kreditwirtschaft von seinen Anfängen bis zur Zäsur des Jahres 1990, auch wenn einige Aspekte seiner Entwicklung und seines Geschäftsumfelds etwas genauer hätten beleuchtet werden können. Die besondere Bedeutung der Sparkassen innerhalb der rheinischen Kreditwirtschaft wird deutlich, auch wenn in einigen Fällen nicht ausreichend erklärt wird, worin ihre tatsächliche Bedeutung für Wirtschaft und Gesellschaft des Rheinlandes zu suchen ist. Dennoch: Pohls Buch ist ein weiterer wichtiger Schritt, um das Bild der Sparkassenentwicklung in Deutschland auf nationaler, aber auch auf regionaler Ebene klarer zeichnen zu können. Die Forschung zur Geschichte der Sparkassen sollte dadurch inspiriert werden, weitere Studie zu anderen Regionen und ihrer Sparkassenentwicklung folgen zu lassen.

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