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Titel
Kaiser Julian Apostata. Die Wiederkehr der alten Götter


Autor(en)
Giebel, Marion
Erschienen
Düsseldorf/ Zürich 2002: Artemis & Winkler
Anzahl Seiten
219 S.
Preis
€ 24,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Erich Kettenhofen, Fachbereich III - Geschichte, Abteilung Alte Geschichte, Universität Trier

Zu den zahlreichen Julian-Biographien ist nun eine weitere von Marion Giebel getreten, die schon durch ihre kommentierte Übersetzung des 'Barthassers' ihre Vertrautheit mit dem letzten Kaiser aus der konstantinischen Dynastie bewiesen hat. In 11 Kapiteln ist das Buch übersichtlich gegliedert: die Kapitel II bis X sind dem Leben Julians gewidmet, das erste dem Zeitalter Konstantins, das letzte dem "Nachleben Julians".1 Die einzelnen Kapitel sind wiederum in zahlreiche Abschnitte unterteilt. 30 Photos sind in schwarz-weißer Farbe mitabgedruckt.2 109 Anmerkungen wurden dem Text beigefügt.3

Wissenschaftlich neue Ergebnisse kann und will das Buch nicht bieten. Welches Julian-Bild vermittelt es dem/ der Leser/in? Es ist mit viel Sympathie für den jugendlichen Kaiser geschrieben. Die Brüche in seinem Charakter sind allzusehr beschönigt, ja in manchen Abschnitten wird die verehrende Schilderung Ammians noch übertroffen.4 Die Bemühungen Julians um die 'alte Religion' werden sehr ausführlich beschrieben, die Frage, ob die Restituierung von vor Jahren, wenn nicht Jahrzehnten konfiszierten Tempelgutes nicht neues Unrecht hervorrief, nur zurückhaltend gestellt. Dass die Verordnungen Julians Unruhen und Widerstand provozierten und nicht dem inneren Frieden dienten, wird aber nicht allein christlicher Polemik zuzuschreiben sein. Frau Giebel zitiert zwar zahlreiche neuere Arbeiten zu Julian, doch kommen deren Ergebnisse in ihrem Buch nicht zum Tragen: beispielsweise hat G. W. Bowersock 5 m.E. überzeugend herausgearbeitet, dass Constantius II. und sein Caesar nach außen harmonisch miteinander zusammenarbeiteten und dass Julian von Anfang an die volle Kommandogewalt besaß. Es überrascht auch nicht, dass Frau Giebel der julianischen Version vom Pronunciamento in Paris folgt (S. 101-102).6

Dem Weg Julians vom Christentum zum Heidentum, den K. Rosen vor einigen Jahren nachzeichnete, wird von Frau Giebel wiederum der seit den frühen 50er Jahren des 4. Jahrhunderts bereits vom Christentum Abgefallene entgegengestellt, der jahrelang sein 'Heidentum' verheimlichen mußte.7 Die Rolle, die Mithras für Julian von Frau Giebel zugewiesen wird (S. 68, 70, 101), ist schon auf der Basis von Julians Selbstaussagen überzogen.8 Auf einer schwachen Quellenbasis steht auch die Behauptung, dass Julian "sicher selbst nicht unempfänglich für die Freuden des Ehe- und Familienlebens" war (S. 105). M.E. will hier Frau Giebel ein freundlicheres Bild zeichnen, als es die Quellen hergeben.

G. Wirth hat 1976 ein sehr kritisches Julian-Bild in seinem Beitrag zum Perserkrieg in dem von R. Klein herausgegebenen Julian-Sammelband vermittelt.9 Auch wenn A. Lippold das dort gezeichnete Bild als ungerecht beurteilt,10 so ist der Vorwurf der mangelhaften logistischen Vorbereitung des Perserfeldzuges doch berechtigt. Frau Giebel, die selbst Alexander-Reminiszenzen hin und wieder zur Sprache bringt (z.T. hypothetisch: S. 177), hat wohl die Darstellung Wirths vor Augen,11 wenn sie behauptet, "er wollte keineswegs das Perserreich erobern und es gar dem Imperium Romanum einverleiben; solche illusionären Pläne wurden ihm später unterstellt; er gedachte, wie an der Rheinfront, durch einen Abschreckungszug ins feindliche Kernland den Perserkönig ein für allemal von seinen jährlich wiederholten Angriffen auf Roms Grenzfestungen abzubringen" (S. 142). Ob Hormisdas, der über drei Jahrzehnte zuvor ins römische Exil gekommen war, die ihm zugedachte - unklar bleibende - Rolle spielen konnte, war ebenfalls ungewiss. S. 170 heißt es nochmals: "Er (sc. Julian) ist bestrebt, das Unternehmen einzugrenzen, keine Furcht zu erregen vor einem Zug ins Ungewisse".

Die räumlichen Ausmaße des Perserreiches und die dort herrschenden klimatischen Bedingungen sind m.E. von Julian völlig unterschätzt worden,12 und die Abweisung der Gesandtschaft Šahpuhrs II., von der Libanios berichtet, ist schwerlich ein Resultat der klugen Einschätzung der verfügbaren eigenen Kräfte und des verfügbaren eigenen Materials.13 Doch die Zeitzeugen, die den Zug begleiteten, Ammianus und Eutropius, und der auf Zeugnissen der Teilnehmer fußende Libanios sprechen dies nicht aus. Das Desaster nach dem Tod Julians muss aber auch Ammianus im 25. Buch seiner Res Gestae einräumen.14 Jovian, der Nachfolger Julians, ist, so kann man sagen, ein Opfer der julianischen Expedition, denn der Friede, den er im Juli 363 mit Šahpuhrs II. Unterhändlern schloss, wurde als Schandfrieden gebrandmarkt (teilweise bis in moderne Darstellungen jüngsten Datums). Giebel weist auf den Kriegsrat im Juni 363 hin, der die Entscheidung zur Umkehr fällte 15; verantwortlich gemacht wird das Nichteintreffen der zweiten Armee: "Wo ist aber Prokop, wo Arsakes von Armenien mit seinem Heer? Ein unsicherer Bundesgenosse, dieser christliche König" (S. 176). Bei Ammianus ist er immerhin noch amicus nobis semper et fidus (25, 8, 12).

R. Klein hat in seinem Lebensbild Julians 16 von der unleugbaren Bindung des Historikers an die eigene Zeit gesprochen; das trifft auch für diese Julian-Darstellung zu, die der Geschichte nachtrauert, dass der Kaiser, der das Christentum als betrügerisches Menschenwerk bewertete und dessen proheidnische Maßnahmen nicht als anachronistisch gebrandmarkt werden,17 keine Chancen hatte zu verhindern, dass das Christentum alleinige Staatsreligion wurde.18 So zu urteilen mag heute opportun sein.

Manch wertvoller Hinweis wird in den Anmerkungen auch für den 'Fachmann' gegeben.19 Eine Zeittafel (S. 209-211) ist dem Buch beigegeben, deren Daten sich aber nicht immer mit denjenigen des Textteils decken.20 Die beigegebene Stammtafel der konstantinischen Dynastie ist hilfreich, doch fehlen etwa die Einträge der Frauen Constantius' II. Die Namensform für Constantia, dessen Schwester, weicht von der auf S. 105 ab (dort: Constantina). Es folgen zwei Karten: Gallien im 4. Jh. 21 sowie Kleinasien, Syrien und Persien im 4. Jahrhundert n.Chr.22 Die Auswahlbibliographie (S. 214-218) ist relativ umfangreich, die Untergliederung der "Sekundärliteratur" in drei Teile ("Zur Geschichte", "Heidentum und Christentum, Philosophie und Literatur", "Zu Julian") umständlich. Unbegreiflicherweise fehlt zu Julian die mit Recht von der Kritik gelobte Darstellung von J. Bouffartigue.23

Auf einige Versehen weise ich noch hin: Das Christogramm auf dem Helmbusch Konstantins I. ziert natürlich ein Medaillon, keine Münze.24 S. 86 spricht Frau Giebel von Florianus als praefectus praetorio Galliarum statt Florentius.25 Die Namensform Autosudorum (S. 87) für das heutige Auxerre ist nicht belegt (gegenüber Autosidorum), doch die weitaus gebräuchlichere ist Autessiodurum bzw. Autossiodurum. Die Reihenfolge der Einnahme der Städte Singara, Amida und Bezabde (S. 102) entspricht nicht der Reihenfolge, wie sie Ammianus Marcellinus in den Büchern 19 und 20 uns überliefert hat. Nicht erst Ende 364 (so S. 112) haben Valentinian I. und Valens in Naissus die Verantwortung für das Reich geteilt, denn nach O. Seecks Regestenwerk ist Valentinian I. in Naissus am 11. 6. 364 letztmals bezeugt. S. 149 ist 363 verschrieben für 362. Wohl um auf die Alexandernachfolge Julians anzuspielen, lässt Frau Giebel Julian bei seinem Zug entlang des rechten Euphratufers an Arbela bzw. Gaugamela vorbeikommen (S. 171), die jedoch weit abseits des Tigris liegen.

Das Buch ist angenehm zu lesen und sehr sorgfältig gedruckt (lateinische Zitate in Kursive). Verbeugungen vor dem "Zeitgeist" sind Wendungen wie "Ehe auf Probe" (S. 13 bei Helena, der Mutter Konstantins I.); Maximus ist ein "Guru" (S. 65). Mit 313 wird die ">Wende<" eingeleitet, die ja im Jahr 1982 Berühmtheit erlangt hat. Bemerkungen wie: "in heutigen Gebetbüchern sind sie (sc. die Rachephantasien der Psalmen) sorgsam gekürzt" (S. 46), berühren eigenartig, als ob nicht jeder/ jede Zugang zu einem vollständigen Text des Alten Testaments besäße. Paulus ist (S. 187) für Frau Giebel der "eigentliche, kritisch zu beurteilende Begründer des Christentums". Die Apokalypse des Johannes will "Offenbarung" sein; von einer "Geheimen Offenbarung" (so S. 62) zu sprechen, ist nicht angemessen. Schließlich noch die "schöne Frau": Im Panegyricus Julians auf die Kaiserin Eusebia "darf es auch nicht nach einer allzu engen Verbindung mit der schönen jungen Frau aussehen" (S. 85). Julian hatte (so S. 174) seinen Soldaten "reiche Beute versprochen, wenn sie siegten, nun gab es alles, auch die berühmt schönen Perserinnen". Der Quellenbeleg wird leider nicht angegeben.

Noch ein Wort zum Text des Buchumschlags, der den Inhalt des Buches mehrfach vergröbert (z.B.: "oft war er dem Schafott näher als dem Thron"). Es ist m.E. bedenklich, wenn ein so renommierter Verlag wie Artemis & Winkler die ungeklärten Umstände bei Julians Tod am 26. 6. 363 mit denen bei Alexander des Großen und Jesus Christus vergleicht, wohl gedacht für ein "aufgeklärtes" Publikum, das der Behauptung von Jesu Tod in Kaschmir eher Vertrauen schenkt als den hier untrüglichen Zeugnissen der Evangelien.

Anmerkungen

1 Bildreich mit "Zwischen Himmelfahrt und Höllensturz" überschrieben, durchaus sachgerecht, denkt man einerseits an J. Straubs Aufsatz (Die Himmelfahrt des Julianus Apostata) und andererseits an den Hass, mit dem Gregor von Nazianz den Verstorbenen in der 4. und 5. Oratio verfolgte.
2 Bildnachweis S. 219.
3 S. 205-208. Im Computerzeitalter hätten diese bequem unter den Text gesetzt werden können; vermutlich wollte der Verlag keinen/ keine Leser/ in mit einem (knapp gehaltenen) Anmerkungsapparat abschrecken.
4 Vgl. S. 88, 90, 91 (der Erfolg Julians an der Rheingrenze bewirkt, dass die "Region noch einige Jahrzehnte verhältnismäßiger Ruhe" hatte "und sie soweit stabilisierte, daß sie römisches Erbe durch die Wirren der Völkerwanderung hinüberretten konnte"), 111 u. 150 ("seine geistige Beweglichkeit ermöglichte ihm ein ungeheures Arbeitspensum"). Weitere Beispiele ließen sich beliebig anführen.
5 G. W. Bowersock, Julian the Apostate, London 1978, hier S. 38-39.
6 Vgl. dagegen - in der Folge von I. Müller-Seidel - K. Rosen, Beobachtungen zur Erhebung Julians 360-361 n. Chr., in: Acta Classica 12 (1969), S. 121-149, wieder abgedruckt in: R. Klein (Hrsg.), Julian Apostata (Wege der Forschung 509), Darmstadt 1978, S. 409-447.
7 K. Rosen, Kaiser Julian auf dem Weg vom Christentum zum Heidentum, in: JbAC 40 (1997), S. 126-146 mit der zutreffenden Bemerkung, dass Julian in einer Umwelt aufwuchs, "wo sich weniger die Heiden und die Christen als die christlichen Konfessionen untereinander anfeindeten". Ein knappes Resümee hat K. Rosen in seinem Artikel Iulianus (11) in DNP VI (1999), 11-14 gezogen. Frau Giebel steht mit ihrer traditionellen Ansicht allerdings nicht allein; vgl. jüngst G. Krapinger, Julian Apostata, RGG, 4. Aufl., IV (2001), 693: im Jahre 355 Wende zum paganen Glauben vollzogen.
8 Vgl. schon K. Rosen, in: Gnomon 55 (1983), S. 245-249, wo Rosen gegen den 'Panmithraismus' von P. Athanassiadi-Fowden, Julian and Hellenism, Oxford 1981, Stellung bezog.
9 Julians Perserkrieg. Kriterien einer Katastrophe, in: R. Klein (Hrsg.), Julian Apostata (Wege der Forschung 509), Darmstadt 1978, S. 455-507. Der Beitrag Wirths datiert von 1976.
10 A. Lippold, Julian Apostata, in: RAC XIX (1999), 442-483, hier 466.
11 Sie zitiert ihn allerdings nur in Anm. 58 in einem anderen sachlichen Zusammenhang.
12 Dies ist in der bisherigen Forschung kaum thematisiert worden; doch vgl. W. E. Kaegi, Challenges to Late Roman and Byzantine Military Operations in Iraq (4th-9th Centuries), in: Klio 73 (1991), S. 586-594, auch mit Hinweisen zum Perserfeldzug Julians.
13 Vgl. dazu zutreffend Wirth (wie Anm. 9), 464-465.
14 So spricht auch M. Giebel S. 186 nach Ammians Darstellung vom "katastrophalen Zustand" des Heeres.
15 Vgl. S. 176: "Victors Entscheidung war freilich vernünftig- aber sie sollte den Siegeslauf der Römer beenden".
16 R. Klein, Julian Apostata. Ein Lebensbild, in: Gymnasium 93 (1986), S. 273-292, hier 273.
17 Vgl. besonders S. 131; anders - mit Recht - Klein (wie Anm. 16), 283.
18 Vgl. S. 200: "Doch die Geschichte nahm ihren Lauf, und Julian starb früh".
19 S. 205-208. Hinweise auf die eigenen Publikationen sind nicht zu überlesen.
20 Vgl. S. 9 bzw. 209 zum Geburtsjahr Julians, S. 20 bzw. 209 zum Geburtsjahr Konstantins I. Die Rückberufung der Brüder Gallus und Julian aus dem 'Exil' in Macellum datiert die Zeittafel in das Jahr 348, während nach der Textdarstellung Constantius II. nach dem Tode seiner Brüder die Alleinherrschaft bereits innehatte, die erst mit der Ermordung seines Bruders Constans am 18. 1. 350 begann (vgl. S. 48 und 50, auch 74), was sich denn auch mit dem von A. J. Festugière vertretenen Datum des Exils (345-351) leichter vereinbaren lässt (Julien à Macellum, in: JRS 47, 1957, S. 53 - 58, ins Deutsche übersetzt in: R. Klein, wie Anm. 6, S. 241-255, hier 244).
21 Es fehlt allerdings jeglicher Eintrag der administrativen Gliederung.
22 Hier begegnen einige Schnitzer: So sind Amida und Bezabde auf dem linken Tigrisufer (von der Quelle aus gesehen) eingetragen. Der Namenszug von Haran (sic!) ist dem Symbol nicht zugeordnet. Noch gravierender: die geographische Ausdehnung des Perserreiches verrät die Karte keineswegs.
23 L'empereur Julien et la culture de son temps (Collection des Études Augustiniennes, Série Antiquité 133), Paris 1992, 752 S. (!). Vgl. etwa die Besprechung von A. Lippold, in: JbAC 39 (1996), S. 271-274.
24 So S. 14 und S. 52: "Silbermünze". Das Exzeptionelle der Medaillonprägung wird so eingeebnet.
25 Richtig allerdings auf den Seiten 94-98.

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