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Titel
Euhemeros von Messene. Leben, Werk und Nachwirkung


Autor(en)
Winiarczyk, Marek
Reihe
Beiträge zur Altertumskunde 157
Erschienen
München/ Leipzig 2002: K.G. Saur
Anzahl Seiten
X, 235 S.
Preis
€ 80,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Charlotte Schubert, Alte Geschichte, Historisches Seminar, Universität Leipzig

Literaturgattung, Staatsroman, Philosophiegeschichte - utopisches Denken und Schreiben lässt sich kaum in ein einziges Genre fügen. "L'avenir n'est plus ce qu'il était", so Valéry, und in diesem Kontext von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bewegt sich utopisches Denken als Gegen- oder Warnbild, als Vorgriff oder auch als Illusion. Das Wort selbst, erst von Thomas Morus 1516 im Titel seines Werkes "Utopia" geprägt, verweist aber auf Elemente antiken Denkens, die sich schon im frühen Hellenismus finden und die an entsprechende Teile der Odyssee (z.B. Odysseus' Aufenthalt bei den Phäaken, auf der Insel Kalypsos oder die Beschreibung der Elysischen Flut), an Hesiods Goldenes Zeitalter, an die sophistischen Staatstheorien (Protagoras von Abdera, Phaleas von Chalkedon und Hippodamos von Milet) und insbesondere an Platons Mythos von Atlantis und Ur-Athen (Timaios 21e-25d, Kritias 108e-121c) anknüpfen. Einen prägenden Einfluß auf die antike utopische Imagination hat Euhemeros von Messene um die Wende vom 4. zum 3. Jahrhundert v.Chr. ausgeübt, dessen Werk Hiera Anagraphe bei Diodor in einer Zusammenfassung erhalten ist (Bibl. hist. 5,41-46; 6,1) und dessen lateinische Übersetzung des Ennius bei späteren Autoren in fragmentarischer Form überliefert wurde, insbesondere bei Laktanz im 1. Buch seiner Divinae institutiones.

Die Fiktion einer Reise zu drei paradiesisch ausgestatteten Inseln im Indischen Ozean akzentuiert staats- und gesellschaftstheoretische, religionsphilosophische und mythologische Sujets. Die Heilige Insel (Insel Hiera) wird monarchisch regiert, die Insel Panchaia dagegen aristokratisch in einer dreigegliederten Ständegesellschaft, an deren Spitze Priester stehen. In der Stadt Panara wiederum existiert eine Demokratie. Ganz in der Nähe befindet sich ein Heiligtum des Zeus Triphylios, das eine goldene Stele mit einer heiligen Inschrift beherbergt, die die Taten des Uranos, Kronos und Zeus nicht als göttliche, sondern als menschliche darstellt, als Taten der Herrscher der Vorzeit, die später als Götter verehrt wurden. Woran Euhemeros hier anknüpfte, der Gegensatz zwischen Monarchie und Polis, die rationalistische Mythenkritik, die sophistischen Theorien über den Ursprung der Religion, der hellenistische Herrscherkult, ist viel diskutiert worden.2

M. Winiarczyk, der 1991 die Teubner-Ausgabe Euhemeri Messenii reliquiae veröffentlicht hat, gibt nun in der vorliegenden Monographie eine Übersicht zu Leben, Werk und Nachwirkung des Euhemeros, die sich im Detail mit den verschiedenen Thesen zu diesen Aspekten auseinandersetzt. Das Buch ist in neun Kapitel eingeteilt, von denen sich die ersten sieben mit Leben und Werk, die letzten beiden mit der Nachwirkung, Ennius' Übersetzung und dem sog. Euhemerismus, beschäftigen.

Winiarczyk hebt hervor, dass über das Leben des Euhemeros so gut wie nichts Belegbares bekannt sei. Auch die Entstehungszeit seines Werkes ist nur hypothetisch zu datieren. Zwar verwendet Winiarczyk einen äußerst engen Utopie-Begriff, der mehr oder weniger auf den "Staatsroman" festgelegt ist, doch hat er sicher darin recht, das fiktive Element zu betonen, wenngleich er nicht so weit wie N. Holzberg geht, der sogar den Namen "Euhemeros" schon als fiktiv betrachtet.3 Winiarczyk ordnet das Werk als politisch-religiöse Theogonie ein, "die an das traditionelle Schema der theogonischen Dichtung anknüpft" (S. 183), und attestiert auch Diodors Bericht über die theologischen Ansichten des Euhemeros Glaubwürdigkeit. Gleichzeitig sieht Winiarczyk hier einen Anknüpfungspunkt an rationalistische Mythenkritik, Euergetismus und Herrscherkult, die von einem allgemeinen couranten Wissen des Hellenismus getragen wurden. Dahinter steht ein Bestreben, den Ursprung der Religion zu erklären, das dann jedoch in dem späteren Euhemerismus die olympischen Götter auf deifizierte Menschen reduzierte.

Winiarczyk geht in allen Kapiteln sehr systematisch vor: Zuerst werden die verschiedenen Positionen dargelegt, dann abgewogen bzw. kritisiert und abschließend der eigene Standpunkt dargelegt. Wenngleich die Darstellung manchmal etwas zettelkastenartig wirkt, wird auf diese Weise doch eine umfassende und übersichtliche, auch sogar zum Nachschlagen geeignete Zusammenfassung des Forschungsstandes gegeben, die praktisch einem Kommentar gleichwertig ist. Umfangreiche Appendices (I: Homines pro diis culti, II: Deos homines fuisse, III: Göttergräber) und Register runden das Werk ab.

Anmerkungen

[1] Dubielzig, U.: s.v. Roman BI1, Kleines Lexikon des Hellenismus, hrsg. v. H. H. Schmitt u. E. Vogt, Wiesbaden 1993, 695.
2 Vgl. Braunert, H.: Staatstheorie und Staatsrecht im Hellenismus, in: Saeculum 19 (1968), S. 47-66; ders.: Die heilige Insel des Euhemerus in der Diodor-Überlieferung, in: RhM 108 (1965), S. 255-268; Zumschlinge, M.: Euhemeros. Staatstheoretische und staatsutopische Motive, Diss. Bonn 1976; Vallauri, G.: Origine e diffusione dell'evemerismo nel pensiero classico, Turin 1960; Meissner, B.: Historiker zwischen Polis und Königshof. Studien zur Stellung der Geschichtsschreiber in der griechischen Gesellschaft in spätklassischer und frühhellenistischer Zeit (Hypomnemata 99), Göttingen 1992.
3 Holzberg, N.: Novel-like Works of Extended Prose Fiction, II: A. Utopias and Fantastic Travel: Euhermeros, Iambulus, in: The Novel in the Ancient World (Mnemosyne Suppl.159), hrsg. v. G. Schmeling, Leiden 1996, S. 621-628.

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