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Titel
Rom. Die Geschichte der Stadt in der Antike


Autor(en)
Kolb, Frank
Erschienen
München 2002: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
783 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Markus Sehlmeyer, Institut für Altertumswissenschaften der Universität Rostock

Der Titel von Kolbs Buch ist genau zu lesen: Es handelt sich keineswegs um eine der unzähligen "Römischen Geschichten", sondern um eine umfassende chronologische Darstellung der Stadtentwicklung. Eine solche gab es bislang in deutscher Sprache überhaupt noch nicht; es wären hier allenfalls ein paar topographische Handbücher des 19. Jahrhunderts zu nennen.1 Kolbs Werk ist zuerst 1995 erschienen und liegt nun in einer leicht bearbeiteten und um einen Nachtrag erweiterten Ausgabe vor. Anregungen der Rezensionen wurden teilweise aufgegriffen,2 doch sind die Textseiten (S. 1-672) kaum verändert. Die Anmerkungen wurden dagegen überarbeitet (S. 673-724). Die Entwicklung Roms von einer bronzezeitlichen Siedlung zur Stadt und später zur Metropole bis in die Zeit Diokletians wird von Kolb anschaulich geschildert. Sein Buch gerät so zu einer äußerst lohnenswerten Lektüre. Zunächst soll der Argumentationsgang des Buches knapp nachvollzogen werden, um dann einen genaueren Blick auf den Nachtrag (S. 752-754) zu werfen.

Die Einleitung (Kapitel 1) behandelt Lob und Kritik der Stadt Rom in der Antike und nennt wichtige Quellen. Das Rombild in Mittelalter und Neuzeit kommt dagegen ein wenig zu kurz.3 Kapitel 2 faßt Grabungsbefunde und neueste urbanistische Forschungen zur Siedlungsgeschichte Roms zusammen. Für diese frühe Zeit lehnt Kolb die Bezeichnung Roms als Stadt zu Recht ab (S. 62). Wie auch in der jüngeren Kontroverse um den Charakter Trojas in der späten Bronzezeit zeigt sich hier Kolbs große Erfahrung in der Beurteilung siedlungsgeographischer Befunde.4 Im Kapitel 3 zur Urbanisierung Roms unter den Etruskern nennt Kolb wichtige Belege zur frühesten Bebauung des Forum Romanum, des Forum Boarium und des Kapitols. Auch in der Zeit bis 387 v.Chr. ist noch keine Erweiterung der Stadt zu beobachten, die Rom über andere Städte Latiums herausheben würde, was in Kapitel 4 thematisiert wird.

Erst in den Jahren von 387 bis 265 v.Chr. wurde Rom die Hauptstadt Italiens (Kapitel 5). Die bessere Überlieferungslage ermöglicht nun auch Aussagen zur sozialen Situation in der Stadt. In Kapitel 6 behandelt Kolb die weitere Entwicklung bis in die Gracchenzeit und macht dabei deutlich, wie sich die römische Expansion im Positiven wie im Negativen auf Stadtbild und städtische Wirtschaft auswirkte. In der späten Republik haben Sulla, Pompeius und Caesar das Stadtbild wesentlich verändert, indem sie neue Mittel adliger Selbstdarstellung schufen. Danach schlägt Kolb den Bogen zu den Lebensverhältnissen der Plebs und bietet Einblicke in den Alltag der Bürgerkriegszeit (Kapitel 7).

Der Teil über die Kaiserzeit ist stärker systematisch gegliedert. Es geht um das Verhältnis von Stadt und Umland (Kapitel 8), die Entwicklung Roms zum Herrschersitz (Kapitel 9) sowie um Stadtausbau und Wohnverhältnisse (Kapitel 10). Die sozialhistorischen Bemerkungen rücken stärker in den Vordergrund, wobei das große inschriftliche Material tieferen Einblick in die sozialen Verhältnisse gewährt.5 Im Kapitel 11 zur Bevölkerung und zum Wirtschaftsleben beläßt Kolb es nicht bei Angaben über die Bevölkerungsgröße, sondern problematisiert auch die ethnische Zusammensetzung und Erwerbstätigkeit der Einwohner. Das 12. Kapitel über die Verwaltung behandelt die Stadteinteilung, die Nahrungsmittelversorgung, die Wasserwirtschaft, das Bauwesen und vieles mehr. Unter der Überschrift "Salus et Circenses" unterstreicht Kolb im Kapitel 13 die kulturgeschichtliche Bedeutung von Thermen und Amphitheatern. In "Religion und Kult" (Kapitel 14) wendet er sich Mysterienreligionen, Judentum und Christentum zu, wobei die topographischen Aspekte durch gute Karten der einzelnen Kultstätten hervortreten. Mit der Stadtentwicklung im 3. Jahrhundert n.Chr. befaßt sich Kolb schließlich im 15. Kapitel. Auch der Abschnitt zur Kaiserzeit bietet eine interessante und griffige Zusammenschau unserer urbanistischen und kulturhistorischen Erkenntnisse, die in vielen Fällen weiterführend ist.

Der Anmerkungsteil gibt Kolbs Werk Handbuchcharakter. Die detaillierten Anmerkungen sind für eine wissenschaftliche Beschäftigung mit der Stadt Rom von großem Nutzen, ermöglichen sie doch einen schnellen Zugang zu Quellen und Literatur. Versehen wurden gegenüber der 1. Auflage beseitigt. Leider sind nicht alle Aussagen des Textteils belegt, wofür Kolb sich im Vorwort mit ökonomischen Zwängen entschuldigt (S. 7). Das Literaturverzeichnis weist 530 exzellent ausgewählte Titel bis zum Jahre 1995 auf, hinzu tritt die Spezialliteratur in den Anmerkungen.

Neuere Forschungsarbeiten nennt Kolb allerdings nur in einem dreiseitigen Nachtrag, der in seiner gedrängten Darstellung wohl zu kurz geraten ist, um einen Überblick über die Impulse der Forschung in der zweiten Hälfte der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts zu geben. Kolb verweist auf das große "Lexicon Topographicum Urbis Romae", das in der Tat einen Meilenstein darstellt. Hart geht er mit Carandini ins Gericht, dessen Monographie über die Ursprünge Roms gerade auf deutsch erschienen ist.6 Man hat in der Tat das Gefühl, daß Carandini mit seinem Buch die Mythen der römischen Frühzeit zu historisieren versucht. Heroen wie Romulus werden dann schnell zu historischen Personen, deren Bauten in Rom Carandini bespricht - eine fatale Fehlentwicklung in der archäologischen Erforschung des frühen Roms, wie Kolb deutlich macht, und dies in gewohnt scharfem Ton (vgl. etwa die "Romulus-Obsession", S. 752). Weitere Neufunde bzw. Neuansätze in der Datierung des Comitium oder des kapitolinischen Jupiter-Tempels werden kurz gestreift. Weiterhin erwähnt Kolb neben einigen sozialhistorischen Monographien auch Arbeiten zum Augustus- und Trajans-Forum. Am Ende entschuldigt sich Kolb bei unerwähnt gebliebenen Autoren dafür, aus "Raumgründen nicht auch auf ihre Publikationen eingehen" zu können (S. 754).

In der Tat sind viele wichtige Aspekte auf den drei Seiten unerwähnt geblieben, und man ist sehr verwundert, daß der Beck-Verlag anscheinend keinen weiteren Bogen von 16 oder 32 Seiten opfern wollte. Manche neuere Fragestellung wäre sicher noch einer Erwähnung im Nachtrag wert gewesen, so die Forschungen zum Gedächtnisraum Rom, die unter anderem an den Universitäten Dresden 7 und Köln 8 derzeit verstärktes Interesse finden. Der Brand Roms unter Nero hat kürzlich sogar in einer britischen Fernsehserie Resonanz erfahren, u.a. mit Diskussionsbeiträgen von Baudy, Carandini, Hurst und Purcell.9 Packers Rekonstruktion des Forum Traianum stellt ebenfalls einen Meilenstein dar,10 von den ständigen neuen Ausgrabungen in Rom selbst gar nicht zu reden, die jetzt sogar in ein weiteres Lexikonprojekt münden.11 Dennoch bleibt es das Verdienst Kolbs, die maßgebliche und zudem hervorragend lesbare Darstellung der Stadtgeschichte Roms vorgelegt zu haben.

Anmerkungen

1 F. Coarellis Gesamtdarstellung (Guida archeologica di Roma antica) ist stärker topographisch orientiert, sie liegt auch auf deutsch vor (Rom, 3. Aufl. Mainz 2001). Die Fortschritte der archäologischen Forschung seit den Handbüchern des 19. Jahrhunderts - genannt sei nur das vierteilige Werk von H. Jordan und Chr. Hülsen - sind aus einem monumentalen Lexikon ersichtlich, dessen erste Bände zumindest von Kolb herangezogen wurden: Lexicon topographicum urbis Romae, hrsg. v. E. M. Steinby, 6 Bde., Rom 1993-2000.
2 Am umfangreichsten ist die Besprechung von Dietmar Kienast, Göttingische Gelehrte Anzeigen 250 (1998), S. 2-27.
3 Vgl. Purcell, N.: The City of Rome, in: The Legacy of Rome. A new appraisal, hrsg. v. R. Jenkyns, Oxford 1992, S. 421-453.
4 Kolb stützt sich unter anderem auf seine Untersuchung "Die Stadt im Altertum" (München 1984). Nach einer längeren Grabungstätigkeit in Lykien (vgl. die von ihm herausgegebene Reihe "Lykische Studien", Bonn 1993 ff.) hat er sich seit dem Sommer 2001 als schärfster Kritiker des Troja-Ausgräbers M. Korfmann erwiesen. Vgl. zu dieser Kontroverse den Tagungsbericht des Troja-Symposions in H-Soz-u-Kult (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/index.asp?id=9&pn=tagungsberichtechte).
5 Etwa in den Teilbänden 2 und 3 des Corpus Inscriptionum Latinarum VI 8 (Supplement zu den kaiserzeitlichen Inschriften Roms), hrsg. v. G. Alföldy u. S. Panciera, Berlin 1996 ff.
6 Vgl. Carandini, A.: Die Geburt Roms, Düsseldorf 2002. Die italienische Originalausgabe (La nascita di Roma, Turin 1997) ist jüngst von T. P. Wiseman kritisch hinterfragt worden (Journal of Roman Studies 90, 2000, S. 210-212), ebenfalls mit scharfer Kritik.
7 Vgl. die archäologischen Aufsätze in: M. Braun/ A. Haltenhoff/ F.-H. Mutschler (Hrsg.), Moribus antiquis res stat Romana, München/Leipzig 2000 oder die Beiträge von T. Hölscher und U. Walter in: G. Melville (Hrsg.), Institutionalität und Symbolisierung, Köln/Weimar 2000.
8 Vgl. z.B. Hölkeskamp, K.-J.: Exempla und mos maiorum. Überlegungen zum kollektiven Gedächtnis der Nobilität, in: H.-J. Gehrke/ A. Möller (Hgg.): Vergangenheit u. Lebenswelt, Tübingen 1996, S. 301-338 oder der Beitrag von U. Walter, siehe Anm. 7.
9 Channel Four strahlte im Dezember 2001 vier kurze Filme aus, die sich mit der Kernfrage "Unfall oder Brandstiftung?" befaßten. Neben neueren Ausgrabungen (vgl. Carandini) bot dazu ein Büchlein von G. J. Baudy Anlaß, das in der jüngeren Forschung zur Topographie und überhaupt Geschichte Roms zu wenig Resonanz gefunden hat (Die Brände Roms, Hildesheim 1991). Kolb bietet auf S. 629 eine löbliche Ausnahme, denn er hält Baudys These, daß eine Splittergruppe der frühen Christen den Brand gelegt hat, durchaus für möglich.
10 Packer, J. T.: The Forum of Trajan in Rome, 2 Bände und Beilagen (Karten, Microfiches), Berkeley 1997.
11 La Regina, A. (Hrsg.), Lexicon Topographicum Urbis Romae. SUBURBIUM 1 (A-B), Rom 2002 - zu spät für eine Erwähnung bei Kolb.

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