E. Winter: Rom und das Perserreich

Cover
Titel
Rom und das Perserreich. Zwei Weltmächte zwischen Konfrontation und Koexistenz


Autor(en)
Winter, Engelbert; Beate Dignas
Reihe
Studienbücher. Geschichte und Kultur der Alten Welt
Erschienen
Berlin 2001: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
334 S.
Preis
€ 34,80
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Axel Gebhardt, Institut für Klassische Altertumskunde, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel

Innerhalb der letzten Jahre ist ein wachsendes Interesse der altertumskundlichen Forschung am Reich der Sasaniden zu beobachten, welches seinen Niederschlag in einer Reihe wichtiger Kolloquien und Publikationen gefunden hat, wie insbesondere die Eutiner Sasaniden-Tagung vom Sommer 2000 1 sowie die hervorragende Neuedition des "Tatenberichtes" des Königs Shapur I. durch Philipp Huyse.2 Handelt es sich hierbei freilich um mitunter überaus komplizierte Detail- und Spezialuntersuchungen, die nicht zuletzt auch ein hohes Maß an sprachlicher Kompetenz voraussetzen, bietet der vorliegende - nunmehr fünfte - Band aus der Reihe "Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt" erstmals auch einem breiteren Publikum die Möglichkeit, sich einen Einblick in die Quellenlage und den aktuellen Forschungsstand zur Geschichte der Perser in der Spätantike zu verschaffen.

Unter dem Titel "Rom und das Perserreich" konzentrieren sich die Autoren - beides international anerkannte und vielfach ausgewiesene Experten auf diesem Gebiet - allerdings von vornherein auf die westliche Außenpolitik des Sasanidenreiches bzw. die römisch/ byzantinisch-sasanidischen Beziehungen. Innersasanidische Verhältnisse hingegen, wie z.B. Fragen der Religionspolitik und Herrschaftsauffassung der sasanidischen Könige, werden in der Regel nur dann thematisiert, wenn sie in unmittelbarem oder zumindest doch mittelbarem Zusammenhang mit dem Verhältnis der Sasaniden zu ihren römisch/ byzantinischen Nachbarn gesehen werden.

Wie bereits die vorausgegangenen Publikationen aus der Reihe "Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt" besteht auch der vorliegende Band im wesentlichen aus zwei - in ihrem Umfang freilich deutlich divergierenden - Hauptteilen: Es ist dies zunächst ein Überblick über die römisch/ byzantinisch-sasanidischen Beziehungen (Kap. I; S. 25-71), innerhalb dessen außer dem römisch/ byzantinisch-sasanidischen Verhältnis auch kurz die Arsakidendynastie in ihrem Verhältnis zu Rom thematisiert wird. Dem schließt sich in Kap. II ein knapp zwei Drittel des Buches umfassender "Materialteil" (S. 75-271) an, untergliedert in sieben Unterkapitel: 1. Außenpolitische Zielvorstellungen (der Sasaniden) (S. 75-85); 2. Die militärischen Konflikte (S. 87-140); 3. Die diplomatischen Lösungen (S. 141-181); 4. Die Arabienpolitik der Großmächte (S. 183-203); 5. Gemeinsame Interessen - Ursachen anhaltender Konflikte (S. 205-227); 6. Religionspolitik der Großmächte - Christentum und Zoroastrismus (S. 229-250); 7. Informationsaustausch zwischen Ost und West (S. 251-271). Insgesamt umfaßt dieser "Materialteil" über 70 vor allem literarische Quellen zumeist römischer Provenienz, die in Übersetzung mit Kommentar und umfangreichen Literaturverweisen vorgestellt werden. Hinzu kommen neun Karten, die jeweils älteren Publikationen der 80er und 90er Jahre entnommen sind.

Dem historischen Überblick und dem "Materialteil" schließt sich ein rund 60-seitiger "Anhang" an, bestehend aus einer sehr nützlichen, 176 Titel umfassenden (Auswahl-)Bibliographie (S. 275-285), einer Liste der sasanidischen Herrscher (S. 287f.), einer Zeittafel (S. 289-293), einem - in seinen Auswahlkriterien nicht ganz nachvollziehbaren - Glossar (S. 296-301), dem Abbildungsverzeichnis (S. 303f.) sowie einem Register der übersetzten Quellen (S. 305-310) und schließlich dem eigentlichen Register, unterteilt nach Quellen, Namen, Ortsangaben und Sachen (S. 311-334).

Eine wesentliche Stärke des Buches ist seine zweifelsohne wohldurchdachte Konzeption, die es auch dem nicht fachkundigen Leser von vornherein ermöglicht, ohne große Mühe die Verflechtungen und Bezüge zwischen den einzelnen Quellen bzw. den historischen Ereignissen zu erfassen. Hierbei erweisen sich insbesondere die auch drucktechnisch deutlich hervorgehobenen Querverweise zwischen den einzelnen Unterkapiteln bzw. zwischen Darstellungs- und Materialteil als große Hilfe. Zudem stellen die Verfasser die jeweiligen Quellengattungen bzw. -autoren kurz, prägnant und allgemeinverständlich vor. Es gelingt ihnen in vorbildlicher Weise, die Aussagen der Quellen mit ihren eigenen Kommentaren und Literaturverweisen zusammenzuführen und schließlich die wesentlichen Strukturen historischer Interaktion ebenso kompetent wie deutlich herauszuarbeiten.

Sehr positiv hervorzuheben ist - neben einer durchweg ausgezeichneten Lesbarkeit - außerdem die Tatsache, daß man sich bei der Auswahl der Quellengattungen nicht ausschließlich auf literarische Quellen beschränkt hat, sondern darüber hinaus numismatisches, epigraphisches, archäologisches/ kunsthistorisches Material herangezogen hat, wie beispielsweise den Galeriusbogen in Thessaloniki, das Triumphrelief Shapurs I. in Bishapur, die sogenannte "Pariser Kamee" mit der Darstellung der Gefangennahme Valerians durch Shapur I. oder sogar ein Teppichfragment aus Antinoë in Ägypten. Gleichwohl überwiegt die literarische Überlieferung doch deutlich (im Verhältnis etwa 7:1), und vielleicht hätte man zumindest die archäologischen (sowie numismatischen) Quellen noch stärker heranziehen sollen: Sind sie es doch, die zu einem ganz wesentlichen Teil unser (spärliches) Wissen nicht zuletzt auch um die außenpolitischen Dimensionen der sasanidischen Geschichte bestimmen.

Der thematische Schwerpunkt sowohl des historischen Überblicks als auch des "Materialteils" liegt unübersehbar im Bereich der zahllosen militärischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Großreichen (Kap. II.2) und den daraus resultierenden Friedensverträgen (Kap. II.3), beginnend mit den ersten Zusammenstößen der 230er Jahre bis hin zu den letzten großen Kriegen unmittelbar vor Zusammenbruch des sasanidischen Reiches gegen Mitte des 7. Jhs. Es stellt sich allerdings die Frage, ob in diesem Zusammenhang die Verhältnisse in Armenien - als einem der wichtigsten Schlüssel zum Verständnis der sasanidisch-römisch/ byzantinischen Beziehungen überhaupt - trotz aller (leider aber eher unsystematischen) Hinweise nicht mehr Beachtung verdient gehabt hätten.

Besondere Aufmerksamkeit erfahren die Ereignisse des 3. und 6. Jhs. - wie insbesondere die Niederlage des Narses gegen Galerius mit dem anschließenden Vertrag des Jahres 298 sowie die Friedensregelungen des Jahres 562, denen allein 14 Seiten gewidmet werden. Verhältnismäßig wenig Umfang (knapp 11 Seiten) wurde hingegen dem gesamten 5. Jh. als einer Phase eines insgesamt friedlichen sasanidisch-römisch/ byzantinischen Verhältnisses zugemessen.

Eng verwandt mit dem Themenkreis der militärischen Konflikte und diplomatischen Lösungen bzw. Lösungsversuche der Kap. II.2 und 3 ist Kap. II.4 zur Arabienpolitik beider Großmächte, aber sicherlich auch Kap. II.5, in dem im wesentlichen die römisch/ byzantinisch-sasanidischen Vereinbarungen über den Handelsverkehr sowie die beiderseitigen Abkommen zur Sicherung der Kaukasuspässe gegen die Bedrohung durch nördliche Barbaren betrachtet werden. Dabei war vor allem letzteres ein überaus heikles Thema und führte wiederholt zu heftigen diplomatischen Spannungen bis hin zu militärischen Konfrontationen. Zweifelsohne ist es aber das Verdienst der Autoren, herausgearbeitet zu haben, daß die Grenzsicherung gegen Dritte trotz allen Konfliktpotentials zugleich auch die Chance eines sogar militärischen Miteinanders beider Großmächte in sich barg. Gleiches gilt natürlich auch für den Handel, und auch hier haben die Verfasser dankenswerterweise außer den großen Vertragswerken und Bestimmungen von 298 und 408/9 auch solche Quellen angeführt, die darauf schließen lassen, daß zwischen Römern/ Byzantinern und Sasaniden keineswegs nur der Konflikt der Interessen vorherrschte.

Ein besonderer Aspekt des Verhältnisses beider Mächte ist der gesamte Bereich der Religionspolitik. Dabei ist vor allem in der älteren Forschung ein latentes Spannungsverhältnis zwischen Christentum und Zoroastrismus postuliert worden, welches spätestens als Folge der "Konstantinischen Wende" zu einem verschärften Gegensatz geführt habe, vor dessen Hintergrund insbesondere die sasanidisch-byzantinischen Kriege des 7. Jhs. sogar als regelrechte "Religionskriege" zu interpretieren seien. Dignas und Winter hingegen scheinen gegenüber einer derartigen Sichtweise (wohl zu Recht) eher skeptisch zu sein und entwickeln in Kap. II.6 ein angenehm differenziertes Bild sowohl der innersasanidischen Religionspolitik als auch ihres Wechselverhältnisses mit dem nunmehr christlichen Nachbarn im Westen. Demnach präsentiert sich die Haltung der Sasanidenherrscher gegenüber den Christen auch nach der "Konstantinischen Wende" als durchaus unsystematisch und regional verschieden, wobei sich mit Dignas/ Winter Phasen scharfer Verfolgungen mit solchen weitestgehender Indifferenz bis hin zu wohlwollender Tolerierung wie speziell z.Zt. Yazdgards I. abwechseln. Insofern muß man es zu bedauern, daß Dignas und Winter dem wichtigen Aspekt der Religionspolitik insgesamt nur knapp 22 Seiten gewidmet haben, zumal sie mehrmals darauf hinweisen, daß der gesamte Themenbereich weitaus komplexerer Natur ist, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag.

Der "Materialteil" schließt mit einem Kapitel (II.7.) zum "Informationsaustausch zwischen West und Ost". Freilich liegt auch hier der Schwerpunkt auf der Ebene der "großen Politik", allen voran den verschiedenen Formen diplomatischen Verkehrs, der Spionage und des Überläufertums. Besondere Bedeutung wird schließlich den Massendeportationen im Rahmen der großen kriegerischen Auseinandersetzungen und Feldzüge vor allem des 3. und 6. Jhs. beigemessen, von denen jedoch nahezu ausschließlich die sasanidische Seite profitiert habe. So betonen die Autoren mehrfach die positiven Auswirkungen der Ansiedlung kriegsgefangener Facharbeiter und Handwerker auf die sasanidische Ökonomie, insofern diese westliches Know-how und technologisches Spezialwissen fortan in den Dienst der sasanidischen Herrscher gestellt hätten, wie beispielsweise im Falle des Staudammes von Sostar (Shushtar) oder der Palastanlagen von Bishapur. Doch habe man nicht nur von rein pragmatischen Motiven auszugehen: Agathias nämlich und andere Quellen wüßten darüber hinaus von einem auch ausgeprägten Interesse Xusros I. "an westlicher Literatur und Philosophie" (S. 267) zu berichten. Ob derartige Phänomene des "Technologietransfers" sowie des kulturellen Interesses indessen auch in umgekehrter - d.h. ost-westlicher - Richtung zu beobachten sind und das Sasanidenreich eventuell sogar als Mittler fernöstlich-indischen Kulturgutes fungiert hat, bleibt leider unbeantwortet, so daß das Kapitel spätestens an dieser Stelle durch ein gewisses Ungleichgewicht in Bezug auf den Leitbegriff "Informations_austausch_" gekennzeichnet ist.

Es wäre sicherlich unfair, an einem insgesamt hervorragenden Buch, dessen Autoren vor dem schier unlösbaren Dilemma gestanden haben, aus einer Fülle von Quellen eine möglichst ausgewogene und für die angestrebte Zielsetzung repräsentative Auswahl zu treffen, just diese Auswahl zu kritisieren. Insofern mögen die folgenden Ausführungen auch weniger als grundsätzliche Kritik denn als ergänzende Überlegungen eines Rezensenten verstanden werden, der sich glücklicherweise nicht vor das Problem der Quellenauswahl gestellt sah: Das Buch trägt den Untertitel "Zwei Weltmächte zwischen Konfrontation und Koexistenz". Sehr schnell stellt man jedoch fest, daß der (bei weitem) überwiegende Teil den militärischen Konflikten und ihren diplomatischen Vor- und Nachspielen gewidmet ist. Selbst solche Themenkomplexe wie Wirtschaft, Handel, Religionspolitik und Informationsaustausch werden trotz der genannten Ansätze hauptsächlich aus der "Konfrontationsperspektive" betrachtet. Dies mag zwar daran liegen, daß auch die antiken Quellen das römisch/ byzantinisch-sasanidische Verhältnis vornehmlich vor dem Hintergrund eines tatsächlichen oder auch nur imaginären Gegensatzes beider Reiche dargestellt haben und zweifelsohne den Phasen offener Konflikte größeres Interesse entgegenbrachten als solchen weitestgehender Ruhe.

Nichtsdestotrotz hätte man sich mitunter eine noch stärkere Betonung der auf Ausgleich bedachten Ansätze bis hin zu einer insbesondere im 5. Jh. zu konstatierenden regelrechten Kooperationsbereitschaft gewünscht. Gerade das 5. Jh. aber findet nur relativ geringe Beachtung (insgesamt nur ca. 11 Seiten im Darstellungs- bzw. Materialteil), und der alles andere als selbstverständlichen Tatsache, daß Byzanz den Sasaniden schließlich sogar militärische Unterstützung im Kampf gegen die Hephthaliten hat zukommen lassen, werden lediglich zwei kurze Sätze gewidmet (S. 56). Insofern mag sich auch die Frage stellen, bis zu welchem Grad sich das römisch/ byzantinisch-sasanische Verhältnis tatsächlich unter einem allgemeinen "Leitmotiv" der "Auseinandersetzungen zwischen West und Ost" (S. 21) subsumieren läßt, wie dies der einleitende Satz der mit "Die Auseinandersetzungen zwischen West und Ost als historisches Phänomen" übertitelten "Einführung" zu suggerieren scheint.

Doch unabhängig davon, ob es z.Zt. der Sasaniden so etwas wie einen grundsätzlichen und im wesentlichen auf Konfrontation ausgerichteten Ost-West-Konflikt gegeben hat, mag sich die Frage nach den ganz konkreten Hintergründen, Anlässen und Verantwortlichkeiten der in der Tat unbestritten hohen Anzahl kriegerischer Auseinandersetzungen stellen. Dignas und Winter scheinen die Antwort im programmatischen Streben der sasanidischen Herrscher als (selbsternannte) Erben der Achaimenidenkönige nach u.a. territorialer Wiederherstellung des alten Perserreiches zu sehen. Wie anders jedenfalls sollte man das erste Kapitel unter der Überschrift "Außenpolitische Zielvorstellungen [der Sasaniden]", untergliedert in die Unterkapitel "Territoriale Ansprüche der Sasaniden gegenüber Rom" und "Achaimenidennachfolge als außenpolitisches Programm" verstehen? Denn obwohl die einschlägigen Quellenzeugnisse aus einer Zeit nicht nach etwa Mitte des 4. Jhs. stammten, "dürfte ... die bis ins 7. Jahrhundert hinein erkennbare Dynamik sasanidischer Westpolitik wesentlich von dem ehrgeizigen Wunsch nach Wiederherstellung der achaimenidischen Grenzen bestimmt worden sein ..." (S. 84) Damit aber treten die Sasaniden, "die - so die Autoren - im Unterschied zu ihren [arsakidischen] Vorgängern eine Vorrangstellung Roms nicht anerkannten" (S. 216),3 von vornherein als Aggressoren und mithin Hauptverantwortliche für die zahlreichen römisch/ byzantinisch-sasanidischen Kriege des 3.-7. Jhs. auf, die beide Reiche schließlich an den Rand der völligen Erschöpfung geführt hätten und somit den arabisch-islamischen Siegeszug erst ermöglicht hätten. Demgegenüber erscheint die römische Außenpolitik im Osten im Lichte eines mehr oder weniger reaktiven Strebens nach Wahrung des eigenen Besitzstandes. So habe man zwar den ideologischen "Anspruch, den Erdkreis beherrschen zu wollen" (S. 77) erhoben, doch bezeichnenderweise sei es erst zur (Dauer-) Konfrontation gekommen, als das "außenpolitische Programm der sasanidischen Könige ... dem Weltherrschaftsanspruch Roms entgegengesetzt wurde." (S. 84) Die Frage sei erlaubt, ob ein solches Bild einer kritischen Überprüfung der Quellen standhalten kann.

Anmerkungen

1 Der dazugehörige Kolloquiumsband ist in Vorbereitung und wird innerhalb der nächsten Monate in der Reihe "Oriens et Occidens" (Steiner-Verlag) vorgelegt werden.
2 Huyse, Philip: Die dreisprachige Inschrift Šabuhrs I. an der Ka'ba-i Zardušt (ŠKZ), 2 Bd., London 1999 (Corpus Inscriptionum Iranicarum, Part III Pahlavi Inscriptions, Vol. 1 Royal inscriptions, with their Parthian and Greek versions; Texts I).
3 Kann man wirklich davon sprechen, daß die Arsakiden "eine Vorrangstellung Roms … anerkannten …"?

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