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Titel
Christus verus Sol. Sonnenverehrung und Christentum in der Spätantike


Autor(en)
Wallraff, Martin
Reihe
Jahrbuch für Antike und Christentum, Erg.-Band 32
Erschienen
Münster 2001: Aschendorff Verlag
Anzahl Seiten
248 S., 8 Tafeln
Preis
€ 50,20
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Ulrich Lambrecht, Institut für Geschichte, Universität Koblenz-Landau

Was hat die religiöse Verehrung der Sonne, speziell der Kult des Sol invictus mit der Bezeichnung "Sonne der Gerechtigkeit" 1 für Christus zu tun? In welchem Verhältnis zueinander stehen die "heidnisch" und die christlich geprägten monotheistischen Vorstellungen? Antworten auf diese Fragen führen nicht nur in zentrale religionsgeschichtliche Entwicklungen der Spätantike, sie illustrieren auch die Einbindung des Christentums in den antiken Kulturraum und den römischen Staat und zugleich das Selbstverständnis der neuen Religion in der Zeit ihrer inneren und äußeren Konsolidierung. Der Patristiker Martin Wallraff, vor einigen Jahren hervorgetreten mit einer Arbeit über die Geschichtsdarstellung des Kirchenhistorikers Sokrates,2 rollt in seiner der Bonner evangelisch-theologischen Fakultät vorgelegten Habilitationsschrift diese Fragestellung grundsätzlich auf und untersucht für den Zeitraum vom 3. bis 5. Jahrhundert Bezüge zwischen Sonnenverehrung und Christentum.

Dabei knüpft er an Forschungen von Hermann Usener,3 Franz Cumont,4 vor allem aber Franz Joseph Dölger 5 und zuletzt Hugo Rahner 6 an, die im wesentlichen in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Sonnenthematik religionsgeschichtlich untersucht haben. Er führt das nunmehr viele Jahrzehnte nicht mehr umfassend, sondern lediglich in Spezialaspekten erforschte Thema jedoch auf der Grundlage sorgfältiger methodischer Überlegungen zum Beispiel hinsichtlich der Frage nach Kontinuität und Innovation und nach wechselseitigen Beeinflussungen völlig neu aus. Dabei bezieht Wallraff alle erhaltenen Quellen zum Thema ein, nicht nur die Literatur, auch gegenständliche Quellen, Inschriften, Papyri, Münzen, wobei der Theologe methodisch und inhaltlich souverän auf das Repertoire von Nachbarfächern wie Alte Geschichte und (christliche) Archäologie zurückgreift, um zu umfassend gesicherten, sämtliche Dimensionen des Verhältnisses von Sonnenkult und Christentum einbeziehenden Ergebnissen zu gelangen. Er entscheidet sich für eine systematisch-thematische Vorgehensweise, mit deren Hilfe er den in den Quellen angelegten Kategorien und der chronologischen Reihenfolge nahe bleibt.

Die Durchführung des Themas im einzelnen ist dreigeteilt: Wallraff klärt zunächst mit Darlegungen zur Sonne im biblischen bzw. frühchristlichen Schrifttum und in der heidnischen Kultur des Mittelmeerraums wesentliche Voraussetzungen für sein Thema (S. 19-39), aus denen hervorgeht, daß im biblischen Kontext "die Sonne als religiöse Bezugsgröße eine marginale Rolle spielt" (S. 26) und auch im griechisch-römischen Bereich erst im 3. Jahrhundert n. Chr. die Zeit für eine herausgehobene Stellung der Sonnengottheit reif war, wobei Entwicklungen in so unterschiedlichen Bereichen wie Astrologie, Mysterienreligionen, Politik, neuplatonischer Philosophie ihren Anteil daran hatten, daß sich das neue Phänomen spätantiker Sonnenverehrung etablieren konnte. Die der Zeit entsprechende monotheistische Ausrichtung des Sonnenkultes führt Wallraff zu der Frage nach den Kontaktstellen, an denen "es zur Auseinandersetzung zwischen Sonnenverehrung und Christentum kam" (S. 39).

Im zentralen zweiten Kapitel behandelt er daher nacheinander sieben Themen, die hierzu aufschlußreiche Beiträge liefern: die Bezüge zwischen Sonne und Christologie, die Sonne als Grund für die christliche Gebetsostung, Sonne und christlichen Sonntag, die Sonne und ihre Bedeutung für das christliche Osterfest, die Sonne und das christliche Staatsdenken, die Sonne in der christlichen Kunst sowie die Sonne und das Weihnachtsfest (S. 41-195).

Als Motive für die solare Terminologie in bezug auf Christus (Kap. 2.1) stellt Wallraff zum einen missionarische und apologetische Bemühungen im Zusammenhang mit der paganen Umgebung heraus (Überbietung, Topik, zum Beispiel bei Klemens von Alexandrien), des weiteren die Perzeption neuplatonischen Gedankenguts im zweifachen (materiellen und ideellen) Sonnenbegriff und die christologische Interpretation der "Sonne der Gerechtigkeit" (Maleachi 3,20) durch Origenes. Von der Sonnenmetaphorik strahlte die Sol-Christologie auf weitere Bereiche aus, die er im folgenden auffächert.

Die mit der Frage nach den Gründen für die christliche Gebetsostung (Kap. 2.2) zusammenhängenden Schwierigkeiten stellt Wallraff differenziert heraus: Die Ursprünge des Brauches sind alt und liegen weitgehend im Dunkeln, bei der Deutung kann aber die Sonne sehr wohl eine Rolle spielen. Die christologische Interpretation - Auferstehung, Himmelfahrt, Wiederkehr Christi werden gedanklich im Osten lokalisiert - wirkt auch ohne explizite solare Bezüge plausibel. Gerade bei Brauch und Bedeutung unterscheidet Wallraff methodisch und inhaltlich sorgfältig zwischen Unwägbarkeiten und vertretbarer Interpretation. Nicht anders erarbeitet er die Bezüge zwischen der Sonne und dem christlichen Sonntag (Kap. 2.3); auch hier laufen mehrere Linien nebeneinander her und werden schließlich zusammengeführt: die aus dem 2. Jahrhundert stammende Sonntagspraxis der Christen, die im 3. Jahrhundert eingeführte Bezeichnung dieses Tages nach der Sonne im Rahmen der Planetenwoche, Konstantins Sonntagserlaß von 321, ursprünglich ohne christlichen Bezug,7 dann die Deutung im christlichen Sinne durch Euseb von Caesarea, der für das allgemeine Publikum in den Konstantin-Schriften die solare Komponente verklausuliert, die er dem Fachpublikum gegenüber im Psalmenkommentar (Commentarius in psalmos 91,2f.) offen anspricht.

In bezug auf Sonne und Osterfest (Kap. 2.4) unterscheidet Wallraff genau die Wechselwirkungen, Ausweitungen und Veränderungen im Laufe des untersuchten Zeitraumes: In der konstantinischen Zeit wurde danach das Osterfest mit Hilfe verschiedener Motive zur Lichtfeier ausgestaltet, unter anderem durch Parallelisierung von Sonnenaufgang und Auferstehung der "Sonne der Gerechtigkeit". Aus der allmählichen Differenzierung zwischen Todes- und Auferstehungsfeier ließ sich ferner das Osterfest als Höhepunkt eines kultischen Dramas stilisieren. Das Geburtsfest am 25. Dezember (Geburt der Sonne, Geburt Christi) behandelt Wallraff aus chronologischen Gründen am Schluß (Kap. 2.7). Im Unterschied zum Osterfest wirkte hier nicht mehr paganes Herkommen auf christliche Elemente ein, sondern beide liefen nebeneinander her und werden von ihm als "parallele Erscheinungen, gewissermaßen unterschiedliche Ausflüsse der gleichen Strömung des Zeitgeistes" (S. 194) gekennzeichnet, die von den Christen zur Überbietung genutzt wurden, nicht mehr als Reaktion auf eine vorher vorhandene pagane Tradition.

Für die historische Dimension ist das Kapitel über die Sonne und das christliche Staatsdenken (Kap. 2.5) besonders wichtig. Wallraff stellt im Selbstverständnis Kaiser Konstantins die Tradition der Sonnenverehrung heraus, zu der die Förderung des Christentums hinzutrat, ohne die Sonne zu verdrängen. So zeigt er an den einschlägigen Berichten über die Lichtvision im Jahre 310, den Nachrichten im Zusammenhang mit der Schlacht an der Milvischen Brücke, am Konstantinsbogen, an der Münzprägung und am Sonntagserlaß, daß auch im "christlichen Kontext der Weg zu einer solaren Interpretation offengehalten wird" (S. 129), anders ausgedrückt: "Es handelt sich um den Versuch, die Sonnenreligion so ins Abstrakt-Diffuse zu weiten, daß auch das Christentum unter dem Dach einer solchen einheitlichen religiös-politischen Staatsideologie noch Platz finden konnte" (S. 130f.). Damit werden Auseinandersetzungen um die Bewertung von Konstantins persönlichem Verhältnis zum Christentum, wie sie in den 90er Jahren etwa durch Althistoriker wie Jochen Bleicken 8 und Klaus Bringmann 9 wieder aufgeflammt sind, in gewisser Weise aufgehoben (vgl. S. 126 Anm. 4; 130f. Anm. 24); gegenüber den konträren Positionen im Zusammenhang mit der Debatte um die Konstantinische Wende eröffnet Wallraff so eine neue Möglichkeit der Synthese.

Auch für die Jahre der Alleinherrschaft Konstantins belegt er die zwar monotheistische, aber ambivalente Vereinnahmung von Sonnenkult und Christentum für das imperiale Herrschaftsverständnis. Antiheidnische Maßnahmen richteten sich nicht gegen den Sonnenkult, wenngleich sich das Schwergewicht nach und nach zugunsten des Christentums verschob. Auch an Repräsentationsbauten in Konstantinopel stellt Wallraff solare Elemente heraus, und er vermag die widersprüchlich wirkenden einschlägigen Äußerungen des christlichen Theologen Euseb von Caesarea 10 mit diesen Tendenzen plausibel auf einen Nenner zu bringen. Eine solchermaßen zugleich auf solare und auf christliche Elemente zugeschnittene Religionspolitik ließ "auf dem Wege über die Kaiserideologie immer mehr solare Attribute auf Christus" (S. 143) übergehen. Letztlich förderte der Exklusivitätsanspruch des Christentums dessen Durchsetzung und brachte Konstantin dazu, ihm mehr und mehr entgegenzukommen.

Wie die solaren Elemente in das Christentum eingegangen sind, zeigt sich gegenüber der staatlichen Ideologie sehr konkret in der christlichen Kunst (Kap. 2.6): Strahlenkranz und Nimbus in Christusdarstellungen, das Verhältnis von Kreuz und Sonne in Kirchenbauten, schließlich der Bezug des Sol auf Christus erweisen augenfällig die christliche Ausdeutung indirekter und direkter Sonnenbezüge.

Zum Schluß faßt Wallraff im dritten Kapitel das Ergebnis seines verzweigten, doch immer zielgerichteten Untersuchungsganges zusammen (S. 197-205) und benennt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Sonnenverehrung und Christentum. Im Monotheismus sieht er den religiösen Grundzug der Spätantike, wobei das Christentum aufgrund seines Alleinvertretungsanspruchs den Sieg davontrug, "als von staatlicher Seite der Versuch unternommen wurde, auch dem Christentum unter dem Dach der Sonnenreligiosität einen Platz zuzuweisen" (S. 203). Die vielfältigen Einwirkungen des Sonnenkultes auf das Christentum und dessen Durchdringung mit solaren Elementen erarbeitet Wallraff in ganzer Breite, wobei er das Untersuchungsrepertoire, das neben den theologischen Disziplinen die Altertumswissenschaften zur Verfügung stellen, so souverän handhabt, daß am Ende ein abgerundetes und vielfach neues, anregendes Bild des Verhältnisses von Sonnenverehrung und Christentum vorliegt.

Wallraff klärt die methodischen Voraussetzungen, unter denen er forscht, generell wie im Einzelfall sorgfältig, so daß er mit guten Interpretationen und überzeugenden Ergebnissen aufwartet, die seinem Ziel in jeder Hinsicht dienlich sind. Mit der Bündelung einer weitverzweigten, auf Teilaspekte gerichteten Einzel- und Spezialforschung unter einer grundsätzlichen Fragestellung leistet er einen wichtigen Beitrag zu wesentlichen, von der antiken Kultur getragenen Grundlagen des Christentums und bringt die Forschung über die Bezüge zwischen Sonnenverehrung und Christentum Jahrzehnte nach Franz Joseph Dölger und Hugo Rahner methodisch und inhaltlich erheblich weiter. Er ist aber auch bei vermeintlichen Kleinigkeiten bemüht, wie zahllose Hinweise in Anmerkungen verraten, jeweils den neuesten Forschungsstand zu definieren oder aber auf offene Probleme hinzuweisen, die der Aufarbeitung harren. Ein ausführliches Literaturverzeichnis 11 und nützliche Register runden das Werk ab, mit dessen Ergebnissen auch die althistorische Forschung sich wird auseinandersetzen müssen.

Anmerkungen

1 Vgl. zum Beispiel das pietistisch inspirierte, heute dem ökumenischen Liedgut zugerechnete gleichnamige Kirchenlied; Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelische Kirche im Rheinland, die Evangelische Kirche von Westfalen, die Lippische Landeskirche, Gütersloh/Bielefeld/Neukirchen-Vluyn 1996, Nr. 262f.
2 Der Kirchenhistoriker Sokrates. Untersuchungen zu Geschichtsdarstellung, Methode und Person, Göttingen 1997 (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 68).
3 Das Weihnachtsfest. Kapitel I-III, Bonn 1889, 2. Aufl. Bonn 1911 (Religionsgeschichtliche Untersuchungen 1); Sol invictus, in: Rheinisches Museum für Philologie N. F. 60, 1905, S. 465-491.
4 La théologie solaire du paganisme romain, in: Mémoires présentés par divers savants à l'Académie des inscriptions et belles-lettres de l'Institut de France 12,2, 1913, S. 447-479.
5 Unter anderem: Sol salutis. Gebet und Gesang im christlichen Altertum. Mit besonderer Rücksicht auf die Ostung in Gebet und Liturgie, Münster 1920, 2. Aufl. Münster 1925 (Liturgiegeschichtliche Forschungen 4/5).
6 Griechische Mythen in christlicher Deutung, Zürich 1945, 3. Aufl. Zürich 1966.
7 Einen etwas anderen Eindruck erweckt die Darstellung bei Klaus M. Girardet, Die Konstantinische Wende und ihre Bedeutung für das Reich. Althistorische Überlegungen zu den geistigen Grundlagen der Religionspolitik Konstantins d. Gr., in: Ekkehard Mühlenberg (Hrsg.), Die Konstantinische Wende, Gütersloh 1998 (Veröffentlichungen der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie 13), S. 9-122, hier S. 96f. mit Anm. 361f.
8 Constantin der Große und die Christen. Überlegungen zur konstantinischen Wende, München 1992 (Historische Zeitschrift. Beihefte N. F. 15).
9 Die konstantinische Wende. Zum Verhältnis von politischer und religiöser Motivation, in: HZ 260, 1995, S. 21-47.
10 Vita Constantini I 43,3; laus Constantini 3,4; 10,2; 13,1.
11 Bei Johannes Straub, Vom Herrscherideal in der Spätantike, ist der Nachdruck von 1964 als Erstausgabe des Buches aufgenommen (S. 228; vgl. S. 126 Anm. 3); korrekt wären "Stuttgart 1939" und der Reihentitel "Forschungen zur Kirchen- und Geistesgeschichte 18" nachzutragen.

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