Cover
Titel
Herrscherideologie in der Spätantike.


Autor(en)
Kolb, Frank
Reihe
Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt
Erschienen
Berlin 2001: Akademie Verlag
Anzahl Seiten
274 S., 48 Abb.
Preis
DM 38,73 / EUR 20,40
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Goltz, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Obwohl sich in der Spätantike tiefgreifende Veränderungen in den Vorstellungen vom Kaisertum und in der Repräsentation des Herrschers vollzogen, die für das Herrscherbild im byzantinischen Reich prägend geworden sind und auch im mittelalterlichen Europa Wirkung entfalteten, hat sich bisher keine Studie systematisch und umfassend der Entwicklung der spätantiken Herrscherideologie - verstanden als "ein System von Ideen, Wertvorstellungen, Insignien und Zeremonien, welche die Existenz und das Handeln des Kaisers als Lenker des Imperium Romanum legitimieren und damit zugleich den Zusammenhalt des Reiches gewährleisten sollten" (S. 22) - gewidmet. In älteren Untersuchungen wurden zwar einzelne Aspekte behandelt (u.a. Johannes Straub, Wilhelm Ensslin), die Wurzeln der spätantiken monarchischen Repräsentation (Andreas Alföldi) bzw. deren weitere Entfaltung in Byzanz (Otto Treitinger) analysiert, aber die Entwicklungen in der Spätantike selbst wurden bisher nicht eingehend gewürdigt.1

Mit dem vorliegenden Buch unternimmt es der Tübinger Althistoriker Frank Kolb, diese Lücke zu füllen, und er tut dies derart anregend und informativ, daß man fast bedauert, daß seine Arbeit 'nur' im Rahmen der - für ihre Zwecke freilich vorbildlichen 2 - Studienbücher Geschichte und Kultur der Alten Welt erscheint. Zielsetzung und räumliche Beschränkung der Reihe erlauben letztlich keine erschöpfende Behandlung der Thematik,3 und Kolb versteht seine Studie daher als einen ersten "Überblick, der vielleicht auch einige neue Gedanken und vor allem aber Anregungen zur Vertiefung einzelner Aspekte enthalten soll" (S. 10). In dieser Hinsicht läßt die Arbeit kaum Wünsche offen.

Entsprechend dem generellen Aufbau der Studienbücher gliedert sich Kolbs Arbeit in einen Darstellungs- (S. 19-140) und einen Materialteil (S. 143-254), die beide von annähernd gleichem Umfang und auf vielfältige Weise miteinander verbunden sind. Wiederholt wird in der Darstellung auf die im Materialteil gebotenen Interpretationen ausgewählter literarischer, epigraphischer, numismatischer und archäologischer Zeugnisse verwiesen und umgekehrt. Auf diese Weise lassen sich Ergebnisse, Fragen und Probleme am konkreten Gegenstand vertiefen bzw. Quellen in einen weiteren Kontext einordnen.

Nach einigen einleitenden Bemerkungen (S. 19-24) beginnt Kolb seine Darstellung mit einem Kapitel über die Grundlegung der spätantiken Herrscherideologie unter der Tetrarchie (S. 25-58). Diocletian und seine Mitherrscher reagierten auf die Wirren der Soldatenkaiserzeit nicht nur mit Reformen in Wirtschaft, Verwaltung und Militär, sondern auch mit einer komplexen Herrschaftskonzeption, deren zentrale Elemente die auf Adoption beruhende dynastische Mehrkaiserherrschaft und die Überhöhung und gesteigerte Sakralisierung der herrscherlichen Stellung bildeten. Das Kaisertum sollte weitestgehend der Willkür des Militärs und familieninterner Zwistigkeiten entzogen werden, um häufige Usurpationen wie zur Zeit der Soldatenkaiser zu verhindern oder zumindest zu erschweren und eine Stabilisierung des Imperiums zu erreichen. Wie in seinen früheren Arbeiten zur Thematik betont Kolb in diesem Kontext, daß Diocletian bei seiner Konzeption der Tetrarchie zwar bestehende Traditionen aufgriff, aber durch Bündelung, Systematisierung und Neuinterpretation letztlich doch eine "z.T. geradezu revolutionäre Herrschaftsorganisation" (S. 22) schuf und daher einen Einschnitt in der Entwicklung des römischen Kaisertums und seiner Herrscherideologie bedeutet.

In acht Abschnitten führt Kolb aus, wie sich dieser Einschnitt konkret gestaltete - angefangen von der Formalisierung des Ablaufs der Kaisererhebung unter den Tetrarchen, über Diocletians Konzeption einer auf concordia beruhenden und eine domus divina bildenden Mehrkaiserherrschaft mit zwei Augusti, die ohne Beachtung des blutsdynastischen Prinzips zwei fähige Männer als präsumtive Nachfolger zu Caesares ernennen, adoptieren, an der Herrschaft beteiligen und schließlich durch Abdankung in ihre Positionen aufrücken lassen sollten, bis hin zu den Veränderungen in der Repräsentation des Kaisers. Sowohl das kaiserliche Zeremoniell (adoratio, Adventus-Zeremoniell, strengere Reglementierung des Zugangs zum Kaiser) als auch Tracht und Insignien des Kaisers (zunehmende und auf den Kaiser beschränkte Verwendung von Purpur, zunehmende Verzierung der Kleidung mit Juwelen und edlen Stoffen), das Herrscherbild (zunehmende Verwendung von Porphyr, Entindividualisierung der Porträts in der Tradition der Soldatenkaiser, Statuengruppen mit Betonung der similitudo und concordia der Herrscher, Herrscherideal mit Akzent auf militärischen und religiösen Tugenden und weitgehender Ausblendung der zivilen) und die Palastarchitektur (größere Dimensionen, Säle mit apsidalem Abschluß, wehrhafte Ummauerung) wurden im Sinne einer Überhöhung und Sakralisierung der kaiserlichen Stellung systematisiert und ausgestaltet. Dabei weist Kolb wiederholt darauf hin, daß zwar die generellen Entwicklungslinien deutlich erkennbar sind, im Detail aber zahlreiche Unsicherheiten bestehen, etwa hinsichtlich der Datierung oder konkreten Umsetzung einzelner Elemente.

Im anschließenden Kapitel wendet sich Kolb Constantin zu und analysiert in sechs Abschnitten dessen Beitrag zur spätantiken Herrscherideologie (S. 59-89). Ähnlich wie im militärischen und ökonomischen Bereich führte Constantin auch hier die Reformen Diocletians teils fort, teils veränderte er sie, wobei er durchaus experimentiert hat. Ein gravierender Unterschied besteht zunächst in Constantins Rückkehr zum blutsdynastischen Prinzip. Constantin war bereits aufgrund seiner Abstammung vom kaiserlichen Vater (später trat noch Claudius Gothicus hinzu) zur Herrschaft auserwählt und berechtigt. Gleiches galt für seine Söhne. Similitudo und concordia bestimmten nicht mehr die Beziehungen zu den Mitherrschern, sondern die innerfamiliären Verhältnisse. Die sakrale Legitimation der Herrschaft spielte wie bei Diocletian eine bedeutende Rolle, doch war nicht Iupiter der Schutzgott Constantins, sondern zunächst Apollon, der mit dem unbesiegbaren Sonnengott (Sol invictus) gleichgesetzt wurde, und später der Christengott, wobei vage Formulierungen wie "Gott" oder "höchste Gottheit" auch traditionell pagane Interpretationen zuließen.

Constantins Vorstellung vom Kaiser als "christusgleichen" Herrscher traf hingegen bereits zu Lebzeiten auf Widerstand und setzte sich nicht durch. Kolbs in diesem Kontext gebotene Deutung der Inschrift auf dem Constantins-Bogen - der instinctus divinitatis ist "ein Constantin innewohnender Antrieb, über den er dank seiner göttlichen Wirkungskraft (divinum numen) verfügt" (S. 65) - weist über die bisherige Forschung hinaus und überzeugt. Bei den Formen der kaiserlichen Repräsentation knüpfte Constantin ebenfalls an die Tetrarchie an, nahm aber in einzelnen Bereichen wichtige Änderungen vor: Bei den Insignien führte er u.a. das Diadem und den Thronsessel ein. Beim Herrscherbildnis wendete er sich vom tetrarchischen Modell ab und favorisierte einen jugendlich schönen, heiteren und ruhigen Typus mit Anklängen an das Augustus- und Alexanderporträt, der durch ornamentalere Gestaltung des Haares, Diadem und weit aufgesperrte Augen schließlich zum für Spätantike und Mittelalter maßgeblichen Bildtypus des Herrschers weiterentwickelt wurde. Beim Herrscherideal wurden neben militärischen zivile und christliche bzw. christlich interpretierbare Tugenden des Kaisers betont, und mit der Gründung Constantinopels schuf er u.a. eine neue, geeignetere Bühne für das kaiserliche Zeremoniell, "ungehindert von stadtrömischen Traditionen und Relikten republikanischer Verbrämung" (S. 83). Bemerkenswert ist schließlich Kolbs Beobachtung, daß unter Constantin und seinen Söhnen christliche Elemente erst langsam und eher sporadisch in die Herrscherideologie eindrangen.

Mit einem Ausblick auf die weitere Entwicklung in nachconstantinischer Zeit (S. 91-138) beschließt Kolb den Darstellungsteil. Bedeutsam ist u.a., daß das Zeremoniell der Kaisererhebung um weitere Punkte bereichert wurde (Schilderhebung, Torques-Krönung) und seitdem die Herrscher keine militärischen Unternehmungen mehr leiteten, sondern in ihren Residenzen blieben, verstärkt 'zivile' Elemente hinzutraten: Senat und Volk der Residenzstadt sowie die Kirche spielten nun eine größere Rolle. Der Besuch des Kaisers in der Kirche und das Aufsetzen des Diadems/der Krone durch den Patriarchen wies den Weg zur kirchlichen Kaiserkrönung. Darüber hinaus gewannen christliche Tugenden im Herrscherideal (humilitas) und christliche Symbole in der Kaisertracht (u.a. Nagel vom Kreuz Christi, das Kreuz und das Christogramm an Helm/Diadem, Szepter, Globus) an Bedeutung. Bezüglich des Globus vertritt Kolb die Auffassung, daß er kein wirklich vom Kaiser getragenes Herrschaftszeichen war (S. 52-54, 114-116), läßt aber die sich hieran anschließende Frage, wie er sich zumindest im westlichen Mittelalter zu einem solchen entwickelt hat, unbeantwortet. Erhellend sind Kolbs Bemerkungen zu den Kaiserkollegien und ihrer Hierarchisierung, wobei vor allem dem seit Theodosius I. auftretenden Konflikt zwischen Anciennität nach dem dies imperii auf der einen und höherem Lebensalter und tatsächlicher Machtposition auf der anderen Seite Aufmerksamkeit gewidmet wird. Beobachtungen zum Herrscherideal zwischen Christentum und Neuplatonismus vervollständigen das Bild.

Zwei kritische Bemerkungen zum Darstellungsteil sind angebracht: Zum einen wäre in den einzelnen Kapiteln mitunter eine stärkere Systematisierung wünschenswert gewesen (so ist etwa nicht recht verständlich, warum similitudo und concordia imperatorum nicht beim Herrscherideal der Tetrarchie behandelt werden). Zum anderen neigt Kolb bei der Behandlung abweichender Forschungsmeinungen zur Verkürzung und Polemik (etwa S. 21 Anm. 6, S. 36 Anm. 43, S. 93 Anm. 278 etc.), was gerade den StudentInnen, an die sich das Buch vorrangig richtet, keine Möglichkeit bietet, sich in Forschungsdiskussionen einzuarbeiten und sachlich mit Argumenten auseinanderzusetzen.

Im Materialteil der Studie (S. 143-254) erschließt Kolb dem Leser durch sorgfältige und gut verständliche Interpretationen ausgewählte literarische, epigraphische, numismatische und archäologische Quellen, die für die Thematik besonders aussagekräftig sind. Kolb beschränkt sich dabei nicht auf allgemein bekannte Zeugnisse, wie die Tetrarchengruppe von San Marco oder den Theodosius-Obelisken in Constantinopel, sondern bietet auch Zugang zu weniger bekannten bzw. erst in den letzten Jahren entdeckten Denkmälern, wie den Malereien im Kaiserkultheiligtum von Luxor oder dem Palast von Romuliana-Gamzigrad. Der Schwerpunkt von Kolbs Quellenauswahl liegt auf numismatischen und archäologischen Zeugnissen, was den Blickwinkel ein wenig verengt. Allerdings sind in den letzten Jahren zahlreiche Studien zum Herrscherbild in der spätantiken literarischen Überlieferung erschienen, die in diesem Punkt weiterführen.4 Eine Frage, die sich bei der Präsentation der Quellen in allen Studienbüchern stellt, ist, ob nicht doch neben den deutschen Übersetzungen die lateinischen und griechischen Originaltexte geboten werden sollten, statt in Übertragung und Kommentar nur auf die zentralen Termini einzugehen. Das Verständnis der StudentInnen für die Quellen der Alten Geschichte dürfte hiervon nur profitieren.

Ein Verzeichnis der abgekürzt zitierten Literatur (S. 257-260), das etwas zu stark dem Ideal der brevitas huldigt (mitunter keine Untertitel, generell keine Reihentitel und keine Ortsangaben), ein Abbildungsverzeichnis (S. 261f.) und ein nützliches Register (S. 263-274) beschließen das Buch.

Mit seiner Studie bietet Kolb einen ebenso informativen wie anregenden Überblick über die Entwicklung der spätantiken Herrscherideologie, dessen Lektüre sowohl für den wenig mit der Materie vertrauten Leser als auch für den Fachmann ein Gewinn ist. Darüber hinaus versteht es Kolb, Interesse und Begeisterung für die Zeit der Spätantike zu wecken, was ein gelungenes Studienbuch auszeichnet. Eine umfassende Untersuchung zur Thematik bleibt zwar weiterhin ein Desiderat, doch bis zu deren Erscheinen bildet Kolbs Studie eine hervorragende Einführung und eine solide Grundlage für weitere Forschungen.

Anmerkungen:
1 Johannes Straub: Vom Herrscherideal in der Spätantike, Stuttgart 1939; Wilhelm Ensslin: Gottkaiser und Kaiser von Gottes Gnaden, München 1943; Andreas Alföldi: Die monarchische Repräsentation im römischen Kaiserreich, 3. unveränd. Aufl., Darmstadt 1980 und Otto Treitinger: Die oströmische Kaiser- und Reichsidee nach ihrer Gestaltung im höfischen Zeremoniell, Jena 1938.
2 Vgl. das Vorwort der Herausgeber (S. 7-9) und den ersten Band der Reihe von Hartwin Brandt: Geschichte der römischen Kaiserzeit. Von Diokletian und Konstantin bis zum Ende der konstantinischen Dynastie (284-363), Berlin 1998.
3 Kolb räumt selbst ein, daß er "das Hofzeremoniell in seinem Wechselspiel mit einer sich etablierenden und wandelnden Hofgesellschaft" und "die staats- und verfassungsrechtlichen Implikationen der spätantiken Herrscherideologie" weitgehend ausblenden muß (S. 23f.). Allerdings verweist er auf weiterführende Literatur, wobei die erst später gewürdigten Arbeiten von Dirk Schlinkert: Vom Haus zum Hof. Aspekte höfischer Herrschaft in der Spätantike, Klio 78 (1996), 454-482 und Aloys Winterling: Zwischen "Haus" und "Staat". Antike Höfe im Vergleich (HZ Beiheft 23), München 1997 und Ders.: Comitatus. Beiträge zur Erforschung des spätantiken Kaiserhofes, Berlin 1998 bereits hier hätten Erwähnung finden sollen.
4 Vgl. etwa Michael Mause: Die Darstellung des Kaisers in der lateinischen Panegyrik (Palingenesia 50), Stuttgart 1994; Hartmut Leppin: Von Constantin dem Großen zu Theodosius II. Das christliche Kaisertum bei den Kirchenhistorikern Socrates, Sozomenus und Theodoret (Hypomnemata 110), Göttingen 1996; oder Kirsten Groß-Albenhausen: Imperator christianissimus. Der christliche Kaiser bei Ambrosius und Johannes Chrysostomus (Frankfurter althistorische Beiträge 3), Frankfurt/Main 1999.

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