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Titel
Amalasuintha. The Transformation of Queenship in the Post-Roman World


Autor(en)
Vitiello, Massimiliano
Erschienen
Anzahl Seiten
312 S.
Preis
$ 75.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Guido M. Berndt, Friedrich-Meinecke-Institut, Freie Universität Berlin

Massimiliano Vitiello hat sich in den vergangenen Jahren als hervorragender Kenner der ostgotischen Geschichte zu erkennen gegeben. Seine Forschungen berühren verschiedene Aspekte insbesondere der gotischen Herrschaftsrepräsentation. So hat er sich mit der adventus-Zeremonie und den Feierlichkeiten, die anlässlich der Aufenthalte gotischer Könige in Rom stattfanden, ebenso befasst1 wie mit der Frage, inwiefern gotische Könige und ihre Berater auf (neu)platonische Vorstellungen zurückgriffen, um ihre Herrschaft als Fortsetzung des römischen Kaisertums darzustellen und zu legitimieren.2

Nur drei Jahre nach seinem Buch über König Theodahat3 lässt Vitiello nun eine Monographie über das Leben und die Karriere der ostgotischen Königin Amalasuintha (der Name bedeutet „Starke Amalerin“, Amal‘ und ostgerm. *swintha) folgen. Stützen kann er sich dabei erneut auf seine exzellenten Kenntnisse der Quellen im Allgemeinen und Cassiodors Varien im Besonderen, an deren Neuausgabe und Kommentierung er beteiligt war.4 Gleichwohl zielt er primär nicht darauf ab, eine klassische Biographie Amalasuinthas zu schreiben, dafür würden die erhaltenen Quellen nicht ausreichen. Auch wenn Vitiello jede zur Verfügung stehenden biographische Information aufgreift und mit großer Umsicht behandelt, möchte er doch vielmehr nachvollziehen, wie die Regentschaft einer Frau am Übergang von Spätantike zum frühen Mittelalter („between late antiquity and the early Middle Ages, between Roman and post-Roman cultures, and between the Western and Eastern worlds“, S. 4) interpretiert und dargestellt wurde.

In der Einleitung steckt Vitiello zunächst den konzeptionellen Rahmen seines Buches ab und stellt die wichtigsten Schriftquellen in geraffter Form vor, wobei er bereits hier die in unterschiedlichen Graden ausgeprägte Voreingenommenheit und Parteilichkeit der einzelnen Autoren betont. Tatsächlich ergibt sich aus den Schriftquellen ein mitunter widersprüchliches Bild dieser bemerkenswerten Frau, die immerhin beinahe ein Jahrzehnt lang (von August 526 bis 534/5) den bedeutendsten Teil des ehemaligen Weströmischen Reiches regierte. Besonders negativ fällt etwa das Urteil Gregors von Tours aus, der Amalasuintha wahlweise als Hure, Muttermörderin und Sklavenliebhaberin bezeichnet, die zudem der arianischen Häresie verfallen gewesen sei (Vitiello vereinfacht diesen Befund meiner Meinung nach, indem er Gregors Haltung im Wesentlichen als hauptsächlich religiös motiviert einschätzt). Deutlich ausgewogener und weit weniger feindselig sind die Urteile Cassiodors und Prokops. Insbesondere aus den Werken dieser Autoren lässt sich die Karriere Amalasuinthas rekonstruieren.

Im ersten von insgesamt fünf Hauptkapiteln fragt Vitiello nach den institutionellen Rahmenbedingungen im ostgotischen Italien für eine weibliche Herrschaft und bietet zudem eine Untersuchung der zeitgenössischen Terminologie zur Darstellung weiblicher Machtfiguren (domina, regina etc.) und der von ihnen in einer spätrömischen Welt erwarteten Attribute. Amalasuintha nehme Vitiello zufolge insofern eine Sonderstellung ein, als ihr die gleichen Tugenden wie ihrem Vater zuerkannt würden. Sie sei gewissermaßen eine virago (S. 28 mit Bezug auf Isidor von Sevilla, Ethymologiae XI,5,22), die wie ein idealer römischer Herrscher zu regieren beabsichtigt habe. Traditionell als dezidiert maskulin geltende Eigenschaften würden ihr wiederholt in an den römischen Senat adressierten Briefen zugeschrieben. Vitiello sieht in der Repräsentation der Herrschaft Amalasuinthas einen Spiegel kaiserlicher Figuren wie Galla Placidia oder sogar Ariadne, der mächtigsten byzantinischen Kaiserin jener Jahrzehnte (S. 203).

Den Weg Amalasuinthas zur Herrschaft zeichnet Vitiello detailliert nach. Geboren um 494/5 als Tochter Theoderichs des Großen und dessen fränkischer Frau Audefleda wuchs sie als Mitglied der gotischen Elite in Ravenna auf (der dort vermittelten „römischen“ Erziehung – zu der Grammatik und Rhetorik, griechische und lateinische Sprache und traditionelle Tugenden wie Bescheidenheit, Keuschheit und Glaube gehörten – ist ein eigener Abschnitt gewidmet, S. 46–54). Ihr Vater verheiratete sie 515 mit dem Westgoten Eutharich, der zum Nachfolger auserkoren worden war. Amalasuintha war wohl die Rolle einer traditionellen gotischen Königin zugedacht, als Helferin und Beraterin des Königs mit repräsentativen Aufgaben, gleichwohl ohne eigene formale politische Rolle. Erst der überraschende Tod Eutharichs 523 und die darauffolgende Sukzessionskrise änderten die Vorzeichen. Amalasuintha übernahm nun für den noch unmündigen Enkel Theoderichs, Athalarich, die Regentschaft. Dieser war zu jung, um als König zu herrschen, und natürlich in militärischen Fragen gänzlich unerfahren, ein Manko, das seitens der gotischen Opposition wiederholt hervorgehoben wurde.5

Ein Vorwurf lautete nach dem Zeugnis Prokops (BG I,2,14–15), Amalasuintha erziehe Athalarich zum Feigling, indem sie ihn in lateinischer Sprache und Literatur unterrichten lasse, statt ihn durch Waffenübungen auf seine Rolle als mutiger und kriegstüchtiger Herrscher vorzubereiten. Möglicherweise ist es auf Amalasuinthas Bildung und ihr gewissermaßen kulturelles Eintauchen in die römische Welt zurückzuführen, dass sie mit Bedacht, Sachverstand und Erfolg die Rolle einer Regentin ausfüllen konnte. Und möglicherweise fand sie hier die Inspiration, über eine konventionellere Rolle als Beraterin und Regentin hinauszugehen. Denn als Athalarich 534 starb, hielt Amalasuintha an der Herrschaft über das gotische Italien fest – eine Situation ohne Vorbild in der gesamten gotischen Geschichte.6 Entgegen den an sie gestellten Erwartungen blieb sie unverheiratet. Um der immer lauter werdende Kritik ihrer gotischen Untertanen entgegenzuwirken, erhob sie ihren Cousin Theodahad zum Mitregenten, behielt aber solange die übergeordnete Stellung, bis dieser gegen sie konspirierte und schließlich gefangennehmen und ermorden ließ.

In Vitiellos Darstellung erscheint Amalasuintha als eine scharfsinnige politische Denkerin sowie mutige und innovative Herrscherin, die sich gerade auf diese Weise als würdige Tochter und Nachfolgerin Theoderichs erwies, den mancher Zeitgenosse als neuen Kaiser im traditionellen Stil betrachtet hatte.7 In seiner 33jährigen Regierungszeit hatten Römer und Goten überwiegend friedlich zusammen in Italien gelebt.8 Gerade das öffentliches Amalasiuntha-Bild, das sich aus den Quellen rekonstruieren lässt, basierte zu einem nicht unerheblichen Teil auf spätrömischen bzw. byzantinischen Modellen imperialer Herrschaft. Weiterhin argumentiert Vitiello, dass Amalasuinthas Herrschaftszeit eine Schlüsselphase in der Transformation der Rolle der Königin am Übergang von Spätantike zum frühen Mittelalter markiere, in der königliche Frauen allmählich begonnen hätten, politische Macht auszuüben. Dieser Interpretation kann ich nur bedingt folgen, denn letztendlich scheiterte Amalasuinthas politisches Experiment. Sie verwandelte die Königinnenrolle nicht dauerhaft, was Vitiello selbst einräumen muss („[a]fter Amalasuintha, the Gothic queenship reverted to its traditional features“, S. 214).

Nichtsdestotrotz ist es Vitiello gelungen, ein ausgewogenes Bild dieser einzigartigen Königin zu entwerfen, die einerseits in Zeiten politischer Unruhen immer wieder klug und besonnen regierte sowie einen diplomatischen Austausch mit dem byzantinischen Kaiser pflegte und den Kontakt zum römischen Senat aufrecht hielt (S. 79–88) und andererseits mit voller Härte gegen politische Gegner vorging. Inwieweit ihre Regentschaft zum Modell für spätere Königinnen, wie etwa Theodelinde (Frau gleich zweier Langobardenkönige) wurde, diskutiert Vitiello in einem kurzen Epilog.
Diesem Buch, das tatsächlich eine bislang vorhandene Forschungslücke zu schließen beiträgt, ist zu wünschen, dass es über den kleinen Kreis von Spezialisten hinaus seine Leser finden möge.

Anmerkungen:
1 Massimiliano Vitiello, Momenti di Roma ostrogota. Aduentus, feste, politica, Stuttgart 2005.
2 Massimiliano Vitiello, Il principe, il filosofo, il guerriero: Lineamenti di pensiero politico nell’Italia ostrogota, Stuttgart 2006.
3 Massimiliano Vitiello, Theodahad. A Platonic King at the Collapse of Ostrogothic Italy, Toronto, Buffalo, London 2014.
4 Andrea Giardina / Giovanni Alberto Cecconi u.a. (Hrsg.), Flavio Magno Aurelio Cassiodoro Senatore, Varie, 6 Bände, Roma 2014ff (der erste Band zu den Büchern I. und II. noch nicht erschienen).
5 Hans-Ulrich Wiemer / Guido M. Berndt, Instrumente der Gewalt. Bewaffnung und Kampfesweise gotischer Kriegergruppen, in: Millennium. Jahrbuch zu Kultur und Geschichte des ersten Jahrtausends n. Chr. 13 (2016), S. 141–210, hier 183.
6 Hans-Ulrich Wiemer, Theoderich der Große. König der Goten, Herrscher der Römer. Biographie, München 2018, S. 576–577.
7 Dazu Jonathan J. Arnold, Theoderic and the Roman Imperial Restoration, Cambridge 2014.
8 Dazu Wiemers treffende Analyse als „Integration durch Separation“, Hans-Ulrich Wiemer, Theoderich der Große und das ostgotische Italien. Integration durch Separation, in: Mischa Meier (Hrsg.), Sie schufen Europa. Historische Portraits von Konstantin bis Karl dem Großen, München 2007, S. 156–175.

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