Projektemacher im frühneuzeitlichen England

: Taming Capitalism before its Triumph. Public Service, Distrust, and 'projecting' in Early Modern England. Oxford 2018 : Oxford University Press, ISBN 9780198739173 368 S. $ 85.00; £ 65.00

: The Wreckage of Intentions. Projects in British Culture, 1660-1730. Philadelphia 2017 : University of Pennsylvania Press, ISBN 9780812249590 248 S. $ 65.00; £ 54.00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Christine Zabel, Historisches Institut, Universität Duisburg-Essen

Wer sich mit frühneuzeitlichem „projecting“ beschäftigt, wird schnell auf Daniel Defoes berühmte Erklärung von 1697 stoßen, in der er ein „projecting age“ ankündigt. Dieses „projecting age“ beschreibt er als eine Zeit, in der zahlreiche Pläne („schemes“) zur Verbesserung der allgemeinen Lage entwickelt werden. Sie umfassen Defoe zufolge „Improvement of Trade, and Employment of the Poor, and the Circulation and Increase of the publick Stock of the Kingdom“. 1 Defoe war zu seiner Zeit keineswegs der einzige, der die gewonnenen Möglichkeiten schätzte, Englands Infrastruktur und Ökonomie verbessern zu können. Zeitgenossen waren aber auch sehr skeptisch, ob ökonomische Projekte, die Profit für deren Initiatoren versprachen, gleichzeitig zum öffentlichen Nutzen beitragen konnten. Missbrauchten „projectors“ den Verweis auf den öffentlichen Nutzen nicht vielmehr für ihr eigenes Profitstreben?

Der nun an der Universität Tokyo lehrende Historiker für britische Geschichte Koji Yamamoto nimmt sich in seiner Monografie Taming Capitalism Before Its Triumph vor, diese Ambiguität im Umgang mit „projects“ sowie die Geschichte dieser „projectors“ und ihrer nicht unproblematischen Beziehung zur Gesellschaft zu schreiben – eine Geschichte, die Theoretiker wie Adam Smith deshalb nicht thematisieren konnten, weil sie bereits bestimmte Vorannahmen über „projectors“ unreflektiert übernommen hatten. Angesichts der Fülle von Literatur, die sich mit dem britischen „Age of Improvement“ beschäftigt 2, schreibt Yamamoto hier eine Geschichte des Frühkapitalismus, die sich nicht auf einen bestimmten Industriesektor, bestimmte Produktionsbedingungen oder eine ökonomische Region bezieht (S. 7). Vielmehr konzentriert sich der Autor auf die sozialen und ökonomischen Auswirkungen von Vertrauen und Misstrauen und untersucht, wie diese sich auf das Verhalten der Akteure auswirkten. Yamamoto unternimmt damit den Versuch, die vielen „visible hands“ zu fokussieren, die den beginnenden Kapitalismus im England des 16. und 17. Jahrhunderts einzuhegen suchten.

Yamamoto zufolge verdiene England nicht wegen seiner frühen ökonomischen Reife oder seiner „growth-friendly culture“ (Joel Mokyr) 3 unsere Aufmerksamkeit, sondern weil sich die frühneuzeitliche englische Gesellschaft genau wie die unsere um die sozialen Implikationen ökonomischer Entwicklungen sorgte (S. 8). Mit seinem aus der Gegenwart geprägten Blick möchte der Autor also gerade eine teleologische („whiggish“) Perspektive vermeiden, steht damit jedoch in einem gewissen Widerspruch zu seinem eigenem Bestreben, englischen „Frühkapitalismus“ zu untersuchen, da gerade dieser Begriff selbst eine gewisse Teleologie einschließt.

Im ersten Kapitel umreißt der Historiker den Kontext, in dem Projekte wirkmächtig wurden. Dies unternimmt er vor allem mit Hilfe des aus dem English Short Title Catalogue (ESTC) und dem patent office gewonnen quantitativen Datenmaterials. Yamamoto kann hier zeigen, dass „projects for economic improvement and innovation“ in großer Zahl erstmalig im 16. Jahrhundert auftauchten. Ferner weist er auf institutionelle Veränderungen im Umgang mit Projekten hin: Während die frühen Stuarts Projekte durch Monopolbewilligungen förderten, wurden sie bei den späten Stuarts als „business partnherships“ geführt, um schließlich in Defoes „projecting age“ als Aktiengesellschaften zu fungieren.

Das zweite Kapitel zeigt, wie kontroverse und oft dubiös erscheinende Projekte der Stuart-Zeit in den 1630ern die pejorative Deutung des „projectors“ hervorbrachten. Diese wurden in vielen höfischen sowie mondänen Theaterstücken, Gedichten und Liedern stereotypisiert und in ganz England verbreitet. Kapitel 3–6 untersuchen dann chronologisch und anhand gedruckter Projektpläne sowie zahlreicher ungedruckter Quellen, wie Briefen, Protokollen und Patenten, inwiefern das öffentliche Misstrauen Design und Präsentation der Projekte in den etwa sieben Folgejahrzehnten (ca. 1640 bis ca. 1710) beeinflusste. Erst nach dem vorläufigen Ende der Stuartmonarchie distanzierten sich die Innovatoren zwar nicht vom Projektemachen selbst, aber von der ihnen zugeschriebenen Rolle: „Promoters were denying not the role (of promoting improvement) but the virtual self that is implied in the role’. Distancing from the early Stuart monopolists and projectors became an important part of England’s culture of improvement” (S. 129).

Die Fallstudie des vierten Kapitels fragt danach, ob Misstrauen nur für dubiöse Projektemacher Konsequenzen hatte oder auch das Verhalten seriöser Innovatoren beeinflusste: Andrew Yarrantons Plan, den River Stour innerhalb von zwei Jahren schiffbar zu machen, zeigt, dass sich Misstrauen nicht auf zwielichtige „projectors“ begrenzte, sondern sich auch bekannte Gestalter dagegen verteidigen mussten. Kapitel 5 analysiert, ob mit der Restauration der Monarchie auch der in den frühen Stuart-Jahren praktizierte Umgang mit „projectors“ wiederbelebt wurde. Um Misstrauen von Seiten der Regierung zu vermeiden, betonten Projektemacher ihre royale Vergangenheit, verschwiegen republikanische Verbindungen und vermieden meist religiöse oder politische Themen, die den erreichten Status Quo oder die Legitimität des Regimes hätten in Frage stellen können. Dies hatte auch zur Folge, dass erfahrene „innovators“ wie William Petty, Cressy Dymock oder Valentine Knight sich daran gewöhnen mussten, dass Pläne, die einen gewissen Durchsetzungszwang von Seiten der Regierung erforderten, nun keine Unterstützung mehr fanden (S. 226). Sie bemühten sich deshalb, mit ihren Vorschlägen private Initiativen zu stimulieren: So entwickelte John Beale ein Projekt zur privaten Cider-Produktion, das England deshalb ökonomische Vorteile versprach, weil es Importe französischer Weine reduzieren und dabei die Zuckerproduktion in den karibischen Kolonien stimulieren sollte (S. 226). Diese neuartigen Ideen deuten Yamamoto zufolge den späteren Weg an, Kapitalismus durch die gezielte Lenkung von Konsum zu kontrollieren (womit der Autor wiederum einer „whiggish narrative“ gefährlich nahe kommt): „It was thanks to these numerous visible hands taming England’s incipient capitalism that the precocious vision of consumption-driven improvement evolved in this period, a vision that would be elaborated in the eighteenth century“ (S. 228).

Das letzte Kapitel untersucht schließlich, inwiefern in der frühen Finanzrevolution des ausgehenden 17. Jahrhunderts Projekte selbst Objekte intensiven Konsums wurden. Der Autor legt in diesem Kapitel dar, wie sich die aktienkaufende Öffentlichkeit Neuigkeiten und Gerüchte durch die neu aufkommenden Medien gewissermaßen einverleibte. Entsprechend wurden negative Stereotypen über „projectors“ nun mit Aktienhandel („stock-jobbing“) verbunden. Yamamoto deutet hier die South Sea Bubble von 1720, die oft als erste moderne Aktienblase angesehen wird, als essentiell frühneuzeitliches Projekt im Kontext des sich entfaltenden Aktienmarktes. Damit stärkt Yamamoto sein Argument, dass die „consumer society“ bereits im 17. Jahrhundert angelegt war, was gerade im Umgang mit „projects“ deutlich wird.

Der an der University at Buffalo, New York lehrende Literaturwissenschaftler David Alff fokussiert in seinem The Wreckage of Intentions. Projects in British Culture ebenfalls britische, frühneuzeitliche Projekte. Jedoch sucht er weniger deren Geschichte im Kontext des Frühkapitalismus aufzuarbeiten, sondern konzentriert sich auf die zukunftszugewandte Sprache dieser Projekte und ihre Auswirkungen auf die zeitgenössische Literatur und Poesie. Die spezifischen vergangenen Zukünfte, die Alff in den Blick nimmt, sind dabei diejenigen der Jahrzehnte zwischen 1660 und 1730, einer Zeit also, in der alte Konnotationen der frühen Stuartzeit, wie etwa diejenigen des Monopolmissbrauchs der Projektemacher, noch nachklangen, in der jedoch auch neue Konnotation aus naturwissenschaftlichen, technologischen und finanzpolitischen Diskursen hinzukamen.

Alff untersucht diese Zeit allerdings nicht nur wegen der sich überschneidenden Bilder von „projects“ und „projectors“, sondern weil er davon ausgeht, dass in diesen acht Jahrzehnten Projekte die anglophone Kultur entscheidend prägten. Dabei definiert er ein Projekt als schriftlichen Handlungsplan, der in sich nicht die Handlung selbst, sondern die Möglichkeit zur Handlung trägt. Damit gehören „projected actions” im Gegensatz zu Handlungen nicht der Gegenwart, sondern der Zukunft an (S. 5–6). Aufgrund ihrer Zukunftszugewandtheit, so lautet das Argument des Autors, waren diejenigen Projekte, die niemals Materialität außerhalb des Papiers erlangten, jedoch nicht weniger relevant, weil sie gleichermaßen imaginativ neue Wege und Möglichkeiten einer Gesellschaft testeten.

„Projection“ zeichnet sich damit nicht durch geronnene Materialität aus, sondern durch das Nach- und Durchdenken von Möglichkeitshorizonten. Damit war Projekten und frühneuzeitlicher Naturphilosophie gemeinsam, dass sie „counterfactual conditionals“, hypothetische Ereignisse und imaginierte Szenarien nutzen, um Realität zu reflektieren. Insofern Projektvorschläge in ihre Argumentation auch empirisch nicht beobachtbare Phänomene und Plausibilitäten einspeisten, waren sie, wie Alff zeigt, auch Fiktion (S. 6). Etwa haben sie mit Romanen gemeinsam, dass sie ihre Leser/innen dazu einluden, in hypothetische Welten einzutreten. Projektemacherei unterschied sich aber von kontrafaktischer Wissenschaft, von Romanen oder Utopien dahingehend, dass sie nicht nur Realitäten beschrieb oder Verhalten verändern wollte, sondern diejenigen Welten herbeizuführen suchte, die sie im Projekt entwarf. Damit wurde auch die Zukunft formbar und gestaltbar (S. 7).

Alffs Monografie untersucht also die sprachlichen Funktionsmechanismen frühneuzeitlicher Gestaltungspläne, die manchmal in die Tat umgesetzt wurden, viel öfter aber entweder an der Praxis scheiterten oder niemals praktische Anwendung fanden und deshalb in Vergessenheit gerieten. The Wreckage of Intentions entwirft damit ein Kaleidoskop vergangener Zukünfte. Der Autor fordert seine Leser/innen ähnlich wie Yamamoto dazu auf, Gewordenes einmal zu vergessen und vielmehr Überzeugungsstrategien, rhetorische Kniffs und Publikationswege solcher Pläne nachzuvollziehen und sich so auf die in den Projektionen eingespeisten Imaginationen einzulassen: „at stake in the study of projection is an understanding of how eighteenth century authors applied their faculties of imagination to achieve finite goals“ (S. 7).

Alff versteht also gescheiterte Projekte nicht als „retrospective dead ends“, sondern als „once lived opportunities“ (S. 14). Auch deshalb macht die Beschäftigung mit „projects“ eine unabgeschlossene Vergangenheit lebendig: „Failed enterprises encapsulate what Reinhard Koselleck calls ‘since-superseded-future’, a nonexistent temporality that can nonetheless ventilate a past thick with multiple possibilities, including unenacted plans that challenge progressive accounts of human development” (S: 15). Alff macht sich in seiner Untersuchung vergangener multipler Möglichkeitshorizonte Methoden der literarischen Textexegese, der Genrekritik oder auch der Buchgeschichte zu Nutze und bezieht darüber hinaus Techniken der performance studies wie auch historische Analysemethoden ein.

Alff unterscheidet drei Stadien des „projecting“ anhand weniger Fallbeispiele: die Artikulation der Projekte, die Zirkulation der Projektideen und schließlich das „on-the-ground“ Unternehmen der Projekte. Kapitel 1 untersucht entsprechend, wie Projekte mit Worten beginnen und identifiziert rhetorische Strategien von Projektemachern vor allem anhand Andrew Yarrantons Pamphlet aus dem Jahr 1677, das uns bereits aus Yamamotos Studie bekannt ist: England’s Improvement by Sea and Land to forsee the nation’s perfection throught the establishement of land registry, the dredging of canalas, and the building of textile mills. Kapitel 2 zeigt dann anhand Aaron Hills Projekt, in dem er einen Markt für heimisches Buchenöl zu initiieren suchte, inwiefern (Buch)Druck eine zentrale Rolle als Medium des Projektemachens einnahm. Kapitel 3 entfernt sich dann von textexegetischen oder buchgeschichtlichen Überlegungen und untersucht mit Hilfe von Performanztheorien den Prozess des Projektunternehmens. Dazu nimmt Alff, der in seiner Studie nur einer losen Chronologie folgt, das in England zu Mitte des 17. Jahrhunderts ausgeführte Projekt der Trockenlegung des östlichen Sumpflandes (das erst im 19. Jahrhundert fertiggestellt werden konnte) in den Blick.

Die beiden letzten Kapitel konzentrieren sich auf die Rezeption von Projekten und von Projektsprachen und deren Auswirkungen auf neue literarische Formen. Kapitel 4 zeigt, dass britische Georgica, eine im England des 18. Jahrhunderts beliebte Gedichtform, ihre Ästhetisierung des ländlichen Lebens nicht nur von Vergil übernahm wie dies die Forschung bisher annahm. Vielmehr wurden ihn ihr, so kann Alff zeigen, die in Agrarhandbüchern des 17. Jahrhunderts eingespeisten Projekte zur Verbesserung privater Landwirtschaft verarbeitet. Das finale Kapitel des Buches schließt mit einer weiteren literarischen Rezeption von Projekten und Projektemachern und zeigt, dass diese eine bedeutende Rolle für die Herausbildung von Prosasatire spielten. Dies verdeutlicht der Autor anhand Jonathan Swifts Bestseller aus dem Jahre 1726: Gulliver’s Travels.

Alffs These, dass „project proposals“ als literarische Werke zu deuten sind, die der rhetorischen und literarischen Kritik unterzogen werden können und sollten, überzeugt, gerade weil deutlich wird, dass Projekte „Welten aus Worten entstehen lassen“ und diese Worte das Potenzial besitzen, die materielle Welt umzugestalten (S. 9). Historiker/innen wird der Literaturwissenschaftler vor allem mit seiner Textexegese, mit seiner theoretischen Durchdringung des Zukunft- und Imaginationspotenzials von Projekten und seinem Versuch, Projekte aus dem zeitgenössischen Geist heraus zu verstehen, für sein Buch gewinnen können. Yamamotos Analyse wird Leser/innen dagegen mit seiner von Quellenfülle genährten Erzählung des Umgangs mit „projectors“ und den Auswirkungen öffentlichen Misstrauens bestechen. In seiner Studie gelingt es ihm damit auf originelle Weise, ein Bild von gesellschaftlichen Versuchen nachzuzeichnen und frühkapitalistische Strukturen einzuhegen, was für heutige Leser/innen, die sich ähnlich wie die frühneuzeitlichen Zeitgenossen um die Entgrenzung individuellen Profitstrebens sorgen, gewinnbringend sein mag.

Anmerkungen:
1 Daniel Defoe, An Essay Upon Projects, London 1697, S. 10–11.
2 Siehe hier exemplarisch: Paul Slack, The Invention of Improvement. Information and Material Progress in Seventeenth Century England, Oxford 2015; Sarah Tarlow, The Archeology of Improvement in Britain, 1750–1850, Cambridge 2007.
3 Joel Mokyr, A Culture of Growth. The Origins of the Modern Economy, Princeton 2017, 223.

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