A. Abykayeva-Tiesenhausen: Central Asia in Art

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Titel
Central Asia in Art. From Soviet Orientalism to the New Republics


Autor(en)
Abykayeva-Tiesenhausen, Aliya
Erschienen
London 2016: I.B. Tauris
Anzahl Seiten
XIV, 290 S.
Preis
£ 35.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Helena Holzberger, Historisches Seminar, Ludwig-Maximilians-Universität München

Viele Leser/innen werden sich sicherlich an die großen Ausstellungen sowjetischer Kunst wie „Agitation for Happiness“ (Russisches Museum, St. Petersburg, 1994) oder „Traumfabrik Kommunismus“ (Schirn, Frankfurt, 2003) erinnern oder zumindest durch Studium und eigene Forschung mit den Katalogen vertraut sein. Die Kunsthistorikerin Aliya Abykayeva-Tiessenhausen bemerkt in ihrer überarbeiteten Dissertation Central Asia in Soviet Art zu Recht, dass der Multiethnizität der Sowjetunion in diesen wichtigen Ausstellungen keine große Aufmerksamkeit geschenkt wurde, obwohl sie ein integraler Bestandteil sowjetischer Wirklichkeit war und auch entsprechend in der Kunst repräsentiert wurde. Mit ihrem Buch füllt Abykayeva-Tiessenhausen diese Lücke, indem sie die bildende Kunst in den Mittelpunkt stellt, die im sowjetischen Zentralasien entstanden ist oder dieses darstellt. Das Ergebnis ist angenehm zu lesen und enthält qualitativ sehr hochwertige Abbildungen.

Der Einleitung folgen fünf Kapitel – über die sowjetische Nationalitätenpolitik und die Kunst im Sozialistischen Realismus, anschließend ein Kapitel über ethnisch russische Künstler in Zentralasien, einheimische Künstler und ein kurzes Kapitel über die Zeit nach Stalins Tod. Das Ziel der Autorin ist es, die verschiedenen Dynamiken aufzeigen, die hinter der Kunstproduktion lagen und aufzudecken, wie Zentralasien durch das sowjetische Imperium einer eigenen Repräsentationsform beraubt wurde.

Abykayeva-Tiessenhausen hat den Anspruch, sowohl die Geschichte der Repräsentation Zentralasiens, wie auch die hierfür wichtigsten Akteure in der gesamten Sowjetunion vorzustellen. Dieser breite Überblick geht jedoch zulasten einer durchdringenden kunstgeschichtlichen oder historischen Analyse. Besonders die ersten beiden Kapitel, die fast die Hälfte des Buches einnehmen, sind daher schwach. Sie liefern keine neuen Erkenntnisse, sondern illustrieren bereits bekannte Aussagen zu Raum und Zeit mit Beispielen aus Zentralasien. Dies wird vor allem im ersten Kapitel „Die Politik des Multinationalismus“ deutlich. Während viele andere Forscher/innen noch uneinig sind, ob man die zentralasiatischen Republiken der Sowjetunion tatsächlich als russische Kolonien bezeichnen kann, ist sich Abykayeva-Tiessenhausen dessen ganz sicher.1 Sie nutzt die visuelle Repräsentation in Metro-Stationen und Ausstellungspavillons um zu verdeutlichen, dass die visuelle Strategie der Sowjetunion hinsichtlich der Repräsentation von Multiethnizität dazu führte, die nicht-russischen Republiken auf Dekorationselemente und ihre Produktionsgüter zu reduzieren und die russische Superiorität zu betonen. Dies erläutert ihre in der Einleitung aufgeworfene Definition des sowjetischen Orientalismus: „The Orientalism of the Soviet Union is the visual realization of this political and geographical otherness” (S. 3). Eine tiefgründige Auseinandersetzung mit dem Begriff sowohl in konzeptueller als auch in kunsthistorischer Hinsicht findet nicht statt, sodass „Orientalismus“ für Abykayeva-Tiessenhausen hauptsächlich bedeutet, Kunst zu beschreiben, die das sowjetische Zentralasien im kolonialen Machtverhältnis darstellt. Auf die Problematik der Widersprüchlichkeit zwischen Saids Konzept, das vor allem Stagnation und Unveränderlichkeit des Orients betont und der Dynamik der sowjetischen Modernisierung geht die Autorin nicht ein. Auch fehlt überraschenderweise wichtige aktuelle Literatur zum Thema der sowjetischen Nationalitätenpolitik, die in dem historisch argumentierenden Kapitel eigentlich hätte berücksichtigt werden müssen.2

Im zweiten Kapitel führt die Autorin in die Kunstproduktion des Sozialistischen Realismus ein. Hilfestellung findet sie vor allem in Boris Groys' Konzept des Gesamtkunstwerkes, das sich durch das gesamte Buch zieht. Unter Bezugnahme auf diverse sowjetische Künstler und Genres stellt Abykayeva-Tiessenhausen dar, wie zentralisiert und politisch abhängig die Kunst im Stalinismus war und wie stark sich die Realität von Repräsentation unterschied. Das dritte Kapitel widmet sich den ersten sowjetischen Künstlern in Zentralasien, welche dort lebende ethnische Russen waren. Abykayeva-Tiessenhausen konzentriert sich auf die Republiken Kasachstan, Kirgistan und Usbekistan; die Auswahl der ersten beiden erfolgt aus biographischem Interesse, die Usbekistans, weil Taschkent als Hauptstadt Zentralasiens galt. Die Autorin kann zeigen, wie das Novum Ölmalerei durch russische Maler an die zentralasiatische Peripherie gelangte und welche Sujets diese frühen Jahre bestimmten. Besonders seien die Maler Semion Chikov und Pavel Benkov aufgrund ihrer Sujets für den sozialistischen Orientalismus verantwortlich gewesen: erstens durch die Darstellung der Völkerfreundschaft, zweitens durch die Betonung des Reichtum des Landes und die Möglichkeiten der Ausbeutung und drittens durch die Zuschreibung exotischer Eigenschaften, Formen und Farben (S. 162).

In Auseinandersetzung mit der Orientalismus-Theorie Jane Sharps zeigt Abykayeva-Tiessenhausen als Gegenbeispiele einige Künstler, die einen „alternativen Orientalismus“ praktiziert hätten, indem sie sich auf naturalistische Darstellungen in klaren Farben oder private Sujets konzentrierten. Dieser Gegenüberstellung ist allerdings schwer zu folgen, da die Interpretation der Autorin nicht immer auf intersubjektiv nachvollziehbaren Methoden basiert, sondern oft sehr assoziativ ist. Auch die ausgewählten Bilder der Künstler folgen keiner offen gelegten Methode und die stilhistorische Einordnung ist meist in einem Satz erledigt. Das vierte Kapitel widmet sich den lokalen Künstlern, die meist Schüler der russischen Maler waren. Die wichtigste These ist hierbei, dass einheimische Künstler mit den übernommenen Gestaltungsmittel auch eine sowjetische Identität angenommen hätten, die zu einer Selbstorientalisierung geführt habe. Diesen Verlust der eigenen Identität und Tradition erläutert die Autorin anhand diverser Bildbeispiele, von denen vor allem die Gemälde der von ihr vorgestellten weiblichen Künstlerinnen spannend sind. Es wäre wünschenswert gewesen mehr über diese Frauen, wie auch die Biografien der anderen vorgestellten Künstler zu erfahren. Zwei Maler, die von Abykayeva-Tiessenhausen gegenübergestellt werden, sind Abylkhan Kasteev, der für sie das Kopieren sozialistisch-realistischer Kunst in Zentralasien am besten verkörpert und Ural Tansykbaev, der einen „avantgardistischen“ Weg wählte. Das letzte Kapitel, welches am spannendsten ist, beschäftigt sich mit dem Erbe des Sozialistischen Realismus. Vor allem die Vorstellung post-sowjetischer Kunst ist interessant und blendend analysiert. Es ist sofort offensichtlich, dass hier eine Expertin für zeitgenössische zentralasiatische Kunst schreibt. Auch die kritische Reflexion westlicher Repräsentationen Zentralasiens, vor allem durch den Film „Borat“, zeigt die Aktualität und Relevanz des Themas.

Abykayeva-Tiessenhausen konnte ihr Ziel erfüllen und die wichtigsten Künstler/innen und Gemälde des sowjetischen Zentralasiens vorstellen, die den Leser/innen wahrscheinlich zum großen Teil unbekannt waren. Durch die Breite des Inhalts ist das Buch vor allem für ein Publikum geeignet, das in das Thema der visuellen Kultur der Sowjetunion eingeführt werden möchte oder sich für Zentralasien interessiert. Besonders die letzten beiden Kapitel werden hoffentlich noch viele Forscher/innen zu einer tiefen Analyse der dort vorgestellten Themen inspirieren.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu die Besprechung neuester Literatur zum sowjetischen Zentralasien von Moritz Florin, Beyond Colonialism? Agency, Power and the Making of Soviet Central Asia, in: Kritika: Explorations in Russian and Eurasian History 4 (2017), S. 827– 838.
2 Es fehlen hier nicht nur die Standardwerke zur sowjetischen Nationalitätenpolitik wie Ronald Suny, The revenge of the past, Stanford 1993 oder Jeremy Smith, The Bolshevik and the national question, Basingstoke 1999. Auch kulturhistorische Arbeiten, die sich auch explizit mit Zentralasien unter sowjetischer Herrschaft beschäftigen und die Komplexität der Herrschafts- und Repräsentationspraktiken beleuchten, finden keine Berücksichtigung, wie etwa Francine Hirsch, Empire of Nations. Ethnographic knowledge and the making of the Soviet Union, Ithaca 2005 oder Douglas Northrop, Veiled Empire. Gender and power in Stalinist Central Asia, Ithaca 2003.

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