C. Müller: Politische Religion und Katholizismus

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Titel
Politische Religion und Katholizismus. Geltungsgeschichten im faschistischen Romanità-Kult


Autor(en)
Müller, Claudia
Erschienen
Paderborn 2017: Ferdinand Schöningh
Anzahl Seiten
291 S.
Preis
€ 39,90
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Katharina Schembs, Historisches Institut, Universität zu Köln

1993 erregte der renommierte Faschismus-Historiker Emilio Gentile mit seiner These von der Sakralisierung der Politik im Faschismus Aufsehen.1 Über den italienischen Faschismus als politische Religion ist seither viel diskutiert worden, wobei verschiedentlich angezweifelt wurde, dass es dem Regime gelungen sei, eigene Glaubensinhalte zu generieren.2 In der 2017 erschienenen überarbeiteten Version ihrer Dissertationsschrift unterzieht Claudia Müller das Verhältnis von Faschismus und Katholizismus nun einer Revision und nimmt sich vor, die historiographischen Debatten „durch ein soziologischen Instrumentarium zu bereichern“ (S. 5). Mittels einer Kombination aus einem institutionenanalytischen und einem systemtheoretischen Ansatz verfolgt sie das Ziel, die These von „strukturellen Ähnlichkeiten zwischen politischen und religiösen Ordnungsangeboten“ (S. 249) zu überprüfen. Konkret bedeutet das, gegenseitige Bezugnahmen von Faschismus und Katholizismus, „semantische Differenzen“ ihrer jeweiligen Lehren und Doktrinen sowie „Leitideenkonflikte“ (S. 19) herauszuarbeiten.

Zu diesem Zweck untersucht die Autorin nach zwei einführenden Kapiteln den faschistischen Romanità-Kult, wie er sich vor allem in den 1930er-Jahren herausbildete (Kap. 3) – einer Zeit, die Renzo De Felice als Jahre des Konsens der Bevölkerung mit dem Regime bezeichnet hat.3 Diese Zustimmung wurde unter anderem durch Techniken der Massenmobilisierung und der Propaganda befördert. Einen Teilaspekt dieser politischen Inszenierung beleuchtet Müller mit dem Romanità-Kult. Dahinter verbargen sich Referenzen des Regimes auf das antike Rom und die Konstruktion von vermeintlichen Kontinuitätslinien bis in die Gegenwart zu legitimatorischen Zwecken. Im Zentrum der Analyse steht vor allem das vom Regime 1925 ins Leben gerufene Istituto di Studi Romani, eine Art Schirminstitution, die alle wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen zur Antike bündelte.

Maßgeblich verantwortlich war dieses Institut auch für die Organisation der Mostra Augustea della Romanità, einer Ausstellung, die das Regime 1937/1938 aus Anlass des 2000. Geburtstags des römischen Kaisers Augustus ausrichtete (Kap. 4). Detailgenau und aufschlussreich wird das Programm einzelner Ausstellungsräume im Palazzo delle Esposizioni in Rom analysiert und herausgestellt, wie sich das Regime einer katholisch geprägten Symbolik und Bildsprache bediente. Neben einem chronologischen Abriss, die vom mythischen Ursprung des Römischen Reiches in der Aeneas-Legende bis zur „Wiedergeburt des Imperiums im Faschismus“ (S. 130) reichte, war ein weiterer Teil der insgesamt 82 Ausstellungsräume thematisch organisiert. Ähnlich wie bei anderen Propagandaausstellungen des Regimes wurden durchweg Repliken gezeigt. Im Hinblick auf die Kombination politischer und religiöser Bildprogramme war beispielsweise der Saal des Augustus, „das Herzstück der Mostra Augustea“ (S. 144), als eine Art sakraler Raum angelegt. Hierin befand sich außer einer Statue des römischen Kaisers auch eine Glasstele, auf der Textteile des Lukasevangeliums über die Geburt Christi angebracht waren. Der verbindende Aspekt lag hierbei in Augustus‘ heilsgeschichtlicher Rolle als Verantwortlicher für die Volkszählung, die Maria und Joseph zum Geburtsort Jesu führte. Ein weiterer mit „Die Christenheit“ betitelter Raum ahmte das Innere einer Basilika nach. Mit ihrer Analyse reiht sich Claudia Müller in Detailstudien über faschistische Propagandaausstellungen ein, wie sie bisher zumindest auf Deutsch noch nicht vorlagen.4 Damit leistet sie einen wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichtspolitik und Kulturgeschichte des italienischen Faschismus.

Das folgende und letzte inhaltliche Kapitel (Kap. 5) ist verschiedenen zentralen ideologischen Topoi gewidmet, bei denen sich der Faschismus entweder gewinnbringend an katholischen Deutungsangeboten bedienen konnte oder aber eigene Interpretationsangebote gerade in Abgrenzung zu katholischen Auslegungen entwarf. So konnte der Faschismus beispielsweise bei seinen expansionistischen Bestrebungen nicht nur auf die territoriale Ausdehnung des antiken Rom verweisen, sondern auch an den Universalanspruch des Katholizismus diskursiv anschließen. Diametral gegenüber standen sich Faschismus und Katholizismus – um einen anderen Topos anzuführen – jedoch in ihrer Haltung zu Krieg und Frieden. Die religiöse Heilsvision des Friedens war mit dem Militarismus des Faschismus kaum vereinbar.

Die These, die Claudia Müller aufstellt, ist zweigeteilt: Einerseits habe die Verschmelzung von katholischen und faschistischen Deutungsmustern nur ein vermeintlich widerspruchsfreies Bild ergeben. Folglich ist es eines der Hauptanliegen der Autorin, gerade diese Brüche und Reibungspunkte aufzuspüren. Andererseits, so der zweite Teil der These, habe diese gegenseitige Bezugnahme zur institutionellen Stabilisierung des faschistischen Regimes beigetragen. Trotzdem Müllers fünftes Kapitel unter anderem mit „Deutungskonflikte“ (S. 165) überschrieben ist, lässt sich zum ersten Punkt anmerken, dass tatsächlich die „katholisch-faschistische[n] Synthese[n]“ (S. 190) bzw. „Synthese[n] katholischer und faschistischer Ordnung“ (S. 223), die sie an verschiedenen Stellen feststellt, in der Interpretation überwiegen. Dieser Befund überrascht insofern nicht, als die Autorin hauptsächlich vom Regime selbst herausgegebene oder – im Falle von Kirchenvertretern oder kirchennahen Autoren – größtenteils staatlich kontrollierte Publizistik in Betracht zieht. Ebenso passierte die Tagespresse, in der sie beispielsweise die Rezeption auf die Augustus-Ausstellung verfolgt, die Zensurinstanzen des Regimes. Das Aufspüren von Widersprüchen und Brüchen ist auf der Basis dieser Quellen nur bedingt möglich. Die von Müller attestierte „Konvergenz von Faschismus und Katholizismus im Romanità-Kult“ (S. 97) erscheint deswegen etwas zu harmonisch. Die Beziehung zwischen Regime und katholischer Kirche war bis zu den Lateranverträgen 1929 eine sehr konflikthafte und auch danach nicht frei von Rivalitäten. Die Autorin führt selbst eine Aussage Mussolinis unmittelbar nach dem Konkordatsabschluss an, in der er festhält, dass „im Staat die Kirche weder souverän noch frei“ sei (S. 15). Aus diesen Gründen sollte dem ideologischen Pragmatismus des Regimes bei der Konzeption des Romanità-Kults und seinem Opportunismus im Umgang mit Kirchenvertretern und religiösen Inhalten, den Müller ja auch an einer Stelle anspricht (S. 251), mehr Raum gegeben werden. Dass das faschistische Regime zwischen verschiedenen Seiten lavierte, zeigt sich schon durch die schiere Anzahl der Akteure, die an der Ausformulierung des Kultes um Rom beteiligt waren: Akademiker, Wissenschaftler, Vertreter der Kurie, „katholische Faschisten“ (S. 120–121) und „Klerikalfaschisten“ (S. 119–120).

Der zweite Teil der These von der stabilisierenden Wirkung, die ideologische Anleihen des Faschismus beim Katholizismus auf die Institutionen des Regimes entfaltet hätten, lässt sich auf Basis der untersuchten regimeeigenen Quellen nicht be- oder widerlegen. Allenfalls kann von einer vom Regime intendierten Stabilisierung die Rede sein. Eine Überprüfung, ob diese effektiv eintrat, ist mit den genutzten Quellen kaum möglich. Mit allen Herausforderungen, die eine Rezeptionsgeschichte mit sich bringt, hätten dazu möglichst unbefangene Ego-Dokumente beispielsweise von Beamten oder Mitarbeitern faschistischer Behörden in Betracht gezogen werden müssen. Trotz dieser Einwände und eines stellenweise nicht einfach zu lesenden Stils lohnt sich die Lektüre des Buches über den faschistischen Romanità-Kult. Es handelt sich um eine kenntnisreiche Detailstudie und Diskursgeschichte über das Verhältnis von Politik und Religion, die über die Fallstudie hinausgehende Anregungen liefert.

Anmerkungen:
1 Emilio Gentile, Il culto del littorio. La sacralizzazione della politica nell'Italia fascista, Roma-Bari 1993.
2 Alexander Nützenadel, Inszenierungen des Nationalstaats. Staats- und Parteifeiern im faschistischen Italien, in: Sabine Behrenbeck/Alexander Nützenadel (Hrsg.), Inszenierungen des Nationalstaats. Politische Feiern in Italien und Deutschland seit 1860/71, Köln 2000, S. 127–148, bes. S. 128.
3 Renzo De Felice, Mussolini il duce. Gli anni del consenso, 1929–1936, Turin 1974.
4 Zur „Ausstellung der faschistischen Revolution“ (Mostra della Rivoluzione Fascista), wie sie das Regime anlässlich seines zehnjährigen Bestehens 1932 veranstaltete, erschien zuletzt: Nanni Baltzer, Die Fotomontage im faschistischen Italien. Aspekte der Propaganda unter Mussolini, Berlin 2013.

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