M. Wenzel: Arbeitszwang und Judenmord

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Titel
Arbeitszwang und Judenmord. Die Arbeitslager für Juden im Distrikt Krakau des Generalgouvernements 1939-1944


Autor(en)
Wenzel, Mario
Erschienen
Berlin 2017: Metropol Verlag
Anzahl Seiten
399 S.
Preis
€ 24,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Irmer, Berlin

In seiner Studie „Arbeitszwang und Judenmord“ befasst sich der Berliner Historiker Mario Wenzel mit den Zwangsarbeitslagern für Juden im Distrikt Krakau, die bislang nur anhand einzelner Beispiele erforscht wurden. Das erstaunt, befanden sich doch in Krakau beispielsweise die Emaille- und Blechwaren-Fabrik von Oskar Schindler und das berüchtigte KZ Płaszów, deren Geschichte durch den Film „Schindler's List“ des amerikanischen Regisseurs Steven Spielberg Eingang in die globale Populärkultur fanden. In der deutschen NS-Forschung stellte das Thema der Zwangsarbeitslager für Juden im besetzten Europa auch trotz der Forschungsaufbrüche in den 1990er-Jahren lange ein Randthema dar. Zuletzt hatten große Lexikaprojekte und die juristische Auseinandersetzung um Ghettorenten dazu geführt, dass sich Historikerinnen und Historiker einzelnen Beispielen der etwa 1.000 im besetzten Polen und den besetzten Ländern der Sowjetunion errichteten Zwangsarbeitslagern zuwandten. Die Lager im Distrikt Krakau wurden aber bisher nicht systematisch untersucht. In der häufig lokalgeschichtlich fokussierten Erinnerungskultur in Deutschland ist die Rolle von Zwangsarbeit bei der Verfolgung von Jüdinnen und Juden in Osteuropa ebenfalls noch sehr unterrepräsentiert.

Zwangsarbeit war auch im Distrikt Krakau ein wichtiger Bestandteil der Stufen der Verfolgung, was Mario Wenzel durch seine auf einer breiten und vielfältigen Quellenbasis fußenden, systematischen Studie eindrucksvoll verdeutlicht. Er hat über 25 Beispiele von Zwangsarbeitslagern im südwestlichen Teil des Generalgouvernements untersucht. Ein besonderes Anliegen des Autors ist es, die Geschichte dieser Lager einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen (S. 13).

Die Fragestellung der Arbeit, mit der Wenzel an der Technischen Universität Berlin promoviert wurde, ist anspruchsvoll. Der Autor will ein differenziertes Bild der Entwicklung der Arbeitslager für Juden im Distrikt Krakau zeichnen. Dazu untersucht er Fragen zur Alltagsgeschichte der Lager, zu den Arbeits- und Lebensbedingungen oder der Rolle der Täter. Er macht Vergleiche zu Entwicklungen in anderen Distrikten des Generalgouvernements. Besonders gelungen ist die Einordnung der Rolle der Lager bei der Verfolgung der Jüdinnen und Juden insgesamt. So kann er zeigen, dass die Lager in der gesamten Zeit der Besatzung und nicht nur in sich zuspitzenden Phasen der Verfolgungspolitik eine wichtige Rolle spielten.

Wenzel teilt die Geschichte der Zwangsarbeitslager in vier verschiedene Entwicklungsphasen ein, die er eng mit der Besatzungs- und Verfolgungspolitik verknüpft: Kennzeichen der bis 1941 errichteten ersten zwanzig Lager im Distrikt Krakau war, dass die jüdischen Zwangsarbeiter hauptsächlich an überregionalen staatlichen Infrastrukturprojekten im Straßen- und Eisenbahnbau arbeiteten. Im geringeren Umfang setzte sie die Arbeitsverwaltung der deutschen Besatzung bei Fluss- und Meloriationsarbeiten sowie beim Ausbau eines Truppenübungsplatzes der Waffen-SS ein. Im Distrikt Krakau waren die Bedingungen in den „frühen Arbeitslagern“ offenbar besser als bei den fehlschlagenden Großeinsätzen für Projekte der Wasserwirtschaft in den Distrikten Lublin oder Warschau (S. 116f.). Aufgrund der insgesamt aber schlechten Arbeits- und Lebensbedingungen gab es zahlreiche Fluchtversuche aus den damals weder durch Umzäunung noch Bewachung gesicherten Lagern, die größtenteils erfolgreich waren, so Wenzel (S. 108). Die Ursachen für die schlechten Bedingungen führt er auf Besatzung und Verfolgungspolitik zurück, die von Anfang an auch im Distrikt Krakau rücksichtslos und gewalttätig war. Die Entlohnung der Arbeit reichte nicht aus, um den Lebensunterhalt zu bestreiten. Auch die zur Versorgung eingespannten Judenräte waren kein Ersatz, sodass die Verelendung zunahm (S. 91f.).

Die zweite und dritte Phase in der Entwicklung der Zwangslager im Distrikt Krakau standen im Zeichen der „Aktion Reinhardt“. In der zweiten Phase entstanden mehrere Firmenlager, mit denen sich Unternehmen Arbeitskräfte sichern wollten. Die Lager nahmen nun auch stärker die Form hermetisch abgegrenzter und geschlossener Orte ein. Die dritte Phase war durch die Auflösung der Ghettos gekennzeichnet, bei der noch benötigte jüdische Arbeitskräfte in Zwangsarbeitslagern eingesperrt wurden. Die SS übernahm auch die Kontrolle über die Firmenlager. Einen Höhepunkt bildete 1943 die Umwandlung von Płaszów in ein Konzentrationslager, dem eine Reihe anderer, aber nicht alle Zwangsarbeitslager als Außenlager unterstellt wurden (S. 315). Die Zwangsarbeitslager wurden nun Teil des KZ-Systems. In dieser Phase sieht Wenzel auch die Zuspitzung der Ausbeutung jüdischer Arbeitskräfte vor deren beabsichtigter Vernichtung.

Wenzel untersucht mehrere Zwangsarbeitslager im Detail, wobei er Beispiele von Lagern unter der Kontrolle der SS wie die für den Ausbau der Ostbahn errichteten Lager in den Krakauer Vororten Płaszów, Prokocim und Bieżanów ebenso betrachtet wie solche bei privaten und staatlichen Unternehmen (darunter Heinkel und Daimler-Benz). Außerdem – bisher wenig beachtet – befasst er sich mit Beispielen von Lagern für die Holzindustrie und auf Truppenübungsplätzen von Wehrmacht und SS. Die Arbeits- und Lebensbedingungen verschlechterten sich fast überall, parallel zur Zuspitzung der Vernichtungspolitik, so Wenzel (S. 328f.).

Die vierte Entwicklungsphase setzt der Autor 1943 an, als die Zwangsarbeitslager selbst in das Fadenkreuz der Vernichtung gerieten. Die SS übernahm nun auch noch die Kontrolle über verbliebene Firmenlager. Gegen Kriegsende, was Wenzel auch zeigt, transportierte die SS einen Teil der übrig gebliebenen jüdischen Zwangsarbeiter ins Reichsgebiet, um sie dort unter anderem bei Verlagerungsprojekten für die Rüstungsproduktion einzusetzen (S. 319f.).

Im Hinblick auf die Täter untersucht Wenzel insbesondere die SS-Offiziere ausführlicher. Hier ist die Quellenlage besser als im Hinblick auf das Wachpersonal, das er anhand der Trawniki-Männer und eines Schutzmannschafts-Batallion beschreibt. Wenzel kann zeigen, dass zuletzt SS-Männer in den Zwangsarbeitslagern tätig waren, die über Erfahrungen beim Einsatz in Konzentrationslagern verfügten. Eine andere wichtige Erkenntnis bezieht sich auf die Rolle von Rüstungsdienststellen der Wehrmacht. Wenzel plädiert hier dafür, deren Interesse am Verbleib von Juden im Rüstungseinsatz stärker zu gewichten.

Im knappen Resümee seiner sehr verdienstvollen Untersuchung setzt sich Mario Wenzel dafür ein, dem System der Zwangsarbeitslager als einem zentralen Bestandteil von Verfolgung und Besatzungsherrschaft in Osteuropa eine größere Bedeutung zuzumessen. Dem ist unbedingt zuzustimmen. Wenzel liefert dafür überzeugende Argumente. Ob Konzentrationslager der Bezugsrahmen zur Einordnung von Zwangsarbeitslager für Juden sind, wie es Wenzel nahelegt, ist diskussionswürdig. Wünschenswert wären weitere Untersuchungen, die einzelne Akteure wie die Reichsbahn als einem großen Nutznießer der Zwangsarbeit von Jüdinnen und Juden ebenfalls genauer in den Blick nehmen.

Mario Wenzel wirft am Ende die Frage auf, ob es ausreicht, Zwangsarbeit im Kontext seines Untersuchungsgegenstands vor allem als einen der wenigen Bereiche zu beschreiben, wo ein Überleben für Jüdinnen und Juden möglich schien. Diese ebenfalls weiter zu diskutierende Frage betrifft nicht nur den Fall des Distrikts Krakau. Sie sollte zudem Teil einer grenzübergreifenden Erinnerungskultur werden.

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