Cover
Titel
Schreiben im Forschen. Verfahren, Szenen, Effekte


Autor(en)
Hoffmann, Christoph
Reihe
Historische Wissensforschung Essay 1
Erschienen
Tübingen 2018: Mohr Siebeck
Anzahl Seiten
VI, 269 S.
Preis
€ 30,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Lina Gafner, Institut für Medizingeschichte, Universität Bern

Der Titel „Schreiben im Forschen“ von Christoph Hoffmann ist als erster Band der neuen Buchreihe „Historische Wissensforschung Essay“ erschienen; die „Reihe Historische Wissensforschung“ im Tübinger Verlag Mohr Siebeck (seit 2014) erhält damit eine kleine Schwester. Die Reihe ist laut Herausgeberschaft „ein Ort für frische und auch widerständige Perspektiven auf Zusammenhänge und Situationen, in denen Wissen im Hinblick auf seine diskursiven, medialen und sozialen Konfigurationen selbst thematisch wird“. Das einladend kleinformatige Buch nimmt die Leserin trotz Festeinband gerne überallhin mit.

Hoffmann geht es in seinem Essay um die Effekte von Schreibverfahren im Forschungsprozess. „Schreibereien“, so Hoffmanns keineswegs abwertend gemeinter Sammelbegriff für jegliche Form des Schreibens, geschehen in sämtlichen Etappen wissenschaftlicher Arbeit, sind ganz unterschiedlichen Zwecken gewidmet und bringen deshalb auch vielfältige Leistungen und Ergebnisse hervor. Sein Unternehmen stellt der Autor unter das Leitbild der „Schriftverbundenheit“ – ein Begriff, der für ihn das vielgestaltige Verhältnis von Schreiben und Forschen sowie die Abhängigkeit des Forschens vom Schreiben zusammenfasst. Denn durch das Schreiben wird ein Forschungsgegenstand verfügbar und konkret, kann betrachtet und umgearbeitet werden. Mehr noch: Schreibverfahren greifen in den Forschungsprozess ein, strukturieren den Forschungsgegenstand und dessen Betrachtung. Und das gilt nicht nur für die Geistes-, sondern gerade auch für die Naturwissenschaften, aus deren schriftlichen Überresten (insbesondere der Nachlässe des Physikers Ernst Mach und des Zoologen Karl von Frisch) sich Hoffmann hauptsächlich bedient, um seine Überlegungen zu veranschaulichen.

Einen ersten, längeren Abschnitt widmet er unter dem Titel „Verfahren“ seinem Zugang zum Untersuchungsgegenstand und damit auch den Begrifflichkeiten, die er nutzt. Dabei hebt „Verfahren“ nicht bloß auf sein eigenes Vorgehen ab, sondern stellt den zentralen analytischen Begriff für ihn dar. Ein Verfahren ist immer konkrete Umsetzung. Methoden, so der Autor, sind Diskursobjekte, Verfahren dagegen „hochgekrempelte Ärmel“. Solche unaufdringlich gestreuten Metaphern, aber auch seine klare, schnörkellose Sprache vermitteln den ausnehmend technischen Gegenstand des wissenschaftlichen Schreibens angenehm anschaulich und zuweilen sogar vergnüglich. Der Autor resümiert: Sein Ansatz verlange, sich mit Geschriebenem auseinanderzusetzen, dabei aber „auf das Lesen Verzicht zu leisten“. Ganz nebenbei bietet dieser erste Abschnitt auch eine Einführung in bereits etablierte Konzepte wie die „Schreibszene“ oder „paper tools“.

Auf den einführenden Abschnitt folgen drei thematische Blöcke: „Aufschreiben“, „Bearbeiten“, „Publizieren“. Der Autor nennt sie „Grundszenen des Schreibens im Forschen“, die nicht als die lineare Abfolge verstanden sein sollen, als die sie in der Gliederung des Buches erscheinen, denn die tatsächliche Praxis sei vielfältig. Der Dreischritt des Buchs funktioniert, trotz Überschneidungen der Bereiche. Jeder Grundszene wird ein Beispiel instrumentellen Schriftgebrauchs als eigenes Kurzkapitel vorangestellt.

„Aufschreiben“, so Hoffmann, kann vielen Zwecken dienen: etwas festhalten, um es zu speichern, um es zu reduzieren, um Abstand zu gewinnen, um es in eine bestimmte Form zu bringen oder für eine künftige Betrachtung und Bearbeitung bereitzustellen. Dabei, so zeigt er an Sektionsprotokollen, ist das, was notiert wird, oftmals das Einzige, was bleibt. Es ersetzt den ursprünglichen Gegenstand unzulänglich, aber unwiderruflich; in der Pathologie werden so aus Körpern archivierbare „Papierleichen“.

Den vielgestaltigen Verfahren des „Bearbeitens“ ist der nächste Abschnitt gewidmet. Bearbeitende Verfahren, so Hoffmann, zielen darauf, „einen Zuwachs an Einsichten zu gewinnen“, Zusammenhänge zu etablieren. Solches Schreiben setzt Absichten und Ziele voraus, ist ein Akt der Sondierung und zieht keine Reduktion, sondern einen Zuwachs an Komplexität nach sich. Denn auch wenn das Ziel darin besteht, einen Überblick zu schaffen und etwa gesammelte Daten zu ordnen, so geht dieser Schritt doch meist mit einer Differenzierung und gleichzeitigen Erweiterung der Fragestellung einher. Die vertiefte Analyse wissenschaftlichen Gekritzels kann, wie hier – von Neuem1 – deutlich wird, für die Wissenschaftsgeschichte äußerst fruchtbar sein, indem sie zeigt, wie Argumente im Schreiben entstehen. Allerdings darf auf das Lesen dann doch nicht ganz verzichtet werden.

Bis hierhin ist die Lektüre des Essays anregend, aber zu einem wesentlichen Teil auch Synthese eines bereits etablierten wissensgeschichtlichen Forschungsbereichs.2 Im letzten Drittel gelangt der Autor mehr und mehr zu den „widerständigen Perspektiven“, bringt seine eigene Stimme ein. Den zweiten Block abschließend führt er vor Augen, was wir zuweilen anrichten, wenn wir in der Forschung unreflektiert von Schreibverfahren Gebrauch machen: Wir synchronisieren auf dem Papier ungleichzeitige Dinge, systematisieren Unsystematisches, unterwerfen es, dem Druck der Schreibverfahren folgend, die schließlich das Geschäft der Wissenschaft ausmachen.

Im Abschnitt „Publizieren“ ruft Hoffmann in Erinnerung, dass wir nie „ein Buch schreiben“, sondern dass ein solches vielmehr im Dialog und der Zusammenarbeit zwischen Autor/in, Grafik, Lektorat, Druck und Buchbinderei entsteht. Das mag banal klingen, gehört aber zur Fokusverschiebung, an der der Autor arbeitet. Was tun wir, wenn es um das Publizieren geht? Eindeutigkeit und Plausibilität sind jetzt gefragt. Hoffmann spricht hier eine für alle Forschenden zwar alltägliche, aber dennoch selten explizit gemachte Wahrheit aus: Es gibt keinen Moment in der Forschungsarbeit, aus dem heraus sich der Schritt zur Publikation zwingend ergibt. Vielmehr drängen äußere Beweggründe – der Call for Papers, das CV, der Schrei nach Output, die Konkurrenz – zur Schließung des Verfahrens, zur adäquaten Setzung von Formulierungen. Strategische Überlegungen und der Versuch der Rezeptionssteuerung drängen sich in den Vordergrund.

Welche Version, welche Formulierung, welcher Fokus stößt auf den geringsten Widerstand in der Community? Die Kenntnis glättender Verfahrensweisen gehört (heute?) selbstverständlich zum Werkzeugkasten von Forscherinnen und Forschern. Hoffmann verweist an dieser Stelle (das Kapitel heißt „die Veröffentlichung als Waffe“) auch auf die legitimierende Funktion von Referenzen, Anmerkungen und Zitaten, die nicht zuletzt dazu dienen, einen Text genealogisch zu verorten, Verbündete zu nennen, Gegenargumente vorwegzunehmen und Konkurrenten einzuhegen. Wenn es darum geht, „die Quellen sprechen zu lassen“, charakterisiert dieses Vorgehen insbesondere auch die Geschichtswissenschaft.

Schließlich fokussiert der Autor auf die Rezipient/innen und die Frage, was eigentlich das wissenschaftliche Publikum tut, wenn es Texte liest. Hoffmann identifiziert drei Lektüremodi: Einer zielt auf die Rekonstruktion des Arguments, einer darauf, sich die eigene Arbeit zu erleichtern, und ein drittes, äußerst gängiges Lesen schließlich konzentriert sich auf das Gelesene als potentielle Referenz. Der Abschnitt zum Arbeitsschritt „Publizieren“ hält entlarvende Perspektiven sowohl auf unsere Schreibverfahren als auch auf unsere Lektüretechniken bereit.

Ähnlich einem „Ausblick“ schließen zwei kürzere Kapitel den Essay ab. Mit Blick auf das heute gängige Schreiben mittels Tastatur und Maus sieht Hoffmann keinen markanten Bruch zu den vorgängig besprochenen Verfahren mit Stift und Papier. Wohl gebe es Spezifisches: der Umgang mit unterschiedlichen Versionen, die Überarbeitung des Geschriebenen, die Festplatte als immer zur Verfügung stehender Fundus und so weiter. Doch in den Absichten und Effekten ist vieles auch erstaunlich gleichgeblieben. Und auch das Papier ist (noch?) nicht verschwunden; denn es ist flexibler einsetzbar und nicht einfach überschreibbar, bringt also durchaus Vorteile mit sich. Kurz: Manches ändert sich, manches bleibt, doch was unveränderlich scheint, ist die Schriftverbundenheit des Forschens.

Hoffmanns Essay ist mehr als eine Auslegeordnung. Es bietet an mancher Stelle vertiefte Analyse und bleibt an anderer Stelle eher oberflächlich. Zuweilen scheinen gewisse Wiederholungen des Arguments unnötig, sie bestechen jedoch immer wieder durch besonders anschauliche Beispiele, verknappte Formulierungen und unverhoffte Variationen des Themas. Hoffmann pendelt gekonnt zwischen Konkretem und Abstraktem und ermöglicht uns allen so den – zuweilen leicht beschämten – Blick auf die eigenen Forschungspraktiken. Das Büchlein birgt eine fundierte Wissenschaftskritik und ist zugleich Anleitung für eine Wissensgeschichte des Schreibens. Da es somit nicht mehr als das Interesse an der Forschung an und für sich voraussetzt, sollte es Aufmerksamkeit in vielen Disziplinen finden.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa die Buchreihe „Wissen im Entwurf“ im diaphanes Verlag, Zürich / Berlin 2008–2011, und andere Publikationen der gleichnamigen Forschungsinitiative des Max-Planck-Instituts für Wissenschaftsgeschichte, Berlin (2005–2011). Maßgeblich hierbei Hans-Jörg Rheinberger, Experiment, Differenz, Schrift. Zur Geschichte epistemischer Dinge, Marburg/Lahn 1992.
2 Die wichtigsten Grundlagentexte hat Sandro Zanetti versammelt in dem Band Schreiben als Kulturtechnik. Grundlagentexte, Berlin 2012. Nebst der erwähnten Forschungsinitiative „Knowledge in the Making“ vgl. beispielsweise auch Gernot Grube / Werner Kogge / Sybille Krämer (Hrsg.), Schrift. Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, München 2005; Anne Blair, Too much to know. Managing scholarly information before the Modern Age, New Haven 2010; Lisa Gitelman, Paper Knowledge, Durham 2014; oder auch das medizinwissenschaftliche Forschungsprojekt „papertechnology“ an der Berliner Charité (2012–2017) und die in dessen Umfeld entstandenen Publikationen.