R. Waterfield: Creators, conquerors, and citizens

Cover
Titel
Creators, Conquerors, and Citizens. A History of Ancient Greece


Autor(en)
Waterfield, Robin
Erschienen
Anzahl Seiten
XXX, 511 S.
Preis
£ 25.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hans Kopp, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bochum

Braucht es eine neue Einführung in die griechische Geschichte der Antike? Robin Waterfield – ein ausgewiesener Kenner und Übersetzer vor allem der griechischen Philosophie – hat mit „Creators, Conquerors, and Citizens“ ein umfassendes Überblickswerk zur griechischen Geschichte vorgelegt, das sich des Rechtfertigungsdrucks jeder neuen Großdarstellung bewusst ist (S. x). Hervorstechendes Merkmal des Buches ist sein weiter Fokus, sowohl in chronologischer als auch in regionaler Hinsicht: Es ist keine Geschichte einzelner griechischer Städte oder Regionen, noch ist es ein Überblick über eine der Epochen griechischer Geschichte. Waterfield will seinen Lesern stattdessen einen Eindruck davon vermitteln, wie zwischen den Anfängen griechischer Kultur und dem Aufgehen Griechenlands in das römischen Imperium aus der Summe unzähliger Gemeinschaften unterschiedlichster Größe und Organisation, die vieles gemeinsam hatten, in vielem jedoch auch konkurrierend waren, die griechische Welt der Antike entstehen konnte; die „one-many issue“ ist Waterfields zentrale Leitfrage (S. x).1 Auch wenn Kenner der Materie das Buch als soliden Überblick schätzen werden können, so dürfte es doch – angesichts des lebhaft-narrativen Stils der Prosa Waterfields, des Minimums an Fußnoten (diese wiederum zumeist nur mit Quellenbelegen bestückt) und des weitgehenden Verzichts auf Forschungsdiskussion – primär ein breiteres Publikum anvisieren. Zeitleisten und Herrscherlisten, übersichtliche Karten in ausreichender Zahl, ein knappes Glossar und gesonderte Empfehlungen zur weiteren Lektüre für jedes Kapitel runden das Buch ab.

Die Themen, die das Buch berührt, sind so umfangreich, dass hier nur ein grober und unvollständiger Überblick geboten werden kann. Zu bemerken ist grundsätzlich, dass Waterfield sein diachron-narratives Gerüst oft verlässt, um in der Art kürzerer Exkurse mit allgemeineren Themen vertraut zu machen. Nach zwei knappen Einleitungskapiteln, die die grundlegenden geographischen und klimatischen Bedingungen der griechischen Welt sowie (etwas zu skizzenhaft) die griechische Frühgeschichte inklusive Homer darlegen, öffnet das Buch mit dem Abschnitt zur Archaik (750–480 v. Chr.). Hier werden die unumgänglichen Themen durchgearbeitet, die die Grundlage der Beschäftigung mit den Eigenheiten der griechischen Welt darstellen: die frühe geographische Streuung der Griechen, die Spuren ethnischer Zugehörigkeitsdiskurse, die Entstehung der Polis, die Welt des Adels, die sozialen Konflikte der Archaik, die unterschiedlichen Wege und Probleme Athens und Spartas, Gesetzgebung und -verschriftlichung, die Charakteristika der griechischen Religion, die Entstehung der dramatischen Dichtung, schließlich die Perserkriege samt Vorgeschichte und Nachhall und die Modi griechischer Kriegführung zu Land und zu Wasser. Die verschiedenen Quellenarten werden von Waterfield bewundernswert leichtfüßig zu einem instruktiven Gesamtbild kombiniert, was bei einer Darstellung der archaischen Zeit von besonderer Bedeutung sein muss. Wann immer die Quellenlage Vorsicht gebietet, lässt Waterfield den Leser nicht im Unklaren darüber, wie wenig mitunter nur sicher bekannt ist, ohne dabei doch die nötige Eindeutigkeit beim Zeichnen der großen Linien vermissen zu lassen. Dass manchmal über im Detail Strittiges etwas zu rasch hinweggegangen wird (Ausmaß und Ursachen der vorsolonischen Krise etwa, oder auch die politische Tendenz der Alten Komödie), ist bei einem Buch solchen Zuschnitts wohl leider unausweichlich und zu verschmerzen.

Der zweite große, der klassischen Zeit (479–323 v. Chr.) gewidmete Abschnitt trägt den schönen und passenden Untertitel „A Tale, Mainly, of Two Cities“. Doch auch wenn naturgemäß die politische Geschichte dieser Jahre und dabei insbesondere die Entstehung des Attischen Seebundes und der Dualismus von Athen und Sparta dieses Kapitel dominieren, so vergisst Waterfield es auch hier nicht, eigene Schwerpunkte zu setzen, die die diachrone Darstellung aufbrechen. So schließt sich etwa an die Darstellung des Seebundes zunächst überraschend, aber sinnvollerweise eine Erörterung der ökonomischen Grundlagen der griechischen Welt an. Zwischen das perikleische Bauprogramm und den Peloponnesischen Krieg schiebt sich ein Kapitel zu Frauen, Familie und Sexualität. Der Gefahr einer zu engen Fokussierung auf den Konflikt zwischen Athen und Sparta und das griechische Kernland begegnet Waterfield mit einem eigenen Kapitel zu Syrakus, das chronologisch und thematisch weit um sich greift. Die nervöse Atmosphäre der unmittelbaren Nachkriegszeit behandelt Waterfield mit einem besonderen Augenmerk auf der Figur des Sokrates. Die wechselnden politischen Allianzen und Konflikte der Zeit werden behandelt, ebenso wie die Frage nach dem Charakter der athenischen Demokratie des 4. Jahrhunderts (wobei Waterfield in diesem Punkt die Kontinuitäten besonders betont). Der Aufstieg Makedoniens hin zur alleinigen Vormacht im griechischen Raum und der kurze Auftritt Alexanders auf der historischen Bühne beschließen den Abschnitt. Auch hier bleibt es zwangsläufig nicht aus, dass über manche Komplexität vielleicht zu rasch hinweggegangen wird, etwa wenn die alte Frage, welche politische Struktur das Bündnissystem der Athener denn eigentlich darstellte, recht knapp behandelt wird. Doch auch in solchen Fällen weiß Waterfield, auch wenn er nicht die Fülle der Forschung referiert, mit einer um Ausgewogenheit des Urteils bemühten Stellungnahme zu überzeugen.

Der letzte, geringfügig kürzere der drei Abschnitte des Buches widmet sich der Zeit des hellenistischen Griechenlands bis hin zur römischen administrativen Einverleibung (323–30 v. Chr.). Es ist wohl unumgänglich, dass hier – angesichts der Fülle an Ereignissen und Schwerpunkten, die in dieser langen und vielfältigen Epoche behandelt werden müssen – die Linien etwas gröber gezeichnet sind. Der Abschnitt beginnt mit einem Überblick über die Kämpfe um die Nachfolge Alexanders, um sich anschließend näher den neuen Verhältnissen in einzelnen griechischen (bzw. nun eher „hellenistischen“) Regionen zu widmen; der zentrale Interessenschwerpunkt des Buches (die „one-many issue“) begegnet auch hier, wenn Waterfield etwa vermutet, das Bündnis des Aitolischen und des Achaiischen Bundes hätte unter anderen Gegebenheiten die Tendenz zur föderalen Vereinigung in der griechischen Welt weiter vorantreiben können (S. 378). Die merklich veränderte, aber dennoch weiterhin lebendige Welt der griechischen Stadt wird in den Blick genommen, ebenso wie die Mobilität der Epoche, die zu weitreichenden Kontakten und der Verbreitung griechischer Lebensweise führte. Das Kapitel zum gesellschaftlichen und geistigen Leben behandelt die zumindest im Umfeld der königlichen Höfe nun größeren Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen und schließlich die Facetten dessen, was als hellenistische Kultur bekannt ist, von neuen Formen der Erziehung bis hin zum reichen Schatz der Bibliothek Alexandrias und der Blüte von Wissenschaft und Philosophie. Schließlich tritt Rom auf den Plan, und die diachrone Erzählung endet damit, wie Rom (in Waterfields Darstellung recht zielstrebig) Schritt für Schritt im Osten intervenierte und die alten Mächte ersetzte. Eine kurze, vielleicht etwas zu kurze Schlussbetrachtung greift die Kernüberlegung des Buches nochmals auf und erörtert knapp, aber klug, wie die Ansätze zur Herausbildung griechischer Identität und Einheit aus einem steten Widerstreiten zentrifugaler und auf Kooperation drängender Faktoren entstehen konnten.

Wird das Buch seinem zugegeben hochgesetzten Anspruch, die neue maßgebliche Gesamtdarstellung griechischer Geschichte zu sein, gerecht? Zumindest für diejenigen, die auf eine englischsprachige Darstellung zurückgreifen wollen und auf vertiefte Forschungsdiskussionen zu strittigen Detailfragen verzichten können, kann dies nur bejaht werden, denn als umfassender Überblick weiß Waterfields sachkundige und lebendig geschriebene Darstellung vollauf zu überzeugen.

Anmerkung:
1 Vgl. dazu auch Waterfields programmatisch betitelten Beitrag: Robin Waterfield, The United States of Greece, in: History Today 68 (2018), 5, S. 24–31.

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