Heißer Handel im Kalten Krieg

Perović, Jeronim (Hrsg.): Cold War Energy. A Transnational History of Soviet Oil and Gas. Cham 2017 : Palgrave Macmillan, ISBN 978-3-319-84182-3 XXIX, 425 S. € 83,29

: The Depths of Russia. Oil, Power, and Culture after Socialism. Ithaca 2015 : Cornell University Press, ISBN 978-0-801-45373-1 XIX, 370 S. $ 89.95

: Energy Infrastructures in the Eastern Bloc. Poland and the Construction of Transnational Electricity, Oil, and Gas Systems. Wiesbaden 2017 : Harrassowitz Verlag, ISBN 978-3-447-10904-8 239 S. € 48,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Susanne Schattenberg, Forschungsstelle Osteuropa, Universität Bremen

So sehr die Cold War Studies en vogue sind, so wenig werden noch immer die ökonomischen Verhältnisse als integraler Bestandteil dieser Geschichte verstanden. Die Erweiterung der reinen Politik- und Konfrontationsgeschichte zu einer histoire totale, nach der der Kalte Krieg sämtliche Aspekte des gesellschaftlichen Lebens durchdrang, liegt noch nicht allzu weit zurück.1 Aber die Wirtschaftsgeschichte wurde hier noch nicht mitgedacht und ist erst so richtig mit Oscar Sanchez-Sibonys provokativer These in den Vordergrund gerückt, dass die Sowjetunion sich keineswegs während des Kalten Krieges wirtschaftlich gegen den Westen abzuschotten suchte und selbst unter Stalin bereits stets die kapitalistischen Länder umwarb und immer Teil des globalen Marktes war.2

In diese Kerbe schlagen auch die Autor/innen der vorliegenden drei Werke: Der „Eiserne Vorhang“ war extrem durchlässig, was den Export von Öl und Gas betrifft, so Jeronim Perović (S. vi). Sowohl sein Sammelband Cold War Energy als auch die Dissertation von Falk Flade Energy Infrastructures in the Eastern Bloc wählen einen dezidiert transnationalen Zugang, um den Energie-Austausch und den Pipeline-Bau über Blockgrenzen hinweg bzw. blockintern zu untersuchen. Sie räumen dabei mit einigen Vorurteilen auf: Im Gegensatz zu den Befürchtungen der NATO und der USA, die UdSSR könnte ihre Energielieferungen nach Ostmittel- und Westeuropa als politische Waffe nutzen, war dies weder intendiert, noch ist es je dazu gekommen. Im Gegenteil, diejenigen, die versuchten, mit Wirtschaftssanktionen den Gegner in Bedrängnis zu bringen, waren zweimal die NATO bzw. USA (1962 und 1982). Auch, so arbeitet Flade heraus, standen keine ideologischen oder geostrategischen Überlegungen hinter dem sowjetischen Öl- und Gas-Segen für die „Bruderländer“. Vielmehr waren diese Verpflichtungen eine große Bürde für die Supermacht, die sie nur zu gern wieder losgeworden wäre. Während es für die ostmitteleuropäischen Länder bequem und günstig war, sich von der UdSSR mit Energie beliefern zu lassen, war es Gorbatschow, der dieser Art Subventionen einen Riegel vorschob, nachdem bereits Breschnew seit den 1970er-Jahren versucht hatte, die „durstigen“ Satellitenstaaten an den Westen zu verweisen bzw. auf die Atomkraft zu setzen.

Zu diesen beiden Wirtschaftsgeschichten, die den Kalten Krieg als Zeit der heißen Handelsbeziehungen beschreiben, gesellt sich das Werk des Kulturanthropologen Douglas Rogers, der eine andere räumliche Dimension wählt. Er interessiert sich nicht für den zwischenstaatlichen Brückenbau, sondern für „the remaking of space“ (S. xii), also was es mit einer Region – hier Perm im Ural-Wolga-Becken – macht, wenn sie der Ölboom trifft und vom Konzern ganz bewusst versucht wird, Öl und Kultur zu einer lokalen Identität zu verschmelzen. So ist dies zwar keine Geschichte des Kalten Krieges, erfüllt aber ein anderes Desiderat, nämlich endlich auch die soziale und kulturelle Dimension der Ölwirtschaft zu untersuchen. Rogers konzentriert sich auf die 1990er- und 2000er-Jahre und schreibt damit zugleich eine Transformationsgeschichte, die ohne all die simplifizierenden westlichen Modelle auskommt. Zudem schafft er es, sich tatsächlich ganz auf die Region Perm zu konzentrieren und damit wirklich eine nicht Moskau-zentrierte Studie zu schreiben.

Doch der Reihe nach: Falk Flade hat eine sehr kurzweilig zu lesende, angenehm knappe und (strategisch) auf Englisch verfasste Dissertationsschrift vorgelegt. Auf nur 200 Seiten untersucht er die Energieflüsse im Ostblock und rückt dabei einerseits den Rat für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) als Organisation in den Vordergrund und konzentriert sich andererseits auf Polen und dessen spezifischen Energie-Mix. Als Wirtschaftshistoriker setzt sich Flade ausführlich mit dem Konzept der Large Technological Systems (LTS) auseinander, das er einerseits wegen seiner Schwammigkeit kritisiert, andererseits dann doch sowohl als Begriffsinstrumentarium als auch als Methode nutzen will. Um es vorweg zu nehmen: den RGW als „system builder“ und die verschiedenen Pipeline-Systeme bzw. das Elektrizitätsnetz als „LTS“ zu beschreiben ist das eine, aber was das Konzept über diese deskriptive Funktion hinaus leisten soll, bleibt unklar. Das, weshalb das Konzept einst als revolutionär galt, nämlich dass Technik menschengemacht ist und sowohl die Gesellschaft die Technik prägt als auch umgekehrt, ist heute eher banal. Das tut dieser Pionierstudie aber keinen Abbruch.

In sechs sehr konzise strukturierten Kapiteln zeichnet Flade vor allem die Entwicklung, Durchführung und Folgen von drei Großprojekten des RGWs nach: der Druschba (Freundschafts) Pipeline für Öl (Bauzeit 1959–1964), der Sojus (Unions) Pipeline für Gas (1975–1979) und des Elektrizitäts-Netzwerk Mir (Frieden; 1958–1980er-Jahre), wobei er auch die Entstehungsgeschichte und den schließlichen Abriss des halbfertigen Atommeilers Żarnowiec (1982–1990) analysiert. So entsteht eine Geschichte der wirtschaftlichen Zusammenarbeit und ihrer Hindernisse in Ostmitteleuropa. Der RGW wurde mit vielen Kinderkrankheiten aus der Taufe gehoben, die nie überwunden wurden: Da er nur Empfehlungen aussprechen konnte, mussten alle Verträge bilateral ausgehandelt werden. Obwohl alle das Gegenteil beteuerten, achteten dabei natürlich alle Staaten auf ihre eigenen Vorteile. Das größte Problem war und blieb bis zum Zusammenbruch, sich auf ein Preissystem zu einigen, wie welche Leistungen und Lieferungen zu verrechnen seien.

Flade zeigt implizit, dass der RGW auch als „Hilfsorganisation“ für die Sowjetunion betrachtet werden könnte, die große Infrastrukturprojekte nicht allein stemmen konnte und daher den Aufbau – und die Probleme – „demokratisierte“. So etwa den Bau der Sojus-Pipeline, bei der jedes der fünf beteiligten Länder komplett für einen Streckenabschnitt verantwortlich zeichnete. Die so geforderten Mitglieder entwickelten Raffinesse bei der Umsetzung ihrer Pflichten: Die DDR erklärte den Pipeline-Bau zur FDJ-Baustelle und schickte nur Jugendliche statt hochqualifizierter Arbeiter (S. 119). Polen verfiel auf die Idee, die „Eigenleistung“ zum Bau zweier sowjetischer AKWs so teuer zu machen, dass die UdSSR sich gezwungen sah, mehr zu zahlen (S. 157). Offenbar wird aber auch die Illusionslosigkeit, irgendwann den technischen Standard des Westens erreichen zu können. Trotz des ersten Embargos 1962 setzte der RGW beim Bau seiner Pipelines konsequent auf den Import von Stahlrohren aus dem Westen; auch die Pumpstationen, die eigentlich in Leningrad gebaut werden sollten, mussten schließlich im Westen eingekauft werden. Flade schließt damit, dass am Ende der gesellschaftliche Druck nach Tschernobyl für das Aus des halbfertigen Meilers bei Danzig sorgte, über den sogar 1989 am Runden Tisch verhandelt wurde: Energiefragen hielten nicht mehr den RGW zusammen, sondern beschleunigten die Perestroika.

Konzentriert sich Flade auf Polen und den RGW, steht in Perovićs Sammelband die Sowjetunion als Öl- und Gas-Multi mit ihren vielfältigen Verflechtungen nach West und Ost im Mittelpunkt. Die 14 Beiträge sind in drei Blöcke gegliedert: (1) vom Weltkrieg zum Kalten Krieg, (2) Détente sowie (3) Krise und Zusammenbruch im Ostblock. Es gibt leider keine wirkliche Einleitung, dafür einen vorgeschalteten Beitrag Perovićs, der in einem Rundumschlag die Geschichte des sowjetischen Öls von Anfang bis zum Ende erzählt. Wie schon Perović erläutert Felix Rehschuh in dem zweiten Beitrag, dass in der Sowjetunion die Bedeutung des Öls lange nicht erkannt wurde, sondern Kohle und Wasserkraft als Energie der Moderne und des Sozialismus galten. Selbst die Besetzung Bakus durch die Wehrmacht brachte keine Kehrtwende in der Ölerschließung, deren Ausbau erst in den 1960er-Jahren begann.

Die große Rolle, die letztlich Öl beim Zerwürfnis der Alliierten nach dem Krieg spielte, untersucht Nataliia Egorova im dritten Artikel: Die UdSSR weigerte sich, 1945 aus dem besetzten Iran abzuziehen, weil es das Land zur Abtretung von Öl-Konzessionen zwingen wollte. Dieser Konflikt war einer der ersten, der vor der neugegründeten UNO verhandelt wurde.

Die folgenden sechs Artikel zeigen, wie unterschiedlich – von aufgeschlossen über verunsichert bis zu entschieden ablehnend – westliche Staaten auf die Avancen der Sowjetunion allgemein und die Charmeoffensiven Breschnews persönlich reagierten, Öl und Gas in den Westen gegen Technologie, Pipeline-Röhren, Schiffe und Konsumgüter zu tauschen. Niklas Jensen-Eriksen zeigt, wie uneins die britische Regierung in dieser Frage um 1960 war: Während das Handelsministerium zum sowjetischen Öl gern ja gesagt hätte, sprach sich das Energie-Ministerium, das eindeutig die Interessen der Öl-Multis schützte, vehement dagegen aus.

Sowohl Roberto Cantoni als auch Elisabetta Bini stellen Italien und dessen Energie-Behörde ENI als Vorreiter vor, das als erstes Land 1958 einen Öl-Deal mit der Sowjetunion abschloss, um damit das Monopol der internationalen Öl-Konzerne, genannt die „Sieben Schwestern“, erfolgreich zu brechen. Wie auch schon bei Jensen-Eriksen wird deutlich, dass die Beschwörung der Sicherheitslage nicht von den wirtschaftlichen Interessen zu trennen war, denn die Gefahren, die vermeintlich durch sowjetisches Öl drohten, brachten immer nur jene Länder vor, die selbst Öl und Gas produzierten. Bini zeigt, dass die „Sicherheitslage“ nicht nur ein wirtschaftliches Argument war, sondern umgekehrt die Handelsabschlüsse auch als politisches Kapital genutzt wurden, denn Italien schaffte es mit diesem Deal, seine Position in der NATO zu stärken.

Dass politischer Wille zur Verständigung für das Geschäft auch schädlich sein konnte, erläutern Alain Beltran und Jean-Pierre Williot in ihrem Beitrag zu Frankreich, wo das Insistieren Georges Pompidous, an allen Verhandlungen beteiligt zu sein, diese übermäßig in die Länge zogen, so dass schließlich nicht Italien und Frankreich zuerst einen Gas-Deal mit der Sowjetunion unterschrieben, sondern Österreich und die Bundesrepublik ihnen zuvor kamen. Gerade in den Analysen von Bini und Beltran & Williot wird deutlich, dass das sowjetische Gas mit Gas aus den Niederlanden und Algerien konkurrierte, wo große Vorkommen um 1960 herum und damit etwa zur gleichen Zeit wie in der Sowjetunion entdeckt worden waren. Den Abschluss mit Österreich 1968 und der BRD 1970 erläutert Dunja Krempin. Sie stellt auch vor, wie sehr Breschnew hoffte, die riesigen Gasfelder West-Sibiriens mit Hilfe des Westens erschließen zu können, dies zur ersten Priorität erklärte und dafür Bonn hofierte.

Den gescheiterten Versuch der USA, diese ungebremste Zusammenarbeit zwischen westeuropäischen Staaten und der Sowjetunion – Einmarsch in Afghanistan hin, Kriegsrecht in Polen her – zu unterbinden, analysiert David Painter. Er stellt die „Reagan Victory School“ vor, die überzeugt ist, Reagan habe die Sowjetunion in die Knie gezwungen, indem er einerseits 1982 ein Röhrenembargo verhängte und andererseits Saudi-Arabien zu solchen Ölfördermengen überredete, dass der Ölpreis abstürzte und die Sowjetunion mit sich riss. Painter führt aus, dass Reagans Embargo kläglich scheiterte, weil sich die europäischen Verbündeten schlicht nicht daran hielten, dass Saudi-Arabien aus eigenem Interesse die Fördermenge anhob und letztlich auch nicht die gesunkenen Öleinnahmen die Sowjetunion in den Ruin trieben.

Die letzten vier sowie auch der weiter vorne im Band angeordnete Text von Viacheslav Nekrasov thematisieren die Situation innerhalb des RGWs. Nekrasov untersucht, letztlich wie Jensen-Eriksen für England es getan hat, welch widerstreitende Interessen in der staatlichen sowjetischen Planungsbehörde Gosplan am Werk waren. Obwohl Chruschtschow 1956 zum Aufbruch in der Öl-Industrie geblasen hatte, schaffte es die mächtige Metall-Lobby immer wieder, Gelder für die eigene Branche umzuleiten. Dagegen blockierte Chruschtschow selbst den Ausbau des Gasnetzes, weil er sich vom Gasminister übergangen fühlte, dessen Resort er dafür mit Blockaden bestrafte. Nach einem Beitrag von Falk Flade, der Teile seiner Dissertation zusammenfasst (s.o.), schlägt Suvi Kansikas in dieselbe Kerbe, dass die Energieversorgung der „Bruderstaaten“ für die Sowjetunion immer mehr zur Bürde wurde, von der sie sich nicht so recht zu befreien wusste. Erst 1975 kippte sie das Preissystem, das den RGW-Staaten Energie unter Weltmarktpreis garantiert hatte, nur um 1980 enorme Mengen Öl billig an Polen zu liefern, damit es damit seine gigantischen Schulden im Westen refinanzieren konnte. Lorenz Lüthi geht noch einen Schritt weiter: Die Energielieferungen hätten den RGW zusammengehalten, der zusammenbrach, als die Sowjetunion ihren Verpflichtungen nicht mehr nachkommen konnte bzw. wollte.

Einzig der letzte Beitrag von Margarita Balmaceda setzt einen klar anderen Akzent und widerspricht damit Perović, Flade u.a. Die Sowjetunion habe durchaus die Energie-Infrastruktur in Reaktion auf den Aufstand in Ungarn 1956 (Polen wird nicht erwähnt) als Kontrollmechanismus aufgebaut: Macht sollte nicht nur durch Gewalt, sondern politisch, militärisch und wirtschaftlich ausgeübt werden. Dass die Energie-Infrastruktur mit ihren Pipelines, Raffinerien, Knoten- und Verladepunkten ein problematisches Erbe des RGW ist, damit stimmt sie mit Flade überein; dass hier bewusst eine Abhängigkeitsstruktur zu Lasten der ostmitteleuropäischen Länder geschaffen wurde, verneinen alle anderen Beiträge, die sich mit dieser Thematik befassen.

Nach diesem umfassenden Band, der grundlegende politische und wirtschaftliche Daten, Fakten und Argumente zum blockübergreifenden und -internen Energiehandel zusammenträgt, stellt sich die Frage nach den sozialen, kulturellen und ökologischen Auswirkungen, zu denen es noch viel zu wenig Studien gibt. In diese Lücke stößt der Anthropologe Douglas Rogers, den gerade die sozio-kulturellen Veränderungen in Perm nach 1991 interessieren. Gleich mehrere Modelle wirft er als untauglich über Bord: den engen Fokus der Sozialwissenschaftler, die immer nur die Transformation von Öl in Geld untersuchten und damit das westliche Modell vom Öl-Boom, das auf die Sowjetunion nicht anwendbar sei, während Entwicklungsmuster, wie sie in frühen Petro-Staaten wie Venezuela oder Saudi-Arabien zu beobachten waren, viel eher zuträfen; ebenfalls die Geschichte der politischen Transformation nach 1991, die er als sozio-kulturelle Identitätsbildung erzählen will. So ambitioniert sein Vorhaben ist, so überzeugend ist seine Studie, die durch zahlreiche Zeitzeugeninterviews und Archivquellen unterlegt ist. Rogers hat sich Perm als die Öl-Region ausgesucht, die, wie es Rehschuh beschrieben hat, lange Zeit im Schatten Bakus stand, Anfang der 1970er-Jahre schon als erschöpft galt und erst nach 2000 den wirklichen Boom erlebte.

In drei Blöcken und acht Kapiteln erzählt Rogers seine Geschichte von der „Tiefen-Identität“, also wie Lukoil und Regionalverwaltung erfolgreich die „Tiefe“, aus der in Perm das Öl gefördert werden musste, mit der „Tiefe“ von Geschichte, Kultur und Tradition zu einer neuen Identität verbanden. Wer sich in Russland etwas auskennt und sich schon immer gefragt hat, warum Perm mit seinen vielen NGOs und Kulturprogrammen ein außerordentlicher Ort für die russische Provinz ist, erhält bei Rogers die Antwort darauf. Während die Voucher-Privatisierung der sowjetischen Produktionsmittel Anfang der 1990er-Jahre meist als Desaster geschildert wird, kann Rogers zeigen, wie in Perm die neugebackenen Aktionäre es tatsächlich schafften, sich gegen den Druck aus Moskau erfolgreich zu wehren und dafür zu sorgen, dass die staatliche Rosneft ihre 30% Anteil am Permer Öl-Imperium an Lukoil zu übertragen. Damit nicht genug: Die Aktionäre konnten ebenfalls durchsetzen, dass Lukoil zwei Permer Unterfirmen gründete, um vor Ort gebunden zu sein und nicht doch alle Gewinne nach Moskau abfließen zu lassen.

Diese Erfahrung von Lukoil mit selbstbewussten Permern einerseits und dem herausragenden Gouverneur Jurij Trutnev andererseits, der sich zum Ziel setzte, Perm zu „Russlands Hauptstadt der Zivilgesellschaft“ zu machen (S. 158), sorgte für eine besondere Mischung aus Öl-Geld und staatlicher Sozial- und Kulturarbeit, die allerorten Projekte ausschrieb und die Bevölkerung ermutigte - und sogar schulte, sich darauf zu bewerben. Lukoil ließ sich darauf ein und schrieb bald eigene Sozial- und Kulturprojekte aus, weil es als eines der ersten russischen Unternehmen erkannte, wie wichtig es war, am eigenen Image zu arbeiten, und dass es profitbringend war, in der Region von der Bevölkerung anerkannt zu werden; soziale Unterschiede und Einkommensgefälle sollten durch Kulturprojekte nivelliert werden.

Trutnev wurde 2004 von einem Gouverneur abgelöst, der ebenso Außergewöhnliches vorhatte: Er erklärte, Perm solle St. Petersburg als heimliche Kulturhauptstadt Russlands verdrängen, und begann darauf hinzuarbeiten, Perm 2016 zur Kulturhauptstadt Europas zu machen. Dafür lud er u.a. Vertreter der Guggenheim Foundation nach Perm, um ihnen eine Filiale dort schmackhaft zu machen. Es wurde dann doch nur ein eigenes Museum für moderne Kunst, genannt PERMM, das nach dem Abtritt des Gouverneurs 2012 in ein kleineres Gebäude umziehen musste und seitdem nur noch lokale Kunst zeigt. Leider bricht das Buch an dieser Stelle relativ unvermittelt ab; es fehlen Zusammenfassung und Ausblick. Dennoch kann man nur hoffen, dass es zahlreiche solcher Studien zu den sozialen und kulturellen Implikationen von Öl- und Gaswirtschaft vor und nach 1991 geben wird.

Für die Cold War Studies wäre wünschenswert, dass es die Wirtschaftsgeschichte endgültig schafft, sich aus der „dritten Reihe“ in die erste vorzuarbeiten und damit neue Perspektiven, Dynamiken und Zusammenhänge des „heißen Handels“ im „Kalten Krieg“ zu offenbaren. Gleichwohl geht mit der Aufwertung der Wirtschaftsgeschichte auch die Gefahr einher, ökonomische Befunde überzubewerten. So behauptet Painter, die Sowjetunion sei zusammengebrochen, weil sie die aus der Zarenzeit ererbte technologische Rückständigkeit nie überwinden konnte (S. 304). Das ist sicher ein Kurzschluss, der so nicht zu halten ist. Schon eher ist der These Perovićs zuzustimmen, die vor ihm auch schon Kotkin vertreten hat3, dass das Öl-Geld verhinderte, dass der nötige Reformdruck entstand, so dass das Land zusammenbrach. Näher untersucht werden sollte Lüthis These, der Ostblock habe so lange zusammengehalten, wie die Sowjetunion ihn mit Öl schmierte. Aber ursächlich für das Ende der Sowjetunion waren dann doch eher Gorbatschows Reformen, der Putsch und die folgende Gründung der GUS. Wirtschaftsgeschichte sollte also nicht in Form – zu kurz greifender – Kausalverbindungen eingeführt, sondern als integraler Teil von politischen und gesellschaftlichen Prozessen begriffen werden, die, wie Rogers es zeigt, sich auch wesentlich in Kultur und Identität niederschlagen konnten.

Anmerkungen:
1 Bernd Greiner, Kalter Krieg und „Cold War Studies”, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 11.02.2010, http://docupedia.de/zg/Cold_War_Studies (22.03.2019).
2 Oscar Sanchez-Sibony, Red Globalization. The Political Economy of the Soviet Cold War from Stalin to Khrushchev, Cambridge 2014.
3 Stephen Kotkin, Armageddon Averted. The Soviet Collapse, 1970–2000, 2. überarb. Aufl., Oxford 2008, S. 16.

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