G. Moosbauer: Die vergessene Römerschlacht

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Titel
Die vergessene Römerschlacht. Der sensationelle Fund am Harzhorn


Autor(en)
Moosbauer, Günther
Erschienen
München 2018: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
201 S.
Preis
€ 19,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus-Peter Johne, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Seit drei Jahrzehnten haben spektakuläre Funde unser Wissen um die Beziehungen zwischen Römern und Germanen bereichert, ergänzt und korrigiert. Zweifellos am bekanntesten geworden sind die Ausgrabungen in der Kalkriese-Niewedder Senke bei Osnabrück, dem vermutlichen Ort der Varusschlacht. Aber auch die Fundorte Marktbreit bei Würzburg, Lahnau-Waldgirmes und Dorlar in Hessen, Hedemünden an der Werra und neuerdings Wilkenburg bei Hannover sind für die Erforschung der römischen Expansion um den Beginn der christlichen Zeitrechnung von großem Wert. Sie alle bezeugen die Aufenthalte von Römern in Germanien zwischen 12 v.Chr. und 16 n.Chr. Von ihnen unterscheidet sich nun grundsätzlich der Fund am Harzhorn zwischen Kalefeld und Bad Gandersheim im Kreis Northeim in Niedersachsen. Dort wurde 2008 ein Schlachtfeld entdeckt, das in das 3. Jahrhundert, in das Jahr 235 n.Chr., datiert werden kann. Die Beweise für einen römischen Feldzug in das Innere Germaniens mehr als 200 Jahre nach der Schlacht im Teutoburger Wald sind eine echte Sensation!

Für Günther Moosbauer, Museumsdirektor in Straubing und ausgewiesener Kenner der römischen Germanienpolitik, ist der Fund am Harzhorn der Ausgangspunkt für eine weitreichende Untersuchung. In seinem Buch geht es bei weitem nicht nur um die „vergessene Römerschlacht“, er erörtert vielmehr die römisch-germanischen Beziehungen von der Mitte des 2. bis in das späte 3. Jahrhundert. Das erste Kapitel behandelt die Ereignisse von der Regierung des Antoninus Pius bis zum Feldzug des Caracalla 213, wobei die Markomannenkriege Mark Aurels verständlicherweise den größten Raum einnehmen. Von besonderem Interesse ist dabei, dass neuere archäologische Zeugnisse im südlichen Böhmen und Mähren sowie in der Slowakei dafür sprechen, dass die in literarischen Quellen überlieferten Pläne für die Einrichtung einer römischen Provinz Marcomannia offensichtlich eine historische Grundlage besitzen (S. 35–37).1 Neben den archäologischen Funden zieht der Verfasser alle vorhandenen Schriftquellen in vorbildlicher Weise heran, das heißt die einschlägigen Zitate aus der griechischen und römischen Literatur, die Inschriften und auch die Münzen.

Die drei folgenden Kapitel beschäftigen sich mit der Vorgeschichte des Jahres 235. Während eines Krieges zwischen Römern und Persern im Nahen Osten kam es zwischen 231 und 234 zu germanischen Einfällen in die römischen Grenzprovinzen und zu Zerstörungen am Limes und in dessen Hinterland. Die Germanen stießen dabei bis an den Rhein und über die Donau vor, selbst Italien schien bedroht zu sein. Der Perserkrieg wurde abgebrochen und zahlreiche Truppenverbände, darunter auch orientalische Spezialeinheiten, an die Rheinfront verlegt.

Kapitel 5 stellt mit dem Feldzug des Maximinus Thrax gegen die Germanen das Kernstück des Buches dar. Seinen Verlauf rekonstruiert Moosbauer ausgehend von Mainz durch die Wetterau an die Werra bei Hedemünden, von dort in das Thüringer Becken und schließlich nach Norden bis in die Altmark. Dort verortet er die in der Literatur überlieferte „Schlacht im Moor“ (vgl. Abb. 10, S. 76). Auf dem Rückweg zog das Heer am Harz vorbei nach Süden und konnte am Harzhorn einen germanischen Überfall erfolgreich abwehren. Aus den zahlreichen Militaria-Funden, von denen Katapultbolzen, Pfeilspitzen und Sandalennägel am wichtigsten sind, rekonstruiert der Verfasser höchst eindrucksvoll das Kampfgeschehen, das durch Silbermünzen auf das Jahr 235 datiert werden kann. Die Römer haben Torsionsgeschütze, die bereits ein Jahrhundert früher auf der Trajanssäule abgebildet worden sind, als Artillerie eingesetzt. Die Darstellung ist ein Musterbeispiel für die Auswertung eines Fundplatzes der „Schlachtfeldarchäologie“ (S. 85–101).

Im Kapitel 6 wird eine Rückkehr des Heeres vom Harzhorn in das Winterlager bei Mainz angenommen. Dies kann jedoch nur eine Vermutung sein. Bevor das neue Schlachtfeld entdeckt worden ist, ergab sich nämlich ein ganz anderer Feldzugsverlauf: Bei Herodian und in der Biographie des Maximinus Thrax in der Historia Augusta ist der Ausgangspunkt der Raum Mainz und das Endziel Sirmium an der Donaufront, heute Sremska Mitrovica in Serbien. Der Kaiser zog danach nach Südosten vom Rhein zur Donau. Das ist nun deshalb sehr wahrscheinlich, weil es die vordringlichste Aufgabe des Herrschers sein musste, das kurz zuvor von den Germanen eroberte rechtsrheinische Provinzgebiet zurückzugewinnen, den obergermanisch-rätischen Limes wiederherzustellen und ihn neu zu befestigen. Die Kriegsführung jenseits der Grenze dürfte sich daher im Vorfeld des Limes abgespielt haben, also im heutigen Süddeutschland, wo auch die „Schlacht im Moor“ lokalisiert werden müsste. Gegenüber dieser eindeutigen Hauptaufgabe musste ein Rachefeldzug gegen Stämme in Mitteldeutschland bis zur Elbe von zweitrangiger Bedeutung sein. Die „vergessene Römerschlacht“ scheint demnach ein Nebenkriegsschauplatz gewesen zu sein, was die Bedeutung dieses Fundes keinesfalls schmälert. Bei dem großen Heeresaufgebot, das 234/235 am Mittelrhein versammelt wurde, kann durchaus eine Heeresgruppe den von Moosbauer nachgezeichneten Zug nach Nordosten unternommen haben und auf dem Rückmarsch zum Harzhorn gekommen sein, während der Kaiser mit dem Hauptheer nach Südosten zog. Die antike Literatur hat nur von dessen Feldzug Kenntnis genommen – und selbst das nur schemenhaft – und andere Operationen ignoriert. Auch in der augusteischen Zeit haben die Schriftsteller vorrangig die Kriegshandlungen dargestellt, die von Prinzen des Kaiserhauses geleitet wurden. Die vermutete Aufteilung des Heeres besäße eine Parallele in dem Perserkrieg der vorangegangenen Jahre, in dem das Römerheer in drei verschiedenen Marschsäulen vorgerückt war (vgl. S. 57f.). Wie weit Maximinus Thrax mit seinem Heeresteil in Germanien gekommen ist, wissen wir nicht. Dabei helfen leider auch die vermeintlich genauen Zahlenangaben in der Historia Augusta nicht.2

Die Kapitel 7–9 schildern Veränderungen im Barbaricum, wobei das 1990 entdeckte Fürstengrab von Gommern bei Magdeburg ausführlicher gewürdigt wird, das Ende des Kaisers Maximinus Thrax 238 und bieten einen Ausblick auf die Zeit der Soldatenkaiser und das Gallische Sonderreich.

Ein Resümee stellt schließlich das Harzhornereignis in den Kontext der Reichsentwicklung. Die „vergessene Römerschlacht“ zeigt, dass noch im krisengeschüttelten 3. Jahrhundert römische Verbände weit hinter den Reichsgrenzen tief im Barbaricum operieren konnten. Auch wenn Maximinus Thrax selbst daran nicht beteiligt gewesen sein dürfte, ändert dies nichts an dem sensationellen Charakter des Fundes, der in diesem Buch mustergültig vorgestellt wird.

Anmerkungen:
1 Vgl. dazu Klaus-Peter Johne, Die Römer an der Elbe. Das Stromgebiet der Elbe im geographischen Weltbild und im politischen Bewusstsein der griechisch-römischen Antike, Berlin 2006, S. 247–249.
2 Vgl. dazu Johne, Elbe, S. 261–264 und Rainer Wiegels, Zu den Heeresformationen Roms am Rhein und oberer Donau in der Zeit des Alexander Severus und des Maximinus Thrax, in: Klio 96 (2014), S. 93–143, bes. S. 95–97 und 135.

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