Cover
Titel
Die frühen Christen. Von den Anfängen bis Konstantin


Autor(en)
Leppin, Hartmut
Reihe
Historische Bibliothek der Gerda Henkel Stiftung
Erschienen
München 2018: C.H. Beck Verlag
Anzahl Seiten
512 S., 21 Abb.
Preis
€ 29,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Vaucher, Historisches Institut, Universität Bern

Sicherlich ist Hartmut Leppins neuestes Buch „Die frühen Christen“ ein ambitioniertes Vorhaben. Es umfasst „das“ frühe Christentum in all seinen Facetten und in seinen paganen und jüdischen Kontexten vom den apostolischen Anfängen bis zur konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert. Entsprechend entschuldigt sich Leppin im Vorwort für sein Unterfangen, das manch einer als „vermessen“ einstufen könnte. „Das beginnt bei der beschränkten Kompetenz des Verfassers. Er wagt sich als Althistoriker auf das Minenfeld eines unter Theologen zu Recht hochumstrittenen Gebietes“, so der Autor (S. 22). Deutsches British Understatement, denn natürlich ist Leppin als erwiesener Kenner der Materie bestens geeignet, die enorme Themenvielfalt kompetent zu behandeln. Und das Ergebnis ist durchaus gelungen.

Leppin ordnet sein Buch nach vier thematischen Abschnitten, denen eine Einleitung zu methodischen und begrifflichen Fragen sowie ein Prolog zu den Ursprüngen des Christentums („ein Leichnam kommt der Welt abhanden“) vorangestellt sind. Das erste Kapitel beschäftigt sich mit der Identität der frühen Christen in ihrer Abgrenzung von den Juden und Heiden – wiewohl Leppin den „Regenschirmbegriff“ Heidentum (S. 10) für unbrauchbar erklärt und auch die Vielfalt des Judentums betont. Leppin streicht einerseits die neuartigen Merkmale des „neuen“ Kults hervor und betont deren Fremdheit, andererseits ist er bemüht, die Gemeinsamkeiten hervorzuheben und so die christlichen Phänomene zu kontextualisieren. So geht es unter anderem um die christlichen Feiern und Mahlgemeinschaften, aber auch um den Wunderglauben, Magie oder um das Begräbnis und die Orte der Gemeinschaftsbildung. Das zweite Kapitel beschäftigt sich mit den Organisationsformen der Christengemeinden und Fragen der Autoritätsbildung. So stellt Leppin die Frage nach der Position der Frauen in den Gemeinden, nach der Rolle der Prophetinnen und Propheten und nach deren Auseinandersetzung mit dem sich herausbildenden Bischofsamt. Daneben werden die Themenschwerpunkt Askese und Heiligenverehrung besprochen. Diese beiden Themen hätten auch im dritten Kapitel Platz gefunden. Hier bespricht Leppin das Verhalten der frühen Christen im Alltag, so etwa ihre Einstellung zur Sexualität, zur Ehe, zur Arbeit oder die Rolle der Familie, der Kinder und der Sklaven in den christlichen Gemeinden. Die Besprechung der Bußinstitution und der Formen der Demut wirkt auch hier etwas fehlplatziert. Das vierte Kapitel schließlich bespricht das Verhältnis der frühen Christen zu den politischen Eliten, zum Staat und schildert abschließend das Leben der Christen in Zeiten der Verfolgung. Ein Personen- und Ortsregister sowie eine umfangreiche Bibliographie runden das Buch ab.

Bereits ein Blick in die genannte Bibliographie oder in den Anmerkungsteil verrät eine der großen Stärken des Buches. Leppin hat nicht nur die neuste Forschung im Blick, er präsentiert auch eine ungeheure Spannweite an Quellen. Wer nur eine Auswertung der bekannten patristischen Autoren erwartet, wird positiv überrascht. Gerade um die Vielfalt des frühen Christentums zu betonen, arbeitet Leppin mit Inschriften, mit Papyri und mit sogenannten gnostischen oder apokryphen Texten. „Die frühen Christen“ ist daher auch ein Panorama der altchristlichen Literatur, das für sich schon ein Lesegenuss ist. Leppin aber stellt die diversen Quellen in den Dienst seiner These, nämlich der Dialektik zwischen Charisma und Amt. Leppin nimmt dies in der Einleitung vorweg, indem er Max Webers Kategorien einführt und das damit verbundene, althergebrachte Narrativ, das eine Entwicklung von der charismatischen Autorität hin zur Amtsautorität postulierte, bespricht und relativiert (etwas befremdend ist dabei, dass sich Leppin mit Max Weber dabei nicht intensiv auseinandersetzt, sondern diesen schlicht voraussetzt – es ist bezeichnend für das ganze Buch, in dem der Autor hauptsächlich Primärquellen bespricht und wissenschaftliche Theorien und Debatten ausklammert oder allenfalls in den Anmerkungsteil am Ende des Buches auslagert).

Während die klassische Webersche Tradition eine Entwicklung von der charismatischen Autorität der Apostel, Lehrer und Propheten hin zur Amtsautorität der Presbyter und Episkopoi vertritt, beleuchtet Leppin die permanente Herausforderung der Amtsautorität durch das Charisma verschiedener Personen oder Personengruppen. Verschiedenste Menschen im untersuchten Zeitraum erlangten Autorität durch ihre Prophetie, durch ihre asketische oder intellektuelle Leistung oder durch ihren sozialen oder finanziellen Status und stellten dadurch die amtliche Autorität in Frage. Das muss nicht bedeuten, dass eine Entwicklung hin zur Amtsautorität nicht stattgefunden hat. Tatsächlich etablierte sich in sämtlichen christlichen Gemeinden der Episkopat und von einer Koexistenz an Hausgemeinden mit ihren jeweiligen Episkopoi kam es im Laufe der Jahrhunderte zu einer Herausbildung von Monespikopoi.1 Diese Entwicklungen verliefen parallel: Amt und Charisma stritten fortwährend um Einfluss in den Gemeinden.

Diese Machtkämpfe verfolgt Leppin anhand verschiedener Beispiele. So stellt er die christlichen Gemeinden in ihrem antiken Kontext als kyriarchische Gemeinden vor, die nicht etwa für die Gleichheit von Mann und Frau einstanden. Aber spirituelle Autorität vermochte die Herrschaft des Mannes immer wieder zu durchbrechen, etwa in der Form von Prophetinnen, die ungeachtet des Widerstands der Bischöfe große Popularität erlangten. Relativ wenig zur Sprache kommt dagegen die finanzielle oder soziale Autorität, die womöglich am Anfang der Amtsautorität stand (in Form der Hausvorsteher der Gemeinden), aber allein durch ihren weltlichen Einfluss die Autorität der Episkopoi herausfordern konnte.

Nebst der Rolle einiger einflussreicher Frauen werden auch die Sklaven erwähnt. Auch einige von ihnen konnten zu Autorität gelangen und das Gefüge der Gemeinden in Unordnung bringen. Dem schoben die Bischöfe ab dem 2. Jahrhundert einen Riegel vor: Amt setzte sich hierbei klar gegen spontane charismatische Persönlichkeiten durch – es sind m. E. keine Sklaven als Bischöfe im Untersuchungszeitraum von Leppin bekannt.2 In diesen Fragen ist eine Entwicklung hin zur Amtsautorität, wie Weber sie vertrat, nicht falsch. Leppin schreibt: „Bezeichnend für die stabilisierenden Tendenzen ist, dass bei Amtsinhabern Statusdissonanzen immer weiter ausgeschlossen wurden: Frauen erlangten kaum, bald überhaupt keine Ämter, Sklaven, soweit erkennbar, ebenso wenig“ (S. 434). Einer der Gründe für diese „stabilisierenden Tendenzen“ ist die eingeforderte und gelebte „Ethik des Gehorsams“, die Leppin allenthalben hervorstreicht. Die Demut wird zur christlichen Tugend par excellence und findet Anwendung in jeder Hinsicht: gegenüber der Autorität des Klerus, gegenüber der Autorität des Mannes und Herrn, gegenüber dem Staat und seinen Machthabern, oder im christlichen Alltag in Form der Buße.

Die ständige Bedrohung der kirchlichen Ämter zeigt sich auch an der Koexistenz verschiedener ritueller Praktiken. Jüdische, pagane, magische oder einfach „volkstümliche“ Anschauungen und Praktiken wurden mit der Konversion zum Christentum nicht einfach abgelegt oder vergessen, so wie es die eine christliche Identität schlichtweg nicht gab noch geben kann. Es ist eine bedauerliche Lücke, dass Leppin die These von Ramsay MacMullen3 nicht aufgreift, hätte sie doch seine Argumentation weiter gestützt. MacMullen geht von einer groben Zweiteilung der Kirche in 5 Prozent von Eliten sowie 95 Prozent der Massen aus – Eliten, das sind jene städtischen Christen, die regelmäßig in den Kirchen und bei den Gottesdiensten vertreten waren (und somit den Predigten des Klerus zuhörten); die 95 Prozent, das sind jene, die wohl nur selten in den Kirchen anzutreffen waren und nebst der Zugehörigkeit zum Christentum ihre paganen Formen der Religiosität weiterführten und sich, provokativ gesagt, um die Autorität des Klerus wenig scherten. Die Autorität des Amtes, müsste mit Leppin gefolgert werden, war insofern auch durch die Koexistenz der verschiedenen Bräuche und womöglich schlicht durch Nichtbeachtung durch die Laien infrage gestellt.

Die Herausforderung von kirchlichen Strukturen und Autoritäten steht durchweg im Fokus der Analyse. Das führt mitunter zu sprachlichen Holpersteinen, wenn Leppin Streit und Streitlust überall zutage fördern will. „Die Christen wären nicht die Christen gewesen, hätten sie nicht auch bei der Eucharistie Grund zu Streit gefunden“ (S. 51) ist nur ein Beispiel für eine leicht flapsige Sprache (andere Fälle beispielsweise S. 68, 71, 72, 137), die Debatten in christlichen Gemeinden überspitzt als Streit und Streitlust deutet. Überspitzt sind bisweilen auch die Ausblicke am Ende der Kapitel. Hartmut Leppin stellt an den Abschluss einiger Kapitel provokative Thesen, ohne diese zu begründen oder herzuleiten. So wird dem „Sektengründer“ Mani einen großen Einfluss auf den Islam unterstellt (S. 67), der Begründer des Islams, Mohammed, wird mit der jüdisch-christlichen Prophetie in Verbindung gebracht (S. 172) oder den Bischofswahlen wird unterstellt, sie hätten häufiger mit Konflikten und Gewaltakten geendet als „gewöhnliche“ Wahlen der antiken Städte (S. 194). Solche kurzen Ausblicke machen neugierig, sind aber doch sehr pauschal formuliert.

Aber es ist eben auch der Anlage des Buches geschuldet, dass einige Themenbereiche oberflächlich behandelt werden. „Die frühen Christen“ ist ein enorm breit angelegtes Buch, die Themenvielfalt ist immens. Umfassend kann eine Untersuchung zum frühen Christentum selbstverständlich nicht sein. Und wenn sich Leppin in der Einleitung entschuldigt, dass das Unterfangen „vermessen“ sein könnte, so geht damit einher, dass das Buch in erster Linie ein historisches ist und theologische Debatten größtenteils ausklammert. Diese Kritikpunkte sollen nicht darüber hinwegtäuschen, dass Leppin die vielfältigen Quellen brillant und tiefgründig auswertet und die mannigfachen Spannungen in den frühen Christengemeinden anschaulich beleuchtet. Dieses leicht und spannend geschriebene Buch vermag von der ersten bis zur letzten Seite zu überzeugen; für jene, die sich von der Dicke des Bandes nicht abschrecken lassen.

Anmerkungen:
1 In der Bibliographie fehlt dazu hingegen das maßgebliche Werk von Alistair Stewart, The Original Bishops. Office and Order in the First Christian Communities, Grand Rapids 2014.
2 Katherine A. Shaner, Enslaved leadership in Early Christianity, New York 2018. Shaner erwägt etwas zu euphorisch die Möglichkeit, dass der Sklave Onesimus aus dem paulinischen Philemon-Brief mit dem Bischof von Ephesus gleichzusetzen ist, den Ignatius von Antiochien in seinem Brief an die Epheser erwähnt. Ihre Position findet in der jüngsten Forschung keinen Rückhalt.
3 Ramsay MacMullen, The Second Church, Atlanta 2009.

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