S. Huhnholz (Hrsg.): Fiskus – Verfassung – Freiheit

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Titel
Fiskus – Verfassung – Freiheit. Politisches Denken der öffentlichen Finanzen von Hobbes bis heute


Herausgeber
Huhnholz, Sebastian
Reihe
Staatsverständnisse 111
Erschienen
Baden-Baden 2018: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
366 S.
Preis
€ 64,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Frank Schale, Institut für Politikwissenschaft, Technische Universität Chemnitz

Sebastian Huhnholz hat in zahlreichen Studien die Prämisse verfolgt, der Steuerstaat sei mehr als „eine konkrete verfassungsrechtliche Problemstellung“, sondern stets „eine demokratie-, womöglich auch gesellschaftstheoretische Forschungsaufgabe.“1 Diese in der steuerrechtlichen Literatur eher kühl aufgenommene Position möchte Theoriedebatten aus ihrer Sterilität befreien und an die prozedurale, inhaltliche und formelle Dimension von Politik rückbinden. Zugleich geht es dem Herausgeber um eine politisch-praktische Position: „[P]olitische Unachtsamkeit gegenüber der Herkunft, der Lastenverteilung und der Verwendung fiskalischer Staatsmittel ist naiv und demokratiegefährdend“ (S. 24). So erscheint es nur folgerichtig, die Idee des Steuerstaates von politischen Philosophen des 17. Jahrhunderts (über Ökonomen und Staatsrechtler) bis zur Gegenwart nachzuzeichnen. Huhnholz lehnt sich an David Armitages Konzept des seriellen Kontextualismus an:2 Durch das konstruierte Gespräch von Klassikern können grundlegende politische Ideen über zeitliche Epochen und entfernte Räume hinweg verfolgt werden.

In den Einzelbeiträgen sind ebenfalls entsprechende programmatische Überlegungen zu finden. So betont auch Olaf Asbach in seinem Beitrag zu Thomas Hobbes, dass der Steuerstaat mehr als bloß technisches Mittel sei und stets auf eine bestimmte Sozial- und Wirtschaftsordnung verweise. Hobbes könne zwar in seiner Rechtfertigung des Leviathans die Interessen des Commonwealth über die des Einzelnen stellen, müsse aber einräumen, dass dessen fiskalische Mittel stets faktische Voraussetzungen für jene Allgewalt bleiben. Der Leviathan, weit davon entfernt die höchste Macht auf Erden zu sein, werde zum Garanten einer Eigentumsordnung, der der Staat nicht entfliehen könne.

Ähnliche Widersprüche arbeitet Daniel Schulz bei Jean-Jacques Rousseau heraus. Dessen berühmte Rede vom „Sklavenwort“ der Steuer ist völlig kongruent zu seinem Republikanismus: „In einem wirklich freien Staat tun die Bürger alles eigenhändig und nichts mit Geld“ (S. 102). Sobald die Bürger ihre Pflicht im Staat mit Transferleistungen kompensieren wollen, ist das Band der volonté générale zerrissen. Aber obwohl Rousseau stets ein Gegner der Steuer geblieben sei, habe er erkannt, dass sie ein notwendiges Übel in fortgeschrittenen Gesellschaften ist.

Skadi Krause stellt zunächst Charles de Montesquieu vor, den sie als Kritiker des Merkantilismus und der absolutistischen Steuerpolitik interpretiert, dessen Impuls sich aber auch gegen eine wachsende und freiheitsgefährdende Steuerlast in Republiken wendet. Wer darin einen Konservatismus vermute, unterschätze das demokratiekorrigierende Element des Liberalismus. Auch für Alexis de Tocqueville sei die Steuerpolitik des Ancien Régime wesentlicher Referenzpunkt: Dessen Zentralismus habe die freiheitliche Entfaltung des Bürgertums behindert, der jedoch durch die Revolution keineswegs aufgehalten, sondern vollendet worden wäre. Demgegenüber mache Tocqueville einen Finanzföderalismus stark, wie er ihn in den USA schätzen gelernt habe.

André Kahl und Harald Bluhm interpretieren Edmund Burke, dessen Kritik an der britischen Indien- und Neuenglandpolitik sich vor allem gegen eine Ausbeutungspolitik gerichtet habe, die freiheitliche Standards in der Ferne preisgebe, liberal. Zugleich dämpfe seine konservative Wertschätzung von Traditionen und Sitten eine imperiale Perspektive. Damit stehe Burke für eine Klugheitspolitik, die weniger allgemeine Prinzipien verteidige, denn faktische Lebensumstände anerkenne, was nicht nur seine Feindschaft gegen den Rigorismus der Französischen Revolution, sondern auch seine lakonische Bemerkung gegenüber den neuenglischen Siedlern erkläre: „Tax yourselves for common supply, or parliament will do it for you“ (S. 154).

Solche Gegenüberstellungen von Staat, Gesellschaft und Markt unterschlagen für Karl Marx die funktionale Verknüpfung von politischer Regulierung und kapitalistischer Ordnung. Timm Graßmann zeigt, wie Marx zunächst in seinen tagespolitischen Schriften Steuergesetzgebung und Steuerverweigerung als klassenpolitische Momente interpretiert. Vor allem geht es Graßmann aber um die latente Krise des Steuerstaates angesichts des tendenziellen Falls der Profitrate, die die Idee eines staatlichen Eingreifens (wie es das „Manifest“ nahelegte) seltsam konterkariert.

Das Plädoyer für eine soziale Fiskalpolitik findet sich daher weniger bei Marx als bei John Stuart Mill, der – so Frauke Höntzsch – die liberale Forderung nach negativer Freiheit erst dort verwirklicht sehe, wo eine „gerechte Verteilung von Kapital, Land und Produktionsmitteln“ (S. 228) garantiert wird. Gemäß seines Bildungsethos moniert er soziale Ungerechtigkeit dort, wo individuelle Leistungen nicht honoriert werden (Bodenrente und Erbschaft). Aus diesem Grund plädiert Mill auch nicht für eine progressive Besteuerung, sondern für eine Proportionalsteuer mit steuerfreiem Grundeinkommen. Dieser Schluss ist für Höntzsch konsistent – aber kaum sozial gerecht.

Wie schon bei Marx richtet sich Max Webers Blick weniger auf Fragen der gerechten Verteilung als auf die funktionale Bedeutung von Steuern für das Verhältnis von Wirtschaft und Herrschaftsverband. Hinnerk Bruhns veranschaulicht kenntnisreich die sozialen Rahmenbedingungen für die Entstehung des modernen Steuerstaates. Zugleich könne er auch überfordert werden – eine These, die Weber wohl mit Blick auf Joseph Schumpeter formulierte, auch wenn er die Frage nach entsprechenden Ursachen eher allgemein beantwortete.

Hier schließen die Überlegungen von Richard Sturn und Rudolf Dujmovits an, die sich mit Schumpeters „Die Krise des Steuerstaates“ (1918) beschäftigen. Sie gehen der Frage nach, weshalb seine späteren Schriften von einer sich zuspitzenden Kontrastierung von privater Initiative und staatlicher Lenkung getragen sind. Wissenschaftsgeschichtlich lasse sich dies nur ungenügend begründen, waren doch entsprechende Überlegungen zur mixed economy bekannt (etwa bei Knut Wicksell). Die Ursache liege eher in seinem Werturteil gegenüber der modernen Massendemokratie begründet, was aber nicht den analytischen Wert seiner fiskalpolitischen Überlegungen mindere.

Ernst Forsthoff gilt als klassischer Autor des Steuerstaates – obwohl er nie eine politische Theorie der Besteuerung entwickelt hat, wie Florian Meinel ergänzt. Seine Leitsätze habe er anhand der Kontrastierung von Rechts- und Verwaltungsstaat getroffen: Besteuerung sei – auf Grundlage eines allgemeinen Gesetzes – der einzig zulässige rechtsstaatliche Eingriff in die gesellschaftlichen Erträge, weshalb dieser auch keine Grenzen kenne. Zugleich dürften sich die Eingriffe nicht verteilungspolitisch gegen das individuelle Eigentum richten. Besonders gegenüber dem letzten Argument entzündete sich Kritik, auch weil Forsthoff eine plausible rechtsdogmatische Begründung vermissen lasse, zumal die Konstruktion empirisch kaum Evidenz aufweise. Noch gravierender sei, dass Forsthoffs Plädoyer für einen grenzenlosen Steuerstaat, der nicht in die soziale Ordnung eingreifen dürfe, ein antiliberales und antirepublikanisches Moment innewohne, welches das politische Handeln preisgebe.

Sind die Beiträge von Hobbes bis Mill fast schon philosophiegeschichtlich intendiert, tragen die Analysen von Weber bis Forsthoff eher einen sozial-, wirtschafts- oder staatstheoretischen Charakter. Diese Bipolarität greifen Michael Schefczyk und Gerhard Wegner auf, indem sie steuerpolitische Ideen von Friedrich August Hayek und James Buchanan mit John Rawls und Robert Nozick kontrastieren. Bei aller detailreichen Erkenntnis ist das Ergebnis absehbar: „Während sich Buchanan und Hayek den Vorwurf gefallen lassen müssen, philosophisch angreifbare normative Feststellungen zu treffen […], kann man der philosophischen Debatte vorhalten, nicht immer aufzuzeigen, welche Konsequenzen für reale steuerstaatliche Arrangements aus ihren idealisierenden normativen Konzeptionen folgen“ (S. 323).

Wer nun zu dem Ergebnis kommt, dass steuerpolitisches Räsonieren ohne Blick auf die soziale Realität leer bleibe und entsprechende Anschauungen ohne politiktheoretische Rückversicherung blind seien, fühlt sich durch Christian Waldhoffs Aufsatz bestätigt. Eindringlich betont er, dass die bundesdeutsche Verrechtlichung des Steuerrechts einem Rekurs auf die politische Theorie den Weg abgeschnitten habe. Diese Mediatisierung habe etwas neurotisch Unbewältigtes: Wichtige Überlegungen, wieso Steuerreformen scheitern oder wie eine europäische Fiskalpolitik aussehen kann, veranschaulichen, dass politische Fragen vielleicht juristisch mediatisiert, aber nicht dauerhaft unterdrückt werden können. Um sie zu beantworten, sei politikwissenschaftlicher Sachverstand unumgänglich.

Schaut man mit diesem Ergebnis auf die Konzeption des Sammelbandes, so bleibt neben den kenntnisreichen Analysen zu prominenten Theoretikern des Steuerstaates auch die Frage offen, ob ein Klassiker-Diskurs nicht die Eigenheiten fiskalpolitischer Expertise von vornherein der staats- und demokratietheoretischen Perspektive opfert. Wenn der juristische Diskurs politische Argumente lediglich verkleidet, müsste dann nicht die politologische Analyse die entsprechende verwaltungs- und steuerrechtliche Fachliteratur unterhalb der Schwelle der geistesgeschichtlichen Giganten analysieren? Dies käme einer von Sebastian Huhnholz erstrebten „Finanzsoziologie als politische Verfassungstheorie“ (S. 18) sicherlich noch näher als die beeindruckende Klassikerlektüre.

Anmerkungen:
1 Sebastian Huhnholz, Die Steuer des Steuerstaates, in: Verena Frick / Oliver W. Lembcke / Roland Lhotta (Hrsg.), Politik und Recht. Umrisse eines politikwissenschaftlichen Forschungsfeldes, Baden-Baden 2017, S. 454–472, hier S. 457.
2 Vgl. David Armitage, What’s the Big Idea?. Intellectual History and the Longue Durée, in: History of European Ideas 38 (2012), S. 493–507.