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Titel
Honorius. The Fight for the Roman West AD 395–423


Autor(en)
Doyle, Chris
Reihe
Roman Imperial Biographies
Erschienen
London 2019: Routledge
Anzahl Seiten
XXIV, 205 S.
Preis
£ 115,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Hendrik A. Wagner, Institut für Altertumswissenschaften, Friedrich-Schiller-Universität Jena

Sich mit Kaiser Honorius als Herrscherpersönlichkeit zu befassen, bedarf keiner besonderen Begründung: Zu offensichtlich ist die Forschungslücke, die hier klafft. Die Forschungen zur Herrschaftszeit des Honorius konzentrierten sich bislang vor allem auf die weströmischen Heermeister, wodurch die Person des Kaisers stark in den Hintergrund rückte.1 Umso lobenswerter ist es, dass dem Kaiser Honorius, der immerhin achtundzwanzig Jahre die Herrschaft innehatte und währenddessen viele Krisen überstand, nun erstmals eine Monographie gewidmet wurde. Chris Doyle wagt sich somit an eine Herrscherbiographie heran, an die durchaus hohe Erwartungen zu knüpfen sind.

Mit Kapitel 1 (S. 1–29) stellt Doyle zunächst das in Literatur, Kunst und älterer Forschung vorwiegend negativ konnotierte Bild des Honorius vor, welchem er im Folgenden eine differenziertere Betrachtung entgegenhalten möchte. Die wichtigsten Quellen und Quellengattungen, einschließlich der numismatischen und archäologischen Zeugnisse, werden erörtert. In den Kapiteln 2 bis 4 (S. 30–83) skizziert Doyle die Entwicklung bis zum Herrschaftsantritt des Honorius 395. Der religiöse Wandel sowie die sozialen und ökonomischen Bedingungen werden hier genauso wie die militärischen Konflikte stark verdichtet dargestellt. Ausführlicher setzt sich Doyle mit der spanischen Herkunft der theodosianischen Dynastie auseinander. Anschließend wird das höfische Milieu Konstantinopels in den Blick genommen. Dass Doyle hier auch die Repräsentation und Bauaktivitäten der theodosianischen Dynastie betrachtet, ist lobenswert. Dagegen fällt negativ auf, dass die Ereignisse im Westen und vor allem deren Protagonisten zumeist sehr holzschnittartig charakterisiert werden, so wird etwa Arbogast als ein „arrogant aggressive individual“ (S. 72) vorgestellt und der Usurpator Eugenius kurzerhand als „pagan“ (S. 73)2 bezeichnet.

Erst jetzt richtet sich die Betrachtung auf die Herrschaftszeit des Honorius: Kapitel 5 und 6 (S. 84–130) decken hierbei in etwa die Zeit von 397 bis 404 ab. Doyle steigt mit der Rebellion des comes Africae Gildo ein. In der Versorgungskrise und im Krieg gegen Gildo wird die politische Rolle des erst zwölf- bzw. dreizehnjährigen Kaisers allerdings zu aktiv dargestellt, wenn Doyle etwa von „Honorius’ war plans“ (S. 91) spricht und jedes Gesetz auf den handelnden Kaiser zurückführt. Positiv hervorzuheben sind dagegen die Abschnitte, die sich mit der bisher wenig beachteten Kaiserin Maria beschäftigen (S. 108–111 u. 124–128).

In Kapitel 7 (S. 131–152) zeichnet Doyle die Ereignisgeschichte bis zur Plünderung Roms durch Alarich und deren Folgen nach. Im Kontext der schwierigen militärischen Lage werden die Bemühungen des Honorius zur Steigerung des militärischen Potentials thematisiert. Es folgt der Sturz des Stilicho im August 408. Honorius’ Rolle im Massaker von Ticinum wertet Doyle durchaus positiv: „The emperor showed real courage and complete disregard for his own life“ (S. 138), was Zosimos (5,36,7–11) aber sicher nicht ausdrücken wollte. Auch die Charakterisierung der Hinrichtungswelle als „anti-barbarian“ (S. 140) fasst wohl kaum die gesamte Gemengelage der Interessen zusammen. Doyle hätte sich für eine genauere Analyse hier deutlich mehr Raum nehmen müssen. Wie komplex das Geschehen ist, zeigt schon ein Blick auf die Hinrichtung Serenas, der Gemahlin Stilichos.3

Im Kapitel 8 „The emperor and his church“ (S. 153–176) konzentriert sich Doyle auf ein konkretes kaiserliches Betätigungsfeld. Zunächst liegt die Betrachtung auf der Darstellung des Kirchenhistorikers Theodorets, wonach Honorius die „blutigen“ Zirkusspiele beendet haben soll, was Doyle ablehnt. Gerade die spannende Frage, welche Bedeutung Honorius für das Spielwesen hatte, bleibt hierbei jedoch offen.4 Es folgt die Erörterung der kaiserlichen Religionsgesetzgebung. Die Zerstörung heidnischer Tempel und Kulturgüter wird angeführt (S. 156f.), ohne aber die konträr stehende Baugesetzgebung zu berücksichtigen. Wichtiger sind für Doyle die Maßnahmen gegen „Häretiker“, klerikale Missstände und Juden. Honorius sei hieran besonders interessiert gewesen (S. 158). Abschließend werden die kaiserlichen Kirchenstiftungen besprochen. Die Inanspruchnahme von Santa Pudenziana als kaiserliche Stiftung ist jedoch nicht zulässig, denn hier handelt es sich um eine private Kirchenstiftung.5 Ein bedauerlicher Irrtum unterläuft Doyle überdies bei der Interpretation des Mosaiks: Bei der „winged Victory“ und dem „male angel“ (S. 171) handelt es sich um barocke Malereien, die ganz gewiss nicht als antikes Beispiel für den ikonographischen Übergang von der heidnischen Göttin Victoria zum christlichen Engel in Anspruch genommen werden kann.

Im abschließenden Kapitel 9 (S. 177–191) stellt Doyle die Ereignisgeschichte von 413 bis zum Tod des Honorius 423 dar. Hierbei spielt auch Galla Placidia, die Halbschwester des Honorius, eine stärkere Rolle. Doch mangelt es an einer tiefergehenden Diskussion, wenn etwa bezüglich ihrer Ehe mit Athaulf kurzum das „Stockholm Syndrome“ (S. 181) bei ihr diagnostiziert wird.6 In Hinblick auf die Übereinkunft mit dem Westgoten Vallia 418 attestiert Doyle Honorius eine „realpolitik“ (S. 182). Zugleich soll der Kaiser sich durch Kleidervorschriften den „anti-barbarian sentiments“ angenähert haben. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass solche Kleidungsstücke (bracae) keineswegs dezidiert „barbarische“ Trachtelemente waren.7 Vor allem stellt sich nach Doyles Interpretation des kaiserlichen Agierens in dieser Periode die Frage, welche Funktion eigentlich noch der Heermeister und Patricius Flavius Constantius hatte, wenn Honorius alles selbst managte.

Doyle hat zweifelsohne eine Arbeit vorgelegt, an der künftig niemand, der sich mit der Zeit und Person des Honorius befasst, vorbeikommen wird. Besonders bemerkenswert ist die enorme Menge an herangezogenen Quellen, die das Buch in erster Linie zu einer stattlichen Quellensammlung werden lässt. Dass Doyle hier zumeist eklektisch mit den Quellen umgeht, sie nicht gegeneinander abwägt und kaum Quellenkritik übt, ist sicherlich der Menge geschuldet. Die Entscheidung, zahlreiche Quellenzitate in englischer Übersetzung wiederzugeben, spricht auch eher dafür, dass Doyles Honorius-Biographie nicht ausschließlich an ein Fachpublikum gerichtet ist. Das Fehlen eines wissenschaftlichen Apparats ist ärgerlich. Unerklärlich bleibt zudem, dass Doyle die nichtenglischsprachige Forschungsliteratur vollständig vernachlässigt und so auch nicht in den entsprechenden Forschungsdiskussionen Stellung bezieht.8 Ferner fällt auf, dass Doyles Honorius-Biographie gerade dort an Kontur gewinnt, wo konkrete kaiserliche Betätigungsfelder wie die Kirchenpolitik betrachtet werden. Solche strukturellen Analysen wären auch für die Stellung Roms, den Senat, den kaiserlichen Hof, das Militär und viele andere Themenfelder wünschenswert gewesen, auch wenn dies bedeutet hätte, sich stärker vom biographischen Zugriff auf die Quellen und von der Ereignisgeschichte zu lösen, als Doyle dies tut.9

Anmerkungen:
1 Vgl. John M. O’Flynn, Generalissimos of the Western Empire, Edmonton 1983; Werner Lütkenhaus, Constantius III. Studien zu seiner Tätigkeit und Stellung im Westreich 411–421, Bonn 1998; Tido Janßen, Stilicho. Das weströmische Reich vom Tode des Theodosius bis zur Ermordung Stilichos (395–408), Marburg 2004; und Ian Hughes, Stilicho. the Vandal who saved Rome, Barnsley 2010 (die beiden letzteren allerdings mit Einschränkungen).
2 Vgl. Joachim Szidat, Die Usurpation des Eugenius, in: Historia 28 (1979), S. 487–508, bes. S. 492; oder Alan Cameron, The last pagans of Rome, Oxford 2011, S. 74: „a (lukewarm) Christian“.
3 Hierzu Alexander Demandt / Guntram Brummer, Der Prozeß gegen Serena im Jahre 408 n. Chr., in: Historia 26 (1977), 479–502.
4 Nicht berücksichtigt wurden Max. Taur. Serm. 107,2 (CC 23,421) und Annot. ad. Dion. Exig. cycl. a. 399 (MGH AA IX, 755); ebenso unberücksichtigt Alexander Puk, Das römische Spielewesen in der Spätantike, Berlin 2014, S. 242–253; und Juan Antonio Jiménez Sánchez, Honorius, un souverain „ludique“?, in: Emmanuel Soler / Françoise Thelamon (Hrsg.), Les jeux et les spectacles dans l’Empire romain tardif et dans les royaumes barbares, Mont-Saint-Aignan 2008, S. 123–142.
5 Vgl. Hugo Brandenburg, Die frühchristlichen Kirchen in Rom, 3. Aufl., Regensburg 2013, S. 145–151.
6 Doyle folgt Stewart I. Oost, Galla Placidia Augusta, Chicago 1968, S. 141f.; vgl. dagegen Ralf Scharf, Spätrömische Studien, Mannheim 1996, S. 5–25.
7 Vgl. Philipp von Rummel, Habitus barbarus, Berlin 2007, S. 156–162, bes. 158f.; ferner Javier Arce, Dress Control in the Late Antiquity, in: Ansgar Köb / Peter Riedel (Hrsg.), Kleidung und Repräsentation in Antike und Mittelalter, München 2005, S. 33–44.
8 Neben der bereits angeführten Literatur vgl. im Besonderen: Beat Näf, Kaiser Honorius und der Fall Roms. zur Macht des Glaubens, in: Henriette Harich-Schwarzbauer / Karla Pollmann (Hrsg.), Der Fall Roms und seine Wiederauferstehungen in Antike und Mittelalter, Berlin 2013, S. 79–108; Lütkenhaus, Constantius III.; Bruno Bleckmann, Honorius und das Ende der römischen Herrschaft in Westeuropa, in: Historische Zeitschrift 265 (1997), S. 561–595; Ralf Scharf, Die Kanzleireform des Stilicho und das römische Britannien, in: Historia 39 (1990), S. 461–474; Fabio Martelli, Onorio, Ravenna e la presa di Roma del 410, in: Rivista Storica dell’Antichità 11 (1981), S. 215–219; Siegmar Döpp, Zeitgeschichte in Dichtungen Claudians, Wiesbaden 1980.
9 Diese Herangehensweise findet sich etwa in Christopher Kelly (Hrsg.), Theodosius II. Rethinking the Roman Empire in late antiquity, Cambridge 2013; und Fergus Millar, A Greek Roman Empire. Power and belief under Theodosius II (408–450), Berkeley 2006. In den Roman Imperial Biographies: Bill Leadbetter, Galerius and the Will of Diocletian, London 2009.

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