K. Babayan u.a. (Hrsg.): An Armenian Mediterranean

Cover
Titel
An Armenian Mediterranean. Words and Worlds in Motion


Herausgeber
Babayan, Kathryn; Pifer, Michael
Reihe
Mediterranean Perspectives
Erschienen
Anzahl Seiten
XXI, 337 S.
Preis
$ 99,99; € 84,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Kristin Platt, Institut für Diaspora- und Genozidforschung, Ruhr-Universität Bochum

Die bei Palgrave Macmillan erscheinende Reihe “Mediterranean Perspectives“ 1 macht auf ein interessantes Problem aufmerksam: Sind wir bereit, neben den aktuellen Forschungen über den Mittelmeerraum, die an makrotheoretischen Fragen und makrodiskursiven Korrekturen interessiert sind, auch für Einzelfragen einen Raum zu lassen, ohne diese daran zu bemessen, ob ihre Ergebnisse genügend allgemeingültig sind?

Die mediterrane Forschung bewegt sich in einem Feld, das durch zwei Perspektiven umgrenzt wird. Einerseits in dem Rahmen, den Fernand Braudel vorgezeichnet hat. In diesem wird es möglich, die Geschichte des Mittelmeers über Prozesse des Austauschs und einer Konnektivität zu erschließen, welche sich zu einer gemeinsamen historischen Realität zusammenfügen. Andererseits lässt sich die soziale, politische und historische Gestalt des Mittelmeers anhand der Umrisse von Peregrine Horden und Nicholas Purcell in den Blick nehmen, wobei sich der Mittelmeerraum als eine Ansammlung von Mikroökologien oder sozialpolitischen Verbindungen zeigt. Mobilität und Konnektivität treten selbst als Verfahren des Verbindenden hervor. Verändert sich das Schreiben der Geschichte des Mittelmeerraums, wenn man es aus der Perspektive derer tut, die diese Mikroökologien leben? Wenn man direkt auf diejenigen Akteure blickt, die die Techniken der Konnektivität konkret als Kulturtechniken verwirklichen?

Die Beiträge des von Kathryn Babayan und Michael Pifer herausgegebenen Bandes verschenken die Chance, die Schwelle zwischen mediterraner Makrotheorie und sozial- und kulturtheoretischen Einzelfragen auszuloten. Stattdessen formulieren sie als Programm, die Globalität armenischen Lebens, armenischer Geschichte, armenischer „Identität“ herauszuarbeiten. Dazu holen sich die beiden Herausgeber von der University of Michigan Unterstützung insbesondere bei NachwuchsforscherInnen, die in den USA das Fach der „Armenian Studies“ vertreten. Vielleicht folgt die der Publikation zugrundeliegende Entscheidung, nicht von der armenischen Geschichte aus auf das Mittelmeer zu blicken, sondern globale Segel zu setzen, dem Versuch, einem möglichen Verdacht identitätspolitisch motivierter Forschung zu entgehen. Im Ergebnis führt die „Entpolitisierung“ jedoch zu einer „Enthistorisierung“, die den Band erst recht in einen seltsamen Graubereich stellt. Denn wie kann man über das armenische Mediterrane publizieren, ohne die Geschichte Kilikiens darzustellen (schließlich hat hier nach dem armenischen Königtum von Kilikien zwischen 1199-1375 bis zum Jahr 1915 eine zahlenmäßig, ökonomisch und kulturell bedeutende armenische Gemeinde gelebt)? Wie ist der Verzicht auf die Geschichte des armenischen Handels am Mittelmeer zu erklären? Warum sind im Band Darstellungen zur armenischen Kultur am georgischen Königshof oder zur armenischen „Diaspora“ in der Sowjetunion enthalten, während der Band zum armenischen Leben in Konstantinopel schweigt? Was haben die Filme des kanadischen Regisseurs Atom Egoyan mit mediterranen Fragestellungen zu tun? Warum wird armenische Literatur über ostarmenische Schriftsteller vorgestellt, u.a. Khatschadur Abovian, und nicht über westarmenische Schriftsteller des Osmanischen Reichs, die mit dem geographischen Raum konkret interagiert haben?

Vom Titelbild ausgehend, das eine Armenierin aus Ptuj (Slowenien) zeigt – nicht wirklich repräsentativ zur Visualisierung armenischer Geschichte am Mittelmeer –, lässt sich als Intention das Gebot erschließen, ja nichts zu schreiben, was an den Genozid von 1915/16 rührt 2. Der selbstbewusst in den einzelnen Beiträgen verstreute Anspruch, die „Armenischen Studien“ gerade darüber revolutionieren zu wollen, dass man das „Globale“ und nicht das „Armenische“ betont, geht in eine Falle: und zwar das „Nationale“ am „Globalen“ zu übersehen. Die Entdifferenzierung armenischer Geschichte(n), die in den Beiträgen des Bandes nicht zuletzt auf der Basis einer Einebnung der Unterschiede zwischen ost- und westarmenischer Geschichte und Kultur vollzogen werden, leistet einer Nationalisierung gerade Vorschub.

Von der Kritik ausgenommen werden muss der Beitrag von Karla Mallette („The Mediterranean Is Armenian“, S. 309-321). Die knappe Skizze wirft am Schluss des Bandes jene Fragen auf, die den Forschungsrahmen hätten bestimmen sollen: Wie verlaufen die Übergänge zwischen der Selbstdefinition als Diaspora und als Nation? Wie kann in einer Geschichte des Mittelmeers, in der geographischen, soziale und ökonomische Einheit betont werden, eine Eigenständigkeit der Handlungsräume und Selbstverständnisse von Akteuren herausgearbeitet werden, ohne dass diese Eigenständigkeit als Abgrenzung aus der Folie von Konnektivität und Kosmopolitismus interpretiert wird?

Das Thema des Bandes findet sich zuverlässig bearbeitet in der souveränen, sozialgeschichtlich inspirierten Darstellung von Hakem Al-Rustom (Between Anatolia and the Balkans: Tracing Armenians in a Post-Ottoman Order, S. 151-171). Hier schimmert die Geschichte der Armenier am Mittelmeer durch. Leider wird in den weiteren Beiträgen – vielleicht auch aufgrund der Knappheit der Essays – der wissenschaftliche Anspruch der Herausgeber nicht erreicht. Die Erörterungen bewegen sich eher außerhalb disziplinär zuordnungsmöglicher Rahmen, Kategorien und Diskurse. Eingestreute Rekurse zu Benjamin, Bakhtin, Halevi u.a. sollen augenscheinlich die Relevanz des Themas legitimieren. Gerade am unkritischen Umgang mit der Literatur deutscher Orientalisten der Jahrhundertwerde wird jedoch deutlich, dass dem Band ein gründlicheres Peer Review-Verfahren gutgetan hätte. Das Grundproblem besteht aber zweifellos darin, dass die Intention, sich in „relevante“ Diskussionen einzuschreiben, zur Ausbildung einer Perspektive des Außen geführt hat, die nicht einmal auf eine Fußspitze ans Mittelmeer herangerückt ist. Dabei ist auch der merkwürdige Verzicht darauf zu nennen, sich mit den Paradigmata jüngerer mediterraner Forschungen auseinanderzusetzen. Es ist höchst bemerkenswert, dass dort, wo man nicht von der historischen Differenziertheit des armenischen Lebens am Mittelmeer ausgeht, sondern von der Idee, die armenische Geschichte „global“, „hybrid“ und „kosmopolitisch“ zu betrachten, eine „Nationalität“ erst setzt, die es weder historisch noch kulturell je gegeben hat.

Anmerkungen:

1 Elhariry, Yasser /Talbayev, Edwige Tamalet (Eds.): Critically Mediterranean: Temporalities, Aesthetics, and Deployments of a Sea in Crisis, Cham 2018; Catlos, Brian A. / Kinoshita, Sharon (Eds.): Can We Talk Mediterranean? Conversations on an Emerging Field in Medieval and Early Modern Studies, Cham 2017; Goldwyn, Adam J. / Silverman, Renée M. (Eds.): Mediterranean Modernism: Intercultural Exchange and Aesthetic Development, New York NY 2016.

2 Dieser wird allein im Beitrag von Hakem Al-Rustom über Armenier in der Region des Balkans erwähnt sowie implizit präsent gemacht im Beitrag von Murat Cankara, der über die Konstruktion einer „armenisch-türkischen Literatur“ die „Hybridität“ der armenischen Literatur darstellen möchte.