K. Paehler: The Third Reich's Intelligence Services

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Titel
The Third Reich's Intelligence Services. The Career of Walter Schellenberg


Autor(en)
Paehler, Katrin
Erschienen
Anzahl Seiten
XII, 372 S.
Preis
£ 90.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jan Kreutz, Fakultät für Geisteswissenschaften, Universität Hamburg

In ihrer Dissertation verbindet Katrin Paehler institutionsgeschichtliche und biographische Ansätze: Zum einen beleuchtet sie die Entstehung und Entwicklung der Auslandsabteilung des Parteigeheimdienstes der NSDAP, des SD-Ausland (seit 1939 Amt VI des Reichssicherheitshauptamtes). Zum anderen macht Paehler mit Walter Schellenberg einen der zentralen Akteure für die Entwicklung von Amt VI zum Fokus einer biographischen Untersuchung. Dabei geht es ihr nicht darum, eine vollständige Biographie Schellenbergs zu schreiben. Im Vordergrund stehen vielmehr seine Karrierestrategien, sein Handeln in Machtkämpfen innerhalb der NS-Führungsriege und seine Bemühungen, sich nach 1945 den Westalliierten anzudienen. Schellenbergs Privatleben liegt dagegen außerhalb des Erkenntnisinteresses der Arbeit, die bei Richard Breitman entstanden ist und für die Publikation überarbeitet wurde.

Nach einem Überblick über die Entwicklung der deutschen Nachrichtendienste arbeitet Paehlers chronologisch gegliederte Studie in den ersten drei Kapiteln Schellenbergs Weg vom Jura-Studenten zum SS-Führer heraus. Insbesondere für die Zeit vor 1933 hat Paehler mit einer ausgesprochen dünnen Quellenlage zu kämpfen. Sie behilft sich, indem sie die sozialen Kontexte untersucht, in denen sich Schellenberg bewegte. Aufschlussreich sei insbesondere seine Entscheidung, sich der rechtsgerichteten und antisemitischen Marburger Studentenverbindung Guestphalia anzuschließen: „Schellenberg was clearly comfortable in a conservative, völkish, anti-Semitic, and proto Nazi-environment.“ (S. 33). Zudem habe Schellenberg sein Verbindungsengagement als Chance zum sozialen Aufstieg gesehen. Gleiches habe für seinen im Jahr 1933 erfolgten Eintritt in NS-Bewegung und SS gegolten. Opportunismus und Karrierestreben reichen laut Paehler aber nicht aus, um Schellenbergs Weg in die höchsten Ränge der SS zu erklären. Sie argumentiert, dass Schellenberg großes Talent darin hatte, mächtige Fürsprecher zu gewinnen. Früh habe er als Protegé von SD-Chef Heydrich gegolten. In Heydrichs Auseinandersetzungen mit dessen Stellvertreter Werner Best über die institutionelle Verschränkung von Sicherheitspolizei und SD habe sich Schellenberg zum wichtigsten Rechtsberater Heydrichs entwickelt. Mit der 1939 vollzogenen Gründung des Reichssicherheitshauptamtes seien dann zwar längst nicht alle Ideen Schellenbergs verwirklicht worden, seine Verbindung zu Heydrich habe ihm aber den Aufstieg zum stellvertretenden Leiter der Abteilung Gegenspionage der Gestapo erlaubt. Dass Schellenberg kaum zwei Jahre später mit einer erneuten Beförderung zum Chef der Auslandsabteilung des SD bedacht wurde, habe ebenfalls viel mit seiner engen Verbindung zu Heydrich zu tun gehabt. Mindestens ebenso wichtig aber sei gewesen, dass Schellenberg in den ersten beiden Kriegsjahren wiederholt Eindruck auf seine Vorgesetzten gemacht habe. Das galt insbesondere 1939 bei der Entführung zweier britischer Agenten aus den neutralen Niederlanden, bei der er eine zentrale Rolle spielte.

In den Kapiteln vier bis sieben nimmt die institutionsgeschichtliche Betrachtung größeren Raum ein. Paehler porträtiert Amt VI und seine Vorläufer als Organisationen, die mit ihren Aufgaben notorisch überfordert waren. Als Grundproblem identifiziert sie die strikte Ausrichtung an ideologischen Vorgaben. Sie habe sich nicht nur auf die Auswertung von Informationen ausgewirkt, auch die Rekrutierung von Zuträgern habe sich an völkischen und ideologischen Kriterien ausgerichtet. Erfolgversprechend sei diese Vorgehensweise nur in Ländern gewesen, in denen größere deutsche Minderheiten oder mit der NS-Bewegung sympathisierende Gruppierungen vorhanden waren. Der Aufbau von Agentennetzen in Ländern wie Großbritannien, den Vereinigten Staaten oder der Sowjetunion sei dagegen trotz intensiver Anstrengungen nie über das Planungsstadium hinausgekommen. Auch in Italien, dem Paehler eine eigene Fallstudie widmet, habe Amt VI einen Fehlschlag nach dem anderen erlebt.

Nachdem die Verantwortung für Amt VI 1941 an Schellenberg übergegangen war, habe sich die desolate Situation kaum geändert. Schellenbergs Fähigkeiten hätten ohnehin weniger auf nachrichtendienstlichem Gebiet gelegen. Stattdessen sei es ihm durch immer neue Reformanstrengungen gelungen, „an illusion of activism and professionalism“ (S. 149) zu kreieren. Zusammen mit Einzelaktionen, die sich wie die Befreiung Mussolinis oder die gegen die Sowjetunion gerichtete „Unternehmen Zeppelin“ als Erfolge verkaufen ließen, habe Schellenberg dadurch die Ausgangsbedingungen geschaffen, um sich in Machtkämpfen mit Vertretern anderer Institutionen des NS-Regimes zu behaupten. Neben ständigen Konflikten mit der „Abwehr“, die schließlich in der Zerschlagung des deutschen Militärnachrichtendienstes mündeten, stellt Paehler hier insbesondere die Auseinandersetzungen mit Joachim von Ribbentrop und dem Auswärtigen Amt ins Zentrum. Schellenbergs Ambitionen hätten sich nicht darauf beschränkt, Ribbentrop von seinem Posten zu entfernen. Vielmehr hätte er Amt VI als ein „nascent Alternative Foreign Office“ (S. 11) gesehen, das die Funktion des Auswärtigen Amtes übernehmen sollte. Kapitel acht und neun behandeln schließlich Schellenbergs Bemühungen, einen Separatfrieden mit den Westalliierten auszuhandeln und dadurch die Anti-Hitler-Koalition zum Einsturz zu bringen sowie seine Versuche, sich nach 1945 neu zu erfinden und gegenüber den Alliierten als humanitär orientierter Diplomat zu präsentieren.

Paehler kann ihren Anspruch, die Entwicklung des SD-Ausland wie die Karriere Schellenbergs nachzuzeichnen, weitgehend einlösen. Sie entwirft das Bild eines durch Amateure und Ideologen geprägten Nachrichtendienstes, der von einem Fehlschlag zum nächsten stolperte. Dass sein Leiter sich dessen ungeachtet weiter der Gunst Himmlers erfreuen konnte, erklärt Paehler mit Schellenbergs Fähigkeiten als „masterful illusionist and salesman“ (S. 356). Gleichzeitig kann sie deutlich machen, dass Schellenbergs nach 1945 entworfene Selbstdarstellung als „cosmopolitan diplomat, humanitarian, and thwarted bringer of peace whose positive initiatives were sabotaged by forces beyond his control“ (S. 323) wenig mit der Realität zu tun hatte. Durch diese kritische Auseinandersetzung mit Schellenbergs nachträglichen Rechtfertigungen geht Paehler deutlich über die Erkenntnisse der bisherigen Forschung hinaus, die sich wie Reinhard Doerries stark an Schellenbergs Memoiren orientiert hat.1

Dennoch bleiben einige Leerstellen. Da Paehler immer wieder das Versagen von Amt VI herausarbeitet, wäre es aufschlussreich gewesen, wenn sie die Ressourcen stärker in den Blick genommen hätte, die der SD für seine Auslandsaktivitäten zur Verfügung hatte. So vermutet Paehler zwar, dass sich Amt VI auch deshalb primär auf ideologisch motivierte freiwillige Zuträger stützte, weil es nicht über die finanziellen Mittel verfügte, um Agenten auf andere Weise anzuwerben. Was das für ihr Argument bedeutet, für die Probleme des Amtes sei in erster Linie ideologische Verblendung verantwortlich gewesen, diskutiert sie aber ebenso wenig wie die Auswirkungen der unzureichenden personellen und logistischen Ausstattung von Amt VI.

Zudem stellt Paehlers Text hohe Anforderungen an seine Leser. Es kostet einige Mühe, ihre Verweise auf Quellen und Literatur nachzuvollziehen. Das ist zum großen Teil der Herausforderung geschuldet, retrospektive Schilderungen, zeitgenössische Dokumente und Forschungsliteratur zu einem lesbaren und nicht durch detaillierte Quellenkritik überfrachteten Narrativ zu verweben. Zumal die von Paehler verwendeten autobiographischen Schriften und Verhörprotokolle, in denen Schellenberg und seine Kollegen sich für ihr Handeln in der NS-Zeit zu rechtfertigen versuchten, ausgesprochen schwierige Quellen sind. In der Einleitung entwickelt Paehler dann auch differenzierte Überlegungen zum kritischen Umgang mit solchen retrospektiven Ego-Dokumenten. In der eigentlichen Darstellung wird gleichwohl nicht immer deutlich, warum Paehler einige Nachkriegsaussagen für glaubhaft hält, andere hingegen nicht. Das liegt auch daran, dass sich Paehler selbst in Absätzen, in denen sie wörtlich aus unterschiedlichen Quellen und Literaturtiteln zitiert, häufig auf eine einzige zusammenfassende Fußnote beschränkt. Da dort dann bis zu einem Dutzend Belege versammelt sind, bleibt das Zuordnen der einzelnen Zitate dem Leser überlassen. Auch Paehlers Auseinandersetzung mit der bisherigen Forschungsliteratur ist dadurch nur mit einigem Aufwand nachzuvollziehen. Zusätzlich erschwert wird die Lektüre durch sprachliche Ungenauigkeiten und das Fehlen eines Literaturverzeichnisses.

Insgesamt bleibt damit ein zwiespältiges Fazit. Zwar sind Paehlers Ansatz und ihre Darstellung größtenteils überzeugend. Ihr Werk aber ist schwierig zu benutzen. Wer sich für die Geschichte des SD-Ausland oder die Biographie Walter Schellenbergs interessiert und sich auf die Lektüre des Bandes einlässt, wird gleichwohl mit einer faktengesättigten und lohnenswerten Darstellung belohnt.

Anmerkung:
1 Reinhard R. Doerries, Hitler’s Intelligence Chief. Walter Schellenberg, New York 2009.

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