J. B. Gardner u.a. (Hrsg.): The Oxford Handbook of Public History

Cover
Titel
The Oxford Handbook of Public History.


Herausgeber
Gardner, James B.; Hamilton, Paula
Reihe
Oxford Handbooks
Erschienen
Anzahl Seiten
XVI, 551 S.
Preis
£ 97.00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Andreas Etges, Amerika-Institut, Ludwig-Maximilians-Universität München

„Public History“ hat sich auch außerhalb der angloamerikanischen Welt immer mehr in der universitären Ausbildung etabliert. Das ging einher mit der Gründung der „International Federation for Public History“, nationaler Verbände und Arbeitsgruppen, neuen Zeitschriften wie „International Public History“ sowie der Publikation von Einführungen in die Public History, und das nicht mehr nur in englischer Sprache. Zu den ambitioniertesten Projekten gehört das Ende 2017 in einer renommierten Reihe publizierte „Oxford Handbook of Public History“, das von zwei prominenten „Veteranen“ herausgegeben wurde. James B. Gardner war Präsident des National Council on Public History und hat viele Jahre in Führungspositionen im National Museum of American History in Washington und danach in den National Archives der USA gearbeitet. Als Geschichtsprofessorin an der University of Technology in Sydney sowie als co-director des Australian Centre for Public History half Paula Hamilton das Feld „Public History” in Australien zu etablieren.

Sie wollen mit dem Handbuch – darauf weist bereits der Titel der gemeinsam verfassten Einleitung hin – Vergangenheit und Zukunft, Entwicklungen und Herausforderungen von Public History in den Blick nehmen. 28 Beiträge sind in sechs größere Abschnitte unterteilt: I. The Changing Public History Landscape, II. Doing Public History, III. Pushing the Boundaries of Public History, IV. Public History and the State, V. Narrative and Voice in Public History, VI. Difficult Public History. Die mehrheitlich von angloamerikanischen Autor/innen – oftmals führenden Spezialisten – geschriebenen Texte mit Fußnoten und jeweils sehr umfangreicher Bibliographie decken ein breites Themenfeld ab. So diskutieren der ehemalige und der aktuelle Präsident der „International Federation for Public History“, Serge Noiret und Thomas Cauvin, die Internationalisierung des Feldes. Es geht um zum Beispiel um Public History in „Communities“, „Disablity History“, Graphic Novels, Wahrheitskommissionen, Umwelt, Public History in Regierungsorganisationen, Tourismus, Nationalmuseen und Deindustrialisierung.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Aufgrund inhaltlicher und formaler Schwächen wird „The Oxford Handbook of Public History“ künftig weder in Nordamerika noch anderswo wohl als „Handbook“ für Public History herangezogen werden. Als einführende Handbuchtexte eignen sich die meisten Beiträge nur bedingt. Das liegt an zwei Hauptdilemmata: 1. Der Schwierigkeit, in ein Feld einzuführen, bei der gleichzeitigen Notwendigkeit, das jeweilige Thema mit konkreten Beispielen zu illustrieren. Letztere kommen jedoch meist aus einem nationalen Kontext bzw. waren oder sind Projekte, in denen die Autor/innen selbst involviert waren. 2. Das Wissen, dass der Hauptmarkt des Buches die USA ist, dann die weitere englischsprachige Welt, zugleich aber eine internationale Leserschaft angesprochen werden soll. Entsprechend wären klare Vorgaben von Gardner und Hamilton zum Stil, der formalen Umsetzung und zur inhaltlichen Balance zwischen Einführung und Konkretisierung notwendig gewesen.

Stattdessen scheinen die Autor/innen große Freiheiten in der Umsetzung gehabt zu haben, was dem Handbuch nicht gut tut. Viele beschreiben und analysieren ihre eigenen und durchaus bemerkenswerten oder sogar bahnbrechenden Projekte. Das ist aber oftmals eine Engführung. So beschreibt das Kapitel über Queer Public History ausführlich das „Twin Cities Project“ in Minneapolis und St. Paul Minnesota, unter „Environmental Reclamation“ von T. Allan Comp geht es vor allem um Projekte in den Appalachen, Liz Ševčenko geht nach einer breiteren Einführung zu „Human Rights“ in die Details der Geschichte des amerikanischen Militärstützpunktes Guantanamo auf Kuba und auf ein von ihr selbst geleitetes kollektives Ausstellungsprojekt ein. In seinem Beitrag über Graphic Novels beschreibt der Niederländer Kees Ribbens die Entstehung von Comics und dann ausführlicher niederländische Comics über Anne Frank und den Holocaust. Graham Smith und Anna Green analysieren mit “The Magna Carta: 800 Years of Public History” ein Thema, das man wohl kaum in einem Handbuch erwartet hätte, zudem nicht unter Verwendung des international durchaus anschlußfähigen Ansatz als „Erinnerungsort“. Diese Liste ließe sich fortsetzen. Ohne beispielhafte Illustrierung macht Public History wenig Sinn, aber selbst in einer nur auf den US-Markt zielenden Publikation sollte der Handbuchcharakter berücksichtigt werden, mit entsprechender Reduzierung der Projektdetails.

Mindestens ebenso stößt die häufige Verwendung von „I“ oder „my“ auf. Comp und Brian W. Martin, der über „The Business of History” schreibt, nehmen gleich im ersten Satz die Ich-Perspektive ein, die bei letzterem mit einer Schlussanekdote als junger Zeitungsausträger endet. Der Leser erfährt, wie sich mit dem jeweiligen Karriereverlauf und mit bestimmten Projekten der Blick der Autor/innen auf „ihr“ Thema wandelte. Der Kanadier Steven High schreibt in seinem Kapitel über „Arts and Heritage in the Aftermath of Deindustrialization“ auf derselben Seite, auf der er viele weitere internationale Beispiele angesprochen hat von „this part of our history” (S. 426, Hervorhebung von mir), womit er die Kanadier meint. Auf Seite 430 erfährt man (im Haupttext!), dass eine von ihm zitierte Autorin ihren Doktor an seiner Universität gemacht hat. Nicht nur an solchen Stellen hätte man sich klare Vorgaben und ein energisches Eingreifen der Herausgeber oder spätestens eines Redakteurs bei Oxford University Press gewünscht.

Zu Themen wie Spielfilmen oder Dokumentationen, Radio und Podcasts, Living History und „Performance”, Computerspielen und Apps gibt es keine eigenen Kapitel. Zum Teil wird darauf kurz in Sharon M. Leons Beitrag über „Complexity and Collaboration: Doing Public History in Digital Environments“ eingegangen, der dem Thema aber in keiner Weise gerecht wird. Wohl aus Kostengründen sind nur wenige Abbildungen abgedruckt, zudem ausschließlich in Schwarzweiß.

Während sich Leser außerhalb der USA sicherlich wenig für das Kapitel über Public History und den US-Kongress interessieren, werden vor allem im Abschnitt „Difficult Public History“ Kontroversen und Entwicklungen aus verschiedenen Teilen der Welt präsentiert. Auch hier findet sich oft eine diesmal wohl intendierte, aber ebenfalls problematische nationale Verengung. Boris Wastiau befasst sich mit hoch aktuellen Themen wie Provenienzforschung und Kolonialobjekten in europäischen Sammlungen, allerdings mit engem Fokus auf Belgisch-Kongo und Brüsseler Museen. Neben Beiträgen über Denkmäler in Indonesien, Tourismus zu Orten der Sklavereigeschichte in Ghana (in dem ein deutscher „prime minister“ zitiert wird) und einem über Kambodscha, der sich ausführlich mit „Cambodian Americans“ befasst, enthält dieser Abschnitt auch einen Text von Udo Gößwald, dem Direktor des Museum Neukölln in Berlin zum Thema „Politics and Memory: How Germans Face their Past”. Dies auf zehn, wenn auch eng bedruckten Seiten zusammenzufassen, ist ohne Frage eine große Herausforderung. Vieles muss weggelassen, anderes extrem verkürzt werden. Gößwalds Auswahl überzeugt nicht unbedingt. Während er dem Roman „Am Beispiel meines Bruders“ von Uwe Timm eine halbe Seite widmet, kommen die Auschwitzprozesse oder Adolf Eichmann in seiner Darstellung nicht vor. Den Historikerstreit beschreibt er als Auseinandersetzung über die politische Instrumentalisierung von Geschichte und Versuche, „to reestablish a conventional form of national identity“ (S. 452), erwähnt aber nicht die dem Streit zugrunde liegende zentrale Kontroverse über die Singularität des Holocausts oder auch die Präventivkriegsthese. Das Berliner Holocaust-Mahnmal wird kritisch gewürdigt, aber die Leser werden nicht darüber informiert, dass seine ausschließliche Erinnerung an jüdische Opfer zu einer Kontroverse und der Errichtung von bislang zwei weiteren Denkmalen und einem Gedenkort führte.

Und wo bleibt das Positive in dieser Rezension? Die bislang geäußerte Kritik bezieht sich nicht in jedem Fall auf die generelle inhaltliche Qualität der Beiträge, die oftmals sehr gut und differenziert geschrieben sind und wichtige Fragen und Probleme der Public History ansprechen. So problematisiert „The Business of History” den Markt für Geschichte und die nicht immer einfache Beziehung zu den „Kunden“, Benjamin Filene diskutiert die „challenges of diversity“ auf kluge Weise und Cathy Stantons Beitrag über „local food activism“ verbindet in sehr reflektierter Weise (Land-)Wirtschaft, Umwelt, Lokalgeschichte und Aktivismus. Mit wenigen Ausnahmen handelt es sich um Texte, die in eine Zeitschrift oder in einen Sammelband passen würden bzw. als Vorträge funktionieren, aber eben nicht oder nur bedingt als Handbuchkapitel. Dass die jeweils sehr ausführlichen Bibliographien dem interessierten Leser zumindest den weiteren Weg in das jeweilige Feld weisen, ist dabei nur ein schwacher Trost, zumal viele Themen, besonders was alte und neue Medien betrifft, praktisch nicht vorkommen.

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