R. Kaczmarek: Polen in der Wehrmacht

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Titel
Polen in der Wehrmacht.


Autor(en)
Kaczmarek, Ryszard
Reihe
Schriften des Bundesinstituts für Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa 65
Erschienen
Anzahl Seiten
244 S.
Preis
€ 39,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jens Boysen, Institut für Politische Studien der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Warschau

Dass eine bedeutende Zahl polnischer Staatsbürger aus den 1939 ins Deutsche Reich eingegliederten Gebieten der Zweiten Polnischen Republik als sogenannte „Volksdeutsche“ in der Wehrmacht gedient haben, war zwar generell bekannt. Eine systematische Untersuchung zu diesem Thema fehlte jedoch bislang. In der Einleitung zur deutschen Ausgabe seines 2010 im polnischen Original erschienenen Buches führt Ryszard Kaczmarek dies auf die schwierige, oft von Voreingenommenheit gekennzeichnete Rezeptionsgeschichte im Nachkriegspolen zurück. Im Vordergrund habe dabei die Frage von Loyalität und Verrat gestanden, die auf der verbreiteten Überzeugung beruhte, der Einsatz polnischer Staatsbürger in der Wehrmacht sei wie in der Waffen-SS ausschließlich freiwillig erfolgt und mithin Ausdruck einer prodeutschen oder gar nationalsozialistischen Gesinnung gewesen. Tatsächlich waren die meisten dieser Soldaten aber infolge ihrer Aufnahme in die Deutsche Volksliste einberufen worden.

Der Autor betont, dass in Polen der Bedeutungsunterschied zwischen den „Volksdeutschen“ als Vorkriegsbezeichnung der ethnisch deutschen Bevölkerung einerseits und dem von den Nationalsozialisten nach 1939 zur Kategorisierung der Mitglieder der Deutschen Volksliste benutzten gleichen Begriff andererseits oft übersehen werde (S. 18). Mithin bezieht sich jedenfalls der Begriff „Polen“ im Buchtitel in erster Linie auf die Staatsangehörigkeit bis 1939, wobei schätzungsweise ein Drittel der Bürger der Zweiten Republik als nationale bzw. ethnische Minderheiten anzusehen waren. Erst in jüngerer Zeit hätten die polnische Geschichtswissenschaft und Erinnerungskultur sich für die komplexe Wirklichkeit von Identitäten, Einstellungen und Handlungsoptionen seitens der damals Betroffenen geöffnet. Besonders in Oberschlesien, wo ein regionales Sondergefühl bis heute überlebt hat, machten die Nachfahren der Betroffenen eine differenzierte Betrachtungsweise geltend. In Westpreußen, der Heimat der seit 1990 kulturautonom organisierten Kaschuben, seien die Schwierigkeiten der historisch-politischen Positionierung weit größer.

Angesichts der erheblichen regionalen Unterschiede im praktischen Umgang der NS-Behörden mit der autochthonen Bevölkerung der annektierten polnischen Gebiete konzentriert sich Kaczmareks Untersuchung auf Oberschlesien und Westpreußen/Pommerellen (den damaligen Reichsgau Danzig-Westpreußen). Anders als im Warthegau, dessen Gauleiter Arthur Greiser eine besonders gründliche Trennung des deutschen von den polnischen und jüdischen Bevölkerungsteilen anstrebte und zu diesem Zweck als erster eine Deutsche Volksliste einführte, wandten die Staats- und Parteistellen in den beiden anderen eingegliederten Gebieten das Instrument der Volksliste wesentlich flexibler an und setzten dabei zunehmend auf Inklusion möglichst großer Bevölkerungsteile. Diese Politik zielte erkennbar (aber nicht nur) darauf ab, Soldaten für das Millionenheer der Wehrmacht zu gewinnen.

Kaczmarek stellt sich die Aufgabe, neben den harten Fakten der NS-Politik vielfältige Varianten in den persönlichen Voraussetzungen, Verhaltensweisen sowie im Selbstverständnis der während des Krieges zur Wehrmacht eingezogenen „Volksdeutschen“ herauszuarbeiten. Ausgangspunkt ist dabei eine Erläuterung des Systems der Deutschen Volksliste und seiner Folgewirkungen auf die gesellschaftlich-politische Stellung der erfassten Personen. Dazu gehörte das Junktim zwischen der in der dritten Stufe der Volksliste (nicht deutschsprachige Menschen, denen aber „deutsche Abstammung“ bescheinigt wurde) nur unter Vorbehalt verliehenen deutschen Staatsbürgerschaft und der Wehrpflicht wie auch der Druck zum Beitritt zur Volksliste, der in beiden Regionen auf meldeunwillige Personen ausgeübt wurde.

Der nächste Abschnitt widmet sich der rechtlichen und faktischen Stellung „volksdeutscher“ Soldaten in der Wehrmacht. Der Autor betrachtet dabei formalrechtliche Aspekte im Zusammenspiel mit politischen und militärischen Interessen sowie deren Wandel im Kriegsverlauf. Überdies zieht er zur Illustration Aussagen aus Ego-Dokumenten betroffener Soldaten heran; so werden deren komplexe Motive und Perspektiven zumindest exemplarisch sichtbar. Ein wiederkehrendes Problem war die Spannung zwischen der rechtlichen Diskriminierung der in die dritte Stufe der Volksliste eingestuften Soldaten (so konnten sie etwa keine Offiziere werden) und der für den Zusammenhalt der Truppe notwendigen – und sich ‚von unten‘ her auch bildenden – Kameradschaftsstrukturen. Das pragmatische Bestreben der Wehrmachtsbehörden nach Integration dieser Soldaten zeigte sich an den in vielen Einheiten durchgeführten Deutschkursen und anderen Maßnahmen.

Dieser grundsätzlichen Betrachtung folgt ein Kapitel über die Einberufungspraxis, die sich ebenfalls mit dem Kriegsverlauf änderte. In vielen Fällen erfolgte die Einberufung trotz des ungeklärten Status der Betroffenen. Dabei wurden zwar die Kriterien der Einstufung tendenziell immer laxer gehandhabt, es gab aber bis zuletzt auch Fälle ideologisch begründeter Verweigerung der Aufnahme in die Deutsche Volksliste bzw. einer Höhereinstufung. Gegen diese Entscheidungen, die massive Nachteile für die Betroffenen und ihre Angehörigen nach sich ziehen konnten, legten diese oft Beschwerde ein, wobei pragmatisch-opportunistische nicht leicht von Gesinnungsmotiven zu unterscheiden waren. Im Dreieck zwischen den Parteileitungen in den Gauen, der Wehrmachtsverwaltung sowie Heinrich Himmlers volkstumspolitischem Apparat wurde in diesen Verfahren auch die Polykratie des NS-Regimes auf regionaler Ebene sichtbar.

Wie der nächste Abschnitt über die Kriegserfahrung der „volksdeutschen“ Soldaten von der Ausbildung bis zur Front zeigt, bestanden trotz ihrer formalen Ungleichstellung, die man sich allerdings im Alltag der Truppe nur schwer vorstellen kann, kaum reale Unterschiede zwischen diesen und den ‚echten‘ Deutschen. Die äußeren Faktoren des Kampfes schufen für alle gleiche Bedingungen und machten (besonders an der Ostfront) die Aufbietung aller Kräfte erforderlich; ggf. vorhandene sprachliche Mängel können hier kaum ins Gewicht gefallen sein. Auch die geschilderten Erfahrungen mit ausgeübter und erlittener Gewalt im Einsatz dürften eher nivellierenden Charakter gehabt haben. Auffällig war jedoch die bei den „volksdeutschen“ Soldaten offenbar stärker ausgeprägte persönliche Sichtweise auf den Krieg, die weniger auf das ‚große Ganze‘ und die NS-spezifische Teleologie Bezug nahm.

Das letzte Kapitel behandelt den Aspekt der Selbst- und Fremdbewertung des Kriegsdienstes von „Volksdeutschen“ in der Wehrmacht. Kaczmarek eröffnet dabei ein schon klassisches Spektrum von Anpassung, Verweigerung, Desertion, Resistenz bzw. Widerstand und Kollaboration. Für die resultierende Bandbreite möglicher Haltungen bzw. Reaktionsformen gibt er markante Beispiele aus Akten und Ego-Dokumenten. Dabei stechen die von Kaczmarek angeführten, von den Betroffenen mit ihrer polnischen Gesinnung begründeten Fälle von Eides- bzw. Gehorsamsverweigerung hervor, die nur in wenigen Fällen hart geahndet wurden. Sie zeugen einerseits von beharrlichen Überzeugungen, aber auch davon, dass jene Soldaten offenbar von einem beträchtlichen faktischen Toleranzspielraum in der Wehrmacht ausgehen konnten. Bemerkenswert waren Artikulationen polnischer oder auch schlesischer Gesinnung, die vom Singen von Liedern bis hin zu Auseinandersetzungen mit Autoritäten reichten. Besonderen Stellenwert hatte auch die tiefe katholische Prägung vieler „volksdeutscher“ Soldaten, die von der NSDAP etwa im Kontext von Gefallenenfeiern hingenommen werden musste; allerdings dürfte dies kein Alleinstellungsmerkmal dieser Gruppe gewesen sein. Abschließend wirft Kaczmarek einen kurzen vergleichenden Blick auf die ähnlich gelagerten Fälle der Wehrmachtssoldaten aus dem Elsass, aus Lothringen, Luxemburg und Eupen-Malmedy, wobei er die dort wesentlich großzügigere Praxis bei der Verleihung der endgültigen deutschen Staatsbürgerschaft betont.

Die Arbeit ist methodisch überzeugend und verbessert den Forschungsstand zum Thema beträchtlich. Es bleibt aber die Frage, inwieweit angesichts der komplexen ethnischen und kulturellen Gemengelage in den Grenzgebieten das ‚wahre‘ Selbstverständnis der „Volksdeutschen“ ergründet werden kann. Insbesondere ist angesichts der geschilderten Fälle widersprüchlicher Behandlung der Betroffenen durch die zivilen und militärischen deutschen Behörden, aber auch ihrer eigenen Verhaltensweisen zu vermuten, dass auch die in die dritte Stufe der Volksliste eingestufte Personengruppe ein gewisses Spektrum verschiedener ‚nationaler‘ Identitäten und Einstellungen aufwies. Die zu überwindende Schwelle hin zur „deutschen“ Option konnte folglich ganz unterschiedlich hoch sein.

Um sich als Soldat willig der deutschen Seite anzuschließen, musste jemand deshalb nicht sonderlich „für nationalsozialistisches Gedankengut empfänglich“ (S. 170) sein, sondern brauchte nur die fast bei allen Betroffenen in gewissem Maße vorhandenen ‚deutschen‘ Anteile der eigenen Identität in den Vordergrund zu rücken. Von daher wirken einige Stellen der Arbeit widersprüchlich, die gegenüber der sonst so differenzierten Schilderung ein dichotomes Bild von „Deutschen“ auf der einen Seite, die allesamt qua Nationalität mit dem NS-Regime und seinem Krieg innerlich verbunden gewesen seien, und „Polen“ bzw. „Volksdeutschen“ auf der anderen Seite andeuten, für die das ebenso generell nicht der Fall gewesen sein soll (z.B. S. 114, 183).

Diese Detailkritik schmälert jedoch in keiner Weise den großen wissenschaftlichen Wert der besprochenen Studie. Tatsächlich bildet sie für die kommenden Jahre zweifellos das Standardwerk zum Thema. Zu loben sind schließlich die solide Übersetzungsleistung von Andreas Hofmann (sieht man von der etwas eigenwilligen Übersetzung „Pommeraner“ für das polnische „Pomorzanin“ ab) und das gute Lektorat, das auf 244 Seiten zu einer Fehlerzahl im nur einstelligen Bereich geführt hat.

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