Cover
Titel
Das Aquarium. Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion 1840–1910


Autor(en)
Vennen, Mareike
Erschienen
Göttingen 2018: Wallstein Verlag
Anzahl Seiten
423 S.
Preis
€ 37,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Felix Lüttge, Seminar für Medienwissenschaft, Universität Basel

Aquarien, lernt man aus diesem Buch, sind Teil der Geschichte der Naturforschung ebenso wie einer Geschichte künstlicher Welten. Aquarien richten Umwelten ein: Damit die Wassertiere und -pflanzen, die in ihnen leben sollen, nicht zugrunde gehen, müssen ihre Lebensbedingungen erst hergestellt und dann erhalten werden. Wie der Gegenstand, dessen Geschichte Mareike Vennens Dissertationsschrift erzählt, eine Welt in Glas rahmt, entfaltet auch das Buch, das daraus geworden ist, eine ganze Welt, die sich im Aquarium materialisiert und dabei doch weit über diejenige hinausweist, die ein Glaskasten einzufassen im Stande ist.

Das Aquarium. Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion (1840–1910) ist eine Kultur-, Medien- und Wissensgeschichte des Aquariums und untersucht, wie diese „Ocean[e] auf dem Tische“ (Die Gartenlaube 1854) Wissenschaftlern und Laien die Unterwasserwelt erschlossen. Dabei kann die Autorin zeigen, dass dazu sehr viel mehr gehört als die Begegnung von Menschen mit Wassertieren durch Glas und auf Augenhöhe, mit der Stephen Jay Gould eine neue Form von bildlichen Darstellungen von Unterwasserwelten – den vertikalen Schnitt mit frontaler Ansicht in den Meeresraum – erklärt hat.1 Vielmehr untersucht sie Aquarien „als mediale Dispositive der Wissensproduktion, die das Wissen und die Vorstellungen über das Leben unter Wasser nachhaltig veränderten, indem sie die Praxis und Orte, die Gegenstände und Produkte naturkundlicher Forschung und populärer Vorstellungen beeinflussten.“ (S. 11) Daraus ergibt sich die These, dass Aquarien einen zentralen Schauplatz in der Frühgeschichte ökologischen Wissens und ein Untersuchungsgebiet darstellen, das sich nicht nur auf Glaskästen und Wasserpumpen beschränkt, sondern biologische, ökologische und hygienische Diskurse in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ebenso einschließt wie die Geschichte von Infrastrukturen wie der städtischen Wasserversorgung, der Eisenbahn oder der Post.

Methodischer Ansatzpunkt für Mareike Vennens Studie sind die Widerstände, mit denen die Versuche, den submarinen Raum im und durch das Aquarium praktisch, ästhetisch und epistemisch zu erschließen, es zu tun bekamen: Algenbildung, getrübte Wasser oder Feindschaften unter der Aquarienbevölkerung waren eher die Regel als die Ausnahme und bestimmten die Praxis von Aquarianerinnen und Aquarianern im 19. Jahrhundert so grundlegend, dass Vennen in den Stör- und Unfällen strukturelle Generatoren von aquatischem Wissen erkennt: „Das Störpotential der Technik, des Lebendigen und seines Milieus macht die (Eigen-)Dynamiken im historischen Prozess der Wissensproduktion beschreibbar. Denn eine Störung, die etablierte Ordnungen irritiert, zwingt dazu, permanent Wissen explizit zu machen“ (S. 20). Diese Fokussierung erweist sich im Verlauf der Studie als so unterhaltsame wie erfolgreiche Strategie der Autorin, den Faszinations- und Erfolgsgeschichten, die die Aquaristik über sich selbst erzählt, eine eigene, komplexere Geschichte entgegenzuhalten.

Statt einer linearen Geschichte fortschreitender Technisierung oder Naturaneignung erzählt Mareike Vennen von den Um- und Abwegen ökologischer Wissensproduktion mithilfe des Aquariums. Dazu gehört, dass jedes Kapitel mit einer Tätigkeit überschrieben ist, die die Arbeit an und mit Aquarien ausmacht – Einrichten, Stabilisieren, Mobilisieren, Aneignen, ins Bild bannen, Rahmen, Erweitern – und zweimal durchlaufen wird: Die Studie wird durch zwei Aquariumskonzepte strukturiert, denen sie sich in zwei Teilen widmet. Das erste ist das balanced aquarium, das um 1850 entstand, als der englische Chemiker Robert Warington Versuche unternahm, die Natur im Kleinen zu (re-)konstruieren. In Technik und Aufbau dieser Aquarien drückt sich ein auf lokale Funktionszusammenhänge gerichtetes Umgebungswissen aus: Ziel der frühen Aquarianer/innen war es, ein sich selbst erhaltendes Gleichgewicht im Aquarium herzustellen, dessen Stoffkreislauf von äußeren Faktoren unabhängig war. Daneben trat in der zweiten Jahrhunderthälfte das circulated aquarium. Seine Betreiber/innen wie der Londoner Ingenieur und Aquarienhändler William Alford Lloyd setzten statt auf Selbstregulierung im Glas auf Maschinenarbeit und schlossen das Aquarium an Wasserleitungen an.

Der erste Teil der Studie widmet sich frühen Heimaquarien um 1850 und den Versuchen, Wasserorganismen zwar lebendig, aber nicht im Feld zu beobachten. Hierbei schließt er in mehrerer Hinsicht an Lynn Nyharts Geschichte der „biologischen Perspektive“ an.2 Auch in Mareike Vennens Geschichte kommt den Akteuren an den Rändern der Wissenschaft besondere Bedeutung zu: Es waren Amateurwissenschaftler/innen, die am Strand gesammelte Wassertiere lebendig in ihre Heimaquarien setzten und damit ein neues Wissen über die Beziehungen zwischen den Lebewesen und ihrer Umwelt ausbildeten, das sie gegen die Naturgeschichte in Stellung brachten. Die Welten, die Aquarien schufen, waren Überlebenswelten. „Um eine überlebensfähige ‚Gemeinschaft‘ im Aquarium zusammenzustellen, reichte daher ein Wissen um einzelne Tiere nicht mehr aus. Von Anfang an ging es bei Aquarientieren weniger um Einzelwesen [...] als um ein Ensemble aus Tierzusammenstellungen und Umwelt, deren Wechselbeziehungen entscheidend waren.“ (S. 95) Die Regulierung der Umwelten im Aquarium war so immer auch Disziplinierung der Aquarianer/innen: Frühe Ratgeber empfahlen ihren Leser/innen unter dem Paradigma des balanced aquarium an prominenter Stelle, Maß zu halten. Nur mithilfe des juste milieu war ein milieu juste im Aquarium zu erreichen.

Überzeugend weist dieser erste Teil auf ein grundlegendes Paradox der Natureinrichtung im Aquarium hin: Das Natürliche einer Natur im Aquarium konnte erst mithilfe ausgeklügelter Kultur- und Medientechniken hergestellt und repräsentiert werden, deren Künstlichkeit im selben Moment naturalisiert wurde. Aquarien, davon zeugt die Ratgeberliteratur, waren so diffizile wie artifizielle Gebilde, die im Moment ihrer Realisierung der Natur zugeschlagen wurden. Ähnliches zeigt die Autorin für den Fall der aquaristischen Perspektive: Die Darstellung von Wasserorganismen im und nicht auf dem Wasser oder umweltlos auf weißer Fläche verdankte sich dem Aquarium, das es ermöglichte, seinen Bewohnern auf Augenhöhe gegenüberzutreten. Doch auch wo der Blick ins Aquarium „zur Folie für die bildliche Darstellung des Blicks ins Meer“ (S. 141) wurde, sparten die Unterwasseransichten das Aquarium aus: Das Glas und die Technik, die diese Bilder erst ermöglichten, waren darauf nicht zu sehen. „Das medientechnische Apriori erweist sich damit als blinder Fleck des balanced aquarium“, lautet Mareike Vennens Bilanz (S. 104).

Der in der zweiten Hälfte des 19. und den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zunehmend organisierten Aquarianistik und ihren standardisierten Techniken widmet sich der zweite Teil des Buches, in dem die Autorin die Leser/innen von den Küsten in die Städte führt. Als das circulated aquarium an die städtische Wasserversorgung angeschlossen wurde, wurde der Wohnraum selbst zum Teil des Aquariendispositivs, das sich in Infrastrukturen ebenso einpasste, wie es sie veränderte. Auch inneres und äußeres Milieu des Aquariums traten, wie Mareike Vennen in Anlehnung an eine Unterscheidung Claude Bernards zeigt, in ein Wechselverhältnis zueinander: Städtische Luftverhältnisse und Zimmertemperaturen galten als das Leben im Aquarium beeinflussende Faktoren, während der Einfluss verdunstenden Wassers aus Zimmeraquarien auf das Raumklima der Salons zum Thema wurde. Öffentliche Schauaquarien, die sich ab den 1860er-Jahren in Europa und den USA verbreiteten, wurden prägend für die Vorstellung von Unterwasserwelten. Dabei hatten sie mit ähnlichen Problemen zu kämpfen wie die kleineren Heimaquarien – Lichtverhältnisse außer- und Wassertemperaturen innerhalb des Aquariums etwa –, während sie gleichzeitig städtische Infrastrukturen vor neue Herausforderungen stellten. Eindrücklich und äußerst unterhaltsam schildert Mareike Vennen die Folgen des Aquarienbooms für die englische Post, die nun vor der Aufgabe stand, tropfende Pakete zu transportieren, möglichst ohne ihren empfindlichen Inhalt mit dem Poststempel zu zerquetschen.

Mehr als andere historische Arbeiten stehen Verkomplizierungsgeschichten vor der Herausforderung, Unübersichtliches anschaulich zu machen. Dass es diesem Buch nicht gelingt, alles gleichzeitig zu erzählen, kann man ihm nicht vorwerfen und dass der doppelte Parcours durch die Kapitel nicht ganz ohne Wiederholungen auskommt, ist verzeihlich. Die Arbeit stellt einen wertvollen Beitrag zur wissenshistorischen Forschung dar, die seit jüngster Zeit die Forschungsprogramme von Umweltgeschichte und Medienökologie um Fragen nach der Historizität von Umgebungswissen ergänzt.3

Ebenso detail- wie kenntnisreich, sprachlich elegant und mit Witz führt Mareike Vennen ihre Leserinnen und Leser in diesem Buch durch die Geschichte des Aquariums, die eine Geschichte von Umwelten in Umwelten ist, von den medientechnischen Bedingungen biologischer Milieus, von Wissensordnungen und Wahrnehmungsregimen. Das Aquarium. Praktiken, Techniken und Medien der Wissensproduktion (1840–1910) sei deshalb nicht nur Wissenschafts- und Medienhistorikerinnen, sondern auch Stadt-, Fotografie- und Umwelthistorikern und – warum nicht? – Aquarianer/innen empfohlen.

Anmerkungen:
1 Stephen Jay Gould, Seeing Eye to Eye – Through a Glass Clearly, in: ders. (Hrsg.), Leonardo’s Mountain of Clams and the Diet of Worms. Essays on Natural History, Cambridge, MA 2011, S. 57–73.
2 Lynn Nyhart, Modern Nature. The Rise of the Biological Perspective in Germany, Chicago 2009.
3 Siehe etwa Florian Huber / Christina Wessely (Hrsg.), Milieu. Umgebungen des Lebendigen in der Moderne, Paderborn 2017.