B. Maul u. a. (Hrsg.): Museum und Inklusion

Cover
Titel
Museum und Inklusion. Kreative Wege zur kulturellen Teilhabe


Herausgeber
Maul, Bärbel; Röhlke, Cornelia
Reihe
Edition Museum 34
Anzahl Seiten
166 S.
Preis
€ 29,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Patrick Helber, Bildung und Vermittlung, Deutsches Historisches Museum

Laut der „UN-Behindertenrechtskonvention“ vom 13. Dezember 2006 ist kulturelle Teilhabe ein Menschenrecht. Seit auch die Bundesrepublik Deutschland diese Konvention ratifiziert hat und sie zum 1. Januar 2009 rechtskräftig wurde, hat sich in vielen Museen hierzulande etwas im Bereich der Inklusion getan. Verknüpft sind diese Entwicklungen mit dem Wandel der Institution Museum im Generellen. Galten Museen früher als „Imageträger der Hochkultur, müssen sie sich heute zu partizipativen Orten der Kulturvermittlung für alle“ (S. 74) wandeln. Ein Prozess, der nicht ohne Widerstände geschieht und begleitet wird von Unkenrufen der Kritiker/innen, die mit Inklusion und Partizipation primär eine Banalisierung und Trivialisierung wissenschaftlicher Inhalte assoziieren.

Nichtsdestotrotz achten die meisten Museen heute verstärkt auf Barrierefreiheit und einige Institutionen bieten neben Aufzügen und unterfahrbaren Vitrinen für Rollstuhlfahrer/innen auch Objektinformationen, die über Texte in Standarddeutsch hinausgehen. Dazu gehören Zugänge in Deutscher Gebärdensprache, Braille und Leichter Sprache sowie ergänzende Hands-on-Objekte und Tast-, Hör- oder Geruchsstationen, die Ausstellungsinhalte durch mehrere Sinne erfahrbar machen.1

Bis zum „Museum für alle“ oder der „Ausstellung für alle“ ist es trotzdem noch ein weiter Weg, auf dem der hier besprochene Sammelband als hilfreicher Ratgeber mit Informationen, Erfahrungen, Forschungsergebnissen und nützlichen Praxisbeispielen dienen kann. Hervorgegangen aus der Tagung „Mittendrin: Kreative Zugänge zum Museum für Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung“ im April 2018 im Stadt- und Industriemuseum Rüsselsheim, widmen sich die Autor/innen einer Gruppe Museumsbesucher/innen, die den gängigen bildungsbürgerlichen Publikumsvorstellungen vieler Kurator/innen nicht entspricht. Nur wenige Museen haben Erfahrung in der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen, da diese Besuchergruppe weder durch herkömmliche Öffentlichkeits- und Vermittlungsarbeit, noch durch die oben thematisierten inklusiven Zugänge allein ans Museum herangeführt werden kann.

In 15 Beiträgen, zu denen auch Einblicke in die bei der Tagung veranstalteten Workshops „Partizipative Zugänge“, „Mit allen Sinnen“, „Biografische Zugänge“ und „Leichte Sprache im Museum“ gehören, befassen sich 17 Autor/innen mit der Frage, wie Menschen mit kognitiven Einschränkungen als „neue Stammgäste“ (S. 8) des Museums gewonnen werden können. Eine Aufgabe, bei der Andreas Grünewald Steiger „die gesellschaftliche Legitimation der Museen auf dem Prüfstand“ (S. 14) sieht. Seiner Meinung nach bedarf es, um breitere Bevölkerungsteile auch im frühen 21. Jahrhundert für die Häuser sowie deren Vermittlungsformate, Ausstellungen und Sammlungen zu begeistern, einer „Demokratisierung der Institution“ per se. Für die Umsetzung dieser betont er die zentrale Rolle von „Teilhabe und Partizipation – beides immanente Bestandteile jedes inklusorischen Konzepts“ (S. 14).

Matthias Gräßlins Beitrag „Volxkultur im Museum. Theaterarbeit mit heterogenen Gruppen als Zugang für Menschen mit kognitiven Einschränkungen“ soll hervorgehoben werden, da sich der Theatermacher und Dozent für kulturelle Bildung ausführlich den Barrieren widmet, die nicht nur physisch, sondern auch in den Köpfen einer wirklichen Inklusion von Menschen mit kognitiven Einschränkungen im Wege stehen. In Ausstellungen repräsentieren häufig nicht nur die Narrative, sondern auch die Objekte aus den Sammlungen Geschichte(n) aus der Perspektive weißer, heterosexueller, meist männlicher Akteure ohne Beeinträchtigungen. Ihre Präsentation setzt darüber hinaus von Besucher/innen bereits „Expertenwissen“ voraus, das schon damit beginnt, „wie man sich in diesem Umfeld angemessen zu verhalten hat“ (S. 97). Daher „halten sich viele Menschen bewusst von Museen fern, weil sie sich der musealen Welt nicht zugehörig fühlen. Sie haben nie Zugang gefunden oder ihre soziale Zugehörigkeit sieht den Besuch von derartigen Kultureinrichtungen nicht vor“ (S. 97). Während Expert/innen im Museumsbesuch „das Dargebotene im stillen Dialog mit sich selbst“ (S. 98) beschauen, gibt das Museum laut Gräßlin dem Bedürfnis direkt, emotional oder gar laut auf das Gesehene zu reagieren keinen Raum. Er stellt die Frage, „[w]as wäre, wenn ich all meine Empfindungen, Gedanken, Ideen, Deutungen doch unmittelbar zum Ausdruck bringen könnte? Wenn ich im Museum laut sprechen, jauchzen, aufschreien, singen tanzen würde?“ (S. 99). Erfreulich ist, dass er sich dabei nicht von „Menschen mit besonderer Begabung“ (S. 99) abgrenzt, sondern verdeutlicht, dass das Verhalten von Besucher/innen mit kognitiven Einschränkungen einhergeht mit dem allgemeinen menschlichen Bedürfnis „Dinge mit allen Sinnen wahrnehmen zu wollen, sie gerne anzufassen, zu begreifen und zu benutzen“ (S. 98). Gräßlin betont, dass Menschen mit kognitiver Einschränkung ihre Umgebung emotionaler wahrnehmen und dieser Widerspruch mit dem „normierten Alltag“ häufig zur „Ausgrenzung vom öffentlichen kulturellen Leben“ führt (S. 99). Diese Schwierigkeiten müssen Museen bei der Arbeit mit der Zielgruppe berücksichtigen. Als Praxisbeispiel für ein Vermittlungsformat, das Ausschlüsse durchbricht und „eigene unmittelbare Zugänge zur Welt“ (S. 101) zulässt, führt er die „Volxstheaterwerkstatt“ zur Ausstellung „Unsere Amerikaner“ in der Kunsthalle Bielefeld an. Dort konnten sich Besucher/innen mit und ohne kognitiven Einschränkungen gemeinsam mittels Performances, Dialogen oder Tänzen zu einem zuvor ausgewählten Kunstwerk äußern.

Ein weiteres Beispiel ist die von Henriette Pleiger und Birgit Baumgart angeführte Ausstellung „TOUCHDOWN. Eine Ausstellung mit und über Menschen mit Down-Syndrom“ der Bundeskunsthalle Bonn (2016/17). Sie beschäftigte sich aus wissenschaftlicher und künstlerischer Perspektive mit Menschen mit Down-Syndrom und deren Geschichte(n). Das Projekt war von Beginn an partizipativ ausgelegt. Die Verantwortlichen suchten sich Kooperationspartner, wie das Bonner Magazin Ohrenkuss, das von Menschen mit Down-Syndrom gemacht wird, und machten diese zu „Expertinnen und Experten in eigener Sache“ (S. 113). Letztendlich steuerten Menschen mit Down-Syndrom über die Hälfte aller Ausstellungstexte bei und gestalten ihre Repräsentation auf unterschiedlichen Ebenen selbst mit.

Bernhard Grafs Beitrag „Das Museum als sozialer Ort zwischen Museumspädagogik und Sozialarbeit“ und Cornelia Röhlkes Text „Vom unbekanntem zum vertrauten Ort – neue Besucherinnen und Besucher im Museum“ betonen die besondere Eignung von Stadtmuseen für die inklusive Arbeit. Als kollektive Gedächtnisse und Geschichtsspeicher ist es ihre Aufgabe Raum für die Geschichten von Menschen mit kognitiven Einschränkungen zu schaffen. Dass diese sich gerade beim Umgang mit der eigenen Biografie als „sehr kompetent“ (S. 88) erleben können, zeigt Ines Bader in „Geschichten, die das Leben schreibt. Biografiearbeit im Museum für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung.“ Sie betont die Wichtigkeit für Menschen mit Beeinträchtigung, auf andere Menschen im Museum zu treffen, „sich als dazugehörig zu erleben“ und beim Kontakt mit historischen Objekten und Kunstwerken neue Impulse zu erhalten und „Verbindungen zur eignen Lebenswelt“(S. 96) herstellen zu können.

Die Autor/innen des Bandes sind sich einig, dass es für die Heranführung von Menschen mit kognitiver Einschränkung an Museen gute Kooperationspartner/innen in der Behindertenhilfe bedarf und Leitungen, Sonderpädagog/innen und Sozialarbeiter/innen von den positiven gegenseitigen Effekten überzeugt werden müssen. Der Band gibt viele nützliche Anstöße, wie Museen zukünftig Teil der Lebenswelt von Menschen mit kognitiven Einschränkungen werden können und wie diese und Kultureinrichtungen von den Kontakten gegenseitig profitieren. Einzig der Titel ist irreführend, da er suggeriert, dass es um verschiedene Gruppen geht, die Inklusionsansätze aber nur Menschen mit kognitiven Einschränkungen und Demenz betreffen. Das Buch hält vor Augen, dass „[d]as Menschenrecht auf kulturelle Teilhabe […] für viele Mitmenschen außerordentlich voraussetzungsreich“ (S. 70) ist. Wollen Museen gesellschaftlich relevante Orte bleiben, sollten Kurator/innen, Wissenschaftler/innen und Vermittler/innen ihr vertrautes Territorium verlassen und anerkennen, dass es zwischen Elfenbeinturm und Spielwiese diverse Möglichkeiten gibt, das Museum als sozialen Ort für alle zu gestalten.

Anmerkung:
1 Ein Beispiel dafür sind die im Deutschen Historischen Museum, Berlin seit 2015 in ausgewählten Sonderausstellungen verwendeten „Inklusiven Kommunikationsstationen“. Sie sind an ein taktiles Bodenleitsystem für blinde und sehbehinderte Menschen angeschlossen und ermöglichen einen Rundgang durch die Ausstellung. Dabei richten sich die Stationen an alle Besucher/innen und vermitteln zentrale Thesen der unterschiedlichen Kapitel durch mehrsinnliche Angebote ergänzt durch drehbare Texttrommeln, auf denen sich Information in Braille, Deutscher Gebärdensprache, Leichter Sprache, Standarddeutsch und auf Englisch befindet.

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