W. Brundage: Civilizing Torture

Cover
Titel
Civilizing Torture. An American Tradition


Autor(en)
Brundage, W. Fitzhugh
Erschienen
Anzahl Seiten
416 S.
Preis
€ 31,50
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Norbert Finzsch, Historisches Seminar, Universität zu Köln

W. Fitzhugh Brundage ist bisher mit sieben grundlegenden Monographien zur US-amerikanischen Geschichte bekannt geworden, die allesamt Themen wie Rassismen, Gewalt und die Kultur des Südens der USA behandeln. Jetzt liegt sein neues Buch vor, das strengen wissenschaftlichen Kriterien gehorcht, dessen politischer Impetus jedoch nicht zu übersehen ist.

Mit gewisser Berechtigung haben die BürgerInnen der Vereinigten Staaten darauf gepocht, anders zu sein als Europa. Dieser „Exceptionalism“ durchzieht nach Brundage auch die Diskussionen um die Folter. Auch wenn man an den amerikanischen Sonderweg nicht glaubt, fällt auf, dass die amerikanische Öffentlichkeit immer wieder über Praktiken diskutiert, die die Grenze von „robusten Verhören“ zur Folter überschreiten (S. 5). Brundage begeht nicht den Fehler, sich auf eine enge Definition von Folter festzulegen. Damit eröffnet er sich methodisch die Möglichkeit über die Bedingungen nachzudenken, die zur Folter führen.

Dargestellt wird die „Zivilisierung“ der Folter in acht nahezu gleich umfangreichen Kapiteln, die chronologisch organisiert sind. Auf eine kurze grundsätzliche Einführung folgt im ersten Kapitel eine Diskussion der Folter unter frühneuzeitlichen Europäern und Native Americans. Brundage gelingt es hier überzeugend, die indianische Folter als Teil eines religiös-kultisch motivierten Rituals zu erklären, das weiße Zeitzeugen als Ausdruck von Barbarei und Teufelei missverstanden. Brundage parallelisiert dann die indianische Folter mit den Verfahren gegen Hochverräter, wobei ihm der Prozess gegen Guy Fawkes im Jahre 1605 als Beispiel dient. Hier merkt man deutlich, dass die Frühe Neuzeit nicht Brundages Fachgebiet ist: Aus dem Crimen Exceptum wird ein Crimen Exeptum (S. 27) und die Darstellung europäischer Folter nach 1215 (S. 28f.) ist doch mit einem sehr groben Pinsel gemalt.

Das zweite Kapitel fokussiert sich auf den Strafvollzug in der „Frühen Republik“, ein nahezu unübersichtliches Feld, in dem der Rezensent seine liebe Mühe hatte. Trotz der Ansätze eines reformierten Strafvollzugs nach 1800 kam es immer wieder zu Folterungen und Übergriffen des Gefängnispersonals. Das Gefängnis sollte in erster Linie der moralischen Besserung des Verurteilten dienen, nicht so sehr der Buße oder der Rache. Doch eine vermeintliche Kriminalitätswelle beendete die noblen Träume und Gesetzgeber verschärften den Vollzug. Öffentlich zur Schau gestellte Zwangsarbeit in Pennsylvania und Isolationshaft in Massachusetts waren die Antwort. Daneben entstand das Penitentiary zur systematischen Disziplinierung der Strafgefangenen. Strukturell macht es Sinn, von der Gefängnisreform zur Gewalt der Sklaverei überzugehen – dies ist das Thema des dritten Kapitels. Die Unterwerfung menschlicher Körper unter die Gesetze der Sachgegenstände, vulgo „Chattel“, zeitigte eine besondere Form der institutionellen Grausamkeit, die ihre Spuren bis heute hinter sich her schleift. Die AbolitionistInnen wiesen strukturelle und personale Überlappungen mit den GefängnisreformerInnen auf. Mit ihrer Kampagne, die den Wert individuellen Lebens betonte, stärkten sie auch diejenigen, die die Folter ein für alle Mal abschaffen wollten. Die Behandlung der SklavInnen, die als „Eigentum“ ihrer BesitzerInnen den Rechtsweg nicht einschlagen konnten, fasste aber die Brutalität der amerikanischen Kultur jener Jahrzehnte sehr gut zusammen.

Das vierte Kapitel analysiert die Epoche des Amerikanischen Bürgerkriegs, in dem nicht nur 600.000 BürgerInnen ihr Leben verloren, sondern auch ein Teil der moralischen Ordnung zusammenbrach, die zumindest für freie weiße Subjekte verbindlich gewesen war. Folter wurde auf Grund der außergewöhnlichen Umstände toleriert. Brundage verwendet sehr viel Energie auf die Analyse der horrenden Folterpraktiken in Gefangenenlagern beider Seiten. Vollkommen unerwähnt bleibt die Aufhebung des Rechts auf Habeas Corpus durch Präsident Abraham Lincoln, der damit einen Präzedenzfall schuf und die Entrechtung der Internierten legitimierte.

Die These vom amerikanischen Exzeptionalismus wird besonders angreifbar im fünften Kapitel, in dem es um den Philippinisch-Amerikanischen Krieg geht. Dieser Krieg trug Züge eines kolonialen Rassenkrieges und stand damit im starken Kontrast zur bisherigen antikolonialen Tradition der USA. Er war geprägt von genozidaler Energie und zahllosen Übergriffen des amerikanischen Militärs gegen die Zivilbevölkerung. Gleichzeitig begann das Militär mit der Folterung gefangener Aufständischer oder wen sie dafür hielt. Brundage analysiert nicht nur den erfolglosen Versuch, die Folter auf den Philippinen zu unterbinden, sondern stellt auch in aller Breite die Aktivitäten der Antiimperialisten dar, die gegen die Praktiken der Armee protestierten. Zum Vergleich hätte Brundage sehr gut die zeitgleichen Praktiken europäischer Kolonialmächte in Kuba, Südafrika und Namibia heranziehen können. Ein amerikanischer Sonderweg ist hier weder im Tatbestand noch in der Skandalisierung der Folter und des Genozids zu entdecken.

Spätestens seit „Black Lives Matter“ sind die Praktiken der amerikanischen Polizei in den Fokus der medialen Öffentlichkeit gerückt. Hier liegt ein besonderes Spezifikum der US-Polizei vor, da diese keine staatliche Institution im engen Sinne ist und sich die Zuständigkeiten der lokalen, einzelstaatlichen und nationalen Polizeikräfte überlagern. Polizeitruppen wendeten routinemäßig den „dritten Grad“ an, um Geständnisse zu erzwingen (S. 208). Brundage stützt sich schwerpunktmäßig auf Presseberichte, ein Indiz dafür, dass derartige Vergehen durchaus öffentlich zur Kenntnis genommen und kritisiert wurden. Mit der Einrichtung der Wickersham Commission 1929 wurden Informationen zur Polizeifolter erstmalig systematisch erhoben. Im Süden sorgte das mit der Folter konkurrierende System des Lynching für eine ubiquitäre Verteilung von Terror und Gewalt. Allerdings richtete sich das Lynching in erster Linie gegen African Americans. Brundage schreibt überzeugend: „Lynching, like the third degree, was a supplement to, rather than the antithesis of, the contemporary legal system.” (S. 222) Bedauerlich ist, dass Brundage die bislang nur in deutscher Sprache vorliegende Dissertation von Silvan Niedermeier zur Polizeifolter im Süden nicht rezipiert hat, die stärker mit Archivmaterial gearbeitet hat als Brundage dies tun konnte.1

Faszinierend ist der Gegenstand des siebten Kapitels. Den „Bösewicht“ stellt hier das KUBARK-Handbuch dar, eine geheime schriftliche Anweisung zum Verhör Verdächtiger. Das Interessante an diesem Manual ist die euphemistische Sprache, die die Anweisungen zur Folter so fasst, dass alles beinahe human klingt (S. 270f.). Das Handbuch diente vor allem als Grundlage von „Vernehmungen“ während des Vietnamkrieges. Auf diese Weise wurde Folter zu einer Standardprozedur bei der Vernehmung von Gefangenen. Das Gros der amerikanischen Soldaten glaubte sich deshalb im straffreien Raum zu bewegen, wenn sie Glieder abschnitten oder Waterboarding praktizierten (S. 275). Brundage stellt einen Aktivisten vor, der die Folter anprangerte, Master Sergeant [Donald W.] Duncan – was dem widersprüchlichen und vernetzten Charakter der Antikriegsbewegung nicht gerecht wird.

Das letzte Kapitel beschäftigt sich mit der Epoche nach 9/11. Abu Ghraib symbolisiert hier den Höhepunkt der Folterungen durch CIA-Mitarbeiter und das Militär. Die Attacke auf das World Trade Center wurde von der US-Regierung in apokalyptischer Sprache dargestellt, was die Anwendung besonderer Verhörtechniken erleichterte. Nach 9/11 war die amerikanische Politik im permanenten Ausnahmezustand. Gefangene im Krieg gegen den Terror sollten vor Kriegsgerichten angeklagt werden, die Regeln amerikanischer Zivilgerichte sollten hier nicht mehr gelten (S. 304). Der Stellvertretende Generalstaatsanwalt Jay Bybee verfasste dank der Zuarbeit des heutigen Juraprofessors John Yoo an der University of California in Berkeley 2002 das sogenannte „Folter-Memo“, das die Grenzen der Verhörtechniken in den Bereich der Folter verschob. Aus dem Satz „Wir foltern nicht“ wurde in der Folge „Wir denken nicht, dass dies Folter ist“ (S. 312). Dennoch durchbrachen amerikanische Gerichte immer wieder die Verteidigung der Folter durch die Regierung, indem sie ausländischen Gefangenen das Recht auf Anhörung vor einem Zivilgericht zustanden. Die Obama-Administration übernahm offiziell diese Linie, wenn auch Guantanamo nicht geschlossen und die Verantwortlichen nicht zur Rechenschaft gezogen wurden. Der Krieg wurde unterdessen in den USA fortgesetzt, nachdem Kriegsveteranen bei der Polizei in verschiedenen Großstädten angestellt wurden und ihre „Erfahrungen“ nun an Zivilisten anwenden konnten (S. 324). W. Fitzhugh Brundage hat ein überaus wichtiges Buch geschrieben, das weitere Forschung anregen wird.

Anmerkung:
1 Silvan Niedermeier, Rassismus und Bürgerrechte. Polizeifolter im Süden der USA 1930–1955, Hamburg 2014.

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