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Titel
Nemesis. Alcibiades and the fall of Athens


Autor(en)
Stuttard, David
Erschienen
Anzahl Seiten
XV, 380 S.
Preis
£ 21.95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Benjamin Nagel, Alte Geschichte, Universität Düsseldorf

Mit der Biographie „Nemesis. Alcibiades and the Fall of Athens“ fügt David Stuttard der nicht geringen Anzahl an Werken über Alkibiades ein weiteres Exemplar hinzu.1 Lebemann, Feldherr, Politiker, später auch Exilant und Überläufer – all diese Schlagwörter treffen auf den Athener Alkibiades zu, eine der kontroversesten Figuren ihrer Zeit, der Zeit des Peloponnesischen Kriegs.

Wie nähert man sich einer solchen Figur? Für Stuttard, der erklärt, in erster Linie nicht für ein Fachpublikum schreiben zu wollen, sondern für den interessierten Laien (S. 7), ist klar, dass eine solche Biographie nicht zu wissenschaftlich und zu trocken verfasst sein dürfe (S. 9). Stattdessen möchte der Autor den Leser auf eine „instructive but entertaining [journey]“ (S. 9) mitnehmen. Alkibiades dient dabei als Führer durch seine Epoche und als Bezugsperson des „most ambitious social experiment […] on the globe“ (S. 8), der Attischen Demokratie.

Bevor Stuttard mit dieser Reise beginnt, widmet er sich in der Einleitung (Pinning Down Proteus) der Quellenlage und seinem methodischen Vorgehen. Eine lebendige Beschreibung der Ermordung des Alkibiades, dient ihm als Einstieg, um die Quellenproblematik zu illustrieren. Die Art der Darstellung erscheint Stuttard zwar als „stuff of fiction“ (S. 1) und „almost filmic“ (S. 2), aber passend für den schon von seinen Zeitgenossen kontrovers diskutierten Alkibiades. Das Quellenmaterial solle deswegen mit Vorsicht behandelt werden (S. 3). Für die Erstellung einer Alkibiades-Biographie stelle das aber ein Problem dar, da das vorsichtige Abwägen zwischen den verschiedenen Quellen den Lesefluss und damit das Erfahren des draufgängerischen Charakters des Atheners einschränke. Deshalb entschließt sich Stuttard für eine kohärente Darstellungsweise, die es allerdings notwendig mache, harte Entscheidungen bezüglich der Materialauswahl zu treffen (S. 6–7).

Dann beginnt seine Reise durch das bewegte Leben des Alkibiades. Im Prolog (A Family Divided) erfährt der Leser etwas über das berüchtigte Geschlecht der Alkmeoniden und damit über Alkibiades‘ familiären Hintergrund. Die ersten drei Kapitel (Rearing the Lion Cub, Coming of Age, Unbowed in Battle) behandeln seine Kindheit, seine Jugend in der Obhut des Perikles und seine ersten militärischen Schritte im beginnenden Peloponnesischen Krieg. Kontextualisiert wird die militärische Laufbahn, über das ganze Buch hinweg, durch eine allgemeine Darstellung des Kriegsverlaufs aus attischer Perspektive. Gleichzeitig wird auch Alkibiades‘ Privatleben und der Aufbau seiner politischen Karriere verfolgt. In der strategischen, aber lieblosen Hochzeit von Alkibiades mit Hipparete, der Tochter des reichen und einflussreichen Hipponikos, kulminieren diese Aspekte.

Die nächsten drei Kapitel (Stirring the Hornet’s Nest, Courting the Hydra, Between Scylla and Charybdis) zeigen Alkibiades‘ erste Schritte auf dem großen nationalen und internationalen Parkett. So ist er fernab der Heimat ein geschickter Diplomat, der es in den Wirren des Nikiasfrieden kurzfristig schafft, Athens Einfluss auf den Peloponnes auszudehnen. Zuhause ist er ein ehrgeiziger Staatsmann, der teilweise mit, meistens aber in Konkurrenz zum konservativen Athener Nikias Politik betreibt. Das Ergebnis dieser Entwicklungen ist die Sizilienexpedition. Diese Konstellation nutzt Stuttard, um ein eindrucksvoll dichtes und einprägsames Bild der athenischen Politik und Gesellschaft zu zeichnen. Der Ostrakismos des Hyperbolos, ein Szenario, bei dem Alkibiades gerade noch den gegen ihn gerichteten Volkszorn umlenken kann, und der Hermen- und Mysterienfrevel, bei dem ihm das nicht mehr gelingt, sind zwei Ereignisse, die sich dafür besonders gut eignen. Mit der Schilderung von Alkibiades‘ abgehobener Inszenierung bei den Olympischen Spielen 420 vor Christus treibt Stuttard daneben die Charakterzeichnung voran und kann so die allgemeine Abneigung der Athener gegen ihren Landsmann erklären. Alkibiades‘ Flucht vor den eigenen Landsleuten beschließt diesen Abschnitt.

Die folgenden drei Kapitel (Sleeping with the Enemy, In a Paradise Garden, Trading Places) begleiten Alkibiades auf seinen Stationen fernab der Heimat – nach Sparta, ins persische Sardis sowie nach Samos bei seiner Rückkehr zur attischen Flotte. In den Abschnitten zu Sparta und Persien konzentriert sich Stuttard auf die jeweilige Gesellschaft. Alkibiades‘ Talent sich in diese einzufügen und erfolgreich zu sein, steht dabei genauso im Vordergrund, wie die Eigenschaft sich durch sein arrogantes Verhalten untragbar zu machen. Die Episode rund um das intrigenreiche Verhältnis zwischen dem „Perser“ Alkibiades, dem Spartaner Astyochos und dem Athener Phrynichos, die wichtig ist, um Alkibiades‘ Rückkehr zur athenischen Seite zu erklären, ist eine der wenigen Abschnitte der Biographie, in der Stuttard sich im Fließtext explizit mit einer antiken Quelle (Thukydides) auseinandersetzt, da er sie aufgrund ihrer Obskurität nicht einfach in seine kohärente Geschichte einfügen möchte.

Die finalen drei Kapitel (Ruling the Waves, Dog Days, Nemesis) behandeln Alkibiades‘ zweite große Phase als Feldherr und Politiker Athens und sein Ende im phrygischen Hochland. Mit der Beschreibung der militärischen und diplomatischen Erfolge am Hellespont, baut Stuttard einen Spannungsbogen auf. Dieser erreicht mit Alkibiades' triumphaler Rückkehr nach Athen seinen Höhepunkt. Im finalen Kapitel wird mit den athenischen Niederlagen bei Notion und Aigospotamoi, dem Arginusenprozess und dem Exil des Alkibiades nach Thrakien sowie seiner Flucht zum persischen Satrapen Pharnabazos2 nach Phrygien, nicht nur Alkibiades‘ eigenes Ende, sondern auch das seiner Heimatstadt erzählt. Während Stuttard Athens Niederlage und die Herrschaft der Dreißig Tyrannen knapp abhandelt, widmet er sich – wie schon in der Einführung – noch einmal ausführlich Alkibiades‘ Tod. Das Buch endet mit einem Epilog (The Shadow of the Dead), der Alkibiades‘ Wirkung auf seine Zeitgenossen thematisiert und sich mit der späteren antiken Rezeptionsgeschichte auseinandersetzt.

Stuttards Alkibiades-Biographie lässt sich durch zwei ineinandergreifende Punkte charakterisieren. Der erste Punkt ist die beinahe romanhafte Beschreibung und Inszenierung von Alkibiades‘ Person. Zum anderen geht es Stuttard um eine kohärente Darstellung seiner Narration. Ein eindrückliches Beispiel für die romanhafte Charakteristik bieten die zwei Beschreibungen von Alkibiades‘ Tod. Im Einführungskapitel, wenn es darum geht, die problematische Quellenlage zu illustrieren, ist Stuttards Beschreibung eher nüchtern: „Alcibiades fell dying on the darkened earth“ (S. 2). Knappe dreihundert Seiten später gehört das selbe Ereignis allerdings zur Inszenierung des alkibiadischen Niedergangs und erfährt deshalb eine farbenfrohere Präsentation: „All Alcibiades could do was run into the night, and run, and keep on running while he could, until the night engulfed him“ (S. 297). Die Verwendung von unheilschwanger vorausblickenden Spannungselementen am Ende von fast jedem Kapitel ist ein weiterer Beleg für den inszenatorischen Aufbau der Biographie.

Der zweite Punkt ist die kohärente Präsentation. Wie umfassend der Eingriff zugunsten einer kohärenten Geschichte sein kann, zeigt die Darstellung der Seeschlacht von Aigospotamoi. Nach Stuttard verlieren die Athener deshalb die Schlacht, weil sie aufgrund der Lebensmittelbeschaffung „too dispersed“ (S. 291) sind, um effektiv Widerstand gegen den Angriff des Lysanders leisten zu können. Eine Darstellung, die zunächst an Xenophons Beschreibung der Schlacht erinnert. Allerdings verzichtet Stuttard nicht auf Elemente der diodorischen Darstellung. So nimmt er das vorausfahrende Geschwader des athenischen Befehlshabers Philokles in seine Beschreibung auf, ohne diesen aber zu erwähnen. Vermutlich um nicht auf Philokles‘ Anweisung an die übrigen Athener, ihm zu folgen, eingehen zu müssen. Die daraus resultierenden Implikationen stören nämlich die Kohärenz der Geschichte. Einer spekulativen Interpretation Donald Kagans3 folgend wird aus dem vorausfahrenden Geschwader ein Lebensmittelkonvoi, in Stuttards Version sogar ein „usual squadron of triremes“ (S. 291). Somit können die Athener von den Spartanern überrascht werden, weil sie nach dem Anbieten einer Schlacht täglich mit der Lebensmittelbeschaffung auf dem Land- und dem Seeweg beschäftigt sind. Eine plausible Darstellung der Ereignisse, die in ihrer harmonischen Kohärenz allerdings mehr Stuttards eigene Version ist, denn eine Version des (antiken) Quellenmaterials.

Stuttard liefert mit seiner Alkibiades-Biographie nicht mehr und nicht weniger als die von ihm selbst angestrebte „instructive but entertaining [journey]“ (S. 9). Lehrreich ist das Buch deshalb, weil es nicht nur alle Facetten von Alkibiades‘ Leben, sondern auch die des klassischen Griechenland im Allgemeinen ausführlich und detailliert behandelt. Die romanhaft formulierte und auf Kohärenz bedachte Inszenierung der Biographie sorgt dann dafür, dass diese Reise nicht nur lehrreich, sondern auch unterhaltsam ist. Vor allem für Stuttards Zielpublikum – den interessierten Laienleser – ist das ein ansprechender Ansatz.

Anmerkungen:
1 Im Folgenden sei auf aktuelle Titel verwiesen: Harold Tarrant / Marguerite Johnson (Hrsg.), Alcibiades and the Socratic lover-educator, Bristol 2011; Herbert Heftner, Alkibiades. Staatsmann und Feldherr, Darmstadt 2011; Peter J. Rhodes, Alcibiades. Playboy, general and traitor, Barnsley 2011; Michael Vickers, Aristophanes and Alcibiades. Echoes of Contemporary History in Athenian Comedy. Berlin 2015.
2 Wenn persische Charaktere in seinem Werk auftauchen, benutzt Stuttard die altpersische und nicht die altgriechische Schreibweise. Stuttard spricht somit nicht von Pharnabazos, sondern von Farnavaz.
3 Donald Kagan, The Fall of the Athenian Empire, Ithaca (N. Y.) 1991, S. 391.

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