Über sowjetische Musik schreiben: Neues aus der Forschung

: Classics for the Masses. Shaping Soviet Musical Identity under Lenin and Stalin. New Haven 2016 : Yale University Press, ISBN 978-0-300-21719-3 296 S. $ 45.00

: Virtuosi Abroad. Soviet Music and Imperial Competition during the Early Cold War, 1945–1958. Ithaca 2015 : Cornell University Press, ISBN 978-0-801-45312-0 280 S. $ 45.00

: Klingende Sowjetmoderne. Eine Musik- und Gesellschaftsgeschichte des Spätsozialismus. Köln 2018 : Böhlau Verlag, ISBN 978-3-412-51066-4 312 S. € 60,00

Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sarah Matuschak, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Über Musik schreiben. Es ist nicht leicht, sich einem Medium zu widmen, das „auf den Menschen, auf sein Nervensystem und sogar auf seine Lebensfunktionen“1 so umfassend einwirkt, wie Musik es tut. Die Mächtigen wussten immer schon um diese Fähigkeit der klingenden Muse und nutzten sie deshalb für ihre Zwecke. Besonders in der Hand der Diktatur sollte die Kunst zum Zahnrad im großen Getriebe der Macht werden, zum Spielball des Herrschers.

Ideologien sind manchmal von erstaunlichem Einfallsreichtum. Und wenn man dem Buch der britischen Musikwissenschaftlerin Pauline Fairclough folgt, waren die Bolschewiki auf diesem Gebiet besonders kreativ. Bach als sowjetischer Komponist: Was zunächst nach einem Scherz klingt, ist keiner. Auch nicht, dass seine Kantate „Ein‘ feste Burg ist unser Gott“ den Bolschewiki als „Marseillaise des 16. Jahrhunderts“ galt (S. 124). Ihre Verehrung ging so weit, dass sie in den bedeutenden Barockkomponisten eine sowjetische Persönlichkeit hineininterpretierten. Er sei weniger protestantischer Kirchenmann als revolutionärer Philosoph gewesen, der in seiner Musik Moral und Ratio auf einzigartige Weise miteinander verbunden habe. Seine Zeit aber habe es ihm nicht erlaubt, seine wahren Überzeugungen offenlegen zu können.

Dieses Beispiel verdeutlicht das anspruchsvolle Ausgangsproblem, das Fairclough hier entfaltet – denn es geht ihr um nichts Geringeres als die Frage, was die sowjetischen Hörer seitens des Regimes hören sollten und was sie tatsächlich zu hören bekamen. Anhand der Konzertprogramme von Theatern, Opernhäusern und Philharmonien offenbart Fairclough ein seltsames Paradoxon: Da wurde gespielt, was eigentlich nicht gespielt werden sollte. Obwohl es seit Anfang der dreißiger Jahre Bestrebungen gab, Musik politisch zu instrumentalisieren, orientierte sich die Konzertpraxis offenbar an der Nachfrage. Weil auch die Neuen Menschen bekannte Klassiker zu hören verlangten, wurde vieles trotz deutlicher Ablehnung durch die bolschewistischen Machthaber gespielt. Auch Musikkritiker und -funktionäre stießen ins gleiche Horn, indem sie einen vermeintlich bourgeoisen Tschaikowski oder einen faschistischen Wagner einfach zu sowjetischen Künstlern uminterpretierten – und damit passend machten, was ideologisch eigentlich nicht passte.

So unternahmen die Herrschenden in ihrer weltanschaulichen Regulierungswut alles, auch das Volksliedgut zu unterbinden. Zu viel zarisches Erbe lag darin, zu viel Idealisierung des Dorfes. Stattdessen sollte die hohe Klassik in die Ohren der Massen hineingesungen werden, zum Zwecke der Erziehung. Das Unterfangen scheiterte. Die Folklore ließ sich nicht ausrotten und schließlich war es Stalin, der ihr eine staatliche Funktion zuwies. Bis 1936 blieben auch das große Erbe der westlichen Klassik, das seit jeher die russische Musik beeinflusst hatte, und die neue Schule Schönbergs oder Hindemiths unangetastet. Erst die Antiformalismuskampagne bereitete dem modernen Repertoire auch in der Musik ein jähes Ende und begründete einen strikt anti-westlichen Kurs.

Im Zuge dieser Neuorientierung kam es seit 1937 zu einer Wiederbelebung und Rehabilitation des russisch-nationalen Erbes. Glinka, Mussorgski oder Rachmaninow wurden als große Nationalkomponisten wiederentdeckt. Im Gegenzug wurden westliche, vor allem avantgardistische Tonkünstler von den Spielplänen der Konzerthäuser verbannt. Der Große Terror machte auch vor der Musikwelt keinen Halt. Die Konservatorien wurden ihrer Direktoren beraubt, Orchester von unliebsamen Instrumentalisten gesäubert. Alles in Allem aber trafen laut Fairclough die Gewaltexzesse des Despoten vor allem Funktionäre und nur wenige Musikschaffende. Im Gegenteil: Seit 1935 wurden auch die Requien von Berlioz und Verdi in jeder Saison gespielt. Ein Requiem im Angesicht des Großen Terrors? Hatten die Musikschaffenden tatsächlich die Chuzpe, auf die Gewaltexzesse des Diktators mit einer Sakralmusik zu antworten, die die Toten betrauerte? Folgt man den Analysen Faircloughs, so war dies nicht nur möglich, sondern wurde während der gesamten Stalinzeit auch munter praktiziert. Dieser erstaunliche Befund geht nur leider im Gewirr nicht enden wollender Quellenzitate unter. Antworten auf zentrale Probleme, die sich aus den Thesen der Autorin ergeben, bleiben hingegen offen. Warum zum Beispiel ging die Musikwelt derart ungeschoren aus den Mühlen des Terrors hervor?

Stattdessen reitet Fairclough den Parcours der Musikgeschichte. Der Große Vaterländische Krieg bedeutete für die Tonkünstler eine Phase künstlerischen Aufatmens. Moderne westliche Komponisten wie Poulenc oder Schönberg, aber auch amerikanische und britische Klassik, die vorher verboten gewesen waren, fanden nun Anerkennung. Dieser Offenheit wurde nach Kriegsende schnell ein Riegel vorgeschoben. Der Nationalismus kehrte in die Musik zurück: Nun waren es die Russen, die Komponisten wie Haydn oder Bach sehr viel besser verstanden hatten, weil ihre „slawische Seele“ sie befähigte, das zutiefst Menschliche dieser Koryphäen zu erkennen. Fairclough findet zahlreiche Beispiele solcher „Re-Brandings“ (S. 7), die auch als ein erfolgreiches Rezept gegen die Vereinnahmung der Tonkunst von oben verwendet werden konnten. Dass Stalin diese Umdeutungen zuließ und der Musikwelt offenbar große Freiheiten einräumte, wird jedoch nicht thematisiert. Für den geschichtlichen Hintergrund der sowjetischen musikalischen Identität hat Fairclough keinen Blick. Ihn muss sich der Leser selbst erschließen.

Mit Stalins Tod endet das Buch. Doch warum eigentlich? Weil, so Fairclough, der Prozess des Aufbaus einer musikalischen Identität unter sowjetischen Vorzeichen zwischen 1917 und 1953 am stärksten von individuellem Geschmack, kulturellen Moden, Machtkämpfen und politischen Strategien abhängig gewesen sei. Zweifellos nahm das Bestreben, der Klassik eine sowjetische Uniform zu verpassen, mit dem Ende der Stalinherrschaft ab. Beendet aber war es nicht. Interessant wäre doch gerade die Beschreibung des Wandels im Zuge der Entstalinisierung gewesen. So hätte man vielleicht auch erfahren können, ob das Projekt der sowjetischen Identität in der Musik letztlich erfolgreich war und in der sowjetischen Bevölkerung Widerhall fand.

Wie ging es weiter, nachdem der Diktator gestorben war? Darauf will Kiril Tomoff eine Antwort geben. Zwar gibt es bereits eine stattliche Anzahl an Publikationen zum kulturellen Kalten Krieg, Tomoff aber setzt einen neuen Akzent. Er behauptet nämlich, dass die kulturelle Hegemonie der Sowjetunion nur durch die sukzessive Integration der Musik in einen global-kapitalistischen, von den USA dominierten Kulturmarkt möglich gewesen sei. Auf diese Weise konnte die Sowjetunion zwar die Vormachtstellung im Kulturwettstreit erringen, schaufelte sich damit aber gleichzeitig selbst ihr Grab. Eine kühne These, suggeriert sie doch, dass der Kultur – oder genauer: der Musik – eine zentrale Funktion im Kalten Krieg zukam.

Aus dem akribischen Studium des Aktenmaterials entfaltet Tomoff eine Art Collage, was keine schlechte Idee ist, um unterschiedliche Aspekte der musikalischen „Kriegsfront“ zu eröffnen. Jedes Kapitel lässt sich so auch als separater Aufsatz lesen, führt aber alsbald zu gewissen Ermüdungserscheinungen, da die Anpassungs- und Integrationsthese sich geradezu hypnotisch in Redundanzen erschöpft.

Einen Höhepunkt im internationalen Wettstreit bildete zweifellos die Etablierung eines eigenen, sowjetischen Formats: der Tschaikowski-Wettbewerb. 1958 das erste Mal ausgetragen, schlug der Kulturkrieg hier eine höchst interessante Schneise: Denn nicht etwa ein sowjetischer Virtuose gewann den Klavierausscheid, sondern ein Amerikaner! In einer gründlich recherchierten Darstellung wird das Organigramm ehrgeiziger Ansprüche einer Weltmacht offenbar, das jahrelange Hürden zu überwinden hatte, bevor der bis heute bedeutende Wettbewerb endlich realisiert werden konnte. Tomoff geht dabei tief in die Details: Wie plante Bespalow, Chef des Komitees für künstlerische Angelegenheiten, den Wettbewerb, welche Pläne wurden 1956 geschmiedet, im Verlaufe der Jahre aber wieder verworfen? Welche Instrumentalgattungen kamen auf die Bühne? Welche internationalen Ehrengäste wurden eingeladen? Wie groß war das Echo dieses Meisterstreits?

Der junge Pianist Van Cliburn trug in Moskau den Sieg davon. Um ihn aber geht es Tomoff nicht, denn er schreibt eine Struktur- und Institutionengeschichte. Reißerische Kapitelüberschriften wie „Oistrach auf Tour, Richter zuhause“, „Schostakowitsch und ‚Der Eiserne Vorhang‘“ oder „Oistrach und der Impresario“ wecken jedoch die Erwartung, dass die Virtuosen selbst zu Wort kommen. Sie aber bleiben nur Schablonen in Tomoffs Kulturkrieg. Er bleibt seinem einmal eingeschlagenen Weg treu und erklärt, auf welch verschlungene Wege die kulturelle Diplomatie sich begab, um ihre Interessen durchzusetzen und wie sie sich korrumpieren ließ. Er zeigt uns die Ausbeutung sowjetischer Virtuosen durch ihre eigenen Apparate, erklärt Steuersparmodelle und entschlüsselt das Treiben der umtriebigen legendären Impresarios, jener Künstleragenten, die Mäzen, Produzent und Manager in einem waren.

So aufschlussreich die Analysen dieses Buches sind, so hätte man sich doch gewünscht, dass die Virtuosen aus den Überschriften auch im Text aufgetaucht wären. Denn der kulturelle Kalte Krieg zeigte sich den Akteuren anders als den Funktionären: Swjatoslaw Richter, obwohl kein Freund des Pathos, bewunderte Cliburn aufrichtig und bezeichnete ihn als Genie, Britten und Schostakowitsch, Oistrach und Menuhin verbanden lebenslange Freundschaften miteinander und die sowjetischen Bürger bejubelten Glenn Gould bei seiner Tournee 1958. Die Beschreibung zwischenmenschlicher Beziehungen und gegenseitiger Anerkennung zeigt ein anderes Geschehen als eine reine Strukturgeschichte. Ohne die Stimme der Virtuosen bleibt „Virtuosi abroad“ ein anämischer Patient.

Zuletzt verhallt Tomoffs zu Beginn geäußerte, fulminante Schlussfolgerung, die kulturelle Integration der Sowjetunion habe letztlich zum Zerfall des sowjetischen Systems geführt, irgendwo im euphorischen Sprachraum eines musikbegeisterten Historikers. Ist denn die Beschränkung auf die Musik als Argumentationslinie für eine solch starke These überhaupt sinnvoll? Die Frage wird nicht beantwortet, denn Kiril Tomoff bleibt uns am Ende die beweisführende Auflösung seiner leitenden Hypothese schuldig.

Die Geschichte aus den Augen handelnder Menschen zu sehen, scheint hingegen die Absicht des Osteuropahistorikers Boris Belge zu sein. Zwar begibt auch er sich auf die verschlungenen Pfade einer Struktur- und Institutionengeschichte, aber er will sie mehr als Kulisse begreifen, vor der er seine Protagonisten, die Komponisten der Moskauer Troika, Alfred Schnittke, Sofia Gubaidulina und Edisson Denissow, postiert. Was mit dem Titel „Klingende Sowjetmoderne“ überschrieben ist, stellt den Versuch einer Verschmelzung von Gesellschafts- und Musikgeschichte der sechziger bis achtziger Jahre dar.

Hier versteht sich jemand darauf, die Geschichte des kulturpolitischen Tauwetters und seiner komponierenden Hauptdarsteller in all seiner Ambivalenz einfühlsam zu beschreiben. Schon die Ouvertüre räumt den alten Irrtum aus der Welt, es habe in der Sowjetunion eine klare Abgrenzung von angepassten, systemtreuen Künstlern (ergo schlecht) und Dissidenten bzw. Opfern (ergo gut) gegeben. Wer sich auf diese Schwarz-Weiß-Malerei einlasse, so Belge, übersehe eine gewichtige Tatsache: Die sowjetischen Musikschaffenden seien Teil einer einflussreichen Elite gewesen, die eben nicht in Nischen oder Zellen agiert habe und dadurch marginalisiert oder isoliert worden sei. Die Künstler der Moskauer Troika waren Mitglieder im Komponistenverband, erhielten die üblichen Vergünstigungen: Ihre Werke wurden aufgeführt, sie erhielten eine Wohnung, eine Datscha usw. Belge rekonstruiert die Ambivalenz einer Gesellschaft, in der die Freiräume zwar größer geworden waren, in der Künstler aber, die musikalisch unkonventionell arbeiteten, immer wieder an Grenzen stießen. Das Buch zeigt, wie die ideologischen Parolen und der Sozialistische Realismus, der jahrzehntelang die Kunstwelt beherrscht hatte, unter Breschnew zur Leerformel verkommen waren.

Die Komponisten setzten sich mit dieser Wirklichkeit auseinander. Ihre Musik war, so Belge, das direkte Ergebnis des künstlerischen Umgangs mit den Spannungen ihrer Zeit. Schnittke, Gubaidulina und Denissow verteidigten die verpönten Techniken der Neuen Musik des Westens und lehnten alle Kooperationsangebote ab, die ihren ästhetischen Überzeugungen widersprochen hätten. Weil sie in den Konzerthäusern nur schwer Aufnahme fanden, suchten sie sich für die Aufführung ihrer Werke alternative Podien, Clubs oder technische Institute.

Belge schildert Denissow als jemanden, dessen künstlerische Auseinandersetzung mit seiner Zeit in eine tonale Radikalität, in Groteske und Disharmonie führte. Schnittkes Musik hingegen habe sich durch die sprichwörtliche Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ausgezeichnet: Verschiedene Epochen, Neues und Altes wirkten neben- und ineinander. Gubaidulina schließlich habe sich der Religion zugewendet und in deren Geist eine neue sakrale Musik erschaffen, deren Spiritualität ihr als Antwort auf die Orientierungslosigkeit der Beliebigkeit der Gegenwart gegolten habe.

Wir begreifen, dass die Komponisten der Troika keine Kritiker und Dissidenten waren. Belge zeigt, dass sie um die Vorzüge einer parteistaatlich subventionierten Künstlerpatronage wussten und sich in der Erwartungssicherheit einrichteten, auch wenn sie Einschränkungen hinnehmen mussten. Der Anspruch des Autors ist es, das schwierige Kräfteverhältnis zwischen den Vorgaben der Macht auf der einen und dem Streben nach künstlerischer Autonomie auf der anderen Seite zu beschreiben – vor der Kulisse eines Regimes, das die Daumenschrauben zwar gelockert, aber keineswegs abgelegt hatte.

Wo aber lagen die Grenzen dessen, was toleriert wurde? Belge erwähnt nur einige Beispiele, die die Schattenseiten des Lebens aufscheinen lassen. Dass es keine Erwartungssicherheit gab, wo Dissidenten in psychiatrischen Anstalten weggesperrt oder einfach verbannt wurden, darüber schweigt er sich beharrlich aus. Doch warum? Weil er die Ära des späten Sozialismus konsequent aus der Perspektive des Stalinismus betrachtet. Diese Brille setzt Belge erst in seinem Schlusskapitel ab, das die Zeit nach dem Tod Breschnews, die Perestroika Gorbatschows und den Zusammenbruch der Sowjetunion thematisiert. Wir erfahren, dass die Auflösung des Zensursystems zwischen 1984 und 1986 in der Welt der Kunst einen enormen Schub an künstlerischer Kreativität hervorbrachte. Für viele Komponisten bedeutete die Öffnung gen Westen den Durchbruch auf dem internationalen Parkett. Schnittke und Gubaidulina wurden in Konzerten auf der ganzen Welt gefeiert, ohne dass man über ihre Herkunft und ihre Lebensumstände viel hätte wissen wollen. So seien sie, wie Belge feststellt, als unterdrückte Künstlerseelen inszeniert worden, die schon immer auf der richtigen Seite gestanden hätten.

Am Ende bleiben die Komponisten der Moskauer Troika dennoch seltsam blass, weil sie zu häufig innerhalb einer Gesellschaftsgeschichte, die sich vor allem auf Aufbau und Strukturen konzentriert, verschwinden. Fragen, die Belge selbst anklingen lässt und die dem Leser geholfen hätten, in die Tiefe seiner Protagonisten vor der politischen Realität einzudringen, bleiben so offen. Die reine Darstellung der Struktur des Komponistenverbandes verrät wenig über die Gesellschaft und ihre Menschen. Belge postuliert, dass es das „Handeln der Akteure“ sei, „das Kultur bewegt, ihre agency machte Geschichte“ (S. 19). Nebulöse Modebegriffe erklären aber noch nicht das Leben. So recht geglückt erscheint also am Ende die Verbindung von Musik- und Gesellschaftsgeschichte nicht, wenn der Mensch, der hier doch zentral sein sollte, letztlich als Akteur in Begriffen und Formeln verschwimmt.

Institutionen und Organisationen sind Fugenelemente der Macht. Sie machen die Kontrolle der Mächtigen über die Glieder bis in die kleinsten Zellen der Gesellschaft erst möglich. Je feiner das institutionelle Netz gewebt ist, desto größer ist vermeintlich die Kontrolle, gerade in Diktaturen. Die Musik in der Sowjetunion bildete hier keine Ausnahme und alle drei Bücher schlüsseln die Verflechtung der Macht mit ihren Tonkünstlern durch die institutionellen Apparate fundiert auf. Nur ist es ein Blick von oben nach unten. Wie sich die Menschen der Musikwelt selbst zur Macht verhielten, wird aus der Beschränkung auf Strukturen nicht ersichtlich. Man kann über Musik auf diese Weise schreiben. Aber schreibt man dann eigentlich noch über Musik?

Anmerkung:
1 Vladimir Jankélévitch, Die Musik und das Unaussprechliche, Berlin 2016, S. 11.

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