C. Mörsch u.a. (Hrsg.): Ausstellen u. Vermitteln im Museum der Gegenwart

Cover
Titel
Ausstellen und Vermitteln im Museum der Gegenwart.


Herausgeber
Mörsch, Carmen; Sachs, Angeli; Sieber, Thomas
Reihe
Edition Museum 15
Anzahl Seiten
341 S.
Preis
€ 34,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Juliane Hoheisel / Joachim Baur, Die Exponauten. Ausstellungen et cetera, Berlin

Kritische Debatten um das Museum erfahren aktuell eine öffentliche Aufmerksamkeit wie lange nicht. Im Zentrum der medialen Berichterstattung stehen Kontroversen über den Umgang mit kolonialem Raubgut in europäischen Sammlungen, ausgelöst von der französischen Initiative zur Restitution geraubter Objekte, befeuert und unterfüttert vom Savoy/Sarr-Bericht1 und im deutschen Diskurs vielfach kreisend um das große Schwarze Loch des Humboldt Forums. Jenseits des Themas im engeren Sinn und weit über die begrenzten Kreise von Museumswissenschaft und -praxis hinaus, fällt der Blick dabei auf die oft unhinterfragte Institution Museum, ihre Sammlungen, Strategien, gesellschaftliche Rolle und Verantwortung. Anstelle eines traditionellen, immer schon schiefen Bildes vom Museum als beständiger Container kulturellen Erbes und ruhiges Hinterland der (Kultur-)Politik tritt das Museum als Feld der politischen Auseinandersetzung, als Arena der Aushandlung gegenwärtiger gesellschaftlicher Verhältnisse in das Blickfeld – eine Perspektive, die eine Neue Museologie und (repräsentations)kritische Museumswissenschaft seit Jahrzehnten stark zu machen versucht und zunehmend etabliert haben.

Der hier zu besprechende Sammelband, hervorgegangen aus einer internationalen Tagung an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) im November 2014, reiht sich dezidiert in diese Traditionslinie ein und versucht, sie auf dem Feld der Vermittlung weiterzuentwickeln. Als Ausgangspunkt nehmen die Herausgeber/innen, allesamt Leitende bzw. Lehrende im Master Art Education, Curatorial Studies an der ZHdK, den Befund, dass „Ausstellen und Vermitteln […] seit Beginn der Professionalisierung von Museumsarbeit in einem hierarchischen Verhältnis zueinander“ (S. 9) stünden: Erst kommt die Ausstellung, dann die Vermittlung. Der Sammelband will nun anhand von Praxisbeispielen verdeutlichen, dass diese statische Anordnung in Bewegung geraten ist. Vermitteln werde immer mehr als eine kritische Praxis verstanden, die Ausstellungen und Institutionen selbst hinterfragt. Doch wie verändert sich die Museumsarbeit, wenn Ausstellen und Vermitteln als integriertes Konzept verstanden werden? Diese Frage steht im Mittelpunkt des lesenswerten Bandes.

Das Werk, das parallel auch auf Englisch erschien2, richtet sich an die Fachöffentlichkeit sowie an Studiengänge zum Ausstellen und Vermitteln, um „Orientierungswissen und Stoff für weiterführende Diskussionen zur Verfügung [zu] stellen“ (S. 11). Es versammelt hierzu 20 Beiträge internationaler Vertreter/innen aus Theorie und Praxis verschiedener Museumstypen. So werden Museen aus den Bereichen Kunst, Architektur, Design, Ethnologie und Geschichte thematisiert. Die Zusammenführung unterstreicht, dass sich Museen trotz unterschiedlicher Ausrichtung ähnliche Fragen stellen bzw. mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert sind. Dass Naturkunde- und Technikmuseen in diesem Sammelband keinen Platz gefunden haben, ist bedauerlich, werden doch auch in ihnen neue Formen des Ausstellens und Vermittelns erprobt.

Gegliedert ist der Band in vier Abschnitte, denen jeweils eine kurze Einleitung vorangestellt ist: Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Displays, als Erweiterung des Museums, als gesellschaftliche Intervention und als Dekolonisierung des Museums. Gemeinsam ist ihnen die Leitidee, dass durch die integrierte Praxis von Ausstellen und Vermitteln verschiedene Veränderungen im Museum herbeigeführt werden können.

Die Beiträge im Kapitel „Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Displays“ verstehen Ausstellungen vor diesem Hintergrund als Handlungsraum. Besucher/innen werden nicht nur als Rezipient/innen, sondern als aktiv Beteiligte angesehen. Beispielhaft genannt sei hier der Beitrag „Ausstellen & Vermitteln als integriertes Konzept. Die Ausstellung ‚Endstation Meer? Das Plastikmüll-Projekt‘ im Museum für Gestaltung Zürich“ von Franziska Mühlbacher und Angeli Sachs. Das Projekt strebte einen Dialog zwischen Museum und Publikum an, der keine einseitige Wissensvermittlung bedeutete, sondern Austausch ermöglichte. Die Kurator/innen hinterfragten ihre Rolle als „autorisiert Sprechende“ und führten ein gleichwertiges Nebeneinander von Ausstellungsobjekten, künstlerischen Positionen und experimentelle Vermittlungsaktivitäten ein. So entstand in der Ausstellung ein dreigeteilter Vermittlungsraum (Infolounge, Aktionsraum, Resonanzraum), der die Besucher/innen zur Partizipation aufforderte und Mehrdeutigkeiten zuließ. Dass das Projekt einen Impuls für die institutionelle Veränderung und Entwicklung des Museums gab, zeigt die Schaffung der dauerhaften Position einer Kuratorin für Vermittlung.

Das Kapitel „Ausstellen und Vermitteln als Erweiterung des Museums“ versammelt unterschiedliche Zugänge kulturhistorischer Museen zu Fragen von Repräsentation sowie Partizipation und stellt die Konstruktion von Identität(en) in den Mittelpunkt. Das Museum wird als „Ort des keineswegs konfliktfreien Aushandelns gesellschaftlicher Werte und sozialer Zugehörigkeiten“ (S. 83) verstanden und dabei dargelegt, wie sich die konzeptuelle Fassung der Institution Museum erneuern kann. Bonita Bennett beschreibt in ihrem Aufsatz „District Six Museum. Vermittlung im Zentrum“ die Geschichte des ersten „Post-Apartheid-Museums“, das 1994 in Kapstadt eröffnete und inzwischen museumswissenschaftlich recht gut ausgeleuchtet ist.3 Bennett berichtet aus ihrer Sicht als Direktorin des Hauses, dass die Grenzen zwischen Teilnehmenden, Besucher/innen, Vermittler/innen, Kurator/innen und Geschichtenerzähler/innen in diesem Museum oftmals verwischten. Die Ausstellungs- und Bildungsarbeit seien hier nicht hierarchisch angeordnet, sondern aufeinander bezogene Praxen eines Engagements für gesellschaftlichen Wandel.

Wer sind die legitimen Besucher/innen bzw. Nutzer/innen von Museen? Dieser Frage geht das Kapitel „Ausstellen und Vermitteln als gesellschaftliche Intervention“ nach. Carmen Mörsch gibt in ihrem Beitrag „Contact Zone (Un)realised. Andere BesucherInnen als Interventionen im Ausstellungsraum“ einen historischen Abriss über Debatten um die gesellschaftliche Rolle von Museen und die Frage, wie dort mit „anderen Besucher/innen“ umgegangen wurde und heute noch umgegangen wird. Syrus Marcus Ware zeigt in seinem Aufsatz „Wem gehört das Kunstmuseum? #BlankSlates und Geniuses Living Young“, wie Jugendliche in Projekten an der Art Gallery of Ontario leitende Rollen einnehmen und versucht wird, Menschen rund um Kreativität, Aktivismus und Community zusammenzubringen. Anhand zweier Projekte verdeutlicht Ware, wie Vermittlung traditionelle Formen des Kuratierens hinterfragen kann.

Das letzte Kapitel „Ausstellen und Vermitteln als Dekolonisierung des Museums“ wendet sich insbesondere Ethnologischen Museen und der Frage zu, wie diese zum Ziel einer dekolonisierten Gesellschaft beitragen können. Die Aufsätze deuten verschiedene Ebenen an, auf denen koloniale Ordnungen, Kategorisierungen und Unterscheidungen im Museum analysiert werden müssen. Bernadette Lynch weist im Text „Schön für dich, aber mir doch egal! Kritische Pädagogik in der Vermittlungs- und kuratorischen Praxis im Museum“ anhand von Forschungsprojekten in Großbritannien darauf hin, dass bei partizipativen Projekten oftmals lediglich eine Illusion von Partizipation erzeugt werde. Museen betrachteten sich weiterhin häufig als die Lehrenden und klassifizierten die Teilnehmenden als Lernende oder Empfänger/innen, was nicht selten zu einer Gleichgültigkeit bei jenen führe, welche die Museumsprojekte erreichen wollen. Lynch fordert, Teilnehmende aus der Community nicht als Empfänger/innen, sondern als „kritische Freund_innen“ (S. 292) zu betrachten und stellt heraus, wie Nora Landkammer in der Einführung des Abschnitts formuliert, „dass Dekolonisierung auch eine Frage der institutionellen Ordnung ist“ (S. 239).

Eine Stärke des Bandes besteht darin, dass sämtliche Artikel ähnliche, überaus dringliche Fragen umkreisen und sich diesen aus verschiedenen Richtungen nähern: Für wen soll ein Museum sein und wie können Besucher/innen zu aktiv Beteiligten werden? Wie können traditionelle Hierarchien innerhalb des Museums und zwischen Museum und Publikum hinterfragt und aufgebrochen werden? Inwieweit muss sich die Institution Museum mit all ihren Strukturen ändern? Und wie können Mehrdeutigkeiten im Museum zugelassen und aktiv geschaffen werden? Die titelgebende Verknüpfung von Ausstellen und Vermitteln schwingt dabei stets mit, steht jedoch nicht durchweg im Vordergrund.

Müßig ist es, bei 20 Beiträgen darauf hinzuweisen, dass die Qualität im Einzelnen variiert. Umso wichtiger scheint es, auf einige Untiefen in der Anlage des Bandes im Ganzen hinzuweisen. Recht deutlich wird, zum Ersten, dass die Aufteilung in vier Abschnitte von den Herausgeber/innen nachträglich eingefügt wurde. Gerade angesichts ihrer programmatischen Fassung wirkt die Zuordnung der einzelnen Beiträge mitunter beliebig; etliche ließen sich ohne weiteres in mehrere Kapitel einordnen, was die konzeptionelle Ausrichtung des Bandes eher verunklart. Zum Zweiten zeigt sich fast durchgängig eine für das Museumsfeld nicht untypische Schwierigkeit: Die Beschreibung und Einordnung kritischer Museumspraxis erfolgt im Modus des Praxisbeispiels jeweils von der Position der verantwortlichen Personen selbst aus. Im Sinne einer selbstreflexiven Museologie und einer aus der Praxis entwickelten Theoriebildung liegen hier durchaus Potenziale. Zugleich rückt die spezifische Involviertheit der Autor/innen manche Darstellung und Folgerung in ein etwas schiefes Licht. Exemplarisch lässt sich der erwähnte Beitrag von Bernadette Lynch heranziehen. Analytisch überzeugend werden hier die blinden Flecken verschiedener partizipativer Projekte aufgezeigt, nur um mit der Skizze eines eigenen Formats zu enden, mit dem, salopp gesagt, alles besser wird. Wie weitreichend und zielführend solche Befunde sind, sei dahingestellt.

Zum Dritten bringt der Band früh die markante Beobachtung, dass progressive Entwicklungen in der Museumswelt „schon längst nicht mehr nur an der euro-amerikanischen Achse zu verorten [sind]: Gegenwärtig entstehen gerade im globalen Süden im Rahmen von Versuchen, die traditionell eurozentrische Ausstellungsinstitution zu dekolonisieren, wegweisende Verbindungen von Ausstellen und Vermitteln.“ (S. 10) Das mag wohl so sein und man durchaus sympathisch finden. Allein, die Beiträge des Bandes schweigen davon weitgehend. Zwar finden sich unter den 23 Autor/innen auch Vertreter/innen aus Chile, Ecuador und Südafrika. Doch sowohl die Fallbeispiele als auch der Korpus der zugrundeliegenden (kritischen) Literatur bleiben eng an der kritisierten „euro-amerikanischen Achse“.

Schließlich mangelt es dem Band und vielen seiner Beiträge an einem kohärenten oder nur transparenten begrifflichen Instrumentarium. So kursieren auf seinen Seiten zahlreiche weitreichende Konzepte, wie die „Dekolonisierung des Museums“ oder ein Verständnis von Ausstellungen als „gegenhegemoniale Aktionsräume“. Diese werden jedoch kaum näher ausgeführt, geschweige denn als übergreifende Klammern ausgeprägt. Die begriffliche Unschärfe schmerzt umso mehr, als der Band so die Chance verpasst, derart wichtige Konzepte auf der Grundlage seiner Fallbeispiele zu unterfüttern, theoretisch zu stärken und weiterzuentwickeln. Überraschend ist in diesem Zusammenhang auch, dass weder das Vorwort noch eine der Abschnittseinleitungen das virulente Feld der Partizipation / Kollaboration mit eigenen Akzenten begrifflich absteckt, obgleich ein Großteil der Artikel partizipative Projekte oder Ideen vorstellt. Vielleicht wäre es hilfreich gewesen, bei der einleitend erwähnten Anlage der zugrundeliegenden Tagung zu bleiben und auch den Band mit „grundlegende[n] Überlegungen zur Verschränkung von Ausstellen und Vermitteln im Zeichen einer transformativen Praxis“ (S. 11) zu eröffnen. Der weiter hinten versteckte Beitrag von Nora Sternfeld „Im post-repräsentativen Museum“ hätte sich mit theoretischen Referenzen und griffigen Forderungen hierfür angeboten.

Insgesamt handelt es sich bei dem Sammelband mithin um eine anregende Projektsammlung, weniger um einen neuen theoretischen Wurf. Der Sammelband bietet einen gelungenen Überblick über zahlreiche innovative Praxisbeispiele an Museen, die in der Regel auch kritisch reflektiert werden. Die oftmals so undurchlässige Grenzziehung zwischen Museumstypen wird auf erhellende Weise aufgebrochen und unterstreicht, dass unterschiedliche Museen vor ähnlichen Herausforderungen und Fragen stehen. Für die Museumspraxis und praxisorientierte Debatte bietet er so wertvolle Impulse und Forderungen, die weit über die gängige Realität in Museen hinausweisen. Indem uns die Publikation mit ihren zahlreichen Beispielen vor Augen führt, wie viel rund um die Felder Ausstellen und Vermitteln in Museen gedacht, ausprobiert und experimentiert wird, zeigt sie zugleich, wie viel es noch zu verändern gilt.

Anmerkungen:
1 Felwine Sarr / Bénédicte Savoy, The Restitution of African Cultural Heritage. Toward a New Relational Ethics, 2018, http://restitutionreport2018.com/ (18.12.2018).
2 Carmen Mörsch / Angeli Sachs / Thomas Sieber (Hrsg.), Contemporary Curating and Museum Education, Edition Museum 14, Bielefeld 2017.
3 Vgl. etwa Ciraj Rassool, Community Museum, Memory Politics, and Social Transformation in South Africa: Histories, Possibilities, and Limits, in: Ivan Karp u.a. (Hrsg.), Museum Frictions. Public Cultures / Global Transformations, Durham 2006, S. 286–321; Sean Field, Imagining Communities: Memory, Loss, and Resilience in Post-Apartheid Cape Town, in: Paula Hamilton / Linda Shopes (Hrsg.), Oral History and Public Memories, Philadelphia 2008, S. 107–124.

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