Cover
Titel
Der Verein Arbeiterpresse 1900–1933. Selbstverständnis, Autonomie und Ausbildung sozialdemokratischer Redakteure


Autor(en)
Meißner, Mike
Reihe
Geschichte der Kommunikation 2
Erschienen
Baden-Baden 2017: Nomos Verlag
Anzahl Seiten
228 S.
Preis
€ 39,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Konrad Dussel, Historisches Institut, Universität Mannheim

Man darf sich nicht vom Titel in die Irre führen lassen. Mike Meißner hat kein Buch über den Verein Arbeiterpresse geschrieben; er thematisiert ihn eigentlich nur am Rande. Und auch über die Vereinszeitschrift, die „Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse“ erfährt man nur relativ wenig. Man muss sich an den Untertitel halten und ihn durch „Programmatische Positionen auf der Basis der ‚Mitteilungen‘“ ergänzen. Berücksichtigt man zudem, dass es sich nicht um eine Dissertation, sondern nur um eine bei Arnulf Kutsch in Leipzig entstandene überarbeitete Masterarbeit handelt, nimmt man leichter in Kauf, dass vieles mitgeteilt wird, was bei an einem solch speziellen Thema interessierten Lesern eigentlich als bekannt vorausgesetzt werden sollte und auch, dass die methodologischen Erörterungen recht breit ausfallen. So eingestimmt, hat man eine angemessene Ausgangsposition für die dann durchaus lohnende Lektüre gewonnen.

Meißners Arbeit ist im Kontext von Kutschs Forschungen zur Professionalisierung des deutschen Journalismus im frühen 20. Jahrhundert zu sehen1, die ihrerseits Requates Berliner Dissertation zu den Entwicklungen im 19. Jahrhundert fortsetzen.2 Im Rahmen des deutschen Journalismus insgesamt machten die sozialdemokratischen Redakteure zwar nur ein vergleichsweise schmales Segment aus, als relativ fest gefügte Gruppe und aufgrund einer recht günstigen Quellenlage bilden sie jedoch einen interessanten Untersuchungsgegenstand. Für 1926 kann man von „weit über 300 Parteiredakteuren“ ausgehen (S. 178), die für knapp 170 SPD-Zeitungen arbeiteten. Aus verschiedenen Andeutungen kann man schließen, dass ein erheblicher Teil von ihnen – mindestens drei Viertel – damals im Verein Arbeiterpresse organisiert war. Die programmatischen Diskussionen, die in der Vereinszeitschrift, den „Mitteilungen des Vereins Arbeiterpresse“, geführt wurden, gewähren damit tiefe Einblicke in die Vorstellungen dieser speziellen Redakteursgruppe. Lassen sie sich mit denen ihrer bürgerlichen Kollegen vergleichen? Sind Annäherungen festzustellen oder versuchte man doch, ganz eigene Wege zu gehen? Meißner gibt auf diese Fragen keine ausdrücklichen Antworten, weil er sich ganz auf die Untersuchung der Vereinszeitschrift beschränkt. Gleichwohl sind sie ein Stück weit aus seinen Ergebnissen herauslesbar.

Seine Untersuchung konzentriert der Autor auf die drei schon im Untertitel herausgestellten Themen Selbstverständnis, Autonomievorstellungen und Aus- und Weiterbildungskonzepte der Redakteure. Dass sie sich fest in das sozialdemokratische Milieu eingebettet fühlten, nur begrenzt an der in Form von Preßkommissionen institutionalisierten Kontrolle durch die Partei Anstoß nahmen und den sozialdemokratischen Erziehungsgedanken über alles stellten, ist wenig überraschend. Bemerkenswert ist dagegen, auf welchen Feldern diese Erziehungsarbeit geleistet werden sollte. Jenseits des Politikteils, dessen Bedeutung wohl als selbstverständlich betrachtet wurde, waren es vor allem die verschiedenen Aspekte des Feuilletons, denen man viel Aufmerksamkeit widmete, allen voran dem Fortsetzungsroman.

Viele Gedanken machte man sich besonders in den 1920er-Jahren auch über die für jede Erziehungsarbeit grundlegende Voraussetzung: die Leser- und Abonnentenwerbung. Hier kam man zu Forderungen, die eine erstaunliche Nähe zur bürgerlichen Presse zeigen: „Der Zwang zu fortgesetzter Ausdehnung des Leserkreises erfordert Berücksichtigung der Neigungen des Volkes, das gewonnen werden soll“ (S. 120), wurde unverblümt festgestellt. Und über die „Neigungen des Volkes“ war man sich ziemlich im Klaren: Mehr Bilder sollte es in der bis dahin sehr textlastigen Presse geben und dem Lokalen viel mehr Bedeutung zugemessen werden, denn „die meisten Volksgenossen“ könnten „nur durch Anknüpfungspunkte aus ihrem engen Lebenskreise heraus zum Denken über größere Zusammenhänge gebracht werden“ (S. 124), wie Wilhelm Sollmann, einer der profiliertesten Chefredakteure der SPD-Presse3, 1926 schrieb – leider verzichtet Meißner völlig darauf, den biografischen Hintergrund der insgesamt nicht sehr zahlreichen Beiträger zu den „Mitteilungen“ zu beleuchten. Auch Frauen- und vor allem Sportbeilagen wurden gefordert, wobei letztere durchaus auch über bürgerlichen und nicht nur über Arbeitersport berichten sollten.

Dass sich die Position der Redakteure dem Staat gegenüber im Laufe des Untersuchungszeitraums grundlegend wandelte, ist naheliegend. Im Kaiserreich ging es vor allem darum, die Repression der wilhelminischen Herrschaft deutlich zu machen; in der Weimarer Republik entfiel dieses Problem weitgehend, hier wurde es erst wieder in den frühen 1930er-Jahren virulenter. Stattdessen traten Fragen der Aus- und Weiterbildung in den Vordergrund. Angesichts der wohl recht häufigen Praxis, dass neue Redakteure ohne jegliche Einarbeitung von einem Tag auf den anderen ihre Arbeit beginnen mussten, war die Forderung, dass jeder junge Journalist „mindestens ein Vierteljahr in der Redaktion eines größeren Parteiblatts als Volontär tätig gewesen sein“ müsse, „ehe ihm gestattet wird, selbständig in der Redaktion eines Parteiblatts zu arbeiten“ (S. 166) schon als deutlicher Fortschritt zu betrachten. Doch nicht nur die Ausbildung bildete ein Problem, auch bei der Weiterbildung der regelmäßig multifunktional im sozialdemokratischen Milieu tätigen Redakteur-Funktionäre lag einiges im Argen. Zwar wurden seit 1926 vom Reichsausschuss für sozialistische Bildungsarbeit jährlich Kurse angeboten, doch die Nachfrage war – sicherlich nicht zuletzt aufgrund der enormen zeitlichen Belastung der Zielgruppe – recht begrenzt.

Insgesamt stellt Meißners Arbeit eine Menge Anknüpfungspunkte für weitere Forschung bereit. Sie sollten vor allem in zwei Richtungen aufgegriffen werden. Zum einen wären die programmatischen Diskussionen mit den konkreten Gegebenheiten in der sozialdemokratischen Presse zu konfrontieren, etwa durch die Untersuchung der Entwicklung von Frauen- oder Sportbeilagen, um nur zwei ganz einfach zu erhebende Beispiele zu nennen. Zum anderen wäre nach den Verhältnissen in der bürgerlichen Presse zu fragen, vor allem in dem unter dem Professionalisierungsaspekt so wichtigen Bereich der Aus- und Weiterbildung. Angesichts der zwar aus heutiger Sicht unglaublich vielgestaltigen, aber doch in ihrer personellen Ausstattung ganz überwiegend völlig unterversorgten regionalen Klein- und Kleinstpresse sollte man da aber nur äußerst niedrige Erwartungen hegen.

Anmerkungen:
1 Vgl. v.a. Arnulf Kutsch, Journalismus als Profession. Überlegungen zum Beginn des journalistischen Professionalisierungsprozesses in Deutschland am Anfang des 20. Jahrhunderts, in: Astrid Blome / Holger Böning (Hrsg.), Presse und Geschichte. Leistungen und Perspektiven der historischen Presseforschung. Bremen 2008, S. 289–325.
2 Jörg Requate, Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich, Göttingen 1995.
3 Vgl. „Wilhelm Sollmann“, in: Wikipedia. Die freie Enzyklopädie, https://de.wikipedia.org/wiki/Wilhelm_Sollmann [zuletzt aktualisiert am 12.04.2018] (01.10.2018).

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