L. Nowak (Hrsg.): Medien – Krieg – Raum

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Titel
Medien – Krieg – Raum.


Herausgeber
Nowak, Lars
Erschienen
Paderborn 2018: Wilhelm Fink Verlag
Anzahl Seiten
494 S., 81 s/w Abb.
Preis
€ 59,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Jörg Lehmann, Romanisches Seminar, Eberhard-Karls-Universität Tübingen

Die mediale Darstellung von Kriegen ist ein klassisches Forschungsthema, ebenso wie die propagandistische Verwendung von Medien in der Kriegführung oder ihre Instrumentalisierung durch nichtstaatliche Kombattanten in den sogenannten „neuen”, asymmetrischen Kriegen. Die Verknüpfung von Medien, Krieg und Raum hingegen ist bislang merkwürdigerweise unterbelichtet geblieben, und das trotz des „spatial turn”. Merkwürdig ist dies schon deshalb, weil Medien stets in den Raum gestellt sind, räumliche Eigenschaften besitzen und ihre technologische Entwicklung sowohl zu einer massiven Kontraktion des Raumes als auch zu einem Wandel der Raumwahrnehmung geführt hat. Dieser Forschungslücke widmet sich nun der von Lars Nowak herausgegebene Sammelband „Medien – Krieg – Raum“, der aus der gleichnamigen Tagung entstanden ist, die im Juli 2014 im Rahmen des DFG-Projekts „Die Wissensräume der ballistischen Photo- und Kinematographie, 1860–1960“ stattgefunden hat.1

Wie der fast 500 Seiten starke Sammelband eindrucksvoll belegt, erweist sich die Erweiterung des klassischen Paares „Krieg und Medien“ um die Dimension „Raum“ als überaus fruchtbar und anregend für die Forschung. So verlässt der Band schon in der Einführung schnell die konventionelle Denkfigur vom Krieg als Geburtsstätte technischer Medien, um die Kernanliegen der Forschungsperspektive herauszustellen: Die Analyse des Wechselspiels von technologischem Fortschritt und dynamischer Anpassung der Raumkonzeptionen im Verlauf der historischen Entwicklung; das Entstehen eigener virtueller Kriegsräume in unterschiedlichen Medientypen; und die kognitiven Veränderungen im Raumerleben, wie sie bei den Akteuren verschiedener militärischer Hierarchiestufen zu beobachten sind. Konkret fassbar werden diese drei Forschungsdimensionen einer medialen Erweiterung der Kampfzonen in den 15 historischen Fallstudien, die epochenübergreifend angelegt sind und den Zeitraum von der Antike bis in die Zeitgeschichte umfassen.

Die Einführung von Lars Nowak scheint dabei auf den ersten Blick mit über 100 Seiten zu umfangreich angelegt zu sein. Sie erfüllt aber zwei Funktionen: Zum einen leistet sie eine jeweils paarweise Bestimmung der Relationen zwischen Krieg und Medien, Medien und Raum sowie Raum und Krieg. Dabei geraten die zentralen Anliegen des Sammelbandes in den Blick: Krieg als Katalysator medientechnischer Entwicklungen, die wechselseitige Beinhaltung von Medien und Raum sowie das wechselseitige Abhängigkeitsverhältnis von Raum und Krieg, das in eine zunehmende Durchdringung des Raumes durch technologische Neuerungen sowie die Objektivierung, Modifikation und Rekonfiguration des Raumes durch den Krieg mündet. Zum anderen präsentiert die Einführung ab S. 47 eine profunde und kenntnisreiche Überblicksdarstellung der Rolle von Medientechnologien bei der Verknüpfung von Krieg und Raum, die eine Reihe forschungsrelevanter Perspektiven eröffnet. Hier konturiert Nowak zunächst die Ablösung der Kriegführung von räumlichen Bedingungen durch den Einsatz von Medien. Er identifiziert dann die quantitativen Steigerungen, die die Einführung historisch jeweils neuer Medien zur Folge hatte (Ausdehnung der Reichweite, Übertragungsgeschwindigkeiten) sowie die qualitativen Veränderungen, die in einer Glättung des Raumes und der Ausbildung eigener räumlicher Strukturen in den Medien bestehen. Schließlich stellt er heraus, dass bei der Analyse von Medien und Krieg der Medienverbund selbst in den Blick genommen werden muss, wirken doch meist mehrere Medientypen zusammen, sei es bei der Feind- und Selbstortung, bei Frühwarnsystemen, der Lokalisierung und Navigation der eigenen Truppen oder bei der Lenkung von Munition ins Ziel.

Die daran anschließende Dokumentation der Tagungsbeiträge ist chronologisch aufgebaut und weist eine große systematische und historische Bandbreite auf. Je ein Beitrag ist der Antike und dem Mittelalter gewidmet, ein weiterer Beitrag nimmt am Beispiel des deutsch-französischen Kriegs von 1870/71 die Nutzung von Medien wie Freiballons, Tauben und Post in den Blick. Drei Beiträge thematisieren informationstechnische Neuerungen des Ersten Weltkriegs, drei die des Zweiten Weltkriegs. Die sechs übrigen Aufsätze widmen sich so unterschiedlichen Themen wie der Wolkenphotographie, dem Anti-U-Boot-Krieg, der Medienkultur des Kalten Krieges sowie Hackern, Network-Centric Warfare und Kriegssimulationen. Für Historiker/innen besonders relevant ist dabei das Bestreben der Autor/innen, die medientechnischen Neuerungen des von ihnen untersuchten Zeitabschnitts herauszuarbeiten. Überraschenderweise beginnt diese übergreifende Linie mit einer Absage, argumentiert Frank Haase doch gegen das Vorhandensein von „Telekommunikation” bei den alten Griechen und Römern und charakterisiert „Telegraph” und „Telegraphie” als im ausgehenden 18. Jahrhundert entstandene Kunstworte. Erst mit dem napoleonischen Telegraph tritt nach Haase eine Datenübertragung auf den Plan, die die traditionellen Bindungen an Natur (Sichtbarkeit, Verwendung von Zeichenträgern) aufkündigt und durch Maschinen und Codes ersetzt.

Unter den weiteren Aufsätzen sind besonders die beiden Beiträge von Stefan Kaufmann und Stefan Höltgen hervorzuheben. Ersterer vermag auf überzeugende Weise darzustellen, warum der Erste Weltkrieg den Übergang zum informationstechnischen Krieg markiert. Demnach entsteht eine Logistik der Wahrnehmung in dem Moment, als der Feind aus der Sicht gerät. Die damals auf ein neues Fundament gestellte Luftaufklärung erforderte eine Rekonfiguration der menschlichen Sinne im Zusammenspiel mit der Entwicklung kartographischer Aufzeichnung, systematischer Datenverarbeitung und der technischen Ausstattung; die Schallmessung erforderte eine Kultur der Präzision, und die Etablierung elektronischer Kommunikationstechnologien beförderte die Entstehung neuer Rechenzentren. Der Beitrag von Stefan Höltgen stellt ein ungewöhnlich gelungenes Beispiel einer theoriegeleiteten Analyse eines realweltlichen Phänomens dar. So untersucht Höltgen auf der Grundlage von Carl Schmitts Theorie des Partisanen die Figur des Hackers und beschreibt die Zusammenhänge zwischen technischen Netzwerken, Partisanentheorie und Hackerethik.

Die meisten Beiträge des Sammelbandes wurden von Medienwissenschaftler/innen verfasst; darüber hinaus finden sich Perspektiven aus der Soziologie, der Kunstgeschichte und der Geographie. Dennoch zeigt eine Vielzahl von Aufsätzen ihre Relevanz für die Geschichtswissenschaft. Dies betrifft nicht nur die zahlreichen wissenschaftsgeschichtlichen Einsichten, die die Beiträge von Stefan Kaufmann (Mobilisierung von Wissenschaftlern im Ersten Weltkrieg), Boris Michel (Zweiter Weltkrieg als Transformator der universitären Geographie in den USA) oder Wolfgang Hagen (Wechselspiel von Wissenschaft, Technologieentwicklung und Militär am Beispiel des britischen Radarschutzes „Home Chain“ im Zweiten Weltkrieg) eröffnen. Darüber hinaus aber beweisen Studien wie die von Oliver Kann (Oberste Heeresleitung, Kriegsvermessungswesen und Kartographie im Ersten Weltkrieg), von Nadine Taha (Wetterbeeinflussung als Geheimwaffe in den USA zu Beginn des Kalten Krieges) sowie von Sebastian Vehlken (Verwendung von U-Booten im Kalten Krieg und medientechnologische Konstruktion des ozeanischen Raums) ihre Anschlussfähigkeit für die historische Forschung.

Wünschenswert wäre überdies, wenn dieser Sammelband auch von den Informationswissenschaften, der (historischen) Anthropologie und den Kognitionswissenschaften wahrgenommen werden würde. Der Fokus der Einführung auf Kriegsräume in Medien (S. 54–97) öffnet nämlich durch die Thematisierung von Datenerzeugung und -speicherung, Datenübertragung, Datenverarbeitung und die Verknüpfung von Daten in Medienverbünden die medienwissenschaftlichen Fragestellungen in Richtung der Computerwissenschaften, selbst wenn Beiträge zu „cyberwars”, die im Internet ausgetragen werden, oder „Big Data” als vulnerable Flanken der Informationsgesellschaft im Tagungsband selbst fehlen. Die Veränderungen der Kognition durch (Kriegs-)Medien sowie die medieninduzierte Ausbildung und Verbesserung raumbezogener kognitiver Fähigkeiten hingegen kann für die Kognitionspsychologie ebenso fruchtbare Perspektiven eröffnen wie für die Anthropologie. Instruktiv ist hierzu der disziplinär offene Beitrag von Christoph Ernst, der am Beispiel des Network-Centric Warfare herausarbeitet, inwiefern die Akteure ein „kognitives Lagebild“ entwickeln sollen und wie das geteilte Situationsbewusstsein bzw. die soziale Konstruktion des Raumes in die Reflexivität sozialer Praktiken mündet, die eine sich selbst regulierende Kooperation zwischen den Akteuren als Effekt hat.

Bemerkenswert ist schließlich, dass überall dort, wo ein bestimmtes Thema oder ein Zeitalter nicht durch einen Aufsatz im Sammelband abgedeckt wird, die Einführung umfassende Hinweise auf aktuelle Forschungsliteratur gibt; dies markiert einen deutlichen Vorzug ihres überdehnten Umfangs.

Der Sammelband, der durch englischsprachige Abstracts der Beiträge sowie ein Personen- und ein Sachregister abgerundet wird, mag in gedruckter Form Backsteincharakter haben. Als interdisziplinär anschlussfähiges Kompendium aber ist er geeignet, das Fundament für weitere Forschung zu bilden, die spatiale Aspekte nicht nur des militärischen Mediengebrauchs in den Blick nimmt.

Anmerkung:
1 Tagungsbericht: Medien – Krieg – Raum, 11.07.2014 – 13.07.2014 Erlangen, in: H-Soz-Kult, 04.09.2014, https://www.hsozkult.de/conferencereport/id/tagungsberichte-5525 (15.10.2018).

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