A. Russell: The Politics of Public Space

Titel
The Politics of Public Space in Republican Rome.


Autor(en)
Russell, Amy
Erschienen
Anzahl Seiten
XX, 226 S.
Preis
£ 64,99
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Imogen Herrad, Abteilung für Alte Geschichte, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Gegenstand von Amy Russells Untersuchung ist der öffentliche Raum in der Stadt Rom in der mittleren und späten Republik. Dass antike und moderne Definitionen von “öffentlich” und “privat” sich oft, aber keineswegs immer decken, ist keine neue Erkenntnis, ebenso wenig die, dass das Begriffspaar sich eher durch Schwammigkeit denn durch begriffliche Schärfe auszeichnet. Zentral für Russel ist ein fundamentales Element, das das römische vom modernen Konzeptpaar unterscheidet: seine inhärente Instabilität: “[M]ost spaces [...] were subject to a variety of claims and counter-claims concerning where they fitted in the network of concepts which roughly correlate to our ‘public’ and ‘private’” (12), “a kaleidoscopic variety of difference and contradiction” (187).

Während das Konzeptpaar öffentlich/privat für die Kaiserzeit gut erforscht ist1, fehlen entsprechende Untersuchungen für die Republik noch weitgehend; diese Lücke will Russell für die mittlere und späte Republik füllen. Dabei baut sie auf existierende Forschungsarbeiten über domus auf2, die sowohl privat als auch öffentlich kodierte Räume bzw. Zonen enthalten konnten; analog dazu postuliert sie auch außerhalb des Hauses die Existenz von “semi-public spaces” (16). Diese Grundannahme, dass urbaner Raum nicht automatisch öffentlich war, belegt sie überzeugend und kann dabei beispielsweise zeigen, dass selbst das Forum Romanum nicht immer und nicht überall ein öffentlicher Ort war (78–95, bes. 92–95).

Die Einleitung (1–24) bietet einen Überblick über den spatial turn und die Forschung und führt in Russells These und in ihren verhaltenstheoretischen Ansatz ein. Jedes der anschließenden Hauptkapitel beschäftigt sich mit einem einzelnen Aspekt und/oder einem spezifischen Ort in der Stadt Rom. Kapitel 2 (“Roman concepts: publicus and privatus” [25–42]) entwickelt anhand einer Analyse von Textpassagen republikanischer Autoren (Cato, Plautus, Cicero) Russells Definition des römischen Öffentlichkeitsbegriffs. Anhand der Achsen “Zugänglichkeit” (publicus waren Räume “accessible to all” [41]) und “Kontrolle” (“public space [is] where the only legitimate wielder of control is the populus” [39]) erstellt Russel ein Raster, das Abstufungen von Inklusion und Exklusion einzelner Gruppen (“women, slaves, the poor, non-citizens, and so on” [41]) ebenso messen kann wie unterschiedlich gradierte Zugangskontrollen (“Mechanisms of control ranged from physical barriers to the employment of guards or custodians with legal or extra-legal power to coerce” [41f.]).

Kapitel 3 (“The definition of political space in the Forum Romanum” [43–76]) und 4 (“The Forum between political space and private space” [77–95]) beschäftigen sich mit dem öffentlichen städtischen Raum par excellence. Durch detaillierte Fallstudien (Basiliken und Geschäfte (tabernae) auf dem Forumsgelände; private Wohnhäuser, die vom Palatin herab auf das Forum ausstrahlten) kann Russel zeigen, wie private Interessen (in erster Linie durch konkurrierende Nobiles) in den öffentlichen Raum drangen und immer wieder zurückgedrängt werden mussten. Russels verhaltenstheoretischer Ansatz ist besonders überzeugend bei ihrer Analyse der Basiliken, die durch die sorgfältig gepflegte Verbindung mit einzelnen Familien (den Sempronii, Porcii, Aemilii u.a.) quasi private Exklaven auf dem Forumsgelände darstellten: “[T]he spatial experience they offered was not built on relationships of equality between citizens like the Classical Greek agora [...] but relationships of patronage and control between visitors and one family” (94).

Kapitel 5 (“Gods, patrons, and community in sacred space” [96–126]) und 6 (“Greek art in Roman space: public conquest and private leisure” [127–154]) beschäftigen sich mit sakralen Räumen als gewissermaßen dritte Dimension zum Gegensatzpaar öffentlich/privat. Es geht hier fast ausschließlich um Votivtempel und Portiken, die von Nobiles um bereits existierende Tempel herum errichtet wurden; auch hier untersucht Russell die Mechanismen, durch die einzelne Feldherren ihre privaten Interessen auf Räume ausdehnten, die eigentlich keiner privaten Kontrolle unterstanden bzw. unterstehen sollten. Q. Caecilius Metellus Macedonicus errichtete nach seinen Siegen in Makedonien die Porticus Metelli um die benachbarten Tempel der Juno Regina und des Jupiter Stator auf dem Marsfeld, und stellte dort die von ihm in Griechenland geraubten Kunstwerke aus. Die Tempel waren sakrale und damit öffentliche Orte, und auch das Opferritual, das am Altar vor dem Tempel stattfand, war öffentlich: doch für die Anwesenden, die ja nicht nur vor dem Tempel, sondern auch innerhalb des von Säulengängen umschlossenen Raumes standen, war es “hard to maintain a strict distinction between sacred (and public) temple and semi-private portico” (123).

Die logische Vollendung dieser Entwicklung ist der Gegenstand des letzten, siebten Kapitels (“Pompey and the privatisation of public space on the Campus Martius” [153–186]). Der Theaterkomplex des Pompeius Magnus, der einen Säulengang, Gartenanlagen, den bekannten Venustempel und natürlich ein Senatsgebäude umfasste, stellt eine fast völlige Verschmelzung des Begriffspaares öffentlich/privat dar (bzw. der Begriffstrias, wenn man den sakralen Aspekt hinzunimmt, was hier sehr sinnvoll ist). Tempel und Kurie waren sakrale und öffentliche Räume; öffentlich zugänglich waren auch die Portiken und die Gärten. Aber: “Every aspect of the complex stood as a monument to Pompey and his military success [...]. Pompey’s charisma as patron permeated and unified it” (162).

In einer kurzen, eleganten Schlussfolgerung (187–194) greift Russel noch einmal die wesentlichen Aspekte auf und bringt ihre These auf den Punkt: “Republican Rome had no freestanding public realm, no architectural semantics of publicity, no fully public space” (188).

Die Quellenlage wie auch Russells verhaltenstheoretischer Ansatz bringen es mit sich, dass manches zwangsläufig Interpretation bleibt (wie die Autorin selber anmerkt [189f.]); es sind indes durchweg plausible Interpretationen, die sich auf literarische, epigraphische und archäologische Zeugnisse stützen und immer in den historischen und den physischen, urbanen Kontext eingebunden sind. Als Akteurin stets präsent ist die Stadt Rom mit ihren Gassen und Monumenten, Theatern, Tavernen und Tribünen. Amy Russel hat eine durchdachte und durchgehend klar formulierte Studie vorgelegt, die überzeugend die Wechselwirkung architektonischer, politischer und mentaler Elemente bei der Fortentwicklung des Öffentlichkeitsbegriffs in den letzten beiden Jahrhunderten der römischen Republik aufzeigt.

Anmerkungen:
1 Vgl. etwa Kristina Milnor, Gender, domesticity, and the Age of Augustus. Inventing private life, Oxford 2005; Jörg Rüpke, Kalender und Öffentlichkeit. Die Geschichte der Repräsentation und religiösen Qualifikation von Zeit in Rom, Berlin 1995; Aloys Winterling, “Öffentlich” und “privat” im kaiserzeitlichen Rom, in: Ders. / Tassilo Schmitt / Winfried Schmitz (Hrsg.), Gegenwärtige Antike – antike Gegenwarten. Kolloquium zum 60. Geburtstag von Rolf Rilinger, München 2005, 223–244; jetzt auch Emily Hemelrijk, Hidden Lives, Public Personae. Women and Civic Life in the Roman West, Leiden 2016.
2 Vgl. u.a. John Clarke, The Houses of Roman Italy 100 BC - AD 200. Ritual, Space and Decoration, Oxford 1991; Andrew Wallace-Hadrill, Houses and Society in Pompeii and Herculaneum, Princeton 1994; Ders. / Ray Laurence (Hrsg.), Domestic Space in the Roman World. Pompeii and Beyond, Portsmouth 1997; Shelley Hales, The Roman House and Social Identity, Cambridge 2003.

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