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Titel
Das Bildungsimperium. Zur Geschichte des amerikanisch-australischen Stipendienprogramms im Colombo-Plan 1949–1960


Autor(en)
Ellßel, Christoph
Reihe
Amerika: Kultur – Geschichte – Politik
Anzahl Seiten
317 S.
Preis
€ 44,99
Rezensiert für die Historische Bildungsforschung Online bei H-Soz-Kult von:
Klaus Dittrich, Department of Literature and Cultural Studies, Education University of Hong Kong

Stipendienprogramme rücken derzeit verstärkt in den Fokus geschichtswissenschaftlicher Forschung.1 Wenn Institutionen und Regierungen erhebliche Geldmittel in die Hand nehmen, um auserwählten Individuen eine höhere Bildung zu verschaffen, geschieht dies selbstverständlich nicht ohne politische, geostrategische oder wirtschaftliche Hintergedanken. So war es auch im Fall des Stipendienprogramms des Colombo Plan for Co-Operative Economic and Social Development in Asia and the Pacific, welcher im Fokus der anzuzeigenden Studie steht. Der Colombo-Plan wurde nach einem Treffen der Außenminister des Commonwealth im sri-lankischen Colombo im Jahre 1950 benannt. Als Teil eines umfassenderen Kooperationswerkes ermöglichte das Programm ab 1951 Studierenden aus vornehmlich südostasiatischen Ländern, an australischen Universitäten zu studieren. Ursprünglich nur für die Nachfolgestaaten des britischen Empire angedacht, wurde das Programm bald auf weitere Länder, darunter Indonesien, Vietnam, Afghanistan und Japan, ausgeweitet.

Christoph Ellßel bettet die Stipendien des Colombo-Plans in die Neuordnung des südostasiatischen Raumes nach dem Ende der europäischen Imperien in Folge des Zweiten Weltkrieges ein. Während die europäischen Kolonialmächte, allen voran Großbritannien, ihre direkte Herrschaft aufgeben mussten, sprangen die Vereinigten Staaten mit ihren informellen, aber nicht weniger imperialen Strukturen in diese Lücke. Aber auch Australien selbst war von ähnlichen Veränderungen betroffen, wandelte sich der Kontinent doch von einem Teil des britischen Empire in ein formal unabhängiges, aber zunehmend in amerikanische Strukturen eingebundenes Land.

Wie Christoph Ellßel aufzeigt, fungierte Australien gegenüber Südostasien als ein Imperium by proxy, wobei die Vereinigten Staaten Australien für die Systempenetration Südostasiens nutzten. Während die postkolonialen Länder in die „freie Welt“ entlassen werden sollten, wurde Australien gleichzeitig weiter aus dem britischen Einflussbereich herausgelöst und in die amerikanischen Strukturen eingebunden. Für Australien war es wiederum attraktiv, sich am Colombo-Plan aktiv zu beteiligen und die damit verbundene Ausbildungsleistung zu übernehmen, um im Gegenzug amerikanische Sicherheitsgarantien zu erhalten, nachdem das geschwächte Großbritannien diese Rolle nicht länger übernehmen konnte.

Nach diesen geostrategischen Rahmungen, die hier und da vielleicht etwas zu lang ausgefallen sind, kommt Ellßel auf das Stipendienprogramm an sich zu sprechen. Die Stipendiaten erhielten eine großzügige Unterstützung für Reise- und Lebenshaltungskosten, mussten sich allerdings verpflichten, nach Abschluss des Studiums unverzüglich in ihr Heimatland zurückzukehren und dort in der Regel im Staatsdienst tätig zu sein. Auf diese Weise – so die Theorie – sollten sie zu Multiplikatoren für eine Gesellschaftsordnung werden, die Ellßel als freiheitlich und individualliberal bezeichnet, und Südostasien an den „Westen“ bzw. das entstehende amerikanische Imperium binden. Der australische Studienort verschleierte die gestaltende Rolle des US-Imperialismus, was durchaus gewollt war.

Der Anteil weiblicher Studierenden lag anfangs bei 40%, ging aber in den Folgejahren auf rund 25% zurück. Dieser für die Zeit relativ hohe Anteil von Frauen erklärt sich durch einen hohen Anteil von Lehramtsstudentinnen und angehenden Krankenschwestern. Weitere Schwerpunkte waren anwendungsorientierte Studiengänge der Ingenieur- und Agrarwissenschaften sowie Verwaltungswissenschaften. Die Mehrzahl der Studierenden entstammte wohl den höheren gesellschaftlichen Schichten der Herkunftsländer. Da es sich nicht um ein Elitenförderprogramm handelte, war die politische Zuverlässigkeit ein wichtiges Auswahlkriterium. Dies führte letztendlich zu einer hohen Abbrecherquote, da viele Stipendiaten den Ansprüchen nicht gewachsen waren. Die Zahl der Geförderten blieb mit insgesamt ca. 20.000 deutlich hinter den ursprünglichen Planungen zurück.

Auch innerhalb Australiens gab es mehrere Konfliktlinien, die einem Erfolg des Programms im Wege standen. Eine Bruchlinie gab es zwischen der australischen Innenpolitik, die sich eher an britischen Modellen orientierte und das Prinzip der white supremacy vertrat, und der Außenpolitik, die sich zunehmend an die Vereinigten Staaten anlehnte und antikommunistische Verbindungen mit Asien aufbauen wollte. Ein Großteil der australischen Bevölkerung empfand das Programm als ein Sich-Anbiedern an die Vereinigten Staaten und nahm die asiatischen Studierende mehrheitlich als potentiell gefährliche Eindringlinge wahr, welche die knappen Universitätsplätze wegnahmen. An die Universitäten entsandte Verbindungspersonen der australischen Regierung sorgten für eine Betreuung und Kontrolle der Stipendiaten. Hauptsächlich aus Sorge um eine kommunistische Unterwanderung legten diese geheime Akten über die Stipendiaten an, in denen illegal persönliche Details gesammelt wurden. Diese Kontrollmechanismen, gepaart mit Isolation, Vereinsamung, Sprachproblemen und einem praktischen Ausschluss aus dem assoziativen Hochschulleben konterkarierten das Vorhaben, die Stipendiaten durch die Erfahrbarmachung einer liberalen Gesellschaft zu Multiplikatoren dieser Gesellschaftsordnung in ihren Heimatländern zu machen.

Die restriktiven Bestimmungen führten dann auch zu Konflikten zwischen den Stipendiaten und der australischen Regierung. Studentische Kritik entzündete sich einerseits am Verbot politischer Äußerungen. Diese Vorgabe führte in Einzelfällen sogar dazu, dass Studierende das Land verlassen mussten, nachdem sie in Seminardiskussionen das Wort ergriffen hatten. Insbesondere Kritik an der westlichen Politik gegenüber Asien war nicht gern gesehen. Des Weiteren wurde die strikt umgesetzte Verpflichtung, Australien unmittelbar nach Studienabschluss verlassen zu müssen, als schwerwiegender Eingriff in die persönliche Entscheidungsfindung der Stipendiaten empfunden. Trotz einer gewissen Liberalisierung ab 1955 blieb somit eine Kluft zwischen Anspruch und Praxis der „Freiheit“ bestehen.

Nach der Rückkehr in ihre Heimatländer wurden die ehemaligen Stipendiaten nicht länger administrativ erfasst. Eine erhoffte Netzwerkbildung erfolgte nur in Ansätzen, wenn überhaupt, so dass der gewünschte Multiplikatoreneffekt ausblieb. Auf diese Einsicht reagierend, erfolgte ab 1955 eine Umstellung auf Elitenförderung (Master- und Promotionsstudien), bis das Programm im folgenden Jahrzehnt versandete. Interessanterweise stieß der Colombo-Plan auch einen Wandlungsprozess australischer Universitäten an, da sich letztere zunehmend als Dienstleister für die Regierung bzw. die Stipendiaten betrachteten und humanistische Bildungsideale hinter sich ließen. Der Colombo-Plan legte in diesem Sinne den Grundstein für die Anwerbung weiterer universitärer „Kunden“ in den folgenden Jahrzehnten, die wiederum größtenteils aus Asien stammten.

Wenngleich Ellßel die Sichtweisen britischer, australischer und amerikanischer Entscheidungsträger überzeugend darlegt, bleibt es ein Manko der Studie, dass Akteure aus den südostasiatischen Teilnahmestaaten des Colombo-Plans praktisch unsichtbar bleiben. Wenige australische Spitzenpolitiker wie Premierminister Robert Menzies und Außenminister Percy Spender finden namentlich Erwähnung, aber man erfährt auf den rund 300 Textseiten nicht einen einzigen Namen eines Stipendiaten. Solch ein Vorgehen perpetuiert (sicherlich ungewollt) imperiale Sichtweisen. Trotz schlechter Quellenlage hätte es doch möglich sein sollen, zumindest die Karrierewege einiger herausragender Absolventen zu erfassen. Ein stärkerer Fokus auf die Stipendiaten hätte es auch erlaubt, alternative Aussagen zu Erfolg und Misserfolg des Programms zu machen und sich von den Einschätzungen der Stipendiengeber zu lösen.

Darüber hinaus wäre es interessant, das Stipendienprogramm des Colombo-Plans mit ähnlichen Programmen in der Ära des Kalten Krieges, und zwar in beiden ideologischen Lagern, in Vergleich zu setzen. Insbesondere die restriktiven Bestimmungen und die relative Abschottung von der australischen Bevölkerung lassen die Frage aufkommen, ob und inwieweit sich die australische Praxis von Eingriffen in das Leben von Stipendiaten in der Sowjetunion, der VR China oder anderen sozialistischen Ländern unterschied. Das soll nicht als Mangel der Arbeit gewertet werden, zeigt aber, dass hier noch weiteres Erkenntnispotential liegt.

Das Buch zeitigt überraschende sprachliche Mängel, die den Lesefluss zum Teil stark beeinträchtigen. Ein sorgfältigeres Lektorat hätte hier gutgetan. Zudem ist es unverständlich, warum die insgesamt zwölf Kapitel nicht durchnummeriert sind. Trotz der Kritik ist die vorliegende Monographie eine wichtige Studie, welche die Bildungsgeschichte und die Geschichte des frühen Kalten Krieges mit einem in der deutschsprachigen Historiographie nicht alltäglichen Fokus auf Australien auf gelungene Weise verknüpft. Leser, die sich für die Dekolonisierung Südostasiens und die Implementierung der amerikanischen Vorherrschaft im pazifischen Raum interessieren, kommen mit dem Buch auf ihre Kosten.

Anmerkung:
1 Ludovic Tournès / Giles Scott-Smith (Hrsg.), Global Exchanges. Exchange Programs, Scholarships and Transnational Circulations in the Modern World, New York 2018.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit der Historischen Bildungsforschung Online. (Redaktionelle Betreuung: Philipp Eigenmann, Michael Geiss und Elija Horn). https://bildungsgeschichte.de/