Armin F. Bergmeier: Visionserwartung

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Titel
Visionserwartung. Visualisierung und Präsenzerfahrung des Göttlichen in der Spätantike


Autor(en)
Bergmeier, Armin F.
Reihe
Spätantike - Frühes Christentum - Byzanz / Kunst im ersten Jahrtausend. Reihe B: Studien und Perspektiven 43
Erschienen
Wiesbaden 2017: Reichert Verlag
Anzahl Seiten
344 S.
Preis
€ 98,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Gregor Weber, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Universität Augsburg

Die vorliegende Münchener Dissertation, die sich der bildlichen Umsetzung von Visionen in der Spätantike und deren Kontext widmet (ca. 300 bis 750 n.Chr.), stellt eine willkommene Ergänzung zu den seit einigen Jahren stärker forcierten Studien zu Träumen und Visionen in der Antike dar, haben doch Bildquellen hierbei bisher eine eher untergeordnete Rolle gespielt. Letzteres hat vor allem zwei Gründe: Zum einen sind Traumfiguren und Traumszenerien nicht immer einfach zu verifizieren bzw. waren diese z.B. durch Darstellungen von Asklepios weitgehend auf den inkubatorischen Kontext beschränkt.1 Zum anderen tat sich die Forschung schwer, Bilder im christlich-spätantiken Kontext ikonographisch zuzuordnen und entsprechend, etwa innerhalb theologischer Auseinandersetzungen, zu kontextualisieren, von der Geltung eines vermeintlichen Bilderverbots einmal abgesehen. Die Reichweite des Themas erstreckt sich freilich noch auf grundsätzliche Punkte jenseits der Bilder, etwa auf die faktische Präsenz Gottes und deren konkrete Erfahrbarkeit. Armin Bergmeier (B.) hat sich folglich einer beachtlichen Aufgabe gestellt und sie – um es vorweg zu sagen – in einem systematischen Aufriss bravourös gelöst.
In der Einleitung (S. 11–22) entwickelt er sein Thema, ausgehend von der Beobachtung, dass „die visuelle Kultur ein beispielloses Interesse an Visionen“ hatte, was sich in der Ausgestaltung von Apsiden und in anderen Bildmedien niederschlug. Gerade hier schuf die christliche Bildsprache etwas Neues, was zur Frage führt, wie sich sowohl die durchschlagende Verbreitung in nachkonstantinischer Zeit als auch der ausbleibende Widerspruch der Theologen erklären lässt. B. stellt die These auf, „dass seit dem vierten Jahrhundert Visionen als Mittel zur Umgehung des Repräsentationsverbots und zur Überwindung der Unsichtbarkeit des christlichen Gottes entdeckt wurden“ (S. 11), sich letztlich also eine Visionserwartung ausbildete. Indem eingangs auf besonders markante Darstellungen von Theophanien verwiesen wird, ergibt sich die Notwendigkeit von Kriterien zur Verifizierung und – als Forschungsproblem – die Frage nach der Relation zwischen den Bildern und der Liturgie. Knapp skizziert B. auch die bisherige Forschung, sowohl zu Epiphanien im paganen Kontext als auch in der Kunstgeschichte und deren Trends, etwa zur lange Zeit vorherrschenden eschatologischen Deutung der Bilder.

Das Buch gliedert sich in drei große Kapitel: „Visionserwartungen“ (S. 23–70) schafft insofern die Voraussetzungen, als pagane Kontexte für Epiphanien, die jüdischen Traditionen und „Epiphanien Gottes und der Heiligen im Christentum“ abgehandelt werden. B. bespricht dabei christliche Texte, nicht nur aus dem Mönchtum, in denen die Möglichkeit einer Theophanie diskutiert wird, was – so das Ergebnis der Analyse – durchaus real zu erwarten war. Ein grundsätzlicher Unterschied zu den griechisch-römischen Göttern besteht darin, dass diese zwar in den Tempeln aufgesucht werden und in den Kultstatuen präsent sein konnten (einschließlich passender theurgischer, quasi-liturgischer Riten), sich aber auch von sich aus in Träumen und Visionen zeigten. Im Judentum mit dem Verbot, Bilder von Gott zu erstellen, griff man auf Symbole und Repräsentationen alttestamentarischer Begebenheiten, vor allem prophetischer Visionen, zurück bzw. hat sich im Laufe der Zeit ein reiches apokalyptisches Schrifttum ausgebildet, das eschatologische Vorstellungen umsetzte. Hier konnte das frühe Christentum anknüpfen, vor allem aber die hagiographische Literatur, die z.T. mit ausführlichen Theophaniebeschreibungen aufwartete. Dies ist insofern aufschlussreich, als Teile der Forschung den Bereich der Träume und Visionen im Christentum zu marginalisieren versuchten, aber auch faktisch in den Texten immer wieder vor falschen Theophanien gewarnt und deren Authentizität angezweifelt wurde – die entsprechenden Diskussionen vermag B. gut und kenntnisreich nachzuzeichnen. Parallel dazu gewannen die bildlichen Aussagen immer mehr an Gewicht, und erst mit dem Ikonoklasmus, der wiederum für die ‚Macht der Bilder‘ steht, ist hier ein Einschnitt zu sehen. B. vermag auch Bezugspunkte zwischen Texten und Bildern herzustellen, insofern erstere als ‚Leseanleitung‘ für letztere fungieren konnten.

Im zweiten Kapitel analysiert B. die „Visualisierungsformen“ (S. 71–179) des Göttlichen, die einen hohen Novitäts- und Innovationsgrad aufweisen. Dabei geht es um „nicht-narrative Ikonographien“, die dazu dienten, angesichts einer offenkundig steigenden Visionserwartung „die Unsichtbarkeit des christlichen Gottes zu überwinden“ (S. 71) und den Wunsch nach Bildern zu erfüllen: Dabei handelt es sich – durchaus in Auseinandersetzung mit paganen Darstellungen – um eine Palette an Symbolen (Fisch, Taube, Schafträger etc.), außerdem um Christusdarstellungen über den Wolken (und mit solaren und stellaren Attributen) und oder als Himmelfahrt, dazu die Apostelversammlung in Anlehnung an antike Götterversammlungen, vor allem das stark verbreitete Tetramorph als sicherstes Zeichen für eine Theophanie, dann die Übernahme des Nimbus, der leere Thron, Moses- und Sinai-Szenen oder die Traditio legis. B. betont die anfängliche „Unsicherheit in der Bildfindung“ (S. 124) und kann zahlreiche Beispiele für die Experimentierfreude bei der Verwendung diverser Kombinationen aufzeigen, die auf Aushandlungsprozessen und Präferenzen zu verschiedenen Zeiten beruhen. En passant geht er auf verschiedene Forschungskontroversen ein, etwa den „Zusammenhang und … [die] Chronologie von Himmelfahrts- und Theophaniebildern“ (S. 147) oder das Verhältnis von Bildern und Liturgie.

Das dritte Kapitel erschließt die Rahmenbedingungen für „Präsenzerfahrung“ (S. 181–259), was vor allem das Verständnis von Zeitlichkeit der Bilder und die Mittel der Inszenierung in den Kirchenbauten (Licht, Bilder, Einbauten) anbelangt. Indem B. nach der zeitlichen Dimension des Geschauten fragt, wendet er sich gegen die traditionelle Ansicht, die Bilder mit Theophanien seien „eschatologische Darstellungen zukünftiger Geschehnisse“; stattdessen geht er – anders als etliche Forscher vor ihm – von einer Funktion im Präsens aus, insofern „im Vorgriff auf zukünftige Ereignisse das Göttliche in der Gegenwart“ (S. 181) dargestellt wurde. Eine besondere Rolle spielt hierbei die Traditio legis, und B. kann die subtile Verschränkung verschiedener Motive zur Fixierung des Präsentischen auf recht breiter Basis aufweisen; gerade die Einbeziehung von Texten, etwa mit dem kosmologischen Raummodell des Kosmas Indikopleustes, und die Analyse von deren Sprachgebrauch sichern die Interpretation ab. Besonderes Augenmerk richtet B. auf die Wirkung von nachweisbaren und vermuteten Lichtquellen bzw. die Behandlung der Thematik in der Literatur der Spätantike – ein Forschungsfeld, das zweifellos eine noch stärkere Bearbeitung verdient. Er kann auch aufzeigen, wie durch verschiedene Maßnahmen die göttliche Präsenz in Sakralräumen umzusetzen versucht wurde, etwa durch eine Zweiteilung der Räume nicht zuletzt in der Höhe. Dabei entging man mit Fresken und Mosaiken durch deren Zweidimensionalität auch dem Vorwurf, zu nahe an der paganen statuarischen Praxis zu sein. B. führt hier ebenso entwicklungsgeschichtliche Aspekte ein, insofern Bilder sich dem Boden der Sakralräume immer mehr annäherten. Ein kurzer Epilog zum byzantinischen Ikonoklasmus kontextualisiert das Ende theophanischer Bilder (und damit auch der Visionserwartung), verweist aber ebenfalls auf unterschiedliche Fortführungen in West und Ost und reißt die umfangreiche Diskussion über die Ursachen dieses Wandels wenigstens an.

Im „Ausblick“ (S. 261–270) fasst B. seine Ergebnisse nochmals zusammen und verweist auf das Innovative der theophanischen Bilder im Vergleich zu den paganen und den jüdischen Kontexten von Literatur, Kunst und Architektur.

Die Zusammenstellung der Primärquellen und Sekundärliteratur (S. 275–303) dokumentiert die umfassende Belesenheit von B., der nicht nur auf der Höhe der modernen Forschung argumentiert, sondern auch versucht hat, ein großes Spektrum an antiker Literatur in seine Untersuchung miteinzubeziehen. Allein bei den Texten hätte man sich mitunter – etwa für Homer, Cicero oder Livius – moderne Ausgaben gewünscht. Was die „Kontinuität paganer Kultpraxis in der Spätantike“ (S. 248) angeht, hätte man sich mehr Material, Texte und Literatur gewünscht. Ob alle der vorgeschlagenen Datierungen so zutreffen, mögen christliche Archäologen und Kunsthistoriker entscheiden; ob sich die mit den Bildern verbundenen Zeitebenen – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – in ihrer Intention und Aussageabsicht immer eindeutig bestimmen lassen und nicht auch von antiken Betrachtern unterschiedlich ausgelegt werden konnten, sei dahingestellt. Der Band ist mit 121 Schwarz-weiß- und 39 Farbabbildungen gut ausgestattet, wobei freilich die Zählung nach Farbtafeln Verwirrung schafft, weil faktisch die Abbildungs-Nummern und nicht die Tafel-Nummern relevant sind.2 Das Register (S. 305–310) enthält Orte, Personen und Sachen.

B. hat jedenfalls in stetem Bemühen um zeitliche Differenzierung reichhaltiges Material zusammengetragen und analysiert – bekannte und weniger bekannte Zeugnisse, deren Verteilung über den Mittelmeerraum notwendigerweise alles andere als gleichmäßig ausfällt; es ist ihm aber gelungen, die Bildzeugnisse mit Theophaniedarstellungen als eigenständige Materialgruppe den literarischen Zeugnissen gegenüber zu etablieren und eine empfindliche Forschungslücke zu schließen.

Anmerkungen:
1 Es verwundert nicht, dass generell als Referenzwerk für bildliche Darstellungen immer noch auf den Aufsatz von Folkert T. van Straten, Daikrates’ Dream. A Votive Relief from Kos, and Some Other kat’onar Dedications, in: Bulletin antieke Beschaving 51 (1976), S. 1–38, verwiesen wird.
2 Die auf S. 25 genannte „Abb. I.1“ fehlt allerdings. Echte Tippversehen o.ä. sind selten, z.B. Maximos von Tyrios (S. 20), dann in Kap. II.3 fortwährend „Theophaniesierung“, und auch bei einigen griechischen Zitaten haben sich Fehler eingeschlichen.

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