S. Kohl: Homeownership, Renting and Society

Cover
Titel
Homeownership, Renting and Society. Historical and Comparative Perspectives


Autor(en)
Kohl, Sebastian
Reihe
Routledge Advances in Sociology
Erschienen
New York 2017: Routledge
Anzahl Seiten
232 p.
Preis
€ 90,13
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Daniel Watermann, Institut für Geschichte, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

84 Prozent der Deutschen ziehen das Eigenheim dem Wohnen zur Miete vor. Das ist das Ergebnis einer Civey-Umfrage für SPIEGEL ONLINE aus dem August 2018.1 Diese Wohnpräferenz der Bevölkerung ist ebenso wenig neu wie die Tatsache, dass dieser Wunsch gerade in Deutschland für viele Bürgerinnen und Bürger offenkundig nur schwer zu realisieren ist. Die traditionell niedrige Hausbesitzerquote in der Bundesrepublik ist schon lange Gegenstand ökonomischer, soziologischer und sozialhistorischer Untersuchungen.2 Das Gegenbeispiel schlechthin liefern die USA. Das Ideal des selbstbewohnten Eigenheims ist fest verankerter Bestandteil des American Dream, die Suburbs wachsen und wachsen.3 Die Frage, warum urbanisierte, industrialisierte und demokratisierte Gesellschaften deutlich unterschiedlich hohe Quoten an Hausbesitzern aufweisen, steht im Zentrum der Dissertation von Sebastian Kohl, der mit einem historisch-soziologischen Vergleich zwischen der Bundesrepublik und den USA nach Erklärungen für diese sogenannte homeownership gap sucht.

Seinen analytischen Ansatz betrachtet Kohl als Plädoyer für drei Dinge, „for the usefulness of historical explanations of housing phenomena, for exploiting the explanatory potential of the urban level, and for bringing the political economy of housing supply-side institutions into housing research.“ (S. 221) Bisherige „kulturalistische“, ökonomisch-funktionalistische und demographische Erklärungen des Phänomens sowie Fallstudien wiesen, so der Autor, spezifische Defizite auf. Für Kohl ist die entscheidende Blindstelle, dass viele Untersuchungen in der Zeit nach 1945 ansetzen, die Gründe für die großen Unterschiede der Hausbesitzerquoten aber bereits im 19. Jahrhundert liegen. Eine überzeugende Erklärung könne daher nur gefunden werden, wenn eine Längsschnittperspektive eingenommen werde. Kohl situiert seine Analyse zum einen im urbanen Kontext, zum anderen beleuchtet er die Institutionalisierung von Angebotsstrukturen des Häuserbaus und -erwerbs im langen Bogen. Er schließt damit an Vorstellungen von Pfadabhängigkeiten an.

Drei institutionelle Bereiche, welche die Möglichkeiten zur Verbreitung von Hausbesitz in der Bevölkerung beider Länder langfristig strukturierten, untersucht Kohl in jeweils einem Hauptkapitel seines Buches. Im ersten Kapitel arbeitet Kohl heraus, dass der Zeitpunkt der Urbanisierung sowie die Reaktion der Städte auf den Urbanisierungsprozess für die Frage nach Hausbesitzerquoten in der Längsschnittperspektive von großer Bedeutung sind: Entwickelten sie sich zu kompakten Städten von Mietern in großen Wohnhäusern oder zu suburbanisierten Städten mit kleineren Häusern? Länder, deren Städte vorwiegend dem ersten Typus zuzuordnen sind, waren auch im 20. Jahrhundert durch Wohnstrukturen gekennzeichnet, die klar von Mietwohnungen dominiert sind. In Ländern mit bereits historisch gewachsenen suburbanisierten Räumen etablierte sich dagegen das Hausbesitzerideal. Hier setzt die historische Analyse an: Eine wichtige Vorbedingung für die Entwicklung spezifischer Wohnformen im 19. Jahrhundert war das feudale Erbe in Kontinentaleuropa mit absolutistischen Eingriffen in den Städtebau- und die Stadterweiterungen, den städtischen Befestigungsanlagen und der Regulierung bzw. begrenzten Verfügbarkeit von Bauland. Dadurch wurden Normen des Bauens und der Stadterweiterung langfristig geprägt, die Verbreitung des Eigenheims aber behindert. Diese feudalen Prägungen fehlen in den USA.

Weitere historische Erklärungen müssten jedoch hinzugezogen werden, so Kohl. Idealtypisch stellt Kohl in diesem Zusammenhang die private Stadt der korporatistischen Stadt gegenüber. Während in der privaten Stadt, dem prädominanten Stadttypus in den USA, Hausbesitz durch die Abwesenheit strikter Bauvorschriften und infrastruktureller Anforderungen, des einfacheren Zugangs zu Bauland sowie der Rolle spekulativer Unternehmer begünstigt wurde, waren Vorschriften und kommunale Regulierung, die munizipale Kontrolle der städtischen Infrastruktur im Zuge des Ausbaus der Leistungsverwaltung, die damit verbundenen hohen Kosten und entsprechend hohe Steuern entscheidende Faktoren, die Hausbesitzerwerb und Suburbanisierung erschwerten.

Hinzu kam, wie der Autor im zweiten Kapitel untersucht, die Institutionalisierung unterschiedlicher Finanzierungssysteme von Hausbesitz im 19. Jahrhundert. In Deutschland trugen die sich über Pfandbriefe finanzierenden großen Hypothekenbanken sowie die gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften erheblich zur Durchsetzung des Mietwohnens bzw. Mietwohnungsbaus in den Städten bei. Die Saving and Loan Associations (SLAs) in den USA sammelten demgegenüber auf lokaler Ebene Geld ihrer Mitglieder mit dem Zweck, ihnen individuelle Kredite für den Häuserbau offerieren zu können. Sie wurden zu starken Fürsprechern und Triebkräften des Einfamilienhauses. Mit den Bausparkassen setzte sich eine äquivalente Finanzinstitution in Deutschland dagegen erst in den 1920er-Jahren durch. Die Weichen waren zu diesem Zeitpunkt aber bereits gestellt und haben die Entwicklung der Wohnungspolitik in beiden Ländern erheblich beeinflusst. Die US-Politik fokussierte in der Folge vor allem auf die öffentliche Absicherung und Ausweitung des Hypothekenmarktes mit dem Ziel, die Finanzierung des Einfamilienhauses als Teil des American Dream möglichst vielen Menschen zu ermöglichen, während die deutsche Politik sehr stark auf Subventionen im Wohnungsbau setzte und nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem sozialen Wohnungsbau zunächst das Wohnen in Mietshäusern erheblich förderte.

Die Suburbanisierung in den USA wurde, dies ist Gegenstand des dritten Kapitels, im 20. Jahrhundert und vor allem in der Boomphase nach 1945 zudem durch die fordistische Produktionsweise befördert. Auch Häuser wurden zum standardisierten Massenprodukt, beworben wiederum von den SLAs. Die Akzeptanz dieser kostengünstigen Produktion geht zurück auf die billigen und von ungelernten Kräften hergestellten Holzkonstruktionen des 19. Jahrhunderts, die das Eigenheim auch für Geringverdiener erschwinglich machten. Die starke Handwerkstradition und die Nachfrage nach individuell gestalteten Häusern verhinderten in Deutschland weitgehend die Durchsetzung dieses Modells und machten den Häuserbau demzufolge teurer.

Im vierten Kapitel überträgt Kohl Ergebnisse seines Vergleichs auf andere OECD-Staaten. Er kommt dabei einerseits zu allgemeinen Aussagen wie der Feststellung, dass Länder mit Handwerkstradition, einem historisch starken Anteil über Pfandbriefe finanzierten Häuserbaus und der Ausprägung von Städten mit hohem Mietwohnungsanteil heute eher geringere Hausbesitzerquoten aufweisen (wie im deutschen Musterbeispiel). Andererseits konstatiert er, dass es in den verschiedenen europäischen Ländern auch mannigfache Pfade Richtung hoher Hausbesitzerquoten gegeben habe. Diese Vielfalt unterschiedlicher Wege und weitere offene Fragen im innereuropäischen Vergleich, so resümiert Kohl, bieten mögliche Anknüpfungspunkte für die weitere Forschung.

Das sehr überzeugende, gut geschriebene und strukturierte Buch mutet bisweilen wie eine fundierte Überblicksdarstellung der deutschen und amerikanischen Stadtentwicklung, Wohnungswirtschaft und -politik an, aus der Sebastian Kohl relevante neue Erkenntnisse zur Frage nach den signifikanten Unterschieden der Hausbesitzerquoten in beiden Ländern gewinnt. Mitunter überzeichnet Kohl jedoch sowohl das Erklärungspotential, das er der institutionalisierten Angebotsseite im Haus- und Wohnungsmarkt und der von ihm konstatierten Pfadabhängigkeiten zuweist, als auch – und damit einhergehend – seine Abgrenzung gegenüber „kulturalistischen“ Erklärungsansätzen. Die historische Genese von Institutionen und die Ausprägung von Pfadabhängigkeiten, darauf weist der Autor selbst hin, sind keine Automatismen und doch entsteht beim Lesen zuweilen der Eindruck, dass den Institutionalisierungsprozessen eine gewisse Zwangsläufigkeit immanent ist. An dieser Stelle hätten gerade kultur- und politikgeschichtliche Ansätze, der Bezug auf spezifische Deutungen und Handlungen von Akteuren integriert werden können, die bei Kohl eher selten einbezogen werden. Zu verschiedenen Zeiten waren es unterschiedliche Akteure wie Politiker, Unternehmer, Experten, Stadtentwickler oder die SLAs und Bausparkassen, die über Gesetze, Verordnungen, Lobbyarbeit, Werbung und Imagekampagnen politische Weichenstellungen und den öffentlichen Diskurs zu beeinflussen beabsichtigen.4 Die Vorstellung von Hausbesitz als Teil des American Dream ist in dieser Hinsicht zum Beispiel nicht einfach als überkommenes romantisches Ideal aufzufassen, sondern ein immer wieder aktualisiertes Konstrukt, das wiederum von der Bevölkerung auf spezifische Weise rezipiert und beeinflusst wurde.5 Die Verbreitung von Hausbesitz in den USA und die Pfadabhängigkeiten von Institutionen sind dadurch maßgeblich geprägt worden. Und was ist im deutschen Fall der Hinweis auf Handwerkstraditionen und dem Haus als Statussymbol anderes als ein Argument für die Wirkmächtigkeit kultureller Deutungsangebote in der Gesellschaft und ihres Einflusses auf die Angebotsseite des Bausektors?

Die große Leistung des Buches von Sebastian Kohl besteht dessen ungeachtet darin, erstmals eine überzeugende historische Längsschnittanalyse vorgelegt zu haben, die künftige Arbeiten zum Thema sicher beeinflussen und inspirieren wird. Der von ihm gewählte nüchterne Blick auf Institutionalisierungsprozesse im langen Bogen hat sich dabei als äußerst gewinnbringend erwiesen.

Anmerkungen:
1 Stefan Kaiser, 84 Prozent der Deutschen wollen lieber Eigenheim statt Miete, in: Spiegel Online, 20.08.2018, http://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/immobilien-84-prozent-der-deutschen-wollen-ein-eigenheim-a-1223288.html (abgerufen am 28.08.2018).
2 Siehe etwa Michael Voigtländer, Why Is the German Homeownership Rate so Low?, in: Housing Studies 24 (2009), S. 355-372.
3 Wie dies die amerikanische Landschaft verändert hat, wird eindrucksvoll gezeigt in Alex MacLean, Over. Der American Way of Life oder das Ende der Landschaft, München 2008.
4 Zur deutschen Geschichte des Eigenheims in politischer, kultureller und sozialer Hinsicht nach wie vor Standardwerk: Tilman Harlander (Hg.), Villa und Eigenheim. Suburbaner Städtebau in Deutschland, Stuttgart 2001.
5 Siehe Nancy H. Kwak, A World of Homeowners. American Power and the Politics of Housing Aid, Chicago 2015, S. 13 ff.; James A. Jacobs, Detached America. Building Houses in Postwar Duburbia, Charlottesville 2015.

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