T. Beggio: Paul Koschaker (1879–1951)

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Titel
Paul Koschaker (1879–1951). Rediscovering the Roman Foundations of European Legal Tradition


Autor(en)
Beggio, Tommaso
Erschienen
Anzahl Seiten
332 S.
Preis
€ 45,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Sven Günther, Institute for the History of Ancient Civilizations (IHAC), Northeast Normal University Changchun, China

Warum Wissenschaftsgeschichte anhand von Personenbiographien ihre Berechtigung hat, wird bereits in der Einleitung des Forschungswerks aus der Feder von Tommaso Beggio zu Paul Koschaker deutlich, das Teil eines größeren Projektes zu „Reinventing the Foundations of European Legal Culture 1934–1964“ an der Universität Helsinki bildet. Es sind die Verzahnungen von Forscher, Forschungsgegenstand – im Falle Koschakers eher im Plural zu verwenden –, Forschungsumfeld und der Makrogeschichte, welche nicht nur das Momentum der einen wissenschaftlichen Leistung hervorbringen, sondern zuweilen auch ein Wissenschaftlerleben bestimmen.

Der Schwierigkeit, derlei Verknüpfungen quellenmäßig offenzulegen – zumal wenn kein Nachlass des Wissenschaftlers vorliegt – begegnet Beggio durch ein umfassendes Sammeln, Analysieren und methodisch sauberes Auswerten von ganz verschiedenen Archivmaterialien aus ganz unterschiedlichen Ländern, Institutionen und Forschernachlässen. Ihm gelingt es durchweg, in passablem, wenn auch nicht fehlerfreiem Englisch, dem Leser die Forschungspersönlichkeit Koschakers und dessen Karriereschritte näherzubringen. Neben den reinen und bereits bekannten Fakten (Studium, Doktorat und Habilitation an der Universität Graz mit einem Abstecher an die Universität Leipzig, Professuren in Innsbruck, Prag, Leipzig, Berlin und Tübingen sowie nach der Emeritierung Gastprofessuren in München, Halle, Ankara und Bonn) stellt Beggio vor allem die Entwicklung der Forschungsinteressen unter Einwirkung und Austausch mit den jeweiligen Kollegen, aber auch den wissenschafts- wie zeitpolitischen Umständen in den Mittelpunkt seiner Betrachtungen.

Er kann dabei deutlich herausarbeiten, wie stark Koschaker in seiner Methodologie von der pandektistisch-systematischen Richtung beeinflusst wurde, so dass er sich strikt gegen eine Historisierung des römischen wie auch des altorientalischen Rechts, als dessen Nestor er angesehen werden darf, wandte; er bezog vielmehr eine vergleichende und beständig aktualisierende Position. Sein Geltungsstreben einerseits, das sich in verschiedenen Führungspositionen in Forschung wie Wissenschaftsinstitutionen niederschlug, und andererseits seine fortschreitende tiefe Enttäuschung auf dem Berliner Lehrstuhl seit 1936, die den Wechsel an die Universität Tübingen im Jahre 1941 evozierte, interpretiert Beggio nicht wie einige frühere Arbeiten separat, in die eine oder andere Richtung apodiktisch und ohne Berücksichtigung der mikrogeschichtlichen Kontexte. Für ihn ist Koschaker weder ein Unterstützer noch ein Leidender des nationalsozialistischen Regimes, sondern – in Einheit von Person, wissenschaftlichem Œuvre wie Netzwerk – eine Forscherpersönlichkeit dieser Zeit, die das von ihr vertretene Fach national wie international am Leben erhalten wie seinen eigenen Einfluss geltend machen wollte, auch wenn die nationalsozialistische Ideologie gegenüber diesen Fachgruppen skeptisch bis ablehnend eingestellt war (vgl. Punkt 19 des 25-Punkte-Programms der NSDAP).

Insofern liest Beggio auch die beiden Hauptwerke Koschakers in ihrem jeweiligen zeitgenössischen Kontext. „Die Krise des römischen Rechts und die romanistische Rechtswissenschaft“, gehalten als Vortrag an der Akademie für Deutsches Recht 1937 und publiziert im folgenden Jahre, ist für ihn so weder ein Manifesto gegen die ablehnende Haltung des Nazi-Regimes gegenüber dem Römischen Recht noch eine pure Anbiederung an die Ideologie, um seine Pfründe zu bewahren, sondern eine Anpassungsstrategie, um seinen eigenen Ansatz der Aktualisierung des römischen Rechts im Heute konzeptionell zu verankern. „Europa und das Römische Recht“, erstmals erschienen 1947, wendet sich erneut gegen Historisierungstendenzen des Römischen Rechts und zeigt in einer Rezeptionsgeschichte des Corpus Iuris Civilis das Potential auf, wie römisches Recht das europäische Privatrecht systematisch und strukturell gestalten könne, ein Anliegen, das Koschaker bis in die Studienprogramme und Lehrbücher hinein verfolgte (ein unpubliziertes Manuskript, entdeckt an der Universität Ankara, wird ebenfalls von Beggio vorgestellt). Der rote Faden ist also bei Koschaker die Richtungsbestimmung der Romanistik, und erst sekundär die Zeitumstände, in denen er sein „Forschungsschifflein“ auf Kurs zu halten suchte. Dieses Gegenbild zu weitverbreiteten Ansichten über die weitgehend passive Determination durch die Geschichtsabläufe oder die aktive Steuerung der geschichtlichen Prozesse ist anregend und herausfordernd zugleich, gerade in einer Zeit, in der längerfristige wie -wirkende wissenschaftliche Standpunkte oft als obsolet angesehen werden. Der stets abgewogenen und auf den erschließbaren Archivalien ruhenden Arbeit darf man daher ohne Umschweife ein breites Publikum wünschen.

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