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Titel
Die Ursache allen Übels. Untersuchungen zu den Unzuchtsvorwürfen gegen die Gemahlinnen der Karolinger


Autor(en)
Dohmen, Linda
Reihe
Mittelalterforschungen 53
Erschienen
Ostfildern 2017: Jan Thorbecke Verlag
Anzahl Seiten
616 S.
Preis
€ 75,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Yanick Strauch, Regesta Imperii I: Karolingerzeit 840-926, Philipps-Universität Marburg

Die Erforschung der Königinnen des frühen Mittelalters gehört nach wie vor zu jenen Themenfeldern, die bis in die jüngste Zeit hinein in Teilen vernachlässigt wurden. Wenngleich Martina Hartmann in einer grundlegenden Arbeit die vielfältigen Möglichkeiten der Thematik und darin inbegriffene Problematiken aufgezeigt hat1, so bleibt eine umfassende, systematische Darstellung im Grunde ein Desiderat der Forschung, obschon wertvolle Vorarbeiten existieren.2 In ihrer Dissertation schickt sich Linda Dohmen an, Person und Institution der Königin des karolingischen Reiches unter einem ganz bestimmten Aspekt zu betrachten: Warum kommt es ab dem 9. Jahrhundert zu einem vermehrten Aufkommen von Ehebruchsvorwürfen gegen Königinnen? Auch diese Thematik hat vormals begrenzte Resonanz erfahren3, doch stellt sich Dohmen darüber hinaus der Aufgabe, die Problematik in umfassender Weise erörtern und analysieren zu wollen, wobei die Autorin ihre Arbeit als einen Beitrag verstanden wissen möchte, der modernen Forschungskonzepten und -feldern – wie etwa der ‚Konsensualen Herrschaft‘4 oder dem Hof als Ort des Konflikts und der Wechselseitigkeit von sozialen und personellen Herrschaftsstrukturen5 – weitere Impulse liefern soll.

Im Anschluss an einen Forschungsüberblick (S. 17–26), in dessen Rahmen die Autorin die bisher skizzenhafte Behandlung der Thematik moniert, legt Dohmen ihre Methodik dar: Grundlage bilden die diachrone Einzelfallanalyse und die Frage nach der Person der jeweiligen Königin, die im Mittelpunkt eines Unzuchtsvorwurfs steht. Um der Kritik Rechnung zu tragen, welche Mediävisten für die Frage nach den Motiven menschlichen Handels erfahren haben, verankert Dohmen ihre Analyse unter der Prämisse, nach welcher laut Max Weber zwischen wert- und zweckrationalem Handeln unterschieden werden muss. Appliziert auf die Unzuchtsvorwürfe bedeutet dies im ersten Fall, dass eine Bestrafung des Ehebruchs insofern begründet werden konnte, da auf diese Weise die „Wiederherstellung einer ‚korrekten‘ den existierenden Werten entsprechenden Situation“ (S. 34) gewährleistet wurde. Im zweiten Fall sind die Motive profanerer Natur, da die Akteure ihr Handeln vornehmlich nach persönlichem Zweck ausrichten, worin insbesondere eine individuelle Steigerung von Macht, Einfluss und Ansehen inbegriffen wird.

Nach einem Kapitel über Vorstellungen, Ansprüche und Praktiken bezüglich eines Ehebruchs im Frankenreich (S. 36–63) und einem Kapitel über die Königin als Ehefrau sowie die königliche Ehe im Allgemeinen (S. 63–106) widmet sich Dohmen den konkreten Fällen von Unzuchtsvorwürfen gegen karolingische Königinnen (S. 109–334). Daran gliedert sich im Anschluss ein systematischer Vergleich an, der strukturelle Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beteiligten Personen(gruppen) erörtert, darunter die jeweilige Stellung der Herrscherinnen und ihrer karolingischen Ehemänner sowie die Position und Motive der Mitangeklagten bzw. Kläger (S. 338–446).

Dabei bildet die angebliche Affäre rund um Kaiserin Judith und den Kämmerer Bernhard von Septimanien im Jahr 830 den Ausgangspunkt. Dohmen attestiert diesem ersten Fall weniger grundlegenden Charakter, als dies bisher allgemeinhin von der Forschung angenommen worden ist. Im Vergleich mit den Fällen der Kaiserin Richgard und der Königin Emma zeigt sich jedoch, dass die Figur eines übermächtigen Ratgebers (Bernhard von Septimanien, Liutwart von Vercelli und (mit Abstrichen) Adalbero von Metz) zuweilen als Katalysator für die Vorwürfe fungieren kann. Dennoch müssen die teils erheblichen Unterschiede betont werden, welche Dohmen sowohl bezüglich der einzelnen Fälle untereinander als auch in Bezug auf die strukturellen Gemeinsamkeiten herausarbeiten kann.

So bildet der Ehebruchsvorwurf gegen Theutberga allein schon deshalb einen Sonderfall, da der Ankläger hier mit Lothar II. der König selbst gewesen ist, wenngleich ihn dies nicht zwangsläufig zum Urheber der Gerüchte macht (S. 204f.). Die Motivation des Königs, eine Scheidung von seiner Frau zu erwirken, ist hierbei recht offenkundig. Zugleich aber gelingt es Dohmen, der wohlbekannten Affäre des lotharischen Ehestreits neue Aspekte abzugewinnen, indem sie die verwandtschaftlichen Komponenten des Konfliktes präzisiert: Lothar II. habe Theutberga geheiratet, da deren Familie ihn maßgeblich bei der Sicherung einer eigenen Herrschaft nach dem Tod des Vaters unterstützt hatte (S. 390f.). Zugleich müssen die unterschiedlichen Ziele und Strategien des Königs, sich von seiner Frau zu trennen, stets auch unter dem Aspekt des Wandels der politischen Gegebenheiten betrachtet werden. Mit der Fluktuation der jeweiligen politischen Lage Lothars II. änderten sich auch die Vorwürfe gegen Theutberga von Unzuchtsanschuldigungen hin zu Kinderlosigkeit bzw. Unfruchtbarkeit (S. 240f.).

Neben den beiden in den Quellen sehr gut dokumentierten Fällen rund um Kaiserin Judith und Königin Theutberga gelingt es Dohmen anhand der Vorwürfe gegen Richgard und Uta zu zeigen, inwiefern es möglich ist, die politischen Implikationen von spärlich dokumentierten Gegebenheiten – hier natürlich Unzuchtsvorwürfe – gewinnbringend zu analysieren. Interessant ist dabei besonders der Aspekt, dass es Uta wohl gelang, sich nicht nur von den Anschuldigungen zu reinigen, sondern diese auch grundsätzlich verstummen zu lassen (S. 466–469), was somit auf die strukturellen Unterschiede dieses Konflikts im Vergleich mit Kaiserin Judith verweist, der es zwar ebenfalls gelang, sich mittels eines Eides reinzuwaschen, die damit den Konflikt jedoch nicht dauerhaft einzudämmen vermochte.

Bereits diese kurzen Verweise auf einige der konkret untersuchten Fälle zeigen ein maßgebliches Ergebnis der Studie Dohmens auf: Die Unzuchtsvorwürfe gegen die karolingischen Herrscherinnen sind mitnichten in ein festes Schema zu gliedern. So zeigt sich, dass Judith, Richgard und insbesondere auch Emma, die Tochter Adelheids von Burgund, zwar einflussreiche Persönlichkeiten „in den Reichen ihrer jeweiligen Männer“ (S. 362) waren, doch lässt sich anhand dessen nicht zwangsläufig das Aufkommen von Unzuchtsvorwürfen gegen ihre Person begründen, da auch andere karolingische Königinnen vergleichbaren politischen Einfluss gewinnen konnten (zum Beispiel die vierte Ehefrau Karls des Großen, Fastrada, oder die erste Ehefrau Karls des Kahlen, Ermentrud), ohne dass sie sich entsprechenden Vorwürfen ausgesetzt sahen. Mit Uta wird demgegenüber eine Königin beschuldigt, die im Vergleich zu den Vorgenannten in den Quellen eher unscheinbar wirkt. Einfluss der Herrscherin und Aufkommen der Vorwürfe korrelieren also nur sehr bedingt miteinander.

Dohmen identifiziert abschließend (mit gebührender Vorsicht) die Figur eines übermächtigen Ratgebers der Königin als ein potentielles (jedoch nicht zwangsläufig notwendiges) Motiv für den Ehebruchsvorwurf (S. 498), wobei die Autorin zugleich in einem interessanten Ausblick darlegt, inwiefern große persönliche Nähe einer Königin zu einer männlichen Person, die nicht ihr Ehemann war, bis ins 11. Jahrhundert oftmals mehr oder minder grundsätzlich sexuell konnotiert wurde. Während der Karolingerzeit ging diese Situation oftmals einher mit einer Gruppe von Personen, die die Anklage führte, welche den Verlust ihrer eigenen Positionen fürchtete, sich durch die Diffamierung politische und ökonomische Vorteile erhoffte und einen Anteil an der Herrschaft forderte (S. 491). Zugleich äußerte sich der Unzuchtsvorwurf oftmals in einem Augenblick der politischen Schwäche der Königin (oder des Königs) (S. 443f.), wenngleich die Anschuldigungen stets „als Symptome tiefliegender Konflikte zu verstehen sind, die sämtlich mit dem Problem der Herrschaftsnachfolge verbunden waren“ (S. 476). Der Wandel der jeweils akuten Gegebenheiten ist dabei ebenso von immanenter Bedeutung, da die jeweiligen politischen Entwicklungen einen stark heterogenen Charakter haben.

Die Arbeit besticht durch eine fundierte Kenntnis der Quellen und der Literatur, was eindrucksvoll durch die 85-seitige (!) Bibliographie illustriert wird. In der Summe ist es Dohmen gelungen, die vielfältigen politischen und personellen Strukturen, die zu einem spezifischen Zeitpunkt zu den jeweiligen Unzuchtsvorwürfen gegenüber einer Herrscherin geführt haben, zu ergründen, so dass die jeweiligen Rivalitäten an den Höfen der behandelten und des Ehebruchs bezichtigten Königinnen entschleiert und die individuellen wert- und zweckrationalen Handlungsmotive offenbart werden. Auf diese Weise kann Dohmen darüber hinaus aufzeigen, welche Gemeinsamkeiten und vor allem Unterschiede in den akuten Konstellationen zu den Vorwürfen gegenüber der Herrscherin geführt haben. Dohmen schließt ihre beeindruckende und hervorragend formulierte Studie mit einem gewinnenden Ausblick, der zu illustrieren vermag, welche Möglichkeiten und Problematiken das Themenfeld zukünftig noch bereithält.

Anmerkungen:
1 Für das Frühmittelalter bis zum Ausklang der Karolinger vgl. Martina Hartmann, Die Königin im Frühen Mittelalter, Stuttgart 2009.
2 Für das 10. Jahrhundert bis ins hohe Mittelalter vgl. Amalie Fößel, Die Königin im mittelalterlichen Reich. Herrschaftsausübung, Herrschaftsrechte, Handlungsspielräume, Stuttgart 2000.
3 Grundlegend Genéviève Bührer-Thierry, La reine adultère, in: Cahiers de civilisation médiévale 35 (1992), S. 299–312; Matthias Becher, Luxuria, libido und adulterium. Kritik am Herrscher und seiner Gemahlin im Spiegel der zeitgenössischen Historiographie, in: Gerd Althoff (Hrsg.), Heinrich IV., Ostfildern 2009, S. 41–71.
4 Bernd Schneidmüller, Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Paul-Joachim Heinig / Sigrid Jahns / Hans-Joachim Schmidt / Rainer Christoph Schwinges / Sabine Wefers (Hrsg.), Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 53–87.
5 Insbesondere hervorzuheben ist der Sammelband von Matthias Becher / Alheydis Plassmann (Hrsg.), Streit am Hof im frühen Mittelalter, Göttingen 2011.

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