Titel
Hitlers Steuerstaat. Die Steuerpolitik im Dritten Reich


Autor(en)
Banken, Ralf
Reihe
Das Reichsfinanzministerium im Nationalsozialismus 2
Erschienen
Anzahl Seiten
668 S.
Preis
€ 49,95
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Marc Buggeln, Institut für Geschichtswissenschaften, Humboldt-Universität zu Berlin

Im Jahr 2005 war „Hitlers Volksstaat“ das geschichtswissenschaftliche Diskursereignis schlechthin. Neben dem Lob für einige wichtige Einsichten bezüglich der wirtschaftlichen Seite der NS-Okkupationspolitik hagelte es aber auch Kritik, insbesondere an Götz Alys Kennzeichnung der nationalsozialistischen Herrschaft als „Gefälligkeitsdiktatur“. Viele von Alys steilen Thesen hierzu sind seither widerlegt worden. Relativ wenig Widerspruch ernteten allerdings die Thesen zur Steuerpolitik. Aly sprach von der „Steuermilde gegen die Massen“ und einer „Steuerhärte gegen die Bourgeoisie“.1 Die Debatte um diese Thesen unterblieb vor allem aus mangelnder Sachkenntnis. Die Steuerpolitik war bis jetzt eines der größten Desiderate in der Erforschung der nationalsozialistischen Herrschaft.

Die Studie von Ralf Banken hat dies nun grundlegend geändert. Sie ist aus dem Forschungsprojekt „Geschichte des Reichsfinanzministeriums in der Zeit des Nationalsozialismus“ hervorgegangen. Nach der bereits 2013 publizierten Arbeit von Christiane Kuller ist aus dem Projekt nun fast gleichzeitig mit dem Buch von Banken auch das von Jürgen Kilian über die Rolle des Reichsfinanzministeriums bei der Ausplünderung der besetzten Gebiete hervorgegangen.2 Alle drei bisher vorliegenden Bände sind exzellent und sprechen für das von der Kommission gewählte Modell, Monographien von Post-Docs und Doktorand/innen zu finanzieren.

Ralf Banken hat auf über 600 Seiten einen ebenso umfassenden wie stupenden Überblick über die Steuerpolitik in der Zeit nationalsozialistischer Herrschaft vorgelegt. Die Studie ist in sechs Kapitel aufgeteilt. Nach der Einleitung und einem kurzen quantitativen Überblickskapitel folgen ein Abschnitt zu Entscheidungsprozessen und Akteuren (Kapitel 3) sowie ein weiterer zu den bedeutendsten Steuerreformen (Kapitel 4). Zwischen diesen beiden kommt es zu einigen Doppelungen und es bleibt etwas unklar, warum Akteure und Reformen nicht gemeinsam in einem Kapitel behandelt worden sind. Zur Auseinandersetzung mit Alys Thesen kommt es vor allem in Kapitel 5, in dem die ökonomischen Wirkungen der Steuerpolitik analysiert werden. Das abschließende Kapitel ist Steuern als Diskriminierungsinstrument gewidmet.

Der hervorragende quantitative Überblick macht einige zentrale Entwicklungen sehr sichtbar, etwa die zunehmende Konzentration der Einnahmen auf das Reich. Während Länder und Gemeinden 1933 noch über 50 Prozent der Einnahmen auf sich vereinigen konnten, waren es bei Kriegsende weniger als 20 Prozent. Deutlich wird auch, dass der NS-Staat die Steuerschraube in bis dato ungekannter Weise anzog. Die Steuerquote lag 1942/43 bei 34,2 Prozent, einem Wert, der seither nicht annähernd wieder erreicht wurde und von dem die als Hochsteuerland geltende Bundesrepublik relativ konstant um zehn Prozentpunkte entfernt liegt. Die Schulden erklommen bereits 1939/40 mit 200 Prozent des Volkseinkommens eine Höhe, die heute mit hoher Wahrscheinlichkeit zur dramatischen Herabstufung der Staatspapiere führen würde und auch schon 1938 die Folge hatte, dass einer Kriegsanleihe nur ein sehr bedingter Erfolg vergönnt war, weswegen das Regime fortan auf die Begebung von Anleihen verzichtete.

Im dritten Kapitel zeigt Banken, dass die vom Reichsfinanzminister Lutz Graf Schwerin von Krosigk nach dem Krieg aufgestellte und in der Forschung bisher häufig übernommene Behauptung, der nationalsozialistische Staatssekretär Fritz Reinhardt habe beständig versucht, die Politik des Ministeriums zu radikalisieren, während er selbst das konservative, mäßigende Element war, so nicht haltbar ist. Stattdessen arbeiteten beide eng und vertrauensvoll zusammen und waren sich in den wesentlichen Linien einig. Die Position des Ministeriums war etatistisch geprägt. Man versuchte, so gut es ging, das Haushaltsdefizit so gering wie möglich zu halten. Dabei konnte man in den frühen Jahren der NS-Herrschaft zumindest Teilerfolge erringen, auch weil das Finanzministerium vom Reichsbankpräsidenten Hjalmar Schacht unterstützt wurde. Doch schon in den letzten Friedensjahren und dann insbesondere im Krieg gelang es kaum noch, dem Standpunkt des Ministeriums Gehör zu verschaffen. Dies lag auch daran, dass unterschiedlich gelagerte Interessen die vom Ministerium geplanten Steuererhöhungen weitgehend verhinderten. Während Hermann Göring sowie der Reichswirtschaftsminister und ab 1939 zugleich Reichsbankpräsident Walther Funk gegen jede weitere Belastung von Unternehmen und Besserverdienenden opponierten, sprachen sich das Arbeitsministerium, die Deutsche Arbeitsfront und häufig auch Adolf Hitler und Joseph Goebbels gegen das weitere Anziehen der Steuerschraube bei der Arbeiterschaft aus.

In Kapitel 4 werden die in der NS-Zeit angegangenen Steuerreformen analysiert. Banken zeigt, dass 1933 zwar einige Steuern gesenkt wurden um die Konjunktur anzukurbeln, die erlassenen Beträge aber gering waren, so dass die Arbeitslosigkeit vor allem durch Staatsausgaben bekämpft wurde. Zu einer von der Unternehmerschaft geforderten generellen Steuersenkung war Hitler nicht bereit, weil dies die Aufrüstung erschwert hätte. Von 1934 bis 1936 setzte das Reichsfinanzministerium im Wesentlichen bereits in der Weimarer Republik geplante Reformen um, die das Steuersystem effektiver machten. Im Zuge der beschleunigten Aufrüstung ab 1936 folgte dann bis in die ersten Kriegsmonate hinein eine Phase deutlicher Steuererhöhungen. Dadurch und aufgrund der Rüstungskonjunktur ohnehin steigenden Einnahmen erreichte die Steuerquote eine bis dato unbekannte Höhe. Da die Steuerschraube bereits so stark angezogen war, blieben die Steuererhöhungen im Krieg eher moderat. Zusätzliche Belastungen bürdete man vor allem den Kapitalgesellschaften auf, die aber vom Rüstungsboom auch am stärksten profitierten. Das Reichsfinanzministerium konzentrierte sich nun stärker auf Fragen der Steuer- und Verwaltungsvereinfachung. Der seit 1934 lange Zeit konstante Anstieg der Steuereinnahmen war zudem dadurch mitbedingt, dass die Verfolgung von Steuerhinterziehung und Steuerbetrug erheblich verschärft wurde. Insbesondere der Ausbau und die Professionalisierung der Steuerbetriebsprüfungen fallen in die Zeit des Nationalsozialismus. Aber auch gegen einfache Bürger ging man schärfer vor und schränkte gleichzeitig die Möglichkeiten zur Beschreitung des Rechtsweges gegen Steuerbescheide erheblich ein.

In Kapitel 5 zeigt Banken mithilfe des Vergleichs mit anderen Ländern, dass sich das nationalsozialistische Deutschland weder durch eine Steuermilde gegen die Masse noch durch eine besondere Steuerhärte gegen die Bourgeoisie kennzeichnen lässt – eher im Gegenteil. Gerade die Belastung der untersten Einkommensgruppen war in Deutschland stärker als in Großbritannien und den USA, weil dort bei der Lohnsteuer sehr viel höhere Freigrenzen existierten. Auf der anderen Seite der Einkommensskala lag der Spitzensteuersatz bei der Einkommensteuer in Deutschland bei 65 Prozent, während er in den USA 77 und in Großbritannien gar 97 Prozent erreichte. Auch deswegen nahm die soziale Ungleichheit von 1933 an relativ konstant zu. Steuerlich entlastet, oder zumindest im Gegensatz zu fast allen anderen Gesellschaftsgruppen nicht weiter belastet, wurden vor allem die Landwirtschaft und Familien mit vielen Kindern.

In Kapitel 6 werden Steuern als Diskriminierungselement untersucht. Während alle vorherigen Kapitel den bisherigen Forschungsstand erheblich verbessert haben, beruht dieses Kapitel weitgehend auf der Wiedergabe der Forschungsliteratur, die nur partiell mit eigenen Forschungsergebnissen angereichert wird. Im Mittelpunkt steht die steuerliche Benachteiligung der jüdischen Bevölkerung im Deutschen Reich. In den frühen Jahren der NS-Herrschaft diente hierzu vor allem die Reichsfluchtsteuer. Diese war noch in der Zeit der Weimarer Republik erlassen worden. Sie hatte zum Ziel, die Steuerflucht ins Ausland zu erschweren und deswegen 25 Prozent des Vermögens einer auswandernden Person für den deutschen Fiskus zu vereinnahmen. Ab 1933 nutzte man die Steuer dann vor allem, um der auswanderungswilligen jüdischen Bevölkerung einen Teil ihres Vermögens zu nehmen. Vorwürfe aus der NSDAP oder von staatlichen Stellen, dass dadurch die politisch erwünschte Auswanderung eher erschwert werde, vermochten das Ministerium dabei nicht anzufechten. Zu einer explizit die jüdische Bevölkerung diskriminierenden Steuergesetzgebung ging das Ministerium erst 1937 über, als es den Kinderfreibetrag für als „jüdisch“ deklarierte Familien strich. Den zweiten Schwerpunkt bei der Analyse steuerlicher Diskriminierung bildet der Umgang mit den christlichen Kirchen. Hierbei stellt Banken allerdings fest, dass das Ministerium keine treibende Kraft war, sondern vor allem die NSDAP-Parteizentrale und der SD die kirchenfeindliche Politik betrieben.

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass Ralf Banken eine rundum gelungene Studie zur nationalsozialistischen Steuerpolitik vorgelegt hat. Sie ist in klarer Sprache verfasst, mit umfassendem Zahlenmaterial belegt und kommt fast durchweg zu überzeugenden Ergebnissen. Zu benennende Mängel sind eher Ergänzungswünsche, die aber eine noch längere Studie erfordert hätten und deswegen vermutlich wohlwissend unterblieben sind. Zu nennen wäre hier der ausgebliebene Vergleich mit der Kriegsfinanzierung im Ersten Weltkrieg sowie der auf die Nennung einiger Zahlen beschränkte Vergleich mit der Steuerpolitik anderer Länder. Zudem taucht der wissenschaftliche Diskurs über Steuerpolitik und Kriegsfinanzierung nur an ein oder zwei Stellen im Buch auf. Aber vielleicht werden diese Lücken ja durch die noch ausstehenden Monographien des Projektes geschlossen.

Anmerkungen:
1 So die Titel der beiden entsprechenden Kapitel: Götz Aly, Hitlers Volksstaat. Raub, Rassenkrieg und nationaler Sozialismus, Frankfurt am Main 2005, S. 66 und 77.
2 Christiane Kuller, Bürokratie und Verbrechen. Antisemitische Finanzpolitik und Verwaltungspraxis im nationalsozialistischen Deutschland, Berlin 2013; Jürgen Kilian, Krieg auf Kosten anderer. Das Reichsministerium der Finanzen und die wirtschaftliche Mobilisierung Europas für Hitlers Krieg, Berlin 2017.

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