J.-P. Boudet u.a. (Hrsg.): De Frédéric II à Rodolphe II

Cover
Titel
De Frédéric II à Rodolphe II.. Astrologie, divination et magie dans les cours (XIIIe-XVIIe siècle)


Herausgeber
Boudet, Jean-Patrice; Ostorero, Martine, Paravicini Bagliani, Agostino
Reihe
Micrologus Library 85
Erschienen
Anzahl Seiten
XXII, 432 S.
Preis
€ 68,00
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Klaus Oschema, Historisches Institut, Ruhr-Universität Bonn

Kryptisch kommt der Titel dieses Bandes daher, der das Thema im Untertitel versteckt – und damit mag der Gegenstand Programm geworden sein, gehen die Beiträge doch aus einer Tagung hervor, die im Oktober 2014 an der Université de Lausanne den ‚dunklen‘ Bereichen astrologischer und magischer Wissensbestände und Praktiken an den europäischen Höfen des 13.–17. Jahrhunderts nachspürte. Der Zeitrahmen wurde weit gewählt, so die Herausgeber in ihrer Einführung (S. vii–xxi, hier vii), weil sich die teils widersprüchlichen und eng ineinander verwobenen Prozesse des Aufstiegs und der Repression von Astrologie und Magie an den Höfen des späten Mittelalters und der Frühen Neuzeit nur im breiten chronologischen Zugriff angemessen beschreiben lassen. Der Band fokussiert allerdings klar auf die Zeit vor 1500, da nur zwei der dreizehn Beiträge die folgende Phase in den Blick nehmen (wobei Rudolf II. bestenfalls eine Nebenrolle spielt).

Am wissenschaftlichen Gehalt und Ertrag, soviel sei vorweggenommen, kann kein Zweifel bestehen: Das einschlägig ausgewiesene Herausgeber-Team versammelte eine Reihe bestens qualifizierter Autorinnen und Autoren, die mit jeweils fokussiert und meist dicht verfassten Texten ein vielgestaltiges Panorama der Präsenz von Astrologie und Magie an exemplarisch ausgewählten Höfen entwickeln. Der geographische Rahmen reicht von Kastilien und Aragón über den französischen Königshof, jenen der burgundischen Herzöge sowie italienische Beispiele (Friedrich II., Urbino) bis nach Ostmitteleuropa (Ungarn). Zeitlich dominieren das späte 14. und das 15. Jahrhundert, in denen Astrologie und Magie eine klare Hochphase durchliefen und auch in den östlichen Gebieten Europas stärkere Präsenz gewannen: Letzteres verdeutlichen vor allem B. Láng, der die Frage nach der Toleranz der ostmitteleuropäischen Höfe gegenüber Astrologie und Magie aufwirft (S. 255–269), und E. Békés anhand der Karriere Galeotto Marzios, die ihn ebenso an den Hof des Matthias Corvinus führte wie an jenen Lorenzo de‘ Medicis (S. 295–312).

Innerhalb der skizzierten Weite markieren die Kernbegriffe Astrologie und Magie zwei Schwerpunktsetzungen. Dass dabei zwangsläufig Mischformen auftreten, verdeutlicht unter anderem Ch. Burnett in seiner vorrangig philologisch ausgerichteten Studie zur lateinischen Übersetzung des Ghāyat al-Ḥakīm, die unter dem Namen Picatrix Berühmtheit erlangte (S. 37–52). Burnett führt an ausgewählten Passagen die Verschiebungen vor, die sich in diesem astral-magischen Werk in der doppelten Übertragung vom Arabischen erst ins Kastilische (verloren, aber zweifellos am Hof Alfons’ X. von Kastilien entstanden), dann in das Lateinische einstellten. Konzeptionelle Missverständnisse (wie die Verwechslung von Quecksilber und Bronze, S. 41) sind dabei ebenso zu beobachten wie vermutlich bewusste Auswahlprozesse – zumindest dürfte damit zu erklären sein, dass Aussprüche des Propheten zwar übersetzt, ihre Herkunft aber verschleiert wurde (S. 42). Quasi nebenbei führt Burnett zugleich vor, wie eng astrologisches Wissen und magische Praktiken miteinander verhängt waren – und welch großes Interesse christliche Herrscher an entsprechenden Wissensbeständen haben konnten.

Das Interesse an Astrologie, das sich ab dem 13. Jahrhundert insbesondere im Westen Europas weithin feststellen lässt, war eben nicht einfach nur auf Wissen ausgerichtet, sondern inhärent bereits handlungs- und damit herrschaftsorientiert. Diese Doppelnatur wird wiederholt deutlich – ganz gleich, ob man mit S. Rapisarda das Wirken und die Ausgestaltung des legendarischen Nachlebens von Michael Scotus in den Blick nimmt (S. 3–36; mit Akzent auf der vernakularsprachlichen Dichtung), mit D. Rutkin die astrologische Politikberatung Roger Bacons verfolgt (S. 53–69), oder mit S. Giralt den Quellen der astrologischen Werke nachspürt, die Bartomeu de Tresbens am aragonesischen Hof Peters des Zeremoniösen verfasste (S. 71–96). An Kritik, insbesondere klerikaler Autoren, fehlte es natürlich nicht: Neben die bekannten Beispiele Nicole Oresmes und Heinrichs von Langenstein stellt J. Véronèse in seinem Beitrag den in Aragón wirkenden Dominikaner Nicolas Eymerich (S. 97–155; mit Edition eines Auszugs aus dessen Contra astrologos von 1395–1396, S. 121–155), der sich zwar als entschlossener Gegner, weniger aber als Kenner bestimmter astrologischer Praktiken erweist.

Ohnehin durchläuft die Astrologie einen wahren Siegeszug und avanciert im 15. Jahrhundert in Italien wie andernorts zu einer Kernwissenschaft der Herrschaftsausübung. Diese Entwicklung führten jüngst mehrere Studien so nachdrücklich vor, dass an der Bedeutung der Astrologie für diese Phase kein Zweifel bestehen kann – ganz gleich, ob man nach Mailand blickt oder an den Hof Maximilians I.1 Aber auch zum Italien des Quattro- und Cinquecento sind noch wertvolle neue Einsichten möglich, die zugleich das europaweite Aktionsfeld der astrologischen Experten verdeutlichen. Eindrucksvoll belegt dies S. Heilen in seiner vorzüglichen Untersuchung zur Astrologie am Hof von Urbino zur Zeit Federicos und Guidobaldos von Montefeltro (S. 313–367): mit dem vorrangigen Fokus auf Jacob von Speyer und Paul von Middelburg wird nicht nur der Stellenwert der Astrologie deutlich, sondern auch die prekäre Spannung zwischen einem Lehrer-Schüler-Verhältnis und offener Konkurrenz.

A. Guardo demonstriert anschließend anhand des Orakelbuchs Los oráculos de Urganda die Präsenz weiterer divinatorischer Praktiken an frühneuzeitlichen Höfen – hier in der räumlichen Spannung zwischen Madrid und Turin – und charakterisiert diese zugleich als eine Art höfischer Unterhaltung (S. 371–390). Sein Interesse gilt vor allem dem Nachweis, dass die in einer vatikanischen Handschrift überlieferte sogenannte version de las dámas des Textes wohl im Jahr 1585 im Zusammenhang mit dem Eheschluss der Infantin Katharina Michaela und Karl Emmanuel I. von Savoyen entstand. Die Fortdauer des Interesses an astrologischer Beratung unterstreicht schließlich K. Bauer, die herausarbeitet, dass Johannes Kepler durchaus aus eigener Initiative an Wallenstein herangetreten ist (und dabei vor allem politischen Ratschlag zu geben hoffte) – der seinerseits ein großes Interesse an einschlägigen Auskünften besaß (S. 391–412).

Dieses Panorama sollte nun nicht den Eindruck erwecken, dass die Astrologie den Schwerpunkt des Bandes bildete. Tatsächlich stehen schon in den vorgestellten Beiträgen Fragen zu astral-magischen Praktiken – und damit jenseits der rein divinatorischen Funktion der Astrologie – mehrfach im Zentrum: dies gilt für den Picatrix ebenso wie für Michael Scotus und dessen „schwarze Legende“ (Rapisarda, u.a. S. 27f.) oder auch Roger Bacon und die astronomia operativa (Rutkin, S. 62).

Die Akzentsetzung auf die Magie verdeutlicht aber insbesondere die ausführliche Studie von J.-P. Boudet und J. Chiffoleau, die der auffälligen Häufung dokumentierter „Magieprozesse“ im Umfeld des Französischen Hofs um 1400 nachspüren (S. 157–239). Die komplexe und detaillierte Untersuchung stellt die enge Verbindung zwischen der Inanspruchnahme (und zugleich Einhegung) magischer Praktiken und der Konstruktion der königlichen Majestät heraus: Angesichts der tiefgreifenden politischen Verunsicherung, die aus der langjährigen Regierungsunfähigkeit Karls VI. resultierte, sei die Häufung der Magie- und Giftmord-Anklagen – die wohl eine reale Konjunktur der einschlägigen Praktiken widerspiegeln – kein Zufall, sondern belege die Versuche unterschiedlicher Protagonisten, mit quasi extremen Mitteln die herrscherliche Majestät zu stützen, oder (im Falle des unautorisierten Gebrauchs), zu unterminieren. Somit konnte der Einsatz von Magie zu einer Art „Staatshäresie“ werden, die mit aller Konsequenz zu verfolgen war: „… man kann daher auch sagen, dass der Staat sich nicht gegen die Magie und die Magier konstruierte, sondern, auf gewisse Weise, mit ihnen, vor allem in den Jahren 1390–1410“ (S. 221). Zwei Annexe bieten eine Auflistung der Magie- und Giftprozesse zur Zeit Karls VI. (unter anderem gegen Jean de Bar) mit zentralen Quellenpassagen (S. 221–231), sowie die Edition eines auf die „Grade der Majestät“ abzielenden Auszugs aus der berühmten Justification, mit der Jean Petit 1408 die im Auftrag Johanns Ohnefurcht von Burgund durchgeführte Ermordung Ludwigs von Orléans (1407) rechtfertigte (S. 231–238).

A. Berlin rundet den „französischen“ Fokus mit einer knappen Darstellung des Prozesses gegen Jean de Bourgogne ab, den Grafen von Nevers: Ihm wurde 1463 vorgeworfen, er habe mit magischen Mitteln Karl dem Kühnen von Burgund zu schaden versucht und zugleich die Zuneigung Herzog Philipps des Guten und Ludwigs XI. erstrebt (S. 241–253; ausführlicher die unterdessen publizierte Dissertation der Autorin). Schließlich fragt D. Jaquet noch anhand einer Hans Talhoffer zugeschriebenen Sammelhandschrift nach dem Stellenwert magischer Künste im Rahmen der Kampflehren des späten Mittelalters (S. 271–293).

Die versammelten Beiträge eröffnen ein vielfältiges und weites Panorama, aus dem einzelne Studien, insbesondere Heilen und Boudet/Chiffoleau, als besonders ertragreich herausragen. Die in der Einleitung erwähnte (S. ix–x) und bei Boudet/Chiffoleau ausgearbeitete (S. 158–159, 198) Ansicht, dass die Magie und die damit verbundenen Wissenschaften in dieser Epoche ein Kernphänomen der Herrschaftspraxis darstellten und keineswegs nebensächlich waren, dürfte in der Sache sicher zutreffen. Allerdings besteht wohl weiterhin Bedarf, die konkreten Mechanismen ihrer Wirksamkeit näher zu untersuchen.

Abgeschlossen wird der Band, der auch mehrere Abbildungen (meist s/w) enthält, von einem ausführlichen Personen-, Sach- und Orts-Index sowie einem Index der erwähnten Handschriften. Während dies die Benutzung merklich erleichtert, stellt das Buch zugleich gewisse Ansprüche an den Leser, da es englische, französische, italienische, spanische und deutsche Beiträge vereint. Dabei wird deutlich, dass das Englische als Wissenschaftssprache nicht ohne Tücken ist, da unter anderem die von nicht-Muttersprachlern verfassten englischen Texte eine deutlich sorgfältigere Bearbeitung verdient hätten. Aber diese Beobachtung sollte den positiven Gesamteindruck nicht nachhaltig trüben.

Anmerkung:
1 Aus der unterdessen reichhaltigen Literatur seien hier lediglich zwei hervorragende Studien erwähnt: Monica Azzolini, The Duke and the Stars. Astrology and politics in Renaissance Milan, Boston 2012; und Darin Hayton, The Crown and the Cosmos. Astrology and the Politics of Maximilian I, Pittsburgh PA 2015. Einen guten Einblick in die Breite der Bedeutung astrologischen Wissens bieten die Beiträge in Brendan Dooley (Hrsg.), Astrology and Science, A Companion to Astrology in the Renaissance, Leiden u.a. 2014.