S. Friese-Oertmann: Arbeiter in Malerei und Fotografie des 19. Jh.

Cover
Titel
Arbeiter in Malerei und Fotografie des 19. Jahrhunderts. Deutschland, Großbritannien, USA


Autor(en)
Friese-Oertmann, Sabine
Erschienen
Anzahl Seiten
419 S.
Preis
59,00 €
Rezensiert für H-Soz-Kult von
Thomas Welskopp, Fakultät für Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie Arbeitsbereich Geschichte moderner Gesellschaften, Universität Bielefeld

Der Titel des hier zu besprechenden Buches klingt für alle, die mit der Geschichte der Arbeit und der Arbeiter im 19. und 20. Jahrhundert beschäftigt sind und auf neue Zugangswege und methodische Annäherungen an einen in vielfältiger Weise sich so spröde gebenden Gegenstand sinnen, auf den ersten Blick unmittelbar höchst attraktiv. Wie kann man den pictorial turn in der Geschichtswissenschaft für innovative Perspektiven auf das nutzbar machen, was Zeitgenossen höchst unterschiedlicher Herkunft und Erkenntnisinteressen mit der Industrialisierung als eine offenbar grundstürzend neue Wirklichkeit wahrgenommen haben? Und das, ohne sich in einem völlig abgetrennten modischen Diskurs, der sein Sujet eben als turn verabsolutiert, wiederum abzuschirmen und damit jede Chance für eine größere Anschlussfähigkeit zu den an die Arbeit mit Dokumenten gewohnten gewöhnlichen Historikern zu verspielen.

Bei der Arbeit handelt es sich um eine im Umfeld der Kunstgeschichte und Kunstsoziologie angesiedelte Dissertation, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Universität Kassel entstand und 2015 abgeschlossen wurde.

Ein wenig irritierend wirkt die vignettenhaft kurze Einleitung, in der im Grunde hauptsächlich die zeitliche Beschränkung auf die Entstehungsphase der Malerei über die Arbeit und der Arbeiter seit dem frühen 19. Jahrhundert bis 1914 und die – an sich zweifellos zu begrüßende – vergleichende Ausrichtung der Arbeit eingeführt und begründet werden. Eine wirkliche Fragestellung bzw. eine Kalibrierung der Forschungs- und Darstellungsstrategien, die innerhalb des Projekts verfolgt werden sollen, wird, jedenfalls für viele Historiker, kaum erkennbar, und die einschlägigen Überlegungen verlieren sich leider auf wenigen Seiten.

Es folgt der seitenstarke empirische Teil, in sieben Großkapitel gegliedert, der sich dann – trotz der mehr als 150 genauer benannten und beschriebenen – Gemälde und Fotografien nicht zu einer wirklich vergleichenden Genre- und transnationalen Analyse entschließen kann. Der Großteil des Buches, das lässt bereits die ungünstige kleinteilige Gliederung erkennen, die die Texte auf jeweils wenige Seiten zusammenpresst, zumal man es ja mit einer Unmenge an (zum Teil redundanten) Beschreibungs- und Interpretationsschleifen zu tun bekommt, erschöpft sich leider doch in Schilderungen von milieuartigen Kunstszenen und dann den Werken einzelner Künstler bzw. ausführlicher Inhaltsangaben historisch wichtiger Kunstwerke. Als Beispiel sei Adolph Menzel genannt, dessen Eisenwalzwerk ausführlich beschrieben, aber als Ausdruck des Wunsches nach einer möglichst authentischen Darstellung moderner Industriearbeit avisiert wird, wobei die sehr kontroverse Forschung zu diesem Bild zwar im Literaturverzeichnis des Buches präsent ist, in die spärliche Interpretation auch der Eigenaussagen Menzels jedoch überhaupt nicht einfließt.

Die grundlegende Schwäche des Buches ergibt sich aus dem völligen Fehlen eines komparativen Referenzrahmens – sei es auf der Werkebene oder sei es auf der Ebene der Wiedergabe bzw. Analyse historischer Arbeits- oder Arbeiterkontexte in anderen Medien. Trotz der international vergleichenden und – wenn auch nicht völlig überzeugenden – chronologisch bis 1914 beschränkten zeitlichen Erstreckung der Arbeit erschließt sich weder eine konzeptuelle Aussage zur zeitlichen Entwicklung der Malerei zu den Themen Arbeit und Arbeiter noch ein griffiger Versuch, den transnationalen Blick für mehr als äußerst dürftige plakative Aussagen zu nutzen, die dann – ebenso wie die thesenartigen Formulierungen zur zeitlichen Entwicklung – letztlich in einer Nummernrevue einzelner Vertreter von Malerei und Fotografie und in der mehr oder weniger genauen Beschreibung exemplarischer Werke, die natürlich auch sämtlich abgebildet werden, münden. Die Kleinteiligkeit der Gliederung des Buches spricht hier Bände.

Um das Beispiel Adolph Menzels noch einmal zu bemühen: Aus dem Fundus der Verfasserin werden zahlreiche bildliche Beispiele aus der Hüttenindustrie aller adressierten Länderbeispiele und zeitliche Bezüge herangezogen und jeweils einzeln besprochen, aber die sich doch aufdrängenden komparativen Verbindungen nicht gezogen – alles wird einfach additiv nebeneinandergestellt. Um nur ein einziges Beispiel herauszugreifen, dessen Aussage ja auch in einigen Gemälden anderer Urheber z.B. aus den USA dementiert wird: Adolph Menzels Darstellung einer Gruppe von männlichen und weiblichen Arbeitern bei der Essenspause direkt neben dem Walzgerüst, das das Zentrum des Bildes bildet, läuft auf die Fiktion der Idee hinaus, das Leben auf der Hütte als ein Ganzheitliches zu fassen. In welchem Hüttenwerk überall auf der Welt hätten die Arbeitskräfte jener Zeit jedoch ihr Mittagbrot in unmittelbarer Nähe eines Walzgerüstes mit einer Strahlungswärme von mehr als einhundert Grad Celsius eingenommen, in einer Umgebung zumal, in der die Verwendung von Wasser lebensgefährlich war, weil das Auftreffen von rotflüssigen Eisen- und Zunderteilchen auf Wasser diese in tödliche Projektile verwandelte? Die Verfasserin stellt nicht wenige Bildbeispiele vor, die die Arbeitspause nachdrücklich als außerbetriebliche Situation charakterisieren. Verbindungen zu Menzel zieht sie allerdings nicht.

Aus einer geschichtswissenschaftlichen Sicht kann man der Verfasserin vorwerfen, dass sie sich für das, was man häufig so leichtfertig für den realhistorischen Kontext hält, nur in Spurenelementen interessiert. Und daher hat sie auch keine Kenntnis der vergangenen Arbeitswelten mit Ausnahme der Zeugnisse, die die Künstler ihr in der Motivation ihrer Werke liefern. Der Begriff der Arbeit bleibt im Rahmen dieses Buches ohnehin breiig weit und umfasst eigentlich das gesamte Spektrum menschlicher produktiver Tätigkeit, in welchen Arbeitsverhältnissen auch immer. Das blockiert natürlich einen genaueren Blick darauf, was denn die Arbeit in ihrem generalisierten Sinne in der Moderne und unter kapitalistischen Bedingungen von anderen, früheren oder auch weiter existierenden Formen produktiver Verausgabung von Menschen unterscheidet. Es gibt viele Anhalte, als steckten Antworten darauf oder zumindest Stellungnahmen dazu im Material, das Sabine Friese-Oertmann uns präsentiert. Aber da haben zahlreiche andere Veröffentlichungen zur Industriemalerei und Industriefotografie in den letzten Jahren instruktivere Interpretationsvorschläge geliefert.

Die Kapitel zur entstehenden Industriefotografie vor dem Ersten Weltkrieg lassen den Rezensenten gänzlich ratlos zurück. Das hätte ja eine interessante kontrastive Analyse werden können, was Malerei und Fotografie unterscheidet oder auch nicht, aber hier wiederholt sich das Manko, weder bereit noch fähig zu sein, auf Genregemeinsamkeiten und -unterschiede sowie auf Milieueingebundenheiten der Produzenten eingehen und ihren jeweiligen Interessen wirklich auf die Spur kommen zu wollen.

Für die Kunstgeschichte und die Kunstsoziologie mag diese Arbeit einen wesentlichen Beitrag für die Historisierung der Disziplinen geleistet haben. Das vermag der Rezensent nicht schlüssig zu beurteilen. Die Anschlussfähigkeit an die Geschichtswissenschaft und für die Geschichte der Arbeit und der Arbeiter ist freilich nicht gegeben. Aus dieser Sicht, die natürlich eine disziplinär eingeschränkte ist, bleibt dieser Band eine große Enttäuschung.

Redaktion
Veröffentlicht am
Redaktionell betreut durch
Klassifikation
Mehr zum Buch
Inhalte und Rezensionen
Verfügbarkeit
Weitere Informationen
Sprache der Publikation
Sprache der Rezension