Cover
Titel
The Future of War. A History


Autor(en)
Freedman, Lawrence
Erschienen
London 2017: Allen Lane
Anzahl Seiten
XXI, 376 S.
Preis
€ 19,97
Rezensiert für den Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung bei H-Soz-Kult von:
Jost Dülffer, Historisches Institut, Universität zu Köln

Sir Lawrence Freedman, emeritierter Professor of War Studies am King’s College in London gilt als einer der führenden Militärtheoretiker unserer Zeit; oft war er mit offiziellen oder offiziösen Aufgaben betraut. 2013 legte er mit „Strategy. A History“ auf 752 Seiten ein magnum opus vor, das strategisches Denken im militärischen Bereich von der Bibel über Marx bis hin zu Black Power verband und bis zu allgemeinen Management-Strategien der jüngeren Zeit reicht. Mit dem hier vorzustellenden Buch zeigt sich der Historiker ein wenig lockerer im Quellencorpus und Argumentationsstil. Dass Prognosen schwierig sind, besonders wenn sie die Zukunft betreffen, ist ein Bonmot, das hierzulande dem Kabarettisten Karl Valentin zugeschrieben wird, aber im Englischen auch Mark Twain, Winston Churchill oder dem dänischen Physiker Nils Bohr zuerkannt wird. Bei Freedman heißt das „The reason that the future is difficult to predict is that it depends on choices that have yet to be made, including by our governments, in circumstances that remain uncertain. We ask questions about the future to inform choices not to succumb to fatalism“ (S. XVIII).

Das Buch ist in drei recht unterschiedliche Teile gegliedert. Die ersten gut 100 Seiten geben einen Abriss über Kriegserwartungen seit etwa 1870 bis in die Gegenwart, einleitend bis hin zur Antike reichend. Ein zweiter widmet sich u.a. einigen Kriegstheorien der letzten Jahre und schließlich gibt es daran anknüpfend einen Ausblick in die jetzige Zukunft und die Erkenntnismöglichkeiten des Historikers.

In erstaunlicher Weise beschränkt sich Freedman stark auf den amerikanischen und britischen Bereich, gelegentlich gibt es jedoch inhaltlich auch etwas zur ja nicht unerheblichen Rolle Deutschlands oder Russlands.1 Ein Blick in andere Ansätze und Kulturen kommt ihm jedoch kaum in den Sinn. Er startet mit dem berüchtigten Zukunftsroman der „Battle of Dorking“ aus dem Jahr 1871, ein Bestseller, der eine Invasion der britischen Inseln an die Wand malte, kurze Zeit nach dem deutsch-französischen Krieg. Solche Zukunftsszenarien, mustergültig 1972 von I. F. Clarke mit „Voices Propheseying War“ gesammelt, bilden einen reichen Erfahrungsschatz, den der Autor angesichts seiner souveränen Kenntnis der Materie jedoch bei weitem übersteigt. Seine Gewährsleute reichen über H. G. Wells bis hin zu John Waynes „The Greet Berets“ oder Stanley Kubricks „2001 – Odyssee im Weltraum“. Das zeigt, dass er sich in allen Medien auskennt und deren Argumente oder Inhalte oft distanziert, pointiert und lakonisch vorträgt. Gerade der Wandel der künftigen Kriegsbilder zeigt die hohe Integrationsfähigkeit des Autors. Seine wichtigste Erkenntnis: die meisten lagen falsch (S. 66, 88, 91 und öfter).

Das ist gemäß seinem, vom Militär her gedachten Ansatz verständlich, aber es fragt sich doch, ob gerade das die populären Kriegsbilder hergeben können. Es spricht einiges dafür, dass diese zunächst einmal Ausdrücke von je gegenwartsbezogenen Emotionen, Ängsten zumeist, vielleicht auch Hoffnungen waren und als solche gelesen werden sollten. Je näher Freedman an unsere Gegenwart herankommt, desto komplexer wurden die Kriegsbilder dann auch. Sie hatten oft nicht mehr unmittelbar mit künftigen Kriegen zu tun, sondern mit Entwicklungstendenzen ganzer Gesellschaften oder der Welt insgesamt. Sie bilden somit einen Teil von Utopien, über die es breite Forschungsstränge gibt. Doch das ist sein Ansatz nicht. Ein weiteres Argument kommt hinzu. Gerade die populären Romane, Flugschriften oder Filme wollten in vielen Fällen nicht einfach über mögliche kommende Kriege reflektieren, sondern – außer Geld verdienen – auch in bestimmte politische Richtungen Sensibilität wecken und damit warnen oder mobilisieren, hawks oder doves, wenn man so will. Pazifistische Theoretiker wie Jan de Bloch, Norman Angell und manche andere kommen ja vor – aber auch diese eher nicht in ihren gesellschaftlichen Wirkungsabsichten. Gewiss, auch Politiker von William Gladstone über Ronald Reagan bis zu Bill Clinton ließen sich von der Lektüre solcher Szenarios beeinflussen, aber das „cui bono“-Argument gar nicht zu äußern, verkürzt doch recht stark.

Überraschend wenig kommen die eigentlichen militärischen Professionals vor, die sich ja von Amts wegen Gedanken machen mussten, für welche Zukunft sie denn ihre militärischen Instrumente aufstellten; sehr spät werden einmal überhaupt die Grundgedanken von Field Manuals vorgestellt; erst ganz zum Schluss referiert er die ab 1997 veröffentlichten Intelligence Estimates der US-Geheimdienste; der Luftkrieg bildet reiche Anschauung für Ängste, der Seekrieg wird relativ vernachlässigt. Gerade weil im Laufe der Untersuchung nicht mehr die zukünftigen, sondern immer mehr die real geführten Kriege einbezogen werden, wundert man sich, dass etwa die mehrbändigen Untersuchungen über die Entwicklung zum „totalen Krieg“, zurückgehend auf internationale Tagungen von Roger Chickering und Stig Förster und auf Englisch veranstaltet, nur einmal mit einem Aufsatz benannt werden.

Fasst man die Erkenntnisse Freedmans in einem weiteren Punkt zusammen, dann ist es der, dass die Zukunftspläne immer wieder fälschlich auf einen schnellen Sieg hinsteuerten, der dann doch nicht oder nicht in dieser Form zustande kam. Hier schimmert ein leichter Tadel gegenüber zu selbstsicheren literarischen oder auch militärisch-professionellen Konstruktionen durch, jedoch kommen einige weitere Überlegungen hierzu zu kurz oder gar nicht vor: Es gab durchaus von Moltke d. Ä. bis Friedrich Engels Sorgen vor einem langen Krieg. Unter diesen Gesichtspunkten stellten auch Militärs in einer Kosten-Nutzen-Abwägung über die letzten Jahrhunderte gelegentlich fest, dass der nächste Krieg eigentlich nicht zu gewinnen und deswegen auch nicht zu führen sei. Aus derartigen Aporien vom jüngeren Moltke bis hin zu Atomkriegsszenarien seit den fünfziger Jahren folgten auch bei Militärs häufig berufsbestimmende Ängste, die mit „rationalem“ Handeln in Kurzzeitkriegen schein-logisch aufgelöst wurden. „Stuck in the Nuclear Age“ heißt dann auch treffend ein Kapitel.

Teil II diskutiert informiert einige neuere Entwicklungen, die nicht alle Kriegstheorien genannt werden können: die Quantifizierung von Kriegen, von Kriegstoten, die „Democratic Peace“-These, die Rolle von Failed States, das Problem, inwieweit sich Staaten in gesellschaftliche Verhältnisse in anderen Weltgegenden einmischen dürften, die Entwicklung von Counter-Insurgency zu Counter-Terrorism, auch die Barbarisierung heutiger Kriege wird angesprochen, die Suche nach kurativen statt nur präventiven Strategien, hybride Kriege (Kaldor u.a.), Cyber War, die Rolle von Robotern und Drohnen. Das steht zum Teil auch im Teil III, wo es auch um Megacities und Klimawandel geht und damit um die Welt von morgen insgesamt – natürlich immer mit dem Potenzial, dass aus daraus erwachsenden Problemlagen Kriege entstehen können. Freedman stellt alles dieses sehr fair und knapp dar, fügt fast überall, wo es um wirkliche Prognosen für militärisches Handeln geht, einige einleuchtende Prisen Skepsis über die Verabsolutierung einzelner Perspektiven, Methoden oder Forschungsansätze ein. Seine zentrale Erkenntnis ist hier die – auch nicht so ganz neue – Einsicht, dass sich zwischenstaatlicher Krieg und vielfältige Formen von innerstaatlicher, bürgerkriegerischer Gewalt immer stärker mischten, eine Einsicht, über die es nach seinem Urteil noch viel zu wenig theoretisches Nachdenken gebe.

Das vorletzte Kapitel über die „Coming Wars“ leitet Freedman mit einem Thukydides-Zitat ein, referiert dann aber fünf recht unterschiedliche Schulen des Denkens über die künftigen Kriege. Er selbst findet es unmöglich, künftige Kriege vorherzusagen; abgeschafft würden sie wohl nicht, aber die Grenzen zwischen Krieg und Frieden würden immer stärker verschwinden. Überraschend viele Kriege würden dennoch mit ziemlich altmodischen Waffen geführt. Das Buch ist nach dem – im Band erwähnten – Wahlsieg Donald Trumps abgeschlossen, aber Freedman fragte sich schon zuvor, ob die USA die Rolle der zentralen militärischen Weltmacht wohl auf absehbare Zeit beibehalten wolle. Das hat weniger mit Kriegen der Zukunft als solchen zu tun, sondern mit der globalen Weltentwicklung insgesamt. Genau die wird man sich mit Kriegsbildanalysen immer komplexerer Art kaum erklären können. Freedman hat bereits „Strategic Scripts for the 21 century“ für den Herbst 2018 angekündigt; auf seinen weiten Strategiebegriff wurde eingangs hingewiesen. Man kann neugierig sein, wie dieser liberal-konservative Militärhistoriker, Schüler von Michael Howard und Bewunderer von Colin S. Gray, das Dilemma Karl Valentins, an dieses Buch anknüpfend, dann weiterführen wird.

Anmerkung:
1 Dass dann kleine Ungenauigkeiten unterlaufen, wie die Verwechslung des preußischen und des deutschen Anteils an bestimmten Militäreinrichtungen oder die Zusammenfassung zweier russischer Zaren in einen, kann man verkraften.

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Die Rezension ist hervorgegangen aus der Kooperation mit dem Arbeitskreis Historische Friedens- und Konfliktforschung. (Redaktionelle Betreuung: Jan Hansen, Alexander Korb und Christoph Laucht) http://www.akhf.de/
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